Vergegenwärtigen wir uns nochmals den politischen Sinn der Dokustelle. Bundeskanzler Sebastian Kurz glaubt mit der ständigen Kampagne gegen MuslimInnen ein Erfolgsrezept gefunden zu haben. Um nicht offen kulturchauvinistisch zu erscheinen, nennt er es den Kampf gegen den Politischen Islam (absichtlich wie von der Dokustelle großgeschrieben, um auf Begriffsbildung hinzuweisen). Dieser wird landauf, landab als Feindbild gepflegt, das unsere Gesellschaft bedrohe.
Was ist nun der Unterschied zur FPÖ, außer das Epitheton „Politisch“? Es geht darum, die so erfolgversprechende Anti-Islam-Identität vom rechten Stallgeruch zu befreien und zumindest auch Teile des Linksliberalismus einzuspannen, also die Querfront gegen MuslimInnen zu festigen.
Als Vorreiter dafür diente das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) mit seiner linken Vorgeschichte. Dieses hat die antifaschistische Tradition seit der Wende in Osteuropa zu einem Instrument zur Rechtfertigung des israelischen Kolonialismus und zur Diffamierung jeder demokratischen Kritik transformiert: Ein wesentlicher Teil seiner Tätigkeit besteht jetzt darin, Kritik an der israelischen Regierungspolitik als „antisemitisch“ zu diffamieren. Was sie als „linken Antisemitismus“ bezeichnen, ist nichts anderes als Kritik am Kolonialismus. Aber natürlich schreibt das DÖW auch gegen den islamisch eingefärbten Widerstand gegen den israelischen Kolonialismus und sonstige vom Westen unterstützte Diktaturen an. Sie werden gerne vom DÖW & Co. als eine Form des Rechtsradikalismus kategorisiert. Das kann man nun zu einem wilden Amalgam verschmelzen.
Zwar haben sich Kurz und Sobotka die DÖW-Leute schon gefügig gemacht, doch es wäre nicht Kurz, wenn er nicht auf 150%iger Loyalität bestehen würde. Sein Institut soll ihm nicht nur treu ergeben sein, sondern als verlässliches Instrument der Kampagnenführung auch jeden als notwendig erachteten Schwenk mitmachen. Er will sein eigenes Anti-Islam-DÖW unter enger Führung seiner Marionette Susanne Raab und sich nicht auf wenig vertrauenswürdige linke Israel-Fanatiker verlassen müssen.
Doch das erwies sich als schwierig – und das war der Hauptgrund, warum das alles so lang dauerte. Die Dokustelle nicht erst ein Produkt der ÖVP und der Grünen; der „Kampf gegen den politischen Islam“ nahm schon im Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ 2016 (ab S. 39) breiten Raum ein. Renommierte Islamwissenschaftler haben sich für das schmutzige Spiel nicht hergegeben. Es blieben nur die üblichen Israel-Propagandisten wie Lorenzo Vidino, die mehr für die Polizei und Staatsanwaltschaft arbeiten als für die „Wissenschaft“.
Bleibt also als einziger Fang Mouhanad Khorchide – nicht wegen seiner akademischen Meriten, sondern weil er ein linksliberaler Moslem ist. Dass er unter MuslimInnen kaum Anhänger hat, wird durch seine Medienpräsenz wettgemacht. Das bleibt dennoch ein Manko, auch wenn er vorwiegend für den Konsum der Nicht-MuslimInnen dient, die sich vergewissern wollen, dass dies keine rassistische Veranstaltung sei.
Khorchide soll als Kronzeuge dafür herhalten, dass es sich um keine Anti-Islam-Dokustelle handelt, sondern dass es lediglich um die Bekämpfung „antidemokratischer Werte“ (S.13) [] unter den MuslimInnen gehe. Und was soll denn daran schlecht sein?
„Nicht nur die Gewalttätigen sind gefährlich“
Das bekannte primitive und chauvinistische Islam-Bashing machen Vidino & Co. Da wird jeder Widerstand gegen Besatzung und Diktatur als antisemitisch, faschistisch und letztlich auch terroristisch diffamiert, auch wenn es dafür (noch) keine Beweise gebe. Je ostentativer sich Muslime sich im legalen Rahmen politisch betätigen, desto gefährlicher seien sie sogar, weil sie die nicht-muslimische Öffentlichkeit bewusst täuschen würden. Mit Wissenschaft hat das allerdings nichts zu tun. Das ist „Hasbara“, also israelische Regierungspropaganda. Das werden wir an anderer Stelle behandeln, wenn jemand die Muße findet, sich durch dieses giftige Geschreibsel durchzukämpfen.
So direkt kann sich Khorchide das nicht leisten. Aber er gibt mit seinem Vorwort die Legitimität und den Rahmen für diese Hetze im Namen der Wissenschaft.
Khorchide warnt vor einer „Versicherheitlichung“ (S. 6), die alles unter dem polizeilichen Gesichtspunkt einer unterstellten Gewaltbereitschaft sieht. Es geht ihm gerade um die „nicht gewalttätigen Ausprägung“ (S. 6). Bei der Definition des Politischen Islam wird die „Einschränkung auf die Errichtung eines islamischen Staates“ (S.9) sogar als Schwäche genannt, das heißt sie sollte noch weiter sein. Und er weist auf den „legalistischen Islamismus“ hin, der „vordergründig die bestehenden Rechts- und Politikverhältnisse anerkennt“. (S.16)
Aber das ist nicht besser. Für Khorchide ist der Kampfbegriff „Politischer Islam“ auf alle anzuwenden, die sich als islamisch verstehen und gegen „demokratischen Rechtsstaat“ (10 Mal), „Menschenrechte“ (9 Mal), „freie Gesellschaft“ (7 Mal), „Recht des Individuums auf Selbstbestimmung“ (5 Mal) auftreten.
Man fühlt sich an den Kalten Krieg erinnert
Westliche Propagandabegriffe werden kontextlos den Feinden an den Kopf geworfen. Man erinnere sich: Die Apartheid in Südafrika war auch ein Schutzwall der Freien Welt gegen den Kommunismus, genauso wie Napalm und Agent Orange in Vietnam. Auch in Mittelamerika diente der schmutzige Krieg des Westens auf der Seite blutiger Diktaturen mit hunderttausenden Toten der Verteidigung genau dieser Werte. Heute sind diese monströsen Verdrehungen kaum mehr vorstellbar, aber damals waren sie sehr wirksam. Und sie funktionieren vor allem dadurch, dass man sie vom gesellschaftlichen Kontext des Herrschaftssystems abtrennt.
Genau das tut der gelernte Soziologe Khorchide, der pikanterweise palästinensische Wurzeln hat. Einerseits gibt es da den israelischen Kolonialismus, der das palästinensische Volk samt seinem Recht auf Selbstbestimmung zu vernichten versucht, sowie die prowestlichen Diktaturen in den arabischen Staaten der Umgebung. Dagegen gibt es letztlich seit Anbeginn einen vielgestaltigen Widerstand, der nicht nur, aber doch immer wieder auch kulturell islamisch geprägt ist. Andererseits gibt es die große Immigration in den Westen, die letztlich eine Folge der globalen Ungerechtigkeit ist, doch auch dort finden die ImmigrantInnen aufgrund des Neoliberalismus immer weniger Integrationsmöglichkeiten vor, selbst nach Generationen nicht. Die neuen Unterschichten im Westen haben einen erheblichen und überproportionalen islamischen Anteil. Der Ausschluss befördert natürlich eine Gegenidentität, umso mehr als Kurz & Co. von Amts wegen, von oben her, eine identitäre, ausschließende Kampagne führen. Und da sind nicht beide Seiten gleichermaßen verantwortlich, sondern die, die die Hebel der Macht in der Hand haben, tragen in erster Linie die Verantwortung dafür.
Die FPÖ und ihre Gesinnungsgenossen malen gerne die Gefahr der Islamisierung und der Umvolkung an die Wand. Staatsanwalt Winklhofer, der sich bei der juristischen Begründung für die Razzia „Operation Luxor“ sehr stark auf Vidino als „Sachverständigen“ stützt, transformiert dessen phantastische Behauptungen in folgender Juristenprosa zu einem strafrechtlich relevanten Tatbestand (Anordnung zur Sicherstellung, Aktenzahl 16St52/19t/294): „Der von den Muslimbrüdern – nach den schlüssigen Ausführungen der beiden Sachverständigen – als Zwischenstadium auf dem Weg zum weltweiten Kalifat angestrebte und als ‚Vereinigte Staaten von Arabien‘ bezeichnete Staat soll totalitär, strikt antidemokratisch, strukturell faschistisch, nach dem Führerprinzip unter Missachtung der Ausübung oder Wahrung von Menschenrechten – mithin als radikal islamistische Diktatur gestaltet sein (§ 278b Abs 3 StGB).“ (S.29) Sapperlot, alles, fast alles in einem Satz untergebracht. Was da noch fehlt: „fanatische Antijudaisten“! (S.9)
Wenn man da an die zwei Millionen von Israel im Gazastreifen ihres Landes beraubten, eingesperrten, verelendeten und angegriffenen PalästinenserInnen oder auch die Millionen am Rande des Verhungerns in den Slums vegetierenden ÄgypterInnen denkt, fragt man sich doch: Wer bedroht da wen?
Man erinnere sich an das Ideologem der „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“. Hier haben wir es mit einem modernen funktionalen Äquivalent dessen zu tun, das die realen Machtverhältnisse von den Füßen auf den Kopf stellt.
Natürlich ist es so, dass sich die „Verdammten dieser Erde“ aus offensichtlichen Gründen von „demokratischen Rechtsstaat“, „Menschenrechten“, „freier Gesellschaft“, „Recht des Individuums auf Selbstbestimmung“ nicht nur nichts mehr erwarten, sondern diesen Begriffen, die sich nicht nur als leere Phrasen entpuppt haben, sondern ihnen häufig als Bomben auf den Kopf fallen, feindlich gegenüberstehen.
Unterdrückung ruft Widerstand hervor, vielgestaltig und widersprüchlich, fortschrittlich und reaktionär. Da fehlen auch die Rächer nicht. Widerstand kann natürlich auch von den Eliten manipuliert werden, aber das ist nicht nur im Nahen Osten so, sondern letztlich überall.
Von einem emanzipatorischen Gesichtspunkt aus kann es nur darum gehen, die himmelschreiend ungerechten Verhältnisse zu bekämpfen und zu beseitigen, sowie den Widerstand zu unterstützen, insofern er das Potenzial hat, in ein universales Befreiungsprojekt hineinzuwachsen. Aber was von unseren Eliten gemacht wird, ist das Gegenteil davon. Den Opfern wird nur nochmals eine übergezogen und die ungerechten globalen Herrschaftsstrukturen verfestigt.
Die „wissenschaftliche Auseinandersetzung“ mit dem „Politischen Islam“ schafft das Kunststück, völlig ohne jede Erwähnung dieser Problematik auszukommen!
Wer gegen die Verfassung ist …
Gehen wir vom Schmiedl zum Schmied. Sebastian Kurz wurde von Christiane Amanpour in einem Interview (ab Minute 10) hinsichtlich der Definition des Politischen Islam ins Schwitzen gebracht. Was er letztlich hervorbrachte, ist dennoch ein gängiges Konzept, das sich in den Regierungsprogrammen von ÖVP und FPÖ sowie von ÖVP und Grünen findet und jenem von Khorchide verwandt ist: Wer die „freie Gesellschaft“ angreife und die „Verfassung unterminiert“, muss als Vertreter des Politischen Islam bekämpft werden. Also auf der einen Seite die Selbstlegitimation als die beste aller möglichen Welten, und auf der anderen Seite die Verschließung des demokratischen Raums, die Verfasstheit der Gesellschaft zu ändern.
Keine Verfassung ist gottgegeben, sondern Ergebnis eines politischen Prozesses. Eines der wichtigsten Elemente der Demokratie ist, dass die Verfassung veränderbar bleibt. Doch hier werden jene, die das anstreben, oder zumindest dessen verdächtig werden, ausgeschlossen und verfolgt. Oder gilt diese Einschränkung nur für MuslimInnen? Noch schlimmer!
Da geht es um etwas noch viel Größeres. Der ganze Emanzipationskampf der Subalternen in der Moderne dreht sich darum, die Demokratie durch eine gerechtere Verteilung der sozioökonomischen Macht real zu machen, mit Leben zu füllen und das Versprechen für die breiten Massen wahr zu machen. Die Eliten haben sich immer mit allen Mitteln dagegen gewehrt und die „freie Gesellschaft“ sowie ihre Verfassungen dafür in Stellung gebracht.
Jeder weiß, dass die unterschiedlichen Vorstellungen von einer islamischen Gesellschaft in Westeuropa keinerlei Chance auf Verwirklichung haben. Die herrschenden Eliten und der soziokulturelle Block, auf den sie sich stützen, sind dagegen – das zeigt sich nicht zuletzt in der antiislamischen Identität, die sie promoten. Das gilt unabhängig davon, ob 5, 10 oder 20 Prozent muslimischer Anteil an der Bevölkerung gibt. Zudem sind „die Moslems“ natürlich alles andere als eine homogene Gruppe, die gemeinsame Interessen artikulieren würden. Zudem enthält die islamische Gegenidentität meist wenig klare Konzepte über sozioökonomische Verhältnisse, sondern fokussiert sich auf kulturelle Fragen.
Nicht nur eine reale Demokratie würde solche, die formale Demokratie in Frage stellende Strömungen leicht aushalten, sondern auch unsere angekratzte, formale Demokratie würde davon nicht beschädigt werden.
Im Gegenteil, der Ausschluss der politischen MuslimInnen ist es, der die formale Demokratie nur noch mehr malträtiert. Er etabliert ein autoritäres und antidemokratisches Prinzip, das die Herrschaft der Elite zusätzlich verfestigt und panzert.
Haram und Halal – aber bitte politisch korrekt
Khorchide will „dem Vorwurf entgegen(…)wirken, mit dem Vorgehen gegen den Politischen Islam wolle man jede Form der politischen Partizipation von MuslimInnen unterbinden.“ (S. 11) Darum schränkt er gnädig ein: „Nicht jede Form der politischen Partizipation bzw. des gesellschaftlichen Engagements, die religiös motiviert/begründet ist, ist problematisch. Zum Beispiel ist ein religiös motivierter Einsatz (ähnlich wie in der christlichen Sozialethik) für mehr Umweltschutz, für mehr Frauenrechte, für mehr Solidarität mit Armen und Bedürftigen usw. sogar im Sinne demokratischer Prinzipien und des gesellschaftlichen Friedens. (S. 10)
Doch wer sich politisch für die Kinder in Gaza einsetzt, der fällt bleibt weiterhin unter den Bannstrahl des politisch korrekten Haram.