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Keine stinknormale Krise – die zyklische kapitalistische Krise überlagert von der Pandemie

29. April 2021
Von R. Brunath

Im Zuge der zweiten deutschen Büchervernichtung in den Jahren 1989/90 sind massenhaft auch die Werke des DDR-Wirtschaftshistorikers Hans Mottek auf den Müllkippen unter die Planierraupen geraten. In den Hirnen heutiger Ökonomen hätten sie einen besseren Platz gefunden.


Beim Studium  seines 1982 in der DDR erschienenen Buches „Die Krisen und die Entwicklung des Kapitalismus“ wäre diesen selbsternannten Ökonomen deutlich geworden, dass Krisen eben nicht nur die stete Wiederholung der immer gleichen oder doch ähnlichen Prozesse sind, sondern eine jede ihre innere Entwicklung hat. Und bei diesem Studium  hätten diese „Ökonomen“ auch begriffen, dass jede dieser inneren Entwicklungen zu der Phase der Unmöglichkeit führt, auf Basis der Vermarktung von Produkten zu wirtschaften, Produkten, die auf der Grundlage des Privateigentums an Produktionsmitteln mit Profitabsicht entstehen. Und zuletzt hätten diese „Spezialisten“ dann auch verstanden, erstens, dass der Handlungs-Spielraum für die Herren Kapitalisten von Krise zu Krise enger wird und zweitens, dass die Zahl der Kapitalisten von Krise zu Krise abnimmt und die Zahl der gescheiterten Existenzen größer wird. 
Inzwischen sind wir soweit, dass wir in der Phase leben, in der Mottek´s  theoretische Einsicht zur praktischen Wirklichkeit wird. Diese allgemeine Krise wird nicht verschwinden, selbst wenn alle Westeuropäer und Nordamerikaner durchgeimpft sind. Denn Corona hat nichts mit Ökonomie und Kapitalismus zu tun. Die Krise wird erneut ihr Haupt erheben– sei es als wachsende Kriegsgefahr, sei es als Ausprägung weiterer Folgen der Zerrüttung der natürlichen Lebensgrundlagen und sozialen Spaltungen  durch die sog. Corona-Eindämmungsdiktate, sei es  als Ergebnis der fortschreitenden Erosion des politischen Überbaus, der die beständigen Erschütterungen seiner Fundamente auszugleichen immer weniger in der Lage ist.

Die treibende Macht in der kapitalistischen Produktion

Karl Marx erkannte die „Profitrate“ als die motivierende Kraft für die Kapitalisten, als die  Macht, die dazu führt, dass nur produziert wird, das Profit verspricht. Diese Macht drängte und drängt immer noch dazu,  immer mehr Felder des gesellschaftlichen und menschlichen Lebens  neben der Arbeitskraft der nicht Besitzenden, alles, aber auch alles, sogar das gesprochene Wort,  zur Ware zu machen und damit dem Prinzip zu unterwerfen: „lohnt es sich oder lohnt es sich nicht“. Aber irgendwann wird es nichts mehr geben, das zur Ware gemacht werden könnte.

Und so, getrieben vom unerbittlichen  Prinzip der Konkurrenz muss, um zu überleben, der Unternehmer die Produktivität des von ihm eingesetzten Kapitals erhöhen. Er muss Löhne senken, Menschen durch Maschinen ersetzen, muss die Produktion so weit wie möglich ausdehnen um die Stückpreise zu senken. Und das führt zur Überproduktion – der Kapitalist in der Gesamtheit bleibt auf seinen Produkten sitzen. Er steht vor der Überproduktionskrise. Und nach solcher Über-produktionskrise beginnt der neue Wettlauf – mit weniger Teilnehmern. Sicher, gelegentlich gelingt es einem Start-Up sich in die Konkrrenz einzureihen – aber die Zahl der Start-Ups erreicht die Größenordnung der Zahl der Pleiten und Konkurse nicht. Und so geht es weiter bis zur nächsten Krise, zur zyklisch wiederkehrenden Rebellionen gegen diesen unaufhebbaren Grundwiderspruch kapitalistischer Produktionsweise. Und die Frequenz der Krisen steigt – im Takt mit der zunehmenden Rationalisierung in der Produktion, mit dem Wachsen der Zahl der Arbeitslosen. Und weil durch diese Entwicklung die einzige Quelle der Mehrwertproduktion, nämlich die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft,  tendenziell aus der Produktion, aus den Fabriken hinausgedrängt wird, sinkt die Profitrate, denn immer weniger Menschen können, da sie arbeitslos geworden sind, die Produkte der Kapitalisten kaufen – sie nehmen in steigender Zahl Billiangebote (die von unterbezahlter Arbeit aus Ländern der Perepherie stammt) der Kapitalisten an. Die Digitalisierung des Arbeitsmarktes potenziert diese Entwicklung noch. 

So nähert sich Stück für Stück, Krise für Krise, Produktivitätsschub für Produktivitätsschub der Galopp dieses Systems damit dem Punkt, an dem die Herrschenden dazu tendieren, dem politischen bürgerlichen Überbau faschistoiden Charakter überzustülpen. Zunächst kommt es zur Präsidialdiktatur, dann zum Regime der Fachleute und zuletzt zur offenen Diktatur – um eine Rebellion der Massen zu unterdrücken, einen politischen Willensakt der Menschen, die  dieser Krisenhaftigkeit organisiert ein Ende bereiten könnte – historisch immer dann, wenn das massenhafte menschliche Leiden an den wie Vulkanausbrüche hervorbrechenden Krisenhöhepunkten unerträglich wird.

Im Kern geht es für jedes Volk dieser Erde darum, sich von diesem tendenziellen Fall der Profitrate abzukoppeln und eine Wirtschaftsordnung zu schaffen, die sich nicht als Reflex der Profitmaximierung versteht. Wer sich von der Fixierung auf die Profitrate nicht abkoppelt, fällt mit ihr.

Lehren der Pariser Kommune

Bis zum Erbrechen haben die Medien in den vergangenen 30 Jahren jene, die nach 1989 der DDR weiterhin als dem besten Deutschland, das es je gab, die Treue gehalten haben, verhöhnt. Ihr Fett bekamen selbst solche Gestalten, die glaubten sich für ihr Tun in der DDR entschuldigen zu müssen. Oder jene, die oberflächlich lamentierten über die Privilegien der Parteioberen und dabei übersahen welche Privilegien die Eliten im Westen besitzen.                                         

Kübel des  Hohns sind schon vor 150 Jahren ausgekippt worden über die ermordeten Heldinnen und Helden der Pariser Kommune, die sich angemaßt hatten, die alte Ordnung durch eine gänzlich neue zu ersetzen.  

Aber diejenigen, die sich nicht beirren ließen, reckten schon vier Jahrzehnte später das Banner der Kommune in St. Petersburg wieder empor. Und sie hatten gelernt aus der Schlächterei vom Mai 1871 und es war ihnen klar: eine andere Welt, ein Betreten des Weges zu einer gerechteren Welt, einer Welt die sie Sozialismus nannten, war nicht möglich mit der Übernahme der alten Staatsmaschine, deren Zweck ja gerade darin besteht, die Ausbeutung zu organisieren und zu garantieren, egal ob sie schwarz, grün oder verlogen rot lackiert wird. Sie muss abgeschafft  und durch eine neue Macht ersetzt werden. Das war die Erkenntnis der St-Petersburger von 1917 und zweitens war ihnen klar: Gerechtigkeit für die Mehrheit sollte es geben, aber nicht für alle,  erst recht nicht für die alte Ausbeuterklasse  und ihre zahlreichen Lakaien.  Und so wissen die Menschen der heutigen Zeit – wenn auch vielleicht unbewusst: die Abschaffung des Ausbeutersystems Kapitalismus ist eine Sache mehrerer Anläufe. Der erste begann in einer Stadt von damals 1,8 Millionen Einwohnern, der zweite 1917 in einem Land mit 180 Millionen.

Die Zahl der Menschen in Weltgegenden mit antikapitalistischer Orientierung liegt heute nicht mehr bei 1,8 Millionen wie 1871 oder 180 Millionen wie 1917, sondern bei über 1,5 Milliarden. Die Frage, ob das denn ein bessere Welt, eine „humanere“ Welt oder sozialistische Welt nach unserem westeuropäischen Geschmack sei, ist historisch naiv. Ihr Anlauf, den Kapitalismus zu überwinden ist genauso blut- und fehlerbefleckt und gleichzeitig ebenso ruhmvoll und zukunftsweisend, wie es jener der Pariser Kommune oder der des Roten Oktober war.

Sicher ist aber: Die KP-en Chinas, Vietnams, Kubas und sonstwo in der Welt erheben  den Anspruch, aus der großen europäischen Niederlage von 1989 diejenigen Lehren zu ziehen, die es ermöglichen, an einer antikapitalistischen Orientierung festzuhalten. Europäische Besserwisserei ist nach dem, was wir hier verloren haben, jedenfalls fehl am Platze.                                                                    

In der finalen Krise des Kapitalismus befinden wir uns längst – ob es den heute Lebenden bewusst ist oder nicht. Aber: Nach den Niederlagen von 1871 und 1989 wäre es ein historischer Fehler der westeuropäischen Sozialisten zu meinen, die „Aurora“ warte nur auf uns, die Kanone neu abzufeuern.
Was aber geschieht, wenn auch hierzulande immer mehr Menschen in Verzweiflung geraten, wenn die Erzählung, an allen Zumutungen der Krise sei allein das Corona-Virus schuld, nicht mehr greift? Vermutlich fällt dies in Deutschland zusammen mit der probe- und stückweisen Übergabe von Regierungsmacht an die kleinbürgerlich-intellektuell geprägten „Grünen“. Die werden dann in der ihnen eigenen Mischung aus Ersatzthemen (Gemüse statt Fleisch, E-Auto statt Verbrenner, Sternchen statt großem I) und Hass auf alles, was aus Moskau, Peking oder Havanna kommt, versuchen, dem weiteren Abrutschen dieses Systems einen messianisch verbrämten Sinn zu geben. Da sie den Kapitalismus unangetastet lassen wollen, werden sie bestenfalls als Niedergangs-beschleuniger, schlimmstenfalls als Brandbeschleuniger enden. Habeks Sprüche lassen diesbezüglich Schlimmes ahnen.                                                                                                       

Der  historische linke Platz wird es dann vor allem, in den heraufziehenden Weltgewittern das Menschenmögliche zu tun, damit diejenigen Völker, die seit 1989 die rote Fahne weitertrugen, das auch künftig tun können, ohne unter einem Hagel von Raketen zu verrecken (Friedensbewegung stärken). Die Menschen unseres Landes haben die Möglichkeit, auf die Gewinnerseite der Geschichte zu kommen, statt abermals wie im heißen und kalten Krieg des vorigen Jahrhunderts Verbündete des Unheils zu werden. Aber nur dann, wenn wir einen neuen Anlauf heraus aus der kapitalistischen Profit- und Tauschgesellschaft wagen. Gewänne diese Ansicht weitere Anhänger, wären wir der Taten der Frauen und Männer von Paris, Petersburg, wären wir Rosa Luxenburg, Karl Liebknecht, wären wir Clara Zetkin und ihren ZeitgenossInnen würdig.

 

Rainer Brunath, 20.4.2021

 

Überarbeitung und Kürzung eines Artikels von Manfred Sohn in der UZ vom 16.4.2021

 

 

 

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