Der Blaublütige versteht wenig von Politik. Er wurde als türkiser Statthalter Kurzens bestellt, doch sein Mentor befindet sich im freien Fall, den niemand aufhalten kann. Seine Führungsgruppe war so lange in der Lage, die schwarze ÖVP in Schach zu halten, solange der Wunderwuzzi Wahlen zu gewinnen vermochte. Doch das ist vorbei. Das alte Schwarze in seiner ganzen Abgenutztheit ist wieder zurück und macht Schallenberg zum Untoten, bis die VP sich auf einen neuen Spitzenkandidaten einigt – und das kann dauern.
Zur Erhöhung der Impfquote ist übrigens eine solche Zwangsmaßnahme wenig geeignet. Denn die Ablehnung der Impfung durch eine konsistente Minderheit hat mittlerweile politischen Charakter angenommen. Und man soll nicht glauben, dass es sich um einen Schmäh der FPÖ handelt, verlorenes Terrain gutzumachen. Das gelingt dieser, weil sie die einzige parlamentarische Opposition gegen die Corona-Politik ist. Doch die Opposition dagegen ist viel breiter und erstreckt sich auch auf kulturliberale Milieus und insbesondere auf die ärmeren Schichten. Auch der Wahlerfolg der MFG in Oberösterreich – gegen die FPÖ – deutet darauf hin. Es handelt sich im Ergebnis um die Ablehnung einer autoritär-neoliberalen Politik, die sich aber links einkleidet, in dem sie vorgibt die Gesundheit aller zu schützen. Im Übrigen bekennen sich die Eliten heute ganz im Allgemeinen gerne zu linksliberalen Werten. Die Tatsache, dass die FPÖ da eine Rolle zu spielen vermag, sollte also nicht weiter wundern. Sie war ja auch unter Rotschwarz in der Lage den Unmut über das neoliberale Regime zu kanalisieren, um ihn in der Folge wieder auf die Mühlen des Systems zurückzulenken.
Viele wenden hier ein, dass es sich um sozialdarwinistische Positionen handeln würde. Die mag vorkommen, genauso wie ein kleinunternehmerischer Individualismus. Hauptmotiv ist aber ein anderes, nämlich die Ablehnung der die Grundrechte einschränkender Maßnahmen vor dem Hintergrund, dass weder das Bedrohungsbild noch die Wirkung der Maßnahmen überzeugen – ein grundlegend demokratischer Impuls, der auch sozial aufladen werden kann.
Viele Experten und selbst Journalisten der Regimemedien sehen sehr klar, dass diese Form des Impfzwangs die Impfquote nicht substanziell erhöhen wird, dafür aber die gesellschaftliche Spaltung enorm vertieft.
Auf dem Höhepunkt der Kurz-Blase mag das noch ein paar Prozentpunkt mehr bei den Umfragewerten ergeben haben, weil es Entschlossenheit repräsentieren könnte. Aber sollte die willkürliche 500-Intensivbettenmarke tatsächlich erreicht werden, und Ungeimpfte vom sozialen Leben ausgesperrt, oder sogar die ominöse 600-Marke, ab der Ungeimpfte sogar eingesperrt werden sollen, dann könnte das zu Widerstand und Nichtexekution führen und für Schallenberg nach hinten losgehen. (Wobei die Definition von Intensivbett noch Spielraum für Modifikationen bietet.) Auch viele, die Regierungslinie grundsätzlich zustimmen, wollen die Spaltung und Ausgrenzung nicht.
Das alles passiert vor dem Hintergrund, dass in einigen nordeuropäischen Ländern die Pandemie für vorbei erklärt und damit auch die Maßnahmen aufgehoben wurden. Einige haben höhere Impfquoten, einige ähnliche wie Österreich – doch ein paar Prozentpunkte auf oder ab kann nicht den qualitativen Unterschied machen, den man uns einzureden versucht. Vielmehr geht es um eine politische Methode. Die Herrschenden dieser Länder meinen, dass sie fest genug im Sattel säßen, und autoritäre Maßnahmen nicht nur nicht notwendig seien, sondern auf die Dauer auch ihre Hegemonie gefährden würden. Doch Schallenberg orientiert sich scheinbar mehr an Italiens Draghi, der Nichtgeimpften schon einmal nonchalant gerne das Wahlrecht entzogen hätte. Es geht um die Benennung der Delinquenten, um deren Verfolgung und Bestrafung. Es geht darum, politische Opposition zu unterdrücken, auch wenn diese nicht einmal im Ansatz eine Gefahr darstellt, anders als in Italien oder auch in Frankreich. Machen wir ihm da einen Strich durch die Rechnung!
Zudem: Es gibt keinen zwingenden Beleg dafür, dass Lockdowns & Co zur Eindämmung der Epidemie einen entscheidenden Beitrag leisten würden. Das Bild ist eigentlich unübersichtlich und offensichtlich multifaktoriell. Dass soziale Isolation jedoch enorme kulturelle und soziale Schäden mit Langzeitwirkung hervorruft, das ist indes gesichert. Ganz zu schweigen davon, dass die Auswirkungen auf die ohnehin Unterprivilegierten überproportional stark sind.
Und es geht nicht nur um das Grundrecht auf Unversehrtheit des eigenen Körpers, sondern es geht auch ein Stück weit um Meinungsfreiheit. Denn wenn man die offizielle These von einem quasi außergesellschaftlichen Killervirus nicht teilt und stattdessen die Epidemie in ihre gesellschaftlichen Dimensionen zu erfassen versucht, dann stellt sich auch die Bedrohung ganz anders dar. Dann verwandelt sich Covid zu einer Krankheit, die für Alte und Gefährdete sehr gefährlich sein kann, für die Mehrheit und insbesondere die Jungen aber kein gröberes Problem darstellt – jedenfalls in Relation zu Autoverkehr, Luftverschmutzung, Bewegungsmangel, Arbeitsstress, Isolation, etc.
Damit relativiert sich auch die geradezu hysterische Impfkampagne. Für potentiell Bedrohte überwiegt der Nutzen mögliche Risiken. Doch für sehr viele andere, insbesondere Junge und Kinder, fällt die Risikoabwägung nicht so eindeutig aus.
Natürlich ist es schwer, die Risiken zu bewerten oder gar zu beweisen. Doch die grundsätzliche Methode müsste dem Fail-Safe-Prinzip folgen. Die Katastrophen des 20. Jahrhunderts machen eine gesunde Vorsicht gegenüber Technik und Wissenschaft durchaus rational, selbst wenn damit technischer Fortschritt nicht abgelehnt werden soll.
Zudem soll nicht vergessen werden, dass die Produktspezifikation, das Design der Impfung selbst, nicht die Ansteckung zu verhindern sucht, sondern den Krankheitsverlauf mildern soll.
Der Meinung zu sein, sich unter diesen Bedingungen der Impfung zu verweigern, darf nicht zum Verbrechen gestempelt werden und ist nicht automatisch unsolidarisch. Demokratie heißt andere Meinungen zuzulassen und durch die Meinungsfreiheit zu schützen.
Und was ist dann mit dem überlasteten Gesundheitswesen? Grundsätzlich ist ja der Indikator Last im Gesundheitswesen, der nun über ein Jahr kaum eine Rolle spielen durfte, der bessere Indikator als die kaum aussagekräftig Inzidenz, auf die wir gebannt zu starren erzogen wurden. Und klar, die Krankheit bewegt sich offensichtlich in Wellen, die das System an den Rand der Leistungsfähigkeit bringen. Doch warum wurde dann der neoliberale Abbau fortgesetzt und die unhaltbaren Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen nicht behoben? Für alle möglichen autoritären Maßnahmen können Milliarden lockergemacht werden, doch für das Gesundheitswesen nicht? Es sei kein Personal zu bekommen. In dieser Argumentation steckt doch der neoliberale Wurm drinnen. Dann zahlt man ihnen doch mehr, reduziert die Arbeitslast und bildet mehr aus. So einfach wäre das, aber das darf partout nicht sein.
Ein sozialer und demokratischer Begriff von öffentlicher Gesundheit
Implizit sagt die offizielle Position, dass wir nur ein einziges Problem hätten: das heißt Covid und dagegen müssen wir mit allen Mitteln ankämpfen, auch jenen des Zwangs. Viel geziehen wurde der schwedische Weg, doch letztlich hat das skandinavische Land mit freiwilligen Maßnahmen, keine wesentlich anderen Ergebnisse erreicht als das autoritäre Österreich. Wir wollen die Details hier nicht diskutieren.
Aber es gibt einen enormen Unterschied zwischen Schweden und Österreich und der ist nicht so sehr die Lebenserwartung selbst, sondern die Zahl der gesunden Lebensjahre. Da liegen wir ganze 16 Jahre hinten und genau das ist eine zentrale Frage der öffentlichen Gesundheit, die sehr viel mit dem neoliberalen Regime zu tun hat.
Da geht es vor allem darum, dass Arbeit, Ausbildung, Freizeit, dass die gesamte Lebensrealität der Menschen so gestaltet wird, dass ihnen die Möglichkeit geboten wird gesünder zu leben. Das fängt mit den Arbeitsbedingungen und Stressreduktion an; geht über Sport- und Freizeitangebote; Alltagskultur; ein intaktes Gesundheitswesen für alle; Förderung von gesunder Ernährung; saubere Luft und Zugang zur Natur; Eindämmung des Autoverkehrs und Geschwindigkeitsbegrenzungen; Förderung von Kollektivität statt Individualisierung und Vereinzelung bis hin zu Lebenschancen. Einige wenige haben viel oder alles davon, einige einiges aber viele haben sehr wenig oder gar nicht.
Hier müssen wir ansetzen und etwas substanziell ändern – und das erfordert den Bruch mit dem neoliberalen Regime!