Ich muss vorausschicken, dass ich kein Historiker bin. Ich spreche aber aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung als Beobachter des politischen Geschehens und werde dazu einige Thesen aufstellen, ohne dass ich jetzt in der Lage bin, alles so im Einzelnen zu belegen.
Die Grundthese lautet, dass es irgendwann in den 80er-Jahren zu einem Umbruch in Ausrichtung und Funktion des Antifaschismus gekommen ist. Was Österreich betrifft, so kann ich auch einen genaueren Zeitpunkt dafür festmachen, nämlich die Waldheim-Affäre beziehungsweise dann auch das Vorrücken Jörg Haiders an die Spitze der FPÖ. Beides geschah 1986. Ich setze einmal die grobe Kenntnis über das, was damals geschehen ist, hier voraus, denn das alles jetzt nacherzählen, würde zu lange dauern.
Was mir ins Auge sticht, das sind ein paar eklatante Unterschiede zwischen dem Antifaschismus der Nachkriegszeit, der 68er-Generation, auch noch der 70er-Jahre einerseits und der Art Antifaschismus, wie sie sich eben ungefähr ab Mitte der 80er-Jahre etablierte und seither radikalisiert hat, andererseits.
Was als allererstes auffällt, das ist natürlich der Unterschied im intellektuellen Niveau. Aber auch der Zugang war ein grundlegend anderer. Ich beziehe mich hier auf die Konzeptionen, die mir am meisten vertraut sind, Adornos und Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“, die Schriften von Günther Anders, aber auch mit dem psychoanalytischen Zugang bin ich recht vertraut, mit Wilhelm Reich oder Klaus Theweleits „Männerphantasien“. Ich denke jedoch, dass diese Autoren durchaus paradigmatisch für das allgemeine diskursive Klima vor den 80er-Jahren genommen werden können.
Eins ist klar, es ist damals eben nicht bloß darum gegangen, den Faschismus als etwas hinzustellen, was nur von ein paar durchgeknallten Schwurblern ausgeht. Der wirkliche Antifaschist von damals hat gewusst, dass der Faschismus etwas ist, was als Potential sozusagen in uns allen wohnt, in einem jeden von uns, aus jedem herausbrechen kann, auch aus einem selbst, und auch, dass er ein allgemeines gesellschaftliches Problem ist, nicht das Problem einer Minderheit. Der Faschismus und die gesellschaftliche Normalität waren etwas, was in einer großen Nähe gesehen wurde. Man denke etwa an sozialpsychologische Untersuchungen wie das Milgram-Experiment, die in diese Richtung gearbeitet haben. Dementsprechend hat man sich als linker Intellektueller und Antifaschist immer auch als Gesellschaftskritiker verstanden, als Kritiker der herrschenden gesellschaftlichen Zustände, des Systems, des Establishments, der gesellschaftlichen Autoritäten. Gehorsam gegenüber denen war automatisch verdächtig.
Man beachte einmal die Umdrehung, die seither passiert ist. Heute läuft die Kodierung gerade umgekehrt. Erstens ist heute der Nazi immer der Andere, natürlich nie man selbst, der Antifaschismus dient der Gesellschaft nur mehr dazu, das eigene Böse nach außen zu projizieren, es gibt eine geistig völlig unbedarfte Schwarzweißmalerei; und zweitens wird ganz umgekehrt heute alle Gesellschaftskritik, alle Kritik am System, grundsätzlich einmal als „rechts“ kodiert.
Das lässt sich meines Erachtens darauf zurückführen, dass im Zuge der Waldheim-Affäre und dann eben auch im Zuge der Stilisierung der FPÖ zum ultimativen Feindbild der Antifaschismus Mainstream wurde und seine Außenseiterposition verloren hat. Damit verlor er auch seinen grundlegend gesellschaftskritischen Charakter. Es ging nicht mehr um eine Kritik der Gesellschaft, es ging nur mehr um eine Anprangerung der FPÖ. Wir sind in Ordnung, nur mit der FPÖ und ihren Wählern ist was falsch. Ein völlig reduzierter Begriff von Antifaschismus bürgerte sich ein, der sich letztlich darauf beschränkte, dass man gegen Ausländerfeindlichkeit war.
Wichtig auch ein anderer Aspekt der Geschichte: Waldheim wurde zwar Bundespräsident, war aber international isoliert, er galt ja als so eine Art Nazi. Darum musste Bundeskanzler Vranitzky mehr oder weniger die Rolle des Bundespräsidenten übernehmen und wurde zum Gegenpart Waldheims, er wurde als antifaschistischer Bundeskanzler dafür gefeiert, dass er sich einer Koalition mit der FPÖ verweigerte, dass er sich reuig zur problematischen Vergangenheit Österreichs wie kein anderer Spitzenpolitiker vor ihm bekannte, dass er sich um eine gute Beziehung zu Israel bemühte, usw, usf.
Das ist ja alles gut und schön, könnte man meinen, aber das Ergebnis all dessen war, dass der Antifaschismus zur Staatsphilosophie mutierte, zur Staatsdoktrin, oder von mir aus auch zur Staatsideologie. Man kann hier von mir aus ganz simpel das Schicksal ersehen, dass viele kritische Bewegungen in der Geschichte ereilt hat: Was die ursprüngliche Idee, die ihnen zugrunde lag, zerstört hat, das war gerade ihr Erfolg. So etwas scheint auch mit dem Antifaschismus passiert zu sein. Er wurde auf einmal zur Ideologie der Mächtigen. Und die Mächtigen haben ab nun den Antifaschismus verwendet, um sich selbst zu beweihräuchern, sich selbst als die Guten darzustellen und das eigene Handeln zu legitimieren. Das erste große Ereignis, wo das für mich zum Tragen kam, war meines Erachtens die EU-Volksabstimmung, wo das schon begonnen hat. Da hat das schon angefangen, dass man alle Kritiker nach Möglichkeit ins rechte Eck gestellt und mit Nationalisten in einen Topf geworfen hat. Aber nicht nur in Österreich, sondern im ganzen Westen wurde diese Strategie in den folgenden Jahrzehnten immer massiver ausgebaut. Man denke etwa an Joschka Fischer, der den deutschen Kriegseintritt im Kosovo-Konflikt mit dem Verweis auf Auschwitz gerechtfertigt hat, oder an jene Nato-Propagandisten, die der Reihe nach Milosevic und dann Saddam Hussein und jetzt eben Putin Hitler gleichgesetzt haben, oder auch bis zu jenen Meinungsmachern, die die Corona-Maßnahmenkritiker mechanisch in die Nähe von Rechtsextremisten gerückt haben. Die Effektivität dieser Art von Instrumentalisierung antifaschistischer Rhetorik durch die Mächtigen liegt auf der Hand: Wer Einspruch dagegen erhebt, markiert sich dadurch selbst als Nazi-Freund, als Kumpel Hitlers, als einer, der Genozid usw leugnet oder gar gutheißt. Ersehbar am Beispiel Peter Handkes, der ja dann auch als Freund von „Rechtsextremisten“ und „Ultranationalisten“ abgestempelt wurde.
Kurz gesagt: Unsere ganze westliche Staatengemeinschaft, unsere westliche Politik, die führenden gesellschaftlichen Instanzen, selbst die westlichen Medien erklärten sich selbst zu antifaschistischen Institutionen, und dann ist logischerweise jeder, der grundlegende Kritik an ihnen übt, so etwas wie ein Nazi oder Rechtsextremist. Das ist letztlich das Spiel, was da läuft.
Für mich führt auch in anderer Hinsicht eine Entwicklungslinie von der Waldheim-Affäre 1986 zu der Stimmungsmache gegen Peter Handke im Herbst 2019. Wenn ich einen Blödsinn sage, dann korrigiere man mich, aber ich habe den Eindruck, im Zuge der Waldheim-Affäre war es zum ersten Mal, dass so ein richtiger Kampagnen-Journalismus gegen eine bestimmte Person betrieben wurde. Also natürlich weiß ich, dass es davor schon Rudi Dutschke vs die Springer-Presse gab usw. Aber darum hatte die ja auch einen schlechten Ruf (bei den Linken, aber vielleicht generell). Bei Waldheim jedoch war es das erste Mal, dass von einer breiten, linksliberal orientierten und sich selbst als antifaschistisch verstehenden Meinungsmacher-Maschinerie so ein Kampagnenjournalismus inszeniert wurde. Das galt als progressiv, diese Stimmungsmache wurde von den geistigen Eliten gut geheißen, nicht nur von Journalisten, sondern auch von Künstlern und Intellektuellen vorangetrieben, und dann vielleicht noch mit dem Begriff „Vergangenheitsbewältigung“ umwölkt. Und das, behaupte ich, war die Blaupause für vieles, was nachher gekommen ist. Eben zum Beispiel für den Anti-Handke-Journalismus, bei dem das allerdings ja noch viel radikalere Formen angenommen hat, also im Vergleich dazu war ja der Umgang mit Waldheim respektvoll. Nur hat das dort meines Erachtens begonnen.
Bei Haider nicht unähnlich. Das Auffällige war die Empörungsmaschinerie, die damals in Gang gekommen ist, und diese damit verbundene, ganz eigene Art von Selbstgerechtigkeit. Damals entstand aus meiner Sicht allmählich das, was man heute als „Haltungsjournalismus“ bezeichnet. Man selbst ist der gute Linke und Antifaschist, die FPÖ & Co, die sind sozusagen das schlechthin Böse.
Nach tieferen Ursachen, warum es eine FPÖ und einen Haider gibt, was vielleicht generell alles in unserer Gesellschaft falsch läuft, danach wurde gar nicht mehr gefragt. Die ganze Erscheinung wurde darauf reduziert, dass es da eben einfach ein paar Depperte in unserer Gesellschaft gibt, ein paar unbelehrbare Altnazis, oder dass das lauter Ungebildete sind, die den Haider wählen und auf ihn und seine Lügen reinfallen. Oder dass es eben so etwas wie eine braune DNA in Österreich gebe usw.
Übrigens hat das — nur so nebenbei — damals auch die ganze Kunst- und Kulturszene beeinflusst, da wurde auch in der österreichischen Literatur die Zeit der „Vergangenheitsbewältigung“ eingeläutet. Wer literaturinteressiert war, der musste in Thomas Bernhards teilweise ziemlich seichtes Geschimpfe über die Nazis und Katholiken einstimmen und das super finden. Und am Ende der Entwicklung steht, dass wir nicht nur in der Medienlandschaft, sondern auch in der Literaturszene mittlerweile einen völlig verflachten Antifaschismus haben und man als Autor in gewissen Zirkeln teilweise gar keine Chance hat voranzukommen, wenn man da nicht einstimmt und irgendetwas schreibt, wo Altnazis, FPÖ-Anhänger und Haider schlecht wegkommen, es ansonsten aber keine Gesellschaftskritik mehr gibt.
Worauf ich aber jetzt hinaus will — so etwas hat ja Konsequenzen, wenn eine bestimmte Person — wie damals eben Haider — als das schlechthin Böse markiert wird. Konsequenzen, mit denen wir es heute noch zu tun haben. Denn gegenüber dem schlechthin Bösen ist natürlich auch alles erlaubt. Ich kann mich erinnern, dass damals schon unter manchen Linken durchaus ernsthaft gesagt wurde, ja, den Jörg Haider, da müsste eigentlich jemand eine Pistole nehmen und den erschießen. Das wurde dann auch Mainstream, diese Idee tauchte auch in einem Roman von Gerhard Roth auf, und ich glaube, es waren Stermann und Grissemann, die, natürlich bloß als sogenannte Satire, dem Haider den Krebs an den Hals gewünscht haben. Ich meine, jetzt abgesehen von der moralischen Dimension, das eigentliche Problem ist dieses völlig reduzierte Politik-Verständnis, das daraus spricht. Als ob man politische Probleme löst, indem man eine bestimmte Person verschwinden lässt. Und Haider ist ja dann ums Leben gekommen, und trotzdem ist nichts besser geworden, ist dann halt Strache gekommen.
Das Einzige, was solche Ideen in der Linken bewirkt haben, das ist deren eigene intellektuelle und moralische Verwahrlosung. Hier ist eben auch die Wurzel für ein Phänomen, mit dem wir es während Corona zu tun bekamen: Wie ist es möglich, dass linksliberale und angeblich antifaschistische Meinungsmacher plötzlich selbst jenen faschistoiden Hate-Speech in Szene setzen, den sie bislang kritisiert haben, wenn sich Rechtspopulisten solcher rhetorischer Methoden bedient haben? Wieso können sie plötzlich eine totalitaristische und autoritäre Politik befürworten, wenn sie doch bisher selbst immer gegen den Totalitarismus und das Autoritäre waren? Wie ist so eine kognitive Dissonanz möglich?
Nun, die Erklärung ist einfach. Sie können es tun, weil sie davon überzeugt sind, gegen das Böse ins Feld zu ziehen, gegen das schlechthin Böse, und gegen das Böse ist alles erlaubt. Gegen das Böse darf man auch selbst böse sein. Man muss verstehen, dass das der Grundgedanke ist, der hier im Hintergrund läuft.
Damit sind wir bei einem anderen Punkt, der in der Waldheim/Haider-Zeit seinen Ursprung hat. 1992 wurde im Zuge all der antifaschistischen Debatten in Österreich das Verbotsgesetz von 1947 verändert, und ab nun wurde nicht bloß die nationalsozialistische Wiederbetätigung unter Strafe gestellt, sondern auch die Leugnung und Verharmlosung des Holocaust. Das ist eine umstrittene Vorgangsweise gewesen, weil es ja die demokratische Meinungsfreiheit antastet. Man geht also gegen eine anti-demokratische Entwicklung selbst mit antidemokratischen Mitteln vor. Da sind wir eben wieder genau an diesem Punkt: Darf man gegen das Böse selbst mit bösen Mitteln vorgehen? Man hat sich entschieden: ja. Der Zweck heiligt die Mittel.
Und das war dann die Rutsche für vieles, mit dem wir es heute zu tun haben. Beispielsweise wurde jetzt ein Friedensaktivist in Berlin zu 2000 € Geldstrafe verurteilt, bloß deswegen, weil er auf einer Demo gesagt hat, man müsse auch versuchen, die Motive der Russen verstehen. Das hat gereicht für eine Verurteilung, denn er habe damit implizit seine Zustimmung zum verbrecherischen Handeln Russlands erteilt, lautet die Argumentation des Gerichts.
Man sieht da aber schön zweierlei, was charakteristisch für den neuen Antifaschismus ist, wie er seit den 80er-Jahren entstanden ist. 1) Man glaubt, man schützt unsere Demokratie, indem man dafür demokratische Rechte – wie eben die Meinungsfreiheit – opfert. Und 2) überträgt man diesen Grundgedanken nun auch auf andere Themen. Das heißt, man darf nicht nur den Holocaust nicht in Frage stellen, sondern mittlerweile wird auch bei anderen Themen die Meinungsfreiheit beschnitten.
Pate für diese Spielform des Antifaschismus ist, nebenbei gesagt, das sogenannte „Toleranzparadoxon“ Karl Poppers. Darauf berufen sich die antifaschistischen Stimmungsmacher immer wieder. Ich setze einmal voraus, dass man weiß, wer Karl Popper ist: ein berühmter österreichischer Wissenschaftstheoretiker und politischer Philosoph. Was ist das „Toleranzparadoxon“? Das ist ein Gedanke, den Popper in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ dargelegt hat. Kurz zusammengefasst besagt es: „Keine Toleranz den Intoleranten!“ Denn wenn man den Intoleranten gegenüber tolerant ist, werden die Toleranten von ihnen vernichtet. Ein nachvollziehbarer Gedanke. Leider hat Popper aber damit nicht sehr weit gedacht. Er hat nicht vorausgesehen, dass es auf dieser Grundlage sehr leicht ist, auf irgendjemanden zu zeigen und zu behaupten: „Das ist ein Intoleranter!“ – und ab nun darf man mit dem alles machen, was man will.
Beziehungsweise gibt es da auch den Slogan „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“, der gleichfalls sehr wirkungsmächtig geworden ist. Also so ein Spruch ist natürlich wirklich demokratieaufhebend, weil er ja letztlich alle Diskussion beendet.
Der Grundgedanke ist aber immer der Gleiche:
Der andere ist das Böse, und aufgrund dessen darf nun auch ich zu ihm böse sein, ohne dass ich böse bin, ich bin trotzdem ein guter Antifaschist. Der andere ist ein Feind unserer Demokratie, und aufgrund dessen darf ich mich anti-demokratisch ihm gegenüber verhalten, ich muss ihm seine demokratischen Rechte nicht mehr zuerkennen. Von dem her lassen sich viele Widersprüche und Eigentümlichkeiten des heutigen Diskurses verstehen.
Vor allem befinden wir uns dadurch in einer Art von Diskurs, wo es nur mehr darum geht, den anderen als Nazi zu markieren, und schon habe ich dadurch über ihn gewonnen. Weitere Diskussionen sind dann gar nicht mehr möglich.
Und es sei darauf hingewiesen, dass es dadurch natürlich nicht nur zu einer Umdeutung des Anti-Faschismus gekommen ist, sondern vor allem auch zu einer Aushöhlung des Begriffs des Faschismus selbst. „Faschismus“, „Nazi“, „Rechtsextremismus“, „Antisemitismus“, oder auch der damit zusammenhängende Begriff „Verschwörungstheorie“, das sind ja alles nur mehr Worthülsen geworden, völlig entleerte Ausdrücke, mit denen inflationär, unlogisch und willkürlich um sich geworfen wird.
Also es reicht zum Beispiel, dass einer behauptet, dass der Begriff „Schulmedizin“ von den Nazis verwendet worden ist – und im Handumdrehen gilt jeder, der das Wort „Schulmedizin“ verwendet, als Nazi. (Das ist nicht etwa Satire, so läuft das tw tatsächlich ab.)
Aber das Merkwürdige ist: Dieser absurde Gebrauch der Begriffe tut ihrer Effektivität keinen Abbruch. Es geht nur mehr um einen Kampf um die Deutungshoheit, um die Diskursmacht, damit man bestimmen kann, wer ein Nazi ist und wer nicht. Und der Nazi ist immer im Unrecht. Dieses Argument überwiegt alle anderen. Das muss man verstehen, wenn man verstehen will, was in den Köpfen der Antifaschisten heutzutage vorgeht. Nazi, das ist fast schon ein religiöser Begriff geworden, so wie früher mal Teufel und Anti-Christ. Wenn man das nicht begreift, dann begreift man die heutigen Debatten nicht. Wer im Diskurs als Nazi oder Nazi-Freund markiert ist, der ist ein abgefallener Engel, das absolut Andere, das absolut Böse, das Unverständliche und Unverstehbare. Schon es verstehen zu wollen, gilt als Sündenfall, gilt als Relativierung von Verbrechen.
Es wird Zeit, dass ich zum Abschluss komme. Ich meine, ich glaube, ich brauche Euch nicht zu sagen, dass sowohl Waldheim wie auch Haider mir denkbar unsympathisch waren. Aber das ändert ja nichts daran, dass der Umgang mit ihnen fragwürdig war und welche problematischen politischen Konsequenzen das langfristig hatte und immer noch hat. Und das alles ist auch eine persönliche Geschichte, von mir nämlich, denn es ist für mich persönlich faszinierend zu sehen, wie die jüngsten Entwicklungen mich plötzlich in einem diffusen Gefühl bestätigen, das ich schon vor 30-40 Jahren hatte, als junger Mensch: Irgendetwas stimmt mit dem Ganzen nicht, das habe ich schon damals immer irgendwie gefühlt. Ich bin nicht auf der Seite eines Waldheims oder Jörg Haiders, aber irgendetwas an der Gegenseite stimmt auch nicht, das habe ich gefühlt. Und heutzutage wird das auf einmal konkret fassbar! Man kann die Früchte sehen, jetzt erst, nach Jahrzehnten, die das hervorgebracht hat. Heißt es nicht bei Hegel „Erst wenn etwas an sein Ende gekommen ist, dann weiß man, was es gewesen ist“? So oder so ähnlich, glaube ich.
Heute stehen wir bei einem Sacha Lobo, Spiegelkolumnist, der sich für links und liberal hält und ganz sicher nicht glaubt, dass er ein Faschist sein könnte, der aber die Sprache von Altnazis und Nationalisten des vorigen Jahrhunderts aufwärmt, wenn er Friedensdemonstranten als „egoistische Lumpenpazifisten“ bezeichnet. Und das scheint ihm nicht einmal bewusst zu sein und stößt im Mainstream auf keinerlei Kritik. Wie ist so etwas möglich? Man hat sich in das Spiegelbild dessen verwandelt, was man bekämpft — oder zu bekämpfen vorgibt. Ich denke, das ist ein Schlüsselsatz, um zu verstehen, was da gelaufen ist: Man hat sich in das Spiegelbild dessen verwandelt, was man bekämpft.