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Der „Gesslerhut“ in den Ostermärschen

27. März 2023
Von R. Brunath

Essay zu der Friedensbewegung


Bei den Ostern-Friedenmärschen werden Bauernfänger unterwegs sein. Die Friedensaktivisten machen es ihnen auch leicht, da sie in ihrer TAZ- und Zeit-Anzeige zu Ostern wörtlich schreiben werden: „Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ….“ . Das ist die Verbeugung vor dem Gesslerhut*, den die US/NATO-Kriegstreiber aufgestellt haben. Denn das ist ein wirksames Mittel, um die Vorgeschichte des Krieges, um Ursache und Wirkung zu verschleiern und die Anti-Kriegsbewegung zu spalten.  Nur wer „NATO raus aus Deutschland“ oder „Deutschland raus aus der NATO“ skandiert, zeigt Eigenständigkeit, die unangreifbar ist. Nur so kann es wirklichen Frieden in der Ukraine, Frieden mit Russland und Frieden in Europa geben.

Wer also die militarische Reaktion Russlands in der Ukraine – oft als Selbstschutz vor Diffamierungen – pauschal als Angriffskrieg verurteilt, hat sich dem Narrativ aus Washington, der US-/NATO-Kriegspolitik gegen Russland, schon unterworfen und ist damit angreifbar geworden.

So wirkt die Verbeugung vor dem Gessler-Hut zum Schaden für Europa und vor allem zum Schaden der Ukraine. Die Intention einer jeden echten Friedensdemo wird dadurch konterkariert. Denn jede Verurteilung des angeblich „brutalen russischen Angriffskriegs gegen unschuldige ukrainische Frauen und Kinder“ aus den Reihen von Friedensdemonstrationen ist Wasser auf den Mühlen der imperialistischen Politik Washingtons; Wasser auf den Mühlen des Krieges gegen Russland, der bis zum letzten ukrainischen Soldaten verlängert werden soll. Und ganz nebenbei wird auch noch unsere deutsche Wirtschaft ruiniert. Denn die von US-Präsident Joe Biden erklärte Politik der Re-Industrialisierung Amerikas geht auf Kosten der De-Industrialisierung Europas! Und unser Kanzler Scholz weiß das genau, hat es schon im September gewusst, als Nord-Stream gesprengt wurde. Warum wohl hat er den US-Päsidenten Biden allein ohne Begleitung besucht? Da gab es doch was zu mauscheln[1].

Jeder Krieg hat eine Vorgeschichte. Dieser Krieg ist die Konsequenz einer über 20 Jahre dauernden Aneinanderreihung von schweren, anti-russischen Provokationen und höhnischen Zurückweisungen nachvollziehbarer Sicherheitsbedürfnisse Russlands, die angesichts der stetigen US-/NATO-Expansion im Laufe der letzten Jahrzehnte mehr als gerechtfertigt waren. Zugleich haben die vielen US-/NATO-Angriffskriege und Destabilisierungen ganzer Staaten in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass die NATO das Gegenteil einer Friedens- oder Sicherheitsorganisation ist.

Zudem fand die NATO-Expansion gen Russland unter der lauten und begeisterten Begleitmusik ukrainischer Faschisten und osteuropäischer Russenhasser, aus Polen, dem Baltikum und der ehemaligen Tscheslowakei, statt. Die haben von Anfang an verstanden, dass es dabei gegen Russland geht. Wer noch daran zweifelte, der wurde im April 2022 vom US-Verteidigungsminister Lloyd Austin anlässlich seines Besuchs in Warschau eines Besseren belehrt. Der erklärte, dass es den USA bei dem Krieg nicht um die Ukraine geht, sondern „um die nachhaltige Schwächung Russland“, weshalb der Krieg auch möglichst lange dauern soll. Vor diesem Hintergrund kann niemand mehr von einem „unprovozierten russischen Angriffskrieg“ sprechen.

Aber es gibt auch einen weiteren Grund, weshalb echt-friedensbewegte Menschen sich nicht vor dem „Gessler-Hut“ des US/NATO-Narrativs verbeugen sollten. Eine zwecks „Selbstschutz“ geäußerte Aussage, Russlands „unprovozierter Angriffskrieg“ in der Ukraine führt argumentativ auf Glatteis. Es öffnet eine Flanke, in die jeder halbwegs gewiefte Vertreter der NATO-Kriegstreiber mit Leichtigkeit vorstoßen kann.

Die Initiative von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer ist dafür ein anschauliches Beispiel. Beide haben sich mit ihrer symbolischen Verbeugung vor dem Gessler-Hut derart in eine argumentative Schieflage begeben, dass beide unabhängig voneinander selbst von drittklassigen Talkshow-Moderatoren in die Ecke gedrängt wurden. Alice Schwarzer ist dabei vollkommen in die Knie gegangen. Schade um sie und ihren positiven Ansatz. Besser, sie hätte sich keiner Talk-Show gestellt.

Die in den Talk-Shows angewandte Methode erinnerte an die Verhöre der Bundeswehrkommissionen, die über die Anträge auf Kriegsdienstverweigerung zu entscheiden hatten. Dabei sollte den Probanden mit Hilfe von verschiedenen Szenarien doch noch eine Bereitschaft zu Gewaltanwendung herausgelockt werden.

Mit dem Argument, dass auch Deutschland die moralische Pflicht habe, den unschuldigen Menschen in der Ukraine zu helfen und die Frauen und Kinder, die Hauptopfer des brutalen russischen Angriffskrieges, zu schützen, werden solche Friedensbewegte wie Alice Schwarzer sprachlos, wirkungslos gemacht. Und da Russland angeblich nicht zu einer Waffenruhe bereit sei, kann man den Menschen in der Ukraine nur noch mit Waffenlieferungen helfen, damit sie ihre Familien verteidigen können. Dieser von den Moderatoren angewendete Argumentationsstrang – ja selbst aus der evangelischen Kirche klang sie an –  werden bei Talk-Show-Gästen in verschiedenen Variationen immer wieder durchgespielt, bis sie weichgeklopft sind. Nur Sarah Wagenknecht ging aus den Runden zwar angeschlagen aber immer noch aufrecht hervor.

Mit der Kehrtwende von Alice Schwarzer ist eins klar geworden: Wer den Bückling vor dem Gessler-Hut der NATO-Kriegstreiber macht, und nicht auf der Vorgeschichte des Kriegs in der Ukraine besteht, der begibt sich argumentativ auf eine glatte schiefe Ebene, an dessen Ende eine Bejahung der deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine steht. Das kann kein Friedenbewegter wollen.

Essay von Rainer Brunath, Hamburg, 23.3.2023, Idee von Rainer Rupp
 
*Ein Gesslerhut ist redensartlich eine Einrichtung, deren einzig sinnfälliger Zweck die öffentliche Erzwingung untertänigen Verhaltens ist.

Im ersten Akt von Friedrich Schillers „Willhelm Tell“  wird dargestellt, wie der legendenhafte Gessler, der bei Schiller den Vornamen «Hermann» trägt, in Altdorf einen Hut aufstellen liess, den jeder Vorbeikommende zu grüssen hatte. Im dritten Akt versäumt es Willhelm Tell, diesen Gruss auszuführen, und wird deshalb zu jenem Apfelschuss gezwungen, der in der Gründungssage der Schweiz  eine bedeutende Rolle spielt. Aus: Wikipedia

[1] Hersh: Scholz hilft den USA bei der Vertuschung der Anschläge auf Nord Stream

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat seit dem Herbst die Versuche Washingtons unterstützt, Informationen über die Sprengung der beiden Nord Stream-Pipelines zu verbergen. Das teilt der US-Journalist Seymour Hersh unter Berufung auf eine Quelle mit.

 

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