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Politik sollte in erster Linie pragmatisch sein. Lösungsorientiert. Mit Blick auf das Notwendige und das Machbare. Doch die Praxis deutscher Politik ist geprägt durch Haltung und moralische Dominanz. Das ist eine verheerende Kombination.
Beileidsbekundungen deutscher Politiker:innen wie auch sämtlicher Medienformate des Mainstreams für Syrien nach dem verheerenden Erdbeben in Syrien waren die pure Heuchelei. Als ob es nach jahrelangen Sanktionen solches nie gegeben habe. Schlimmer noch: Deutschlands „zu junge“ Außenministerin Frau Baerbock lenkte ab:
„Die Wirtschaftssanktionen richten sich gegen das Regime, das seit Jahren eine Terrorisierung seiner eigenen Bevölkerung betreibt und keine humanitäre Hilfe ins Land lässt. Deswegen sind nicht die Sanktionen gegen das Regime das Problem, sondern dass das Regime die Hilfe in der Vergangenheit nicht ins Land gelassen hat. […]“
Das ist sinnfreies Palaver. Offensichtlich glaubt sie, dass Sanktionen gegen die syrische Regierung die in Wirklichkeit die Bevölkerung treffen, eine wirksame Sache seien. Das ist Zynismus pur.
Eine UN-Sonderberichterstatterin fasste die Lage in Syrien wie folgt zusammen:
=> schwerer Mangel an Trinkwasser und für die Bewässerung, an Abwasseranlagen
=> schwerer Mangel an Strom, Brennstoffen zum Kochen und zum Heizen,
=> schwerer Mangel an Lebensmitteln (einschließlich Babynahrung),
=> schwerer Mangel beiGesundheitseinrichtungen, medizinischer Ausrüstung und Medikamenten
=> schwerer Mangel an Arbeits- und Bildungseinrichtungen…
Und weiter heißt es:
90 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze ausgelöst durch massive Inflation. Ferner ist die Stromproduktion Syriens halbiert, die landwirtschaftlich nutzbare Fläche Syriens wird nur zu 20% bewässert, die Getreideernte ist halbiert, chronische und seltene Krankheiten breiten sich aus, und schätzungsweise 24 Prozent seien behindert und es fehle an lebenswichtigen Medikamenten für die Behandlung von Krebs, Multipler Sklerose, Bluthochdruck, Diabetes, ecc.
Solche Fakten bringen Frau Baerbock nicht zum Nachdenken. Sie hält an ihrer Haltungspolitik fest.
Haltung, kaum Wissen
Frau Baerbock und all die anderen lassen sich jeden Löffel, den sie essen, vorher niederschreiben. Kommt aber mal was spontanes von ihr, offenbart sie ihre miserable Bildung oder deklamiert, dass sie kein Interesse an ihren Wählern hat, oder erklärt nebenbei, dass wir uns im Krieg mit Russland befinden. Das ist verheerend für Staat und Land.
Das zeigt aber, dass sich das vorformulierte, geschriebene Wort nicht in den Köpfen der Politik wiederfindet. Es dreht sich für diese Kabale nur um öffentliche Auftritte, der Sicherung der eigenen Pfründe und der Karriere nach der Politik. Daraus entsteht dann die entsprechende Haltung. Sie ist nicht sachlich unterfüttert, denkt nicht über die nächsten zwei Tage hinaus. Haltungspolitik ist etwas Grundsätzliches, das sich nicht an der politischen oder gesellschaftlichen Praxis oder Machbarkeit orientiert, sondern ausschließlich daran, eine bestimmte Botschaft zu streuen, zu verbreiten und festzuklopfen.
Beispiel Migrationshaltungspolitik
Eine Gesellschaft, wie die Deutsche, die auf einem Sozialsystem basiert, ist ein komplexes, höchst fragiles System. Das heißt: Es muss schlüssig sein, es muss denen helfen, die Hilfe brauchen, es muss als solidarisches System aufgebaut sein! Diese Solidarität darf jedoch nicht über Gebühr beansprucht werden, denn sie basiert auf „öffentlichen Finanzen“. Solches aber kann leicht argumentativ als Keule zur Spaltung der Gesellschaft verwendet werden kann. Man denke nur an: „zu viele Alte und zu wenig Beitragszahler“. Derart Stimmungserzeugung gebiert Angst, die Menschen sehen ihre Rente in Gefahr, ihren Lebensabend, weil die gesetzliche Rente nicht funktioniere. Und schon sind viele bereit, in Aktien, Fonds usw usw zu investieren – wenn das denn bloß die Gefahr abwenden kann.
Wie war das noch mit den angeblichen Hartz-IV-Schmarotzern, die sich mit dem Geld aus dem Sozialsystem ein feines Leben machten. (Zitate aus der Medienlandschaft gibt es zuhauf) Ob es das nun tatsächlich gab, und ggf in welchem Umfang wurde nie eruiert. Fakt aber bleibt, dass sie faktisch für das Gesamtsystem keine Rolle spielten. Zur Spaltung eigneten sich solche Argumente aber bestens, und so geschah es ja auch.
Heute stehen wir vor einem anderen Problem. Denn die Haltungspolitiker machen sich keine Gedanken über die natürlichen Grenzen eines Sozialsystems. Und so wollen sie beispielsweise millionenfach jeden ukrainischen Flüchtling aufnehmen, ohne Prüfung. Sie eskalieren bewusst den Krieg und halten es andererseits für nützlich, den geflüchteten Menschen Zuflucht zu bieten. Die sind ja potenzielle Wähler.
Schwerwiegender aber ist die Haltung dieser Vertreter. Sie abverlangen der kompletten deutschen Bevölkerung Solidarität ohne auch nur andeutungsweise die Stimmung im Land zu analysieren. Jeder Mensch, der 1und 1 rechnen kann, kommt bald zu dem Ergebnis, dass sich so Auswirkungen auf die monetäre und gesellschaftliche Situation ergeben. Die Flüchtlinge zahlen nicht ein, leben aber vom Sozialsystem. Die Bevölkerung wird nicht an dieser wichtigen Entscheidungen beteiligt und auch nicht, ob sie diesen Krieg und die sich daraus ergebenden eigenen Opfer überhaupt will.
Null Pragmatismus
Haltungspolitik zeigt kein Gespür für die gesellschaftliche Stimmung. Das wurde deutlich mit der Politik in der Corona-Episode. Als dessen Auswirkungen aufgearbeitet werden sollten, begann schon die nächste Herausforderung: der Ukraine-Krieg mit dem Ergebnis einer permanenten Krisenstimmung im Lande. Die Grenze des Belastbaren wurde sichtbar, was sich an den zahlreichen Demonstrationen im Lande manifestierte. Doch Haltungspolitik ist stur. Ihr geht es ums Prinzip, und sei es am Ende nur um die Tatsache, sich gegen die Bevölkerung durchgesetzt zu haben. Haltungspolitik kennt kein Miteinander, sondern nur das Durchsetzen der eigenen Haltung gegen Widerspenstige.
Haltung versus Realität
Haltungspolitik ist Spaltungspolitik. Die unkontrolliert nach Deutschland kommenden Menschen aus der Ukraine machen das deutlich. Ohne Nachweise erfahren diese eine Sonderbehandlung. So z.B. müssen die ersten langjährigen deutschen Mieter räumen oder Platz machen, um den Ukrainern Raum zu geben. Diese Haltungspolitik blendet die Folgen dieser Praxis aus.
Mögliche „Volksaufstände“ in Deutschland, die Frau Baerbock in Aussicht gestellt hatte, blieben zwar aus, aber nicht etwa, weil Baerbock in Anbetracht dieser Gefahr ihre Politik geändert hätte, sondern weil sich die Katastrophe auf andere Art abwenden ließ: durch staatliche Subventionen – sprich die Regierung macht Schulden. Damit wurde das Schlimmste abgewendet.
Auch die Klimapolitik ist reine Haltungspolitik. Sämtliche Stimmen, die warnen, dass nach der nahezu vollständigen Abkopplung von russischer Energie der Umstieg auf erneuerbare Energien logistisch und wirtschaftlich nicht funktionieren kann, werden ausgeblendet. Schlimmer aber ist, dass das eine Politik der Lippenbekenntnisse ist. Denn erstens können die Klimaziele aufgrund der auf ganzer Linie verfehlten Politik unmöglich erreicht werden. Und zweitens werden selbst die großspurig angekündigten Maßnahmen gar nicht erst umgesetzt.
So ist der Klimaschutz nichts wert. Einschränkungen bestimmen die Politik und steigende Preise bestimmen den Lebensstil. Und das geilste: man wird in die moralische Pflicht genommen, künftige Generationen zu schützen und diesen Schutz auch noch selbst zu bezahlen. Diese zukünftigen Generationen sind eigene Kinder und Enkelkinder, die schon heute wissen, dass sie in Zukunft wenig Lebensqualität erwartet.
Der Anfang der Haltung ist das Ende der Handlung
Mit der Fokussierung auf Haltungspolitik entsteht ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt, solange die Haltungspolitik nicht aufgegeben wird. Und an der faktischen Spitze passiert noch etwas anderes: Diplomatievernichtung.
Denn die Diplomatie verträgt eine Menge, aber keine Haltungspolitik. Sie ist auf Lösungen (zwischen den Ländern) ausgerichtet. Sie dient der Konfliktbereinigung und muss eine breite Perspektive abdecken. All das kann mit Haltungsdiplomatie niemals umgesetzt werden. Es ist daher auch kein Wunder, dass der aktuelle Krieg in der Ukraine nun schon ein Jahr dauert. Noch bevor Kanzler Scholz das Wort „Zeitenwende“ vor einem Jahr ausgesprochen hatte, war klar, dass damit auch ein Abwenden von der Diplomatie eingeläutet wurde. Der Fokus lag und liegt auf Eskalation, diplomatische Erwägungen spielten vom ersten Moment an keine Rolle.
Dazu passt natürlich, dass ausgerechnet die „Grüne“ Frau Baerbock Deutschlands Außenministerin wurde. Sie verkörpert die Weigerung, die Diplomatie zu nutzen, wie keine andere. Und zu ihrer kategorisch ablehnenden Haltung gegenüber der Diplomatie kommt die fachliche und intellektuelle Unfähigkeit hinzu, sich dem Thema auch nur zu nähern. In Kombination mit ihrer schon als pathologisch zu nennenden Selbstüberschätzung haben wir hier eine höchst toxische Mischung im deutschen Außenministerium.
PS (R. Brunath): Solche ersichtlichen „Defekte“ der Regierungspolitik in Berlin scheinen deutsche Wähler in ihrer Mehrheit bei Wahlen – siehe Bremen – immer noch nicht entsprechend „honorieren“ zu wollen, d.h. konsequent abzulehnen. Ersichtlich wird daran, dass die jahrzehntelange Propaganda der Medien die Bewusstseinslage der Menschen total verbogen hat. Die Mahnung des Philosophen Emanuel Kant (habe den Mut dich deines Verstandes zu bemühen) bleibt wirkungslos, da sie niemand mehr anwenden kann.