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Waltraud, die Spätberufene

16. Juli 2023
Von W. Langthaler

Nachruf


8865

Winter 2002/3 – Washington bereitet seinen Überfall auf den Irak auf allen Ebenen vor. Millionen Menschen befinden sich auf den Straßen. Doch es liegt in der Luft, dass es mehr braucht, um die US-Kriegsmaschine aufzuhalten. Die Bewegung der Menschlichen Schutzschilder tritt auf den Plan, nach dem Vorbild Serbiens 1999, wo sich Tausende auf die Brücken begaben, um sie vor der Zerstörung durch Nato-Bomben zu bewahren.

Waltraud wollte handeln und schloss sich dem Zug nach Bagdad an. Wir lernten sie im Umfeld unserer damaligen Delegationen in den Irak kennen. Sie entschied sich bis ganz zum Schluss zu bleiben, um das geschundene Zweistromland erst wenige Stunden vor dem US-Inferno zu verlassen. Die Tragödie des irakischen Volkes, das für die US-Weltherrschaft mit Millionen Toten bezahlen musste, hat Waltraud zutiefst geprägt. Diesem völkermörderischen Treiben untätig zuzusehen, hat Waltraud nie akzeptiert.

Erstaunlicherweise hatte sie jahrzehntelang für die Jewish Agency gearbeitet. Erst in Richtung Pension gehend, begann sie moralische Zweifel zu hegen. Aus einer armen, bäuerlichen Familie im tiefsten Niederösterreich stammend, war ein entschiedener Philosemitismus Teil ihrer DNA – als Gegengift zum in den Konservativismus eingewobenen Antisemitismus und dem damit verbundenen Schweigen über die Verbrechen des Nationalsozialismus.

Für die meisten Linken führte die Wende 1989/91 zur Verkleisterung der Hirne und der Einbindung ins System. Waltraud moralischer Kompass war aber so fest, dass ihre Reise in die andere Richtung führte.

Seitdem wir Waltraud kennen, war ihr das schreckliche Schicksal der Palästinenser größtes Anliegen, zumal angesichts des himmelschreienden Missbrauchs des Holocaust für die Rechtfertigung von Kolonialismus und Apartheid – an dem sie zuvor sogar mitgewirkt hatte, ohne es zu erkennen.

Einmal warf sie uns vor, wir würden die palästinensische Sache „nur als Werkzeug“ gegen das US-Empire benutzen. Später sah sie dann selbst, wie sehr es um eine umfassende, gerechtere Weltordnung geht, die nur durch viele Bewegungen und Staaten gegen den Westen durchzusetzen ist. So stand sie fest auf der Seite der Donbass-Volksrepubliken gegen das 2014 gewaltsam an die Macht gebrachte Nato-Regime. Richtiggehend begeistert kam sie von einer politischen Radtour aus Russland zurück.

Waltraud blieb bis zum Schluss offen und vielfältig engagiert. Je älter sie wurde, desto entschiedener dachte sie antiamerikanisch und antiimperialistisch. Als sie die körperlichen Kräfte verließen und die Hinfälligkeit präsent wurde, die sie vom sie beseelenden politischen Engagement für die Gerechtigkeit abhielt, nahm sie es hin.

Waltraud hat ihren Beitrag geleistet. Wir vergessen sie nicht.

 

 

 

 

 

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