Site-Logo
Site Navigation

Der 20. Juli 1944, der Antifaschistische Grundkonsens und der neue Autoritarismus

27. Juli 2024

„Gedenktage“ als aktuelle Heiligenfeste der Hegemonie

Früher hat die damals hegemoniale Kirche am 19. März den Heiligen Josef und am 15. August den „Großen Frauentag“, Maria Himmelfahrt gefeiert. Heute beglücken uns „Standard“ und „Kurier“ mit Artikeln zum „11. September“: Nicht etwa zum US-gestützten Putsch in Chile mit seinen vielen Tausenden von Opfern, sondern zum Angriff von Al-Qaida in New York. Ein neues Datum, bereits jetzt kanonisch vorgeschrieben, ist der „7. Oktober“.

Und am 20. Juli erinnert man uns daran, dass vor 80 Jahren kleine Teile der Deutschen Armee einen Putsch versucht haben und scheiterten. Es war dieselbe Armee, die Deutsche Wehrmacht, und es waren dieselben Offiziere, welche den Neuaufbau des Heeres durch Hitler voll Begeisterung mit vollzogen hatten. Es war dieselbe Armee und dieselben Offiziere, welche 1939 für den Weltkrieg bereit standen und 1941 zur Eroberung der Sowjetunion i. A. und der Ukraine (zwecks Kolonisierung) i. B. angetreten waren. 

pastedGraphic.png

Der „Führer“ und seine Unterführer aus der Wehrmacht in der Wolfsschanze

Zwischen 1939 und 1944 allerdings hatte sich etwas verändert: Die katastrophale Niederlage war inzwischen für Realisten absehbar. Überdies hatte bereits ein Jahr zuvor (in der Nacht vom 25. Juli 1943) in Italien die Oberschicht-Gruppe der Faschistischen Partei, die alten Nationalsten um Dino Grandi, Mussolini gestürzt und verhaften lassen. Am 8. September hatten sie einen Waffenstillstand geschlossen und sich danach gegen Nazi-Deutschland gewandt. Und schließlich waren auch die Alliierten bereits in der Normandie gelandet und rückten vor. Mit anderen Worten: Der Nazi-Zusammenbruch war abzusehen.

Die Debatte um den Nazismus und Faschismus als Ausdruck des Autoritarismus der Eliten leidet auf der Linken daran, dass die (sowjet-) marxistische Faschismus-Auffassung von der Stalin-Dimitroff-Definition bestimmt war und in deren Tradition auf der Linken noch immer bestimmt ist. Der Faschismus sei eine reine Oberschicht gewesen, die „offene terroristische Diktatur des Finanzkapitals“. Da hatten dann deutsche Universitäts-Historiker als Ideologen des Bürgertums leicht argumentieren: Aber die Oberschichten, die Kapitalisten mussten sich auch den Nazis fügen. Der „linksliberale mainstreamer“ (so sein Bewunderer Paul Nolte), der Professor H.-U. Wehler (2009) meint gar, die Großbourgeoisie sei von den Nazis ebenso unterdrückt geworden wie die Arbeiter-Bewegung. 

Diese „Unterdrückung“ bestand in der Rüstungsplanung bzw. der Planung für die Rüstung. Die neue politische Elite setzte im Verbund mit einem Teil der traditionellen Elite, nämlich den Militärs und Vertrauensleuten aus der Wirtschaft ihre Präferenzen. Das Kapital in der Rüstungsindustrie hat massiv profitiert. Natürlich war dies keine Planung wie in der Sowjetunion, wo es kein kapitalisti­sches Eigentum mehr gab, sondern ein Kollektiv-Eigentum der Nomenklatura. Dass man dies nicht schlichtweg Planung benannte, sondern von Staats-Interventionismus oder von staatlicher Regulierung sprach, kennzeichnet den wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Systemen. Doch jede Planung, in wessen Interesse immer, muss natürlich ihre Ziele durchsetzen, auch gegen eventuellen Widerstand. Das war also die „Unterdrückung“ einzelner Kapitalisten. Das ist ein entscheidender Punkt, wenn man den Nazi-Faschismus wirklich begreifen will. Die Nazis sahen sich als die besseren Kapitalisten. Damit kamen sie mit Einzelnen aus der alten Elite übers Kreuz. Die hatten ja die Nazis einfach benützen wollen, um ihre Ziele integral durchzusetzen. Danach konnte man sie, wie sie dachten, ja wieder beiseite schieben. Es kam nicht ganz so, aber gelitten haben die deutschen Kapitalisten unter den Nazis auch gerade nicht. Die Profite waren hoch, und die Löhne wurden massiv gedrückt.

Aber die Nazis blieben und entwickelten eigene politische Vorstellungen. Einmal an den entschei­denden politischen Hebeln waren sie es, welche jene Teile der alten Eliten beiseite schoben, die sich nicht völlig von ihnen beherrschen lassen wollten und ihnen daher möglicher Weise im Weg stehen konnten. Das war ohnehin eine kleine Minderheit. Der größere Teil dieser Kräfte parierte und kuschte nur zu gern. Wie auch nicht? Lebten sie doch vergleichsweise prächtig in dieser Konstel­lation. Immerhin: Ein kleiner Teil war unzufrieden und dachte daran zu frondieren.

Geradezu mustergültig lässt sich dies am Weg des Carl F. Goerdeler sowie am Putsch-Versuch des 20. Juli 1944 darstellen. Goerdeler war ebenso wie Stauffenberg ein Vertreter der alten Eliten. Er insbesondere war ein Sprecher eines Teils des Großbürgertums geworden, von dem auch sein Lebensunterhalt nach seinem Abschied aus der aktiven Politik bezahlt wurde. Es gibt eine Reihe von Dokumenten von ihm, welche geradezu diese seine Rolle nachzeichnen. Ins besondere geht es um seine Entwürfe für eine Nach-Hitler-Politik. Von Demokratie war da keine Rede.

Auch Stauffenberg hatte sich für eine Armee entschieden, welche in der Ersten Nachkriegszeit die Weimarer Republik nicht nur völlig ablehnte, sondern aufs heftigste aktiv bekämpfte. Die alten Eliten des Deutschen Reichs, die Großindustriellen ebenso wie die Militärs, haben in der Weimarer Republik nach einigem Schwanken die Nazis großzügig gefördert. Als Hitler im „Röhm-Putsch“ (1934) den plebeischen Flügel seiner Partei ausschaltete und dessen Führung töten ließ, da tat er es nicht zuletzt, um den Militärs einen Gefallen zu tun. Damit hat der „kleine Gefreite“ ihr Vertrauen doch noch gewonnen.

Stauffenberg kam aus einer adeligen Schicht und einer Mentalität heraus, welche geformt war vom Bewusstsein, etwas Besseres zu sein. Der George-Kreis kultivierte diese Auserwählungs-Haltung soweit nur irgend möglich. Stauffenberg war ein aktives Mitglied in dieser Runde. Diese Menschen waren elitär bis in die Fingerspitzen. Sie haben damit wesentlich dazu beigetragen, die Nazis an die Macht zu bringen. Sie waren nicht Nazis, weil ihnen die Nazis zu plebeisch waren. Aber sie dachten, sie gegen demokratische Kräfte i. A. und gegen die Arbeiterbewegung i. B. einzusetzen.

Damit ist diese Gruppe und dieses Ereignis tatsächlich ein wunderbarer Anlass für die heutigen Konservativen, sich als antifaschistisch zu gerieren. 

Der „Antifaschistische Grundkonsens“ der Zweien Nachkriegszeit war von vorneherein eine Lüge. Adenauer baute die BRD auf, indem er die deutschen Geheimdienste in toto den alten Nazis übergab, der Organisation Gehlen. Schließlich wurden die einzigen konsequenten Antifaschisten aus ihren Stellungen entlassen, verfolgt und ihre Organisation verboten (KPD-Verbot 1956). So ist es ein wenig verwunderlich, wenn man eine umfangreiche Publikation aus der DDR findet, in welcher Stauffenberg fast kritiklos hoch geschätzt wird (Kurt Finker, 1977, Stauffenberg und der 20. Juli 1944. Köln: Pahl-Rugenstein). Es war wohl auch ein Versuch, liberal-konservative Intellektuelle für den Staat zu gewinnen.

In Österreich war die „Vergangenheits-Bewältigung“ etwas verwischter. In allen Parteien wurden die Nazis wieder hoffähig und hofiert. Und dann gab es noch das Problem des hausgemachten Faschismus, des Austrofaschismus. Aber für viele Antifaschisten damals war die Lage oft nicht weniger brutal.

Heute ist der „antifaschistische Grundkonsens“ zur Basis-Ideologie des Neuen Autoritarismus geworden. Und es ist wirklich ein Grundkonsens, er ist die politisch-ideologische Grundlage von Grünen und Neos ebenso sehr wie von ÖVP und SPÖ. Die FPÖ hat sich den Philosemitismus daraus angeeignet, weil er sich so gut mit dem Antiislamismus verträgt. Viel hilft es ihr aber nicht. – In der BRD ist es nicht nur nicht anders, es wird noch härter. Dort hat auch die administrative Verfolgung jener bereits eingesetzt, welche nicht zu allem devot nicken. 

Alles, was sich nicht den hegemonialen Schichten mit ihren Vorstellungen unterwerfen will, wird im Namen des Antifaschistischen Grundkonsenses verdammt, verteufelt, ausgegrenzt. Es findet eine regelrechte Umwertung und Umkehrung aller Begriffe statt. Weil Sara Wagenknecht die alten linken, eher wohl linkssozialdemokratischen Zielvorstellungen wieder in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen will, wird sie von den Gralshütern des Antifaschistischen Grundkonsenses nun als „rechts“ und „konservativ“ erklärt. In den 1970ern und 1980ern war der Bezug auf die eigene Nation in Österreich, die österreichische Identität, eine Haltung, um die sich nicht nur Linke, son­dern sogar Liberale sammeln konnten. Heute ist die selbe Haltung ein Anlass, über die Menschen herzufallen und sie zu übelsten Rechten zu erklären. Der Antifaschistische Grundkonsens dient dazu, Kriege zu rechtfertigen und Völkermord zu unterstützen. Es ist höchste Zeit, diese Heuchelei aufzukündigen.

Thema
Archiv