Über die Perspektiven Syriens unter türkischer Schirmherrschaft
Da sind die einen, die ob des Sturzes Assads naiv über den Einzug von Freiheit und Demokratie gemeinsam mit dem Westen jubeln. Und da sind die anderen, die schwarz in schwarz vom Ende des Widerstands sprechen. Fast als wäre die Geschichte zum Stillstand gekommen, wie 1989/91. Indes ist Vor- und Weitsicht geboten, denn vieles bleibt offen, auch die Perspektiven.
Ausgangspunkt ist jedenfalls der totale Kollaps, die völlige innere Verrottung eines Regimes, das schon seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr auf eigenen Beinen zu stehen vermochte. In dem Moment, in dem die iranische und russische Unterstützung, und jene der Hisbollah, ausblieb, fiel alles in sich zusammen. Welch Unterschied zu Gaddafi und Saddam, die buchstäblich bis zum letzten Atemzug kämpften. Assad setze sich einfach ab und ließ das Desaster zurück.
Vorab methodisch: der Nahe Osten ist sein vielen Jahrzehnten DER neuralgische Punkt des imperialistischen Weltsystems. Dort treffen die Widersprüche am stärksten auf einander, kommen mit Gewalt zum Ausdruck und zeigen eine globale Tendenz an. Einerseits kämpft das US-Empire mit allen Mitteln, auch jenen des Genozids, um seine Fortexistenz. Andererseits bewegen sich die Völker, leisten Widerstand, wie man in unglaublicher Weise bei den Palästinensern sieht. Die regionalen Regime müssen, um sich zu halten, diesen Druck reflektieren aber gleichzeitig niederhalten. Sie haben in den letzten zwei Jahrzehnten mehr Spielraum von den USA errungen und/oder diese an direkter Kontrolle verloren. Sie haben ein äußerst labiles Staatensystem gebildet, das sich bei jeder Krise neu konfiguriert. Jedes Mal besteht das Risiko des Volksaufstandes, des Bürgerkriegs und auch des Volkskriegs. Und natürlich auch der imperialistischen Intervention, die nicht zur Stabilisierung beiträgt! Die permanente israelische Aggression ist der Stachel im Fleisch, die niemanden zur (kapitalistischen) Ruhe kommen lässt. Unerwartete Wendungen, jähe Rekonfigurationen in einem regionalen Multipolarismus stehen auf der Tagesordnung. Ein Krieg folgt dem anderen mit der Gefahr einer umfassenden kriegerischen Eskalation, deren Ausgang ungewiss ist.
Implosion
Das syrische Regime und vor allem Assad als Person an der Spitze haben keinen Widerstand geleistet. Nach so vielen Jahren des Bürgerkriegs auch mit gewissen militärischen Erfolgen von Assad ist das doch verwunderlich. Warum kam es so weit?
Ausschlaggebend war wohl die Entscheidung von Teheran und in der Folge auch Moskau, dass es keinen Sinn mehr hat Assad weiter zu unterstützen, denn der Kampf schien bereits verloren. Hinter den Kulissen hat wohl Ankara mit Versprechungen und Garantien diese Entscheidungen erleichtert. Als dieser Entzug an Unterstützung klar wurde, als man unten merkte, dass es oben keinen Willen mehr zum Kampf gab, brach das ganze System in Windeseile in sich zusammen.
Historisch gesehen steht hinter dieser totalen Isolierung und Selbstaufgabe eine grundlegende Entscheidung des syrischen Baathismus, nämlich gegen den aufkommenden politischen Islam, der in der gesamten Region zur vielgestaltigen, aber dominanten politischen Kraft wurde, die harte Linie des systematischen Ausschlusses und der militärischen Gewalt zu verfolgen. In Algerien nannte man diese Generale „Eradicateurs“, die Auslöscher. Diese Linie war früher oder später zum Scheitern verurteilt, denn sie isolierte ihrerseits das Regime von der großen Mehrheit, weichte die antiimperialistische Haltung auf und machte sie von äußerer Unterstützung abhängig. Im Namen des Säkularismus wurde sie zur Diktatur konfessioneller Minderheiten, zuletzt auch mit immer mehr neoliberalen Zügen.
In der säkularistischen Erzählung wird der politische Islam und vor allem der Jihadismus organisch dem Imperialismus zugerechnet. Doch das ist eine, zugegeben hartnäckige, Apologie der gescheiterten Erben der (links)nationalistischen Regime. Nach dem Niedergang und der weitgehenden Kapitulation des arabischen Nationalismus, wurde das antiimperialistische Moment in den Massen zunehmend von verschiedenen Strömungen des politischen Islam repräsentiert (natürlich nicht von allen), die zuvor noch vom Westen als Alternative um Linksnationalismus bevorzugt und unterstützt worden waren. Die Re-Islamisierung ist ein vielschichtiges und klassenübergreifendes Phänomen in der gesamten islamischen Welt. Sie hängt kausal mit dem Scheitern der kommunistischen und Arbeiterbewegung sowie jenem der nationalen Befreiungsbewegungen zusammen. Die kulturelle Islamisierung ist so stark und tief, dass sich ihr (fast) alle Klassen und politischen Kräfte anpassen (müssen), um nicht davongeschwemmt zu werden. Natürlich bedienen sich ihrer auch proimperialistische Regime, allen voran Saudi-Arabien. Aber sie hat gleichzeitig ein starkes Massenelement, das auch Momente der Selbstbestimmung und des Antiimperialismus enthält. Das beste Beispiel dafür ist Hamas in Palästina, die in einer einst säkularisierten Gesellschaft die Führung des Widerstands gegen den Imperialismus und Zionismus übernommen hat. Ähnliches gilt für die Taliban, die die westliche Besatzung aus dem Land geworfen haben – um nur zwei Beispiele zu nennen.
Jetzt könnte man einwenden, dass Assad ja mit einer Form des politischen Islam, jedoch schiitisch, wie er im Iran die Staatsmacht repräsentiert, sehr eng kooperierte. Doch genau das isolierte ihn in Syrien nur noch mehr, weil es den sunnitisch-schiitischen Gegensatz bediente und vertiefte.
Ein Ausgleich, eine Integration eines Teils des sunnitischen politischen Islam in das Regime auf antiimperialistischer, nationaler und demokratischer Grundlage wäre unumgänglich gewesen. Die Auslöscher halten dem entgegen, dass dies nicht ginge. Doch auch die andere Seite macht historische Erfahrungen und Wandlungen durch. Die konfessionalistischen, extremistischen und terroristischen Tendenzen sind überwiegend gescheitert. Die politische Aufgabe eines einschließenden Antiimperialismus wäre gewesen, den politischen Islam aufzufächern, zu differenzieren, die antiimperialistischen, weniger konfessionalistischen, sozialeren Tendenzen zu fördern und einzubeziehen.
Das Assad-Regime verweigerte sich systematisch einer solchen Operation und wurde darin von Teheran und Moskau auch noch bestärkt. Es konnte nur untergehen und ist für die Katastrophe, die es hinterlässt, selbst verantwortlich.
Großer Sieger Türkei – unverhofft
Der eigentliche Architekt hinter dem Umsturz ist die Türkei Erdogans. Das Konzept war von Anfang an die Massenbewegung des Arabischen Frühlings gegen das Regime zu nutzen und ein System nach türkischem Modell zu fördern. Das Projekt wurde zutreffend auch Neoosmanismus genannt. Doch der daraus resultierende Bürgerkrieg brachte große Komplikationen mit sich. Er beförderte eine Jihadisierung, die selbst Ankara aus dem Ruder lief. Insbesondere den USA ging das entschieden zu weit, trotz der tiefen Feindschaft zu Assad. Im Sommer 2013, als Obama mit seinen „Roten Linien“ alles für ein Bombardement nach irakischem Vorbild aufgebaut hatte, wurde das kurzfristig abgesagt, denn das hätte eine unmittelbare Machtübernahme unkontrollierbarer Jihadis gebracht, die man nicht wollte. In der Schlacht um Kobane 2014 schlugen sich die USA und ihre Alliierten dann auf die Seite der kurdischen PYD (von der Herkunft her eine linksnationalistische Bewegung) und halfen ISIS niederzuringen – gegen den Willen der Türkei, die mit Hilfe von ISIS Assad stürzen wollten. 2016 setzte Washington dann in Unterstützung des irakischen Regimes mit dem Angriff auf Mosul dem Islamischen Staat ein Ende. Das sind alles bedeutende historische Ereignisse, die der simplizistischen und islamophoben Schablone, die die sunnitischen Jihadisten pauschal als Werkzeug der USA und Israels betrachtet, zuwiderlaufen.
Ab 2015 griff dann Russland systematisch auf Seiten Damaskus ein. Der Iran war mit Truppen und Milizen eigentlich fast von Anfang an beteiligt gewesen. Mit ihrer Hilfe gelang es 2016 Aleppo, eines der Zentren der sich islamisierenden Volksrevolte, mit äußerster Härte zurückzuerobern. Erdogan schien gescheitert, Moskau der Sieger. (Pax russiana? Schon damals meldeten wir Zweifel an, ob das nachhaltig sein würde.)
Es entwickelte schließlich eine Pattsituation, die das zwiespältige Verhältnis zwischen der Türkei und Russland ausdrückte. Ankara installierte im Nordwesten eine Zone direkter Kontrolle mittels einer arabischen Marionettenarmee, auch um die Kurden zumindest von der türkischen Grenze wegzudrängen. In der Provinz Idlib erlaubten sie ein jihadistisches Kalifat. Das ermöglichte einerseits deren Kampfkraft zu erhalten und zu nutzen, andererseits diese im türkischen Sinn zu domestizieren.
Der Kreml musste ab 2022 seine Kräfte auf die Ukraine konzentrieren, was wiederum Ankara ermöglichte den Druck auf die Kurden zu erhöhen, die, wenn nötig, nicht nur mit den USA, sondern auch mit Russland und Assad kooperierten.
Alle Seiten schienen sich mit diesem Arrangement abgefunden zu haben und auf bessere Zeiten zu warten. Niemand, wohl nicht einmal die Türkei, dürfte mit dieser enormen inneren Aushöhlung Assads berechnet haben.
Für die Türkei und Erdogan persönlich ist das ein nicht zu unterschätzender Erfolg, zumal er seine Feinde und gleichzeitig Kooperationspartner Iran und Russland beim Umsturz praktisch mit ins Boot geholt hat.
Niemand soll sich täuschen und glauben, dass die Türkei eine Marionette der USA und schon gar nicht Israels ist. Ankara ist natürlich NATO-Mitglied und weiß, dass der Herr der Welt in Washington sitzt und respektiert werden will. Aber der neoosmanische Ansatz bedeutet auch, angesichts der schwindenden Macht der USA, die sich ergebenden Spielräume maximal zu nutzen und da und dort auch die Spielregeln zu überdehnen. Es sind mit allen Nachbarn Beziehungen zu unterhalten, man spielt sie gegebenenfalls gegen einander aus, dabei immer fest die eigenen Interessen im Blick, ohne sich in zu große Abhängigkeit zu begeben. So hat die Türkei und Israel gemeinsam Aserbaidschan gegen Armenien unterstützt. Die Türkei liefert Waffen an die Ukraine und hat sich dennoch nicht dem Embargo gegen Russland angeschlossen. Im Gegenteil, sie ist eine der wenigen möglichen Vermittler. Und sie unterstützt (gemeinsam mit Qatar) in der arabischen Welt die Muslimbrüder, die für die prowestlichen autoritären Regime nicht nur am Golf der ärgste innere Feind sind, und unterhält dennoch Beziehungen zu diesen Regimen.
Aber auch die Türkei kann Syrien nicht alles diktieren. Vor allem gilt es nun ein neues Regime zu errichten und da bedarf es innerer Kräfte, die den Neuaufbau des Staates auch tragen können. Sowas kann nicht von außen diktiert werden. Alle diesbezüglichen Versuche der USA in der Region sind in den letzten Jahrzehnten kläglich gescheitert. Die Türkei wird sicher nicht mit der gleichen Hybris ans Werk gehen.
HTS-Regierung?
Bis vor kurzem figurieren „Hayat Tahrir al Shams“ (HTS) noch als Terroristen. Doch wir wissen, dass der Terrorvorwurf was Instrumentelles hat. Alle Gegner der USA sind grundsätzlich Terroristen. Wenn sie die Seite wechseln, dann werden sie plötzlich zu Freischärlern oder gar Befreiungskämpfern. Der Terror- und Völkermordstaat Nr. 1, Israel, ist sowieso die „einzige Demokratie des Nahen Ostens“. Man sollte also den Begriff am besten gar nicht verwenden oder nur ganz eng begrenzt verwenden, denn er dient analytisch unscharf nur zur Bezeichnung von Feinden.
HTS kommt ursprünglich von ISIS. Die Spaltung kam vor allem wegen des auf Syrien beschränkten Machtanspruch der Nusra (dem Vorläufer der HTS), während ISIS eine territorial nicht begrenzte Konzeption eines islamischen Staates verfolgte. HTS rückte schrittweise vom takfiristischen Konzept ab, das de facto die anderen jihadistischen Gruppen als gefährlichste Feinde betrachtet, und versuchte die Jihadis unter ihrer Führung zu vereinigen. Mit dem Kalifat in Idlib kam die Aufgabe der öffentlichen Verwaltung dazu, die innere Konflikte dämpfen und um Konsens heischen muss. Und es bedurfte der guten Beziehungen zur Türkei, die das ganze Unternehmen wiederum für die „internationale Gemeinschaft“ akzeptabel halten musste. („Gordischer Knoten Idlib“ – eine Betrachtung von 2020 als der russische Druck auf Idlib noch stark war.)
Haben die Jihadisten nur Kreide gefressen oder haben sie wirkliche eine Wandlung durchgemacht? Letztlich ist die Frage müßig. Denn sie sind unheimlich schwach und stehen vor den Trümmern eines Staates, den sie nicht ersetzen können. Unter Strafe des baldigen Scheiterns haben sie verkündet, dass
Es gab bereits unmittelbar nach dem Umsturz einige konfessionelle, revanchistische Morde, die aber begrenzt geblieben zu sein scheinen. Wenn sich HTS nicht an ihre Versprechen hält, dann werden sie nicht in der Lage sein einen Herrschaftsapparat zu bilden, denn die wirtschaftliche und soziale Lage ist dramatisch. Es bedarf sofortiger energischer Maßnahmen um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Ansonsten droht der baldige Zerfall, die Fortsetzung des Bürgerkriegs und die Balkanisierung – was alles den angesammelten politischen Kredit der jihadistischen Islamisten schnell verbrauchen würde.
Völlig offen bleibt, was mit den bewaffneten Organen des Staates passieren wird. Sind sie in der Lage eine neue Polizei und Armee aufzustellen, während Israel alles was es kann zerstört? Werden sie versuchen untere Ränge der alten Exekutive zu aktivieren, um wieder auf die Beine zu kommen? Wie wird die Übergabe in den Ministerien und allen anderen staatlichen Apparaten funktionieren?
Und natürlich werden sie versuchen ausländische Unterstützung zu bekommen, zu aller erst aus der Türkei, der arabischen Welt aber auch vom Imperialismus, der seinerseits versuchen wird, das neue Regime möglichst weit unter Kontrolle zu bringen. Hilfe kommt nie ohne Bedingungen und ohne Eigennutz.
Ein sehr wichtiger Gradmesser wird die Reaktion auf die enorme israelische Aggression sein, die bisher völlig unbeantwortet blieb. Israel hat nicht nur große neue Gebiete am Golan erobert. Der Kolonialstaat hat auch in hunderten Luftangriffen einen großen Teil des militärischen Großgeräts Syriens zerstört. Sollte die neue Regierung dagegen nicht mobilisieren, wird sie viel an politischem Prestige einbüßen. Trifft sie Maßnahmen, wird sie zunächst einem überlegenen Feind gegenübertreten und destabilisierende Niederlagen einstecken müssen. Zudem steht die imperialistische Gnade auf dem Spiel. Erste Zeichen deuten darauf hin, dass HTS einem Zusammenstoß mit Israel ausweichen will.
Die Positionierung der neuen Regierung wird in etwa die Resultante der beschriebenen Kräfte sein, jedenfalls kein glattes Marionettenregime, sondern sich in etwa auf der Linie der Türkei bewegen.
Die weitverbreitete linke These, dass HTS das direkte Werkzeug Israels und des Westens sei, ist hier schon an vielen Passagen falsifiziert worden. Es gibt aber tatsächlich Kräfte in Syrien, die sehr direkt an den USA hängen. Das sind einerseits die über Jordanien versorgten bewaffneten Kräfte im Süden wie die Syrian Free Army (SFA)(die weniger islamistisch sind) und das sind seit 2014 die Kurden. HTS hat sich im scharfen Gegensatz zu den USA und den Kurden etabliert, zuerst im Rahmen des Islamischen Staates und dann im Idliber Kalifat. Alles andere kann die Schlachten um Kobane und Mosul nicht erklären. Alles deutet darauf hin, dass die Türkei ihr eigenes Spiel spielt und im Gegensatz zu Washington den Jihadismus als ihr Werkzeug einzusetzen vermag. Die USA wollen das nicht machen, weil sie nicht kontrollierbar sind. Warum hätten sie sonst auf die Kurden gesetzt?
Knackpunkt Kurden
Die USA haben nicht nur Israel als Werkzeug um jede Regierung in Damaskus unter Kontrolle zu halten (letztlich auch Baath), sondern sie verwenden dazu auch die Kurden. Wenn die Türkei und Syrien Washingtons Interessen ausreichend bedient, dann könnten jene die Unterstützung der Kurden zurückziehen. Wenn nicht, behalten sie diese als Faustpfand. Zudem sind auch die Kurden keine reinen Marionetten. Sie mögen entsprechend der Kräfteverhältnisse zum Zurückweichen und zu schwerwiegenden Kompromissen bereit sein, die Selbstaufgabe werden sie nicht betreiben.(„Benutzen oder benutzt werden?“ – Kommentar zur Stretegie der kurdischen Führung in Syrien 2017)
Das kann leicht der Auslöser eines neuen (Bürger)kriegs werden, zumal sich schon zuvor einige Golfstaaten auch der Kurden gegen die Achse Ankara-Doha unterstützen.
Positionierung der kommunistischen und demokratischen Parteien
Bekanntlich befanden sich einige der kommunistischen, linken und auch demokratischen Parteien im Orbit von Baath. Sie waren entsprechend auch geduldet je nach dem Grad ihrer Nähe. Natürlich gab es darüber eine starke Auffächerung und Schattierungen, über die wir gegenwärtig keine genauen Kenntnisse verfügen.
In ihren Stellungnahmen (KP Syrien, arabische KPen, ehemalige „innere“ Opposition) nach dem Umsturz haben sofort neben der Einhaltung der Versprechen Jolanis ein schnelles und gemeinsames Vorgehen gegen die israelische Aggression eingefordert. In der gegenwärtigen Lage scheint das im Sinne einer antiimperialistischen, demokratischen und sozialen Ausrichtung die richtige Intervention zu sein.
Niederlage bekämpfen wie in Osteuropa?
Handelt es sich denn nicht um eine Niederlage oder gar Konterrevolution wie bei der Wende in Osteuropa und der Sowjetunion? Bedarf es daher nicht der Frontalopposition gegen die Restauration wie damals?
In einem großen historischen Bogen handelt es sich natürlich um eine Niederlage. Der Baathismus hat seinen letzten Atemzug getan und hat kapituliert, weil niemand ihm mehr folgen wollte. Viele Hyänen zerren nun am Kadaver und zerreißen auch die verbliebenen (vielfach formalen) antiimperialistischen Aspekte. Doch die Niederlage war unvermeidlich, denn Assad konnte und wollte die Macht nicht teilen – was im antiimperialistischen Sinn aber unbedingt notwendig gewesen wäre.
Ein altbürgerliches, rein geopolitisches Denken vermag diesen inneren Aspekt nicht zu erfassen. Es sieht nur, dass Russland und der Iran dadurch geschwächt werden. Werden sie auch, aber sie haben diesen schweren, ja unverzeihlichen politischen Fehler mitbegangen und mitgetragen.
Viele glauben nun, dass der palästinensische Widerstand damit erledigt wäre. Natürlich ist es ein weiterer schwerer Schlag unter sehr vielen anderen. Doch der Widerstand hängt nicht ursächlich von der Unterstützung durch den Iran, Syrien oder Hisbollah ab. Er wird auch unter den extremsten Bedingungen weitergehen und seine politische Wirkung in Arabien und der Welt entfalten. Hamas hat dennoch den Umsturz begrüßt, obwohl sie Unterstützung aus Damaskus erhalten hatten. (Es ist zu hoffen und zu erwarten, dass sie als Brücke zwischen den verschiedenen antiimperialistischen Tendenzen dienen werden können.)
Die „Achse des Widerstands“ war und ist wichtig und leistet einen Beitrag, selbst nach diesem Fiasko. Doch deren Intervention ist keineswegs problemlos. Diese „Achse“ enthält ein Moment der Anmaßung, weil sie die antiimperialistischen Kräfte der arabischen Welt, meist sunnitisch kulturalisiert, unter die Führung von Teheran und einen schiitischen politischen Islam zwingt. Wer sich dagegen stellt, den trifft automatisch (und oft unberechtigt) der Vorwurf proimperialistisch zu sein. Im Irak hat das ein historisches Desaster und die konfessionelle Spaltung mit befeuert (wobei natürlich auch die andere Seite Mitschuld trägt). („Bürgerkrieg im Irak“ – Kommentar aus dem Jahre 2007)
Es gibt zudem eine Art historische Konstante in der arabischen Welt: die arabischen Staaten sind durch den Stachel Israel so schwach und rachitisch, dass sie gegen die israelische faschistische Militärmaschine immer verlieren. Lediglich im Volkskrieg ist ihnen beizukommen. Das hat man im Libanon gesehen und das sieht man auch heute in Gaza.
Sozial gesehen macht der Umsturz keinen großen Unterschied, vorher neoliberaler peripherer Kapitalismus, nachher im Wesentlichen das gleiche. Politisch geht ein verbrauchter, isolierter, ausgetrockneter Antiimperialismus unter und es kommt eine weite Koalition an politisch-islamischen Kräften jeweils mit Unterstützern aus den umgebenden Ländern an die Macht, deren Massenbasis antiimperialistisch eingestellt ist. Das heißt nicht, dass daraus ein antiimperialistisches Regime entstehen wird. Aber unter dem Massendruck stehen sie auf jeden Fall.
In Osteuropa folgten im Gegensatz dazu der Konterrevolution bleierne Jahre der liberalen Reaktion mit der freiwilligen Unterordnung unter die USA. In Syrien geht der Kampf weiter – wenn auch unter völlig neuen Bedingungen. Antiimperialistische Einstellungen, Strömungen und Kräfte haben nach wie vor erhebliche Bedeutung, demokratische und soziale Kräfte hatten und haben es sehr schwer. Offene Unterordnung unter den Westen gibt es kaum.
Die Aufgaben bleiben nach wie vor monströs und die neue Führung ist wie die alte dazu wohl kaum in der Lage: Die Einheit des Landes in der Vielfalt neu zu schaffen, die israelische Aggression und den Imperialismus abzuwehren, die Wirtschaft auf die Beine zu bekommen und dabei Richtung sozialer Gerechtigkeit zu drängen, möglichst demokratische Verhältnisse herzustellen.
Die gleiche historische Aufgabe der Differenzierung der islamisch-politischen Kräfte, derer sich Baath verweigerte, liegt nun an den verbliebenen antiimperialistischen, demokratischen und sozialen Kräften.
Willi Langthaler