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Rede anlässlich der Palästinenser-Demonstration in Innsbruck

30. August 2001

von Claudia von Werlhof, 9. Dezember 2000

Als Mohammed mich wegen der heutigen Demonstration anrief, war ich spontan bereit, hier auch zu sprechen. Ich bin keine Nahostexpertin. Aber ich bin Politikwissenschaftlerin, Internationalistin und Frauenforscherin. Ich bin in der österreichischen Bewegung gegen den Krieg und in der internationalen Bewegung „Mütter gegen den Krieg“. Außerdem gehöre ich zu den „Alpenweibern“, die sich überall im Alpenraum für vor allem gewaltfreie – wir nennen das frauengemäße – Lebensbedingungen einsetzen. Und man kann nicht sagen, daß es frauengemäße Lebensbedingungen sind, wenn Frauen in Palästina täglich damit rechnen müssen, daß ihre Söhne, Freunde, Brüder und Männer, ja ihre kleinen Kinder den Tag nicht überleben werden, weil sie von israelischen Scharfschützen förmlich abgeknallt werden.

Welch ein Bruch mit geradezu archaischen Tabus: Wie kann es sein, daß die Regierung eines modernen, sich zivilisiert und demokratisch nennenden Staates nicht nur unbewaffnete Zivilisten, sondern gerade auch Betende, Rettungswagen, Flüchtlingslager und Städte mit Hubschraubern und Raketen angreift, und eben: kleine Kinder mit modernsten Waffen gezielt erschießen läßt. So etwas muß ja befohlen oder ausdrücklich erlaubt worden sein! Das können die Soldaten nicht auf eigene Faust getan haben!

Wie kann aber ein solcher Terror, der feige Überfall auf Wehrlose, ja Kleinkinder überhaupt gerechtfertigt werden? Das würde ja sogar im erklärten Kriegsfall als Teil eines Angriffskrieges, als Verstoß gegen das Völkerrecht, ja als Verbrechen gegen die Menschlichkeit schlechthin gelten.

Wenn in Israel der bewaffnete Angriff auf die palästinensische Zivilbevölkerung gar für normal gehalten wird, dann ist dies das Zeichen für einen fortgeschrittenen geistig-moralischen Zusammenbruch in diesem Land.

Ich weiß, daß jeder, der es wagt, Israel zu kritisieren, Gefahr läuft, als Antisemit verschrieen zu werden. Es gehört heute im Westen zur sogenannten „political correctness“, d.h. zum guten Benimm, öffentlich immer auf der Seite Israels zu stehen, egal, was dort und von dort aus geschieht. Damit glaubt man, täglich den Beweis zu erbringen, die Vergangenheit bewältigt zu haben. Aber stimmt denn das? Und bewältigt man damit auch Gegenwart und Zukunft? Mit anderen Worten: Was können denn die Palästinenser für den Holocaust? Und wieso ist es ein Beweis dafür, dass man nicht anti-semitisch ist, wenn man bei den Morden an Palästinensern wegschaut? Ja, haben denn die Israelis einen Opfer-Bonus, der es ihnen aufgrund ihrer Geschichte erlaubt, zu tun, was bei anderen einen allgemeinen Aufschrei der Entrüstung hervorrufen würde? Es sei an den Kosovo erinnert.

Die moralische Erpressung, für Israel zu sein oder als Antisemit zu gelten, führt also zu geradezu perversen Resultaten. Es kann doch nicht sein, dass den Opfern des Holocaust mit der Zustimmung zu den Morden an inzwischen Hunderten und der Verletzung von inzwischen 10.000 Palästinensern gedient ist!

Es ist die Tragödie Israels, vom Opfer zum Täter geworden zu sein, es auch nicht geschafft zu haben, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Im Gegenteil.

Was dabei aber so besonders irritiert, ist, dass ausgerechnet die Israelis mit zweierlei Maß messen: Das Leben eines Palästinensers ist ihnen ganz klar weniger Wert als das eines Israelis – wenn nicht: überhaupt wertlos. Und auch die westlichen Medien teilen diese Sicht. Dazu gehört die komplette Leugnung und Verdrehung der Tatsachen: Die Gewalt der schwer bewaffneten Israelis wird gar nicht benannt, sondern die Palästinenser, die Opfer, werden als Gewalttäter hingestellt.

Und warum die Palästinenser sich erheben, denn in der Tat handelt es sich um einen unbewaffneten Volksaufstand, wird schon gar nicht untersucht.

Es ist das Problem des Staates Israel, dass er sein Glück auf dem Unglück anderer, der Palästinenser, aufbauen wollte. Konkret: Auf 4/5 des Bodens Palästinas. Wie konnte man da erwarten, dass das gut gehen würde? Das Verhältnis der Israelis zu den Palästinensern ist daher notwenig fatal: Indem die Bedeutung der Palästinafrage seit 52 Jahren geleugnet wird, wird das Unrecht geleugnet, das den Palästinensern angetan wurde und wird. Damit verhält sich Israel genauso wie jede beliebige Kolonialmacht in der Geschichte. Zu den Kolonisierten hat man nicht weniger als ein rassistisches Verhältnis. Die angebliche Minderwertigkeit und mangelnde Unterwürfigkeit der Kolonisierten rechtfertigt dann jede Gewalt gegen sie.

Mehr noch: Auch der Rest Palästinas ist heute ein von Israel besetztes und beanspruchtes Gebiet. Die Palästinenser sind förmlich in die letzte Ecke gedrängt. Sie sehen daher nicht nur keinen Ausweg mehr. Im wahrsten Sinne des Wortes haben sie einfach auch keinen mehr. Daher ihr Zorn!

Israel hat eine der modernsten und bestbewaffneten Armeen der Welt. Die Palästinenser dagegen sind ein Volk, das bisher noch nicht einmal eine eigene Regierung und wirkliche Selbstbestimmung haben darf, und nahezu kein Territorium mehr hat. In Camp David in den USA war gerade noch ausverhandelt worden, dass ein Staat Palästina nun doch gegründet werden soll. Dies will Israel offenbar dennoch nicht zulassen. Dabei wissen alle, dass nur so eine zumindest relative Befriedung der Situation möglich ist. Die Palästinenser wollen einen solchen Frieden, Israel anscheinend nicht.

Es darf bezweifelt werden, daß israelische Politik nur in Israel gemacht wird. Denn Israel ist auch das: Ein Brückenkopf des Westens in der Nähe der nahöstlichen Ölquellen. Insofern ist Israel selbst Opfer der Weltpolitik und nicht nur ihr Lieblingskind: Es hat diese Rolle mitzuspielen. Und vielleicht passt ein echter Friede mit den Palästinensern gar nicht dazu.

Es ist auch zu fragen: Wo ist die Stimme der israelischen Friedensbewegung? Und wo ist die israelische Mütter- und Frauenbewegung, die die Aufgabe hätte, zumindest dafür zu sorgen, dass ihre Söhne und Brüder in der israelischen Armee nicht zum Töten von palästinensischen Kindern missbraucht werden können – von den Frauen in der israelischen Armee ganz zu schweigen. Stellen Sie sich vor: Eine Frau als Scharfschützin mit einem Kind im Fadenkreuz!

Welche Tabus müssen eigentlich – ausgerechnet von Israel – noch gebrochen werden? Was muß geschehen, damit das Töten nicht immer mehr zur Normalität, ja geradezu salonfähig wird? Was muß geschehen, damit endlich auch die Menschen hier, Politiker, Parteien, Medien, Bewegungen und Wissenschaft sich endlich selbst betroffen fühlen?

Es ist höchste Zeit, Israel abzurüsten und den Palästinensern endlich Recht zu geben.

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