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Palästina: Augenzeugenbericht einer angehenden österreichischen Ärztin

24. September 2002

Teil 7, Ramallah II, 23.9.02

Letzten Mittwoch, am 18. September begann die israelische Armee Teile eines an Ramallah angrenzenden Flüchtlingslagers zu umstellen, als Reaktion auf den Angriff auf ein Polizeiauto, bei dem der Attentäter und ein Polizist starben. Die Zufahrtsstraßen wurden teilweise mit Stacheldraht und Schutt unpassierbar gemacht. Am nächsten Tag, am Donnerstag wurde dann ein zehnjähriger in der Früh durch einen Brustschuss ermordet. Dann erfolgte das Attentat in Tel Aviv auf einen Bus. Die Militärpräsenz in den Straßen Ramallahs stieg an, man sah Panzer, Brandspuren, Militärjeeps. Natürlich herrschte Ausgangssperre. Ich hatte einen dringenden Fall in dem umstellten Flüchtlingslager, wobei wir den Schutt bei der Zufahrtsstraße einfach rasch beseitigten. Von einem Jeep aus hatten Israelis zwei Tränengasbatterien in eine Wohnung geschossen. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag wurde dann das Hauptquartier von Arafat umstellt, Ramallah war wieder vollständig besetzt. An den großen Kreuzungen waren Panzer postiert, und Soldaten kontrollierten dort die Rettungen, wann immer sie passierten. Es folgte nun ein Katz und Mausspiel, es wurden große Umwege in Kauf genommen, um die Hauptstrassen zu meiden und damit die israelischen Soldaten. Hubschrauber flogen über unseren Köpfen, man konnte erste Explosionen vom Hauptquartier aus hören. Auch in der Straße, die zum Allgemeinen Krankenhaus Ramallah führt, hatte man einen Armed Personnel Carrier postiert. Die Soldaten waren aggressiv, wenn sie einen kontrollierten, man konnte die Spannung deutlich merken. Am nächsten Tag war die Militärpräsenz noch überall zu sehen. Die Rettung wurde an jeder Kreuzung von neuem kontrolliert. Manchmal sah man bei einem der gepanzerten Fahrzeuge junge Männer von Soldaten festgehalten werden. Es herrschte Ausgangssperre. Gestern in der Nacht gab es zwei Verletzte und einen Toten im Hauptquartier von Arafat. Erst nach langen Verhandlungen konnten die Verletzen ins Spital gebracht werden. Der Tote wurde am Freitag in der Früh geborgen. Jede Nacht war es dann das gleiche Schauspiel. Man hörte laute Explosionen von dem Hauptquartier her, Hubschrauber und Panzer, die in den Straßen patroullierten. Am Samstag schließlich sagten die Israelis mit Lautsprechern den im Hauptquartier von Arafat eingeschlossenen Leuten durch, dass sie sich ergeben sollten, da sie auch das letzte verbliebene Gebäude zerstören wollten. Daraufhin wurde sich beim Roten Halbmond auf eine große Katastrophe vorbereitet. Alle verfügbaren Freiwilligen und Angestellten Sanitäter wurden einberufen, statt drei Ambulanzen machte man neun einsatzbereit. In der Vorbesprechung wurde daraufhingewiesen, auf jeden Fall den Befehlen der Soldaten zu gehorchen, nicht mal zu versuchen zu verhandeln, und besonders auf Scharfschützen aufzupassen. Um Mitternacht rückten wir aus. Im Zentrum von Ramallah gab es große Demonstrationen, wie auch in Gaza, Tulkarem und Nablus. Die Rettungen begleiteten die Demonstration, warteten in Seitengassen, bis aufgeregte Rufe nach einer Rettung sie hervorschießen ließen. Barrikaden wurden errichtet, Parolen geschrien, Fahnen geschwenkt. Die ersten Verletzungen waren Tränengas geschuldet. Nach etwa einer Stunde begannen sie live ammunition zu verwenden, und die Rettung in der ich war, wurde plötzlich an die Front gerufen, wo aufgeregte junge Männer einen vielleicht 25 jährigen mit Kopfschuss einluden. Vor uns der israelische Jeep, in der Rettung ein blutüberströmter junger Mann, der keine Überlebenschance hatte. Er atmete noch, nach dem legen eines venösen Zugangs, dem verzweifelten Versuch die Blutung zu stillen und dem raschen Transport ins Spital, wo er intubiert und beatmet wurde und weiteren Flüssigkeitersatz bekam, verstarb er nur eine Stunde nachdem man ihm in den Kopf geschossen hatte. In dieser Nacht gab es noch drei weitere Tote, zwei davon in Nablus, ein weiterer in Ramallah, welcher der Cousin eines der freiwilligen Fahrer beim Roten Halbmond war. In der Nacht von Sonntag und Montag gab es nochmal kleinere Demonstrationen in Ramallah, bei dem es aber zu keinen Verletzten oder Toten kam.
Die israelische Besatzung tötet entweder direkt physisch oder sie tötet langsam das gesamte soziale und ökonomische Leben der Palästinenser. Ein Beispiel ist die Ausgangssperre, die auch in den Zeiten, wo sie tagsüber aufgehoben war, jedoch immer Freitags und in Betlehem Sonntags wieder tagsüber in Kraft trat. Die Geschäfte bleiben oft tagelang geschlossen, ein geregelter Schulbetrieb ist seit März nicht mehr möglich. Das Leben und die Zukunft eines ganzen Volkes wird damit zunichte gemacht.

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