Europa nach dem Sieg der französischen Verfassungsgegner, bruchlinien Nr. 15
Andrà©
Glucksmann, französischer Philosoph und Journalist, war einmal Maoist.
Heute ist er Frankreichs Vorzeige-Liberaler. Er forderte Bomben auf
Belgrad, Kopftuchverbot für muslimische Frauen und natürlich ein “Ja”
zum EU Verfassungs-Vertrag. Mit Andrà© Glucksmann könnte man eine
Bauernregel aufstellen, die da lautet: Je schlechter es ihm geht, desto
besser für die Redaktion der bruchlinien. Am 30. Mai dürfen wir freudig
feststellen: Andrà© Glucksmann geht es sehr schlecht.
Eine neoliberale und atlantische Verfassung
Was
steht eigentlich im Verfassungsentwurf, der in Frankreich abgelehnt
wurde? Im Wesentlichen wird der neoliberale, undemokratische und
proamerikanische Status quo der Union in Verfassungsrang erhoben. Die
europäische Sicherheits- und Militärpolitik wird der NATO untergeordnet
(Artikel I-41), dazu kommt aber noch das besondere “Zuckerl” einer
Aufrüstungspflicht für jene Mitglieder, die bisher nicht zwei Prozent
des BIP für Militärausgaben verwendet haben. Neoliberalismus und
Marktradikalismus sind in Zukunft sakrosankt: Soziale Rechte werden den
“notwendigen Voraussetzungen der Wettbewerbsfähigkeit” untergeordnet,
der Vorrang des Prinzips des “freien Wettbewerbs” ebenso
festgeschrieben (Artikel I-2-3), wie die Beschränkungen der staatlichen
Defizite, die im Stabilitätspakt verankert sind (III-177).
Standortwettbewerb und Sozialdumping finden sich ebenso in der
Verfassung: Eine Vereinheitlichung von Steuersätzen wird unmöglich
gemacht, ebenso wenig können soziale Standards nach oben angeglichen
werden. (III-171, III-210). Auch der völlige Mangel an Demokratie kommt
in die Verfassung: Das Europäische Parlament bleibt eine Farce, auch
wenn einige lächerliche Rechte dazugekommen sind.
Insgesamt wenig
Neues aber: was bisher galt, soll nun Verfassungsrang bekommen.
Änderungen dieser Verfassung sind wieder nur einstimmig möglich. Das
imperialistische Europa verpflichtet sich der Globalisierung und der
Zusammenarbeit mit den USA. Und im Schatten der Verfassungsdebatte
werden neue Angriffe vorbereitet: Ein Richtlinie zur Flexibilisierung
der Arbeitszeit, nach der auch mal 65 Stunden pro Woche gearbeitet
werden können, die Bolkestein Initiative zur Liberalisierung der
Dienstleistungen, die Beschränkung des EU-Budgets auf 1 Prozent des BIP
und damit das Ende einer Reihe von regionalpolitischen Initiativen.
Starkes Europa, soziales Europa, gar kein Europa – die französische “Nein” Kampagne
Die
französische Nein-Kampagne war nicht einheitlich, tatsächlich könnte
man auch von verschiedenen Kampagnen sprechen. Im großen und ganzen
können drei Teile ausgemacht werden: Le Pens Front National, die Linke
(auch diese sehr uneinheitlich), und Teile des PS, des sozialistischen
Partei. Gerade die Mobilisierungen des Front National waren dabei von
den anderen völlig getrennt.
Angesichts der Auseinandersetzung um
die EU-Verfassung hat ein großer Teil der europäischen Linken wieder
bewiesen, dass jeder Antagonismus verloren ist. Schändlichstes Beispiel
wohl Toni Negri, der die Verfassung begrüßt, um mit der “Scheiße des
Nationalstaates” Schluss zu machen. Man muss es der französischen
Linken zu Gute halten, dass sie praktisch geschlossen hinter dem “Nein”
stand. Für dieses Mal wurde auch die Falle Le Pen ausgelassen, das
Verlangen sich von allem zurück zu ziehen, was die Front National auch
unterstützt. In über 600 Basiskomitees fanden sich Vertreter der
Antiglobalisierungsbewegung wie attac (der wohl gemäßigteste Flügel der
französischen Linken) oder Josà© Bovà©s confà©dà©ration paysanne, des PCF
und seiner Abspaltungen, der Gewerkschaften (die CGT war mit Ausnahme
ihres Vorsitzenden praktisch geschlossen gegen die Verfassung), sowie
der verschiedenen trotzkistischen Gruppen. Das Spektrum der Position
läuft hier natürlich weit auseinander. Im Allgemeinen wurde der
neoliberale Charakter der Verfassung als Grund für die Ablehnung in den
Fordergrund gestellt, die gemäßigten Teile wollen ein “soziales
Europa”, andere haben es geschafft etwas grundlegendere Kritik
anzubringen und auf die Entdemokratisierung durch den
Souveränitätsverlust des Nationalstaats verwiesen.
Eine
herausragende Bedeutung für den Sieg des “Nein” hatte zweifelsohne die
Unterstützung einiger wichtiger Persönlichkeiten der Sozialistischen
Partei (wobei die offizielle Position des PS die Unterstützung des “Ja”
war). Fabius und Emmanuelli kommen aus dem Herzen des Establishment,
Fabius war Ministerpräsident unter Mitterand und Finanzminister in der
Regierung Jospin. Die Spaltung des Establishments hat den Medienapparat
verunsichert, und sie trägt außerdem dazu bei, dass die Volksabstimmung
nicht einfach wiederholt wird, bis das richtige Ergebnis herauskommt.
Solches war ja schon in Irland zu beobachten, und wurde ursprünglich
auch für den wahrscheinlichen Fall eines “Nein” bei der Volksabstimmung
in Holland angekündigt. (Zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Artikels,
am 1. Juni und damit einen Tag vor dem holländischen Urnengang liegt
das “Nein” in Umfragen bei 60 Prozent.)
Auf der anderen Seite sind
damit natürlich auch Gefahren verbunden. Arlette Laguiller von der
trotzkistischen LO (Lutte Ouvrier) hat darauf bereits in unnachahmbar
drolliger Arbeitertümlerrei hingewiesen: “Fabius ist jetzt kein Freund
der Arbeiter geworden.” Wenn man genauer liest, dann stellt man fest:
Fabius ist gegen die Verfassung, weil er eine stärkere EU möchte.
Innerhalb
der Nein-Kampagne ist tatsächlich Fabius das größere Problem als Le
Pen. Denn: Frankreich ist anders. Als einziges Land Europas hat es nach
dem 2. Weltkrieg eine Bourgeoisie hervorgebracht, die nicht zur
völligen Unterordnung unter die USA bereit war und tatsächlich auch ein
eigenständiges politisches Projekt aufrechterhalten hat. Viel ist davon
nicht mehr übrig: Frankreich ist in den Schoß der NATO zurück gekehrt
und es war Fabius selbst, der 1984 als Premierminister begonnen hat,
sowohl den Sozialkorporatismus der Linken, als auch den gaullistischen
dirigisme zurückzudrängen – der Beginn der liberalen
Wirtschaftsreformen. Dennoch, ein Rest bleibt: Man hört de Gaulle
sprechen, der ein europäisches Europa will, wenn Fabius kritisiert,
dass der Verfassungsentwurf die Einstimmigkeit der Außen- und
Sicherheitspolitik nicht beendet, und Europa somit “ohnmächtig” bliebe.
Oder wenn er beklagt, dass die Verfassung kaum Möglichkeiten für die
vertiefte Zusammenarbeit einzelner Staaten enthält, was bei der
Herausbildung eines Kerneuropa Schwierigkeiten schaffen würde. Ein
solches Kerneuropa wäre aber wohl Voraussetzung für die Errichtung
einer deutsch-französischen Hegemonie in der EU – dieser letzte Satz
ist zwar eine Anmerkung der bruchlinien, aber Fabius schreibt die
Verfassung bringe ein “schwaches Frankreich” und ein “schwaches
Europa”. Teile der Linken haben hier eine offene Flanke. Die Le monde
diplomatique etwa schreibt, die EU möge ein “eigenes zivilisatorisches
Projekt definieren”. Hier wird nicht nur Europa, sondern auch die
Europäische Union zu einem positiven Bezugspunkt, zum Träger sozialer
Reformen und zum Instrument der Ablehnung des amerikanischen Imperiums.
Unter den gegebenen Kräfteverhältnissen ist das eine Illusion – Fabius
hat geholfen die Verfassung abzulehnen, aber es wird ihm nicht gelingen
ein weniger atlantisches Vertragswerk aushandeln zu lassen, um
schließlich dieses anzunehmen. Unter veränderten Kräfteverhältnissen
ist es der Auftrag an die EU (oder an Deutschland und Frankreich), sich
in eine Kopie des Imperium americanum zu verwandeln.
Man könnte
meinen (mit einiger Berechtigung), Fabius ist einfach der
sozialdemokratische Rest eines absterbenden Gaullismus, der die
Verfassung gekippt hat – sowie Chirac, der gaullisitsche Rest des
absterbenden Gaullismus, mit seiner Weigerung dem amerikanischen
Irak-Krieg zuzustimmen wesentlicher Geburtshelfer der letzten
Anti-Kriegs-Bewegung war. Fabius ist ein Problem, weil seine Position
anschlussfähig an die Träume vom “sozialen Europa” der gemäßigten
Linken ist. Es ist kein weiter Schritt, dem “sozial” noch ein “stark”
hinzuzufügen, wenn man einmal die EU als Bezugsrahmen akzeptiert hat.
Eine solche Position könnte tatsächlich in der Lage sein die weit
verbreitete Unzufriedenheit zu kanalisieren, und wieder in die Bahnen
des Systems zu lenken. Ganz ähnlich dem Rechtspopulismus.
EU – Was jetzt?
Die
Verfassung war ein gigantischer Kompromiss – was zur Folge hatte, das
kaum echte Veränderungen geplant wurden, sondern einfach der Status quo
zur Verfassung erhoben hätte werden sollen. Mit dem Platzen der
Verfassung (was noch nicht völlig gesichert ist, es könnte in ein, zwei
Jahren auch eine Wiederholung der Volksabstimmung geben) ergibt sich
für die EU daher nicht so sehr ein institutionelles Problem. Man wird
eben im Rahmen der Nizza-Verträge weiter arbeiten. Ein politisches
Problem gibt es schon, das zeigt nicht zuletzt die sofort erfolgte
Entlassung der Regierung Raffarin. Das Projekt des atlantischen und
neoliberalen Europa hat eine harte Niederlage erlitten. Das ist kein
Zufall, nicht konjunkturell, sondern Ausdruck von Hegemonieverlust.
Schon vor einigen Nummern haben die bruchlinien gefragt “Europa
vorbei?” Das scheint sich nun zu bestätigen. Die EU und mit ihr einige
Staaten Westeuropas steuern auf eine größere politische Krise zu. Was
dabei herauskommt, lässt sich heute noch nicht sagen.
Stefan Hirsch