Erklärung zur österreichischen Übernahme der
Ratspräsidentschaft
Der Kongress tanzt – Anlässlich der Übernahme
der Ratspräsidentschaft gibt es eine „Charmeoffensive“ der Europäischen Union
und der österreichischen Bundesregierung. Um die „erfolgreiche Politik besser
zu kommunizieren“ soll die EU, die vielen zu Recht als bürokratisches Monstrum
kalter Profitkalkulation erscheint, mit positivem Lebensgefühl verbunden
werden. In der Folge gibt es Werbeplakate auf den Straßen, und Bundeskanzler Schüssel
gedenkt in Salzburg ein gemeinsames Konzert mit Condoleeza Rice (!) zu geben.
Allein der Zustand der „Charmeoffensive“ weist ein wenig auf den Zustand der
Union: Steuergelder für Künstler, damit diese Propaganda machen. Sodann
offensichtlich fehlende Kontrolle, was einigen der Subventionierten die
Möglichkeit zu ausgefallenen Sujets gegeben hat: recht lustige Pornobildchen
mit der Queen, Chirac und Tony Blair, oder ein äußerst gelungener EU-Galgen mit
den Worten „perfect market“. Den Passanten freut´s, im Sinne der Geldgeber
war´s freilich nicht.
Der Kongress tanzt, aber er kann seine
Probleme nicht vergessen machen. Am Wiener Kongress 1815 konnten die Herrscher
Europas dessen soziale Ordnung für fast 30 Jahre unter einem Bleideckel
konservieren. Ob die Urenkel der alten Potentaten einen solchen Zeitraum
bewältigen werden? Es sieht nicht so aus, als würden sie in Kürze gestürzt
werden, aber ihr Projekt der Europäischen Union ist in einer ernsten Krise. Die
nächsten Jahre werden einschneidende Veränderungen erleben – und wenn das
bestehende aus den Fugen gerät, gibt es auch die Möglichkeit eine wirkliche
Alternative für die Zukunft dieses Kontinents zu etablieren.
In einer Gesellschaft, die die Utopien im
Allgemeinen verlacht, war „Europa“ eine der letzten großen liberalen Utopien.
Der Kontinent – im 20. Jahrhundert zwei Mal durch Deutschlands Griff nach der
Weltmacht in die Katastrophe gestürzt und anschließend für 50 Jahre geteilt –
solle freiwillig und in Frieden zueinander finden, Kraft des freien Marktes in
Wohlstand leben, sich von seinen ehemaligen Protektoren, Russland und den USA,
emanzipieren und eine gleichberechtigte Partnerschaft erreichen. Freilich
steckten dahinter immer handfeste machtpolitische und wirtschaftliche
Interessen der Spitzen der Bourgeoisie. Aber die liberale Utopie „Europa“ wurde
als Banner voran getragen und entwickelte doch beachtlichen Einfluss. Mehr
noch, die Eliten glaubten ihre eigenen Interessen (jene „handfesten“ nach
Profit) im Einklang mit dieser Utopie. Man möchte dem damaligen Vorsitzenden
der Österreichischen Volks Partei, Erhard Busek, die ehrliche Begeisterung
nicht absprechen, als er gemeinsam mit den sozialdemokratischen Bankern nach
der Volksabstimmung über den EU-Beitritt die „Internationale“ anstimmte.
Der Puritaner, der glaubt Gottes Werk zu tun,
wenn er sich auf Erden bereichert; der Banker, der meint großes für die Zukunft
des Kontinents zu leisten, wenn er sich den rumänischen Markt einverleibt: So
funktionieren Eliten, wenn sie nicht allzu dekadent, korrupt oder zynisch
geworden sind.
Die EU wird nicht über Nacht verschwinden,
aber der Mythos „Europa“ ist schwer angeschlagen. Im Hintergrund der
zahlreichen Einzelprobleme der Union steckt die Tatsache, dass die Interessen
der Eliten heute weniger denn je mit dem verklärten Europa-Bild zusammenpassen,
welches der Mittelschullehrer im Geschichtsunterricht zu präsentieren hat. Zwei
fundamentale Tatsachen: 1. Es gibt keine Unabhängigkeit gegenüber den USA. 2.
Es gibt keinen Wohlstand für alle. 3. Europa wächst nicht zusammen, eher im
Gegenteil.
Komplizen der USA
Für einen kurzen Moment hatte es den Anschein
gehabt, als gäbe es die Möglichkeit, dass sich die Europäische Union, „Europa“,
vom aggressiven US-Imperialismus absetzen würde. Wohl immer noch imperialistisch,
aber irgendwie zivilisierter, dem Völkerrecht verbunden und in jedem Fall dem
unilateralen US-Imperium ablehnend gegenüberstehend.
Das war immer schon Illusion, sowohl was die
„Menschenfreundschaft“ der Europäer betraf, als auch deren Chancen sich von den
USA zu emanzipieren. Auch zum Höhepunkt der transatlantischen Verstimmung, zum
Beginn des Irak-Krieges. Deutsche Soldaten durften die GIs in Afghanistan
entlasten. Der US-Nachschub in die Kriegsregion wurde und wird über Europa
organisiert. Möglicherweise haben BND-Agenten der CIA bei der Zielwahl in
Bagdad geholfen. Die EU hat die „Terrorliste“ der Amerikaner übernommen.
Gefangene wurden über verschiedene europäische Staaten nach Guantanamo
verbracht, möglicherweise auch in Geheimgefängnissen innerhalb der EU
inhaftiert und gefoltert – unmöglich, ohne das Wissen europäischer
Geheimdienste und Regierungen. Bei diesen Verbrechen hatte man sich zum
Komplizen gemacht – und seither ist „Tauwetter“ angesagt: US-Besatzung im Irak
akzeptiert. Gemeinsames franko-amerikanisches Vorgehen gegen Syrien.
Gemeinsames Vorgehen gegen den Iran. Anzumerken: die transatlantische
Verstimmung hatte immer nur wenige Staaten betroffen, die Mehrzahl der
EU-Mitglieder hatte nie ein Problem mit der US-Außenpolitik.
Die EU-Mitglieder wollen weder ein
eigenständiges Auftreten gegenüber den USA, noch wären sie dazu in der Lage: In
praktisch allen Bereichen, die über den Binnenmarkt hinausgehen, ist
Einstimmigkeit der Beschlüsse vorgesehen. Hier ist die EU nicht suprastaatliche
Organisation, sondern ein mehr oder weniger lockeres Bündnis von
Nationalstaaten. Europäische Außen- und Militärpolitik kann es daher nur im
Einklang mit den USA geben, bei jeder eigenständigen Initiative ist es
Washington ein leichtes britische, südeuropäische oder osteuropäische Lakaien
zu mobilisieren, die solches verhindern. Abgesehen davon, wird ein
eigenständiger europäischer Imperialismus bald zur one-man-show des Jaques
Chirac: Sein Kumpel Schröder hat zur Gazprom gewechselt und im eigenen Land
macht sich die aggressiv neoliberale und proatlantische Fraktion der
Bourgeoisie, unter Nicholas Sarkozy, für die vollständige Machtübernahme
bereit. Die Reste des alten Gaullismus sollen entsorgt und durch den offenen
Amerikanismus ersetzt werden. Politisch ist die EU also ausschließlich bei
Unterordnung unter die USA handlungsfähig.
Die Opfer des freien Marktes
Der freie Markt mit seinen Privatisierungen,
die „Vorteile des EU-Binnenmarktes“ und die „Chancen der Globalisierung“
verteilen ihren Segen recht ungleich unter den Menschen. Die österreichische
Arbeiterkammer hat errechnet, dass seit 1995 der durchschnittliche Nettolohn
inflationsbereinigt bloß um 0,3 Prozent gewachsen ist, während Gewinne und
Kapitaleinkommen explodiert sind. Schlimm genug, aber noch nicht die ganze
Wahrheit: Nummer 1: der „Durchschnittslohn“ bleibt durch die verstärkte
Differenzierung des Lohnniveaus unverändert – tatsächlich verdienen
Spitzenkräfte in Management und Technik heute deutlich besser als vor 10
Jahren, der Rest hat mit Einbußen zu kämpfen. Nummer 2: Die Zahlen der
Arbeiterkammer sind zwar um die Inflationsrate bereinigt, aber auch diese ist
ein Durchschnittswert (und obendrein als Ganzes statistisch
heruntermanipuliert). Für Bezieher geringer Einkommen wirken sich die deutlichen
Preissteigerungen im Bereich Wohnen und Energie stärker aus, als billiger
gewordene Fernreisen, oder (als Extremfall des spanischen
Verbraucherpreisindex) günstige Segelyachten. In Summe bedeutet das: Die
meisten verdienen deutlich weniger als vor 10 Jahren, etwa ein Fünftel bis ein
Viertel der Gesellschaft kann als arm oder „armutsgefährdet“ gelten – je nach
Definition von Armut. Dem obersten Fünftel der Einkommensbezieher geht es
dagegen blendend, die kassieren mittlerweile etwa die Hälfte des Nationaleinkommens.
Während dem untersten Fünftel 2,7 Prozent bleiben. Vor der Volksabstimmung über
den EU-Beitritt hat die sozialdemokratische Funktionärin Gitti Ederer jedem
Haushalt zusätzliche 1000 Schilling durch zusätzliches Wachstum per EU-Beitritt
versprochen. Mittlerweile sitzt sie in der Führungsetage von Siemens-Österreich
– man kann davon ausgehen, dass in Ederers Haushalt gleich mehrere solcher
zusätzlichen Tausender angekommen sind.
Die beschriebene Entwicklung größer werdender
Einkommensunterschiede und realer Einkommensverluste für einen Großteil der
Gesellschaft – gemeinsam mit steigender Arbeitslosigkeit, zunehmender
Wochenarbeitszeit und schlechter werdender arbeitsrechtlicher Absicherung – ist
natürlich keine europäische Sonderentwicklung. Wahrscheinlich würde sich
ähnliches auch ohne die Europäische Union abspielen. Entscheidend ist aber,
dass die Versprechen in keinster Weise gehalten wurden. Und dass die von der EU
angebotenen wirtschaftspolitischen Rezepte diese Trends weiter verstärken, nicht
ihnen entgegenwirken. Europa wirft sein Gewicht in die Waagschale des
Marktradikalismus, der Flexibilisierung und des Freihandels. Dafür bezahlen wir
alle – mit Ausnahme jener Minderheit, die mit den Ederer-Tausendern
durchgebrannt ist, welche angeblich für alle bestimmt waren.
Die nächsten Maßnahmen sind schon in
Vorbereitung: Die Liberalisierung des Bahnverkehrs – was man auch mit
Streckenstilllegung und Fahrpreiserhöhung übersetzen kann. Die
„Bolckesteinrichtlinie“ zur Liberalisierung der Dienstleistungen –
Sozialdumping und Lohndrückerei. Privatisierungen im Bildungsbereich –
Elitenbildung und höhere Studiengebühren. Eingerahmt wird das Ganze durch die
„Lissabonstrategie“ die Europa bis 2010 zum „dynamischsten Wirtschaftsraum der
Welt“ machen soll. Angesichts unserer bisherigen Erfahrungen mit den Versuchen
der „Dynamisierung“ der europäischen Wirtschaft, die immer auf Kosten der
Allgemeinheit durchgeführt wurden, ist so etwas als gefährliche Drohung zu
verstehen. Die EU ist kein Instrument für die Durchsetzung von
Allgemeininteressen, sie dient einer relativ engen Elite. Diese Tatsache wird
mehr und mehr Menschen bewusst.
Wirtschaftliche Desintegration
Abgesehen von der steigenden Skepsis gegenüber
dem neoliberalen Europa gibt es noch weitere Probleme, die in den Widersprüchen
der einzelnen Staaten begraben liegen. In den 50er und 60er Jahren, aber auch
Anfang der 90er Jahre, beim Abschluss des Maastricht Vertrages, wurde
angenommen, dass die wirtschaftliche Integration die politische Integration Europas
nach sich ziehen würde. Heute kann man feststellen, dass eine politische
Integration praktisch nicht stattfindet: Die europäischen Bourgeoisien haben
teilweise gleichlaufende Interessen, aber ein langfristiger
Vereinheitlichungsprozess findet nicht statt. Die Zentralmächte Deutschland und
Frankreich sind viel zu schwach um den anderen ihren Willen aufzuzwingen.
Allein die Stimmverteilung im europäischen Rat, die Kleinstaaten
außerordentlich begünstigt, ist ein Ausdruck dessen.
Mehr als das: Die wirtschaftliche Integration
hat nicht nur keine politische Integration gebracht, sie ist auch dabei sich
selbst zu untergraben. Selbst wirtschaftsliberale Wissenschaftler beginnen die
Sinnhaftigkeit der Euro-Einführung zu bezweifeln: Sie scheint nicht zum angleichen
wirtschaftlicher Strukturen geführt zu haben, im Gegenteil fehlen angesichts
wachsender Ungleichgewichte die Möglichkeiten einer einfachen Anpassung:
Italien kann seine mangelnde Produktivitätsentwicklung und höhere Inflation
heute nicht mehr durch Abwertung ausgleichen – steigende Handelsbilanzdefizite
und ein fortschreitender Zusammenbruch der Industriestruktur ist die Folge.
Deutschland könnte durchaus niedrigere Zinsen vertragen – unmöglich, weil die
Europäische Zentralbank südeuropäische Inflation bekämpft, und der Leitzinssatz
für die gesamte Euro-Zone gleich ist. Im übrigen: Deutschland ist durch die
einheitliche Währung zum Exportweltmeister aufgestiegen, aber der private
Konsum stagniert auf niedrigem Niveau und hält das Land damit ständig in einer
beinahe-Rezession. Die alte DM hätte aufwerten können, die
Handelsbilanzüberschüsse abbauen und den Privatkonsum beleben, mit dem Euro ist
das unmöglich geworden. Interessant auch die mangelnde Lernfähigkeit angesichts
solcher Probleme: Die EU-Kommission ist in Heulkrämpfe ausgebrochen, anlässlich
der polnischen Ankündigung den Euro nicht so schnell wie möglich übernehmen zu
wollen. Dabei ist es tatsächlich völlig idiotisch einem Land mit nachholender
Produktivitätsentwicklung und daher notwendigerweise höherer Inflation, die
gleiche Geldpolitik aufzuzwingen wie der französischen oder österreichischen
Volkswirtschaft. Die Deutsche Bundesbank scheint die Probleme des Euro in jedem
Fall ziemlich ernst zu nehmen: Ein Planspiel „Die DM kommt zurück“ wurde bereits
durchgeführt…
Aber der Euro ist nicht das einzige Problem:
Seit der Einführung des Binnenmarktes in den 90er Jahren ist der Anteil des
Handels innerhalb der Gemeinschaft nicht gestiegen, sondern gefallen. Die
wirtschaftliche Liberalisierung hat nicht zu einer „europäischen“ Integration
beigetragen, statt dessen findet eine zunehmende Integration in den Weltmarkt
statt, parallel zur Ausbildung eines atlantischen Wirtschaftsraumes, der auch
die USA erfasst.
Angesichts dieser Schwierigkeiten und der hartnäckigen
wirtschaftlichen Stagnation gibt es im wesentlichen zwei Rezepte. Nummer eins:
Die Kommission und der neoliberale mainstream fordern mehr vom gleichen in noch
größerer Geschwindigkeit. Nummer zwei: Die Reste der in den 70er Jahren
gescheiterten Keynesianer (ATTAC, Teile der Sozialdemokratie und der
Gewerkschaften) fordern eine Renaissance der staatlichen Steuerungspolitik auf
europäischer Ebene. Die Rezepte der Kommission können nur einem Spitzenmanager
(denn für diesen sind sie tatsächlich brauchbar) oder einem Masochisten
sinnvoll vorkommen. Die Rezepte der Keynesianer haben augenblicklich den
Vorteil sich in der Praxis nicht bewähren zu müssen, allerdings scheint Skepsis
durchaus begründbar zu sein. Von diesen Leuten wird richtig argumentiert, dass
unter einem Regime des Freihandels, sowie der Moblilität von Unternehmen (die
zunehmend dorthin auslagern, wo ihre Profite am größten sind) eine
nationalstaatliche Steuerung der Nachfrage schwierig geworden ist. Die
Globalisierung zerstört den Sozialstaat, weil staatlich geschaffene Nachfrage
(etwa durch verordnete Lohnerhöhungen oder höhere
Sozialversicherungsleistungen) über die Grenzen verpufft und als Kostenfaktor
die Wettbewerbsfähigkeit der auf den Weltmarkt orientierten Unternehmen
beeinträchtigt. Gegenstrategie: eine europaweit vereinheitlichte Wirtschafts-
und Sozialpolitik, samt vereinheitlichten Steuersätzen um den
Standortwettbewerb aufzufangen. In der Folge nennt man sich dann „kritisch,
aber keineswegs gegen die EU“, oder benötigt diese, um, wie SP-Vorsitzender
Gusenbauer, „den entfesselten Kapitalismus zu bändigen“. Das scheint nicht nur
die Rechnung ohne den Wirt zu machen – denn man würde eine Kehrtwende der
EU-Politik um 180 Grad fordern, sowie die Revision der grundlegenden Verträge,
was nur einstimmig erfolgen kann und daher ausgeschlossen ist. Die Vorschläge
sind aber auch vom ökonomischen Standpunkt zweifelhaft. Auch eine Zone
europaweit einheitlicher Wirtschaftspolitik könnte die räuberische Dynamik der
Globalisierung nur durch einen Austritt aus der WTO und einen zumindest
teilweisen Protektionismus brechen. Das müsste man der Ehrlichkeit halber dazu
sagen. Die Probleme der keynesianischen Rezepte sind aber noch viel
grundlegender. Wir sehen im Augenblick am Beispiel der Euro-Zone, dass es sehr
schwierig ist Ländern mit unterschiedlicher wirtschaftlicher Struktur und
gegeneinander verschobenen Konjunkturzyklen, die gleiche Geldpolitik zu
verpassen (einheitliche Währung, einheitliche Leitzinsen). Aber es scheint ein
noch viel größeres Abenteuer diesen Ländern auch noch einheitliche Steuersätze
und Sozialleistungen umzuhängen. Der Standortwettbewerb wird gebremst, aber um
den Preis jegliches Instrument zu verlieren, um Verschiebungen der
Produktivitäts- und Preisniveaus, oder auseinander laufende Konjunkturzyklen
aufeinander abzustimmen. Die keynesianischen Instrumente haben auf der Ebene
des Nationalstaats funktioniert, auf größerer Ebene würden sie nur bei völlig
homogenen Volkswirtschaften greifen.
Kurz zusammengefasst: Der neoliberale Kurs des
EU-mainstream bedeutet Raubzug an der Mehrheit. Das Gerede vom „sozialen
Europa“ der ATTAC-Zivilgesellschafter (die das wahrscheinlich ernst meinen)
oder links-blinkender Sozialdemokraten (die ohnehin nicht vorhaben ihre
Rhetorik umzusetzen) ist einfacher Blödsinn. Heißt mit anderen Worten: Die
„Globalisierungskrise“ der europäischen Volkswirtschaften, die steigende
Arbeitslosigkeit, sinkende Masseneinkommen und das Wegbrechen sozialer
Sicherungssysteme, lässt sich nur ertragen – oder durch einen radikalen Bruch
bekämpfen.
Erweiterung der EU: Spiegel aller Widersprüche
Die Erweiterung der EU Richtung Osten spitzt
die inneren Widersprüche zu: Die „Erfolge“ der Großkonzerne in den neuen
Beitrittsländern bringen für die Mehrheit keine Wohlstandseffekte, sondern
verstärkten Lohndruck – man beobachte nur die Auslagerung deutscher Industrie.
Die gemeinsame Außenpolitik rückt mit jeder Erweiterungsrunde in immer weitere
Ferne, da die notwendige Einstimmigkeit alles paralysiert. Und die größer
werdenden Unterschiede in der Wirtschaftsstruktur der verschiedenen Ländern,
machen alle Reste der alten (keynesianischen) Stabilisierungspolitik, nämlich
die Zuschüsse an ärmere Regionen und Bauern, unfinanzierbar. Die Erweiterung
ist das Projekt der aggressivsten, neoliberalsten und proatlantischsten
Fraktionen der Bourgeoisie, um ihre Vorstellungen rücksichtsloser
Standortkonkurrenz und totaler Liberalisierung durchzusetzen – unterstützt von
einer völlig kopflosen Linken, die glaubt es sei antirassistische Pflicht den
EU-Beitritt der Türkei nicht abzulehnen.
Radikale Opposition
Die Schwierigkeiten des imperialen
Integrationsprojektes sind nicht unbemerkt. Die Eliten können sich bereichern,
aber es fällt ihnen schwer eine glaubhafte langfristige Perspektive zu bieten
und scheinen nicht in der Lage zu sein den Abstieg Europas zu bremsen. Die
einzige echte Alternative ist eine grundlegend andere Entwicklungsstrategie,
die sich von den Grundsätzen des maximalen Profits und des Wachstums auf Kosten
der Mehrheit trennt. Es gibt nämlich kein Naturgesetz, das besagt: „10 Prozent
müssen arbeitslos sein, der Rest soll für immer weniger Lohn immer mehr Zeug
herstellen, das die Profiteure dieses Systems glauben unbedingt zu brauchen.“
Dieser bedeutet aber die frontale Auseinandersetzung mit den Eliten und in
diesem Zuge auch die Zerschlagung der heutigen Europäischen Union.