Solange es sich nur
um Terroristen handelt, weiß man wie mit ihnen umzugehen hat. Nicht aber, wenn
sie plötzlich zu friedlichen Straßenprotesten aufrufen und gemeinsam die Kinos
besuchen, um sich antiamerikanische Filme anzusehen.
Islamische, türkische,
arabische Jugendliche der so genannten zweiten Generation geraten zum inneren
Feind und auf diese Bedrohung haben die Vordenker des Feuilletons keine
Antwort, wie Hans Rauschers Kommentar „Die Wut der jungen Muslime in Europa“
beweist.
Ausgangspunkt der
Rauscherschen Betrachtungen ist eine Demonstration, die vorwiegend muslimische
Jugendliche anlässlich des „Karikaturenstreits“ in Wien organisierten. Auch die
Antiimperialistische Koordination wird als Mitorganisator erwähnt und im
üblichen Slang der Linksliberalen als „linksextreme, rabiat anti-israelische“
Organisation bezeichnet. Weiter wird auf den Protestzug nicht eingegangen, denn
etwas Anderes hat Rauschers Aufmerksamkeit gefesselt: Die Debatte um den
antiamerikanischen, türkischen Film „Tal der Wölfe“, die in fast allen
deutschsprachigen Tageszeitungen in den letzten Wochen statt gefunden hat.
Rauscher erkennt
richtigerweise eine Verbindung zwischen der Wut moslemischer Jugendlicher und
dem Erfolg des Films unter den türkischen Migranten. Dabei ist dieser
Zusammenhang keineswegs so eindeutig, wie ihn die Medien gerne hätten. Der
türkische Nationalismus, dessen dunkle Seite Rauscher und Kollegen lange
verborgen geblieben war (bis zum Auftakt der Beitrittsverhandlungen), wandte
sich als jahrzehntelange Staatsdoktrin sehr heftig gegen den Islam und wurde
zum wichtigen Werkzeug der amerikanischen Außenpolitik.
Mit dem Film „Tal
der Wölfe“ wird nun eine politische Richtung für die Türkei propagiert, die den
Nationalismus umdefiniert. Nicht mit den Amerikanern, sondern gegen sie, nicht
gegen die Minderheiten im Inneren und die Völker im Irak, sondern mit ihnen,
wenn sie sich auch klar dem türkischen Großmachtsanspruch unterordnen müssen.
Dabei trifft der türkische Patriotismus auf den irakischen, islamischen
Widerstand und einen gemeinsamen Feind. Zwar ist die Geschichte meilenweit von
der Realität und der Regierung in Ankara entfernt, aber sie macht dem Westen Angst.
Als sich 1980 die türkischen Generäle mit Hilfe der NATO an die Macht putschten
und gegen die Linke und die kurdische Befreiungsbewegung vorgingen, spendete
Westeuropa Applaus. Jetzt würde Edmund Stoiber gerne den Film verbieten und
Hans Rauscher spricht von einem Alarmsignal.
In seiner Machart ist
„Tal der Wölfe“ nicht weit entfernt von den unzähligen amerikanischen
Propagandawerken der Nachkriegszeit. Doch ein großer Unterschied besteht darin,
dass hier den Bösewichten nicht frei erfundene Grausamkeiten angedichtet
werden, sondern zwei aktuelle Fälle amerikanischer Kriegsverbrechen. Über die
Folter in Abu Ghraib wurde ausführlich berichtet, über den Bombenangriff auf
eine Hochzeitsgesellschaft schon weniger, über den grausamen Massenmord an vermeintlichen
Terroristen in Afghanistan fast gar nicht. Im Film schießt ein amerikanischer Soldat
in einen Container voller Gefangener – außer dem Schauplatz hat hier der
Drehbuchautor der Realität nichts hinzufügen müssen.
Dabei wird
keineswegs die jahrzehntelange Allianz mit den USA verschwiegen. In „Tal der
Wölfe“ erinnert der amerikanische Bösewicht den türkischen Helden daran, wie
viel Geld und Waffen im Laufe der Jahre an die Türkei gegangen seien, für den
„Kampf gegen die Kommunisten“. Fast eine Art Vergangenheitsbewältigung.
Trotzdem handelt es
sich nicht um einen linken Film. Die Handlungen des US-Militärs werden, dem
Pathos des Streifens entsprechend, auf die christliche Mission des leitenden
amerikanischen Militärs zurückgeführt (wenn ihm auch, ganz richtig, die Phrasen
vom Erhalt des Friedens als politische Legitimation für den brutalen Einsatz in
den Mund gelegt werden). Ebenso wird in „Tal der Wölfe“ der jüdische Arzt als
Helfershelfer der Amerikaner platt und klischeehaft präsentiert, wie es die
amerikanischen Propagandawerke gerne mit arabischen oder osteuropäischen
Schurken zu tun pflegen. Die ersten Opfer des verwegenen Helden sind
selbstverständlich Kurden, die sich seiner großtürkischen Mission in den Weg
stellen.
Allerdings wird die
Rolle der Kurden im großtürkischen Staat im Film neu definiert, in einer
Sichtweise, die der ehemalige PKK-Führer Öcalan beim Abschwören in der
Gefängniszelle zum Ausdruck brachte: Die Kurden als untergeordnetes Volk in
einem großtürkischen Reich. Einer der engsten Freunde des Helden ist Kurde.
Natürlich wird trotzdem
nicht an der offiziellen Doktrin des türkischen Staats gerüttelt. Nicht die
Vertreibung und die Massaker an den Kurden werden ins Bild gesetzt, sondern die
Türken bzw. Turkmenen werden im Film von den kurdischen Kräften im Nordirak
vertrieben (aber auch diese Tatsache fußt auf realen Begebenheiten).
Dennoch besteht
eine Allianz: Zwischen der Türkei als dominante Kraft im Film, den Kurden, einem
gemäßigten Sufi-Islam, der sich gegen Selbstmordattentate und Hinrichtungen von
westlichen Geiseln wendet und den „Arabern“ als antiamerikanischen Verbündeten.
Eine für manche türkische
Politiker anziehende Vision, wie man aus den Reaktionen zum Film ablesen kann. Die
türkische Boulevardzeitung „Hürriyet“ bemerkte dazu: „Die Partei, die sich die
Botschaft des Films zu eigen macht, wird die nächsten Parlamentswahlen haushoch
gewinnen.“ Die Prognose ist überzogen und die Bündnistreue der Türkei zu den
USA keineswegs gefährdet. Dazu braucht es mehr als einen Film.
Aber unter den
Jugendlichen der zweiten Generation kommt die berechtigte Wut auf den Westen
und den amerikanischen Kreuzzug immer deutlicher zum Ausdruck.
Rauscher meint dazu:
„Die Katastrophe der europäischen Einwanderung liegt darin, dass die junge
Generation nicht aufsteigt. Die Väter haben die unangenehme Arbeit gemacht, die
Söhne oft nicht einmal die, denn sie ist abgewandert.“ Und: „Sozialer Aufstieg
ist viel seltener als er sein müsste. Wenn da national-religiöses Gedankengut
hineinkommt, ist der Brandsatz fertig – der geistige und der reale.“ Zwar kann
man sich weder unter einem geistigen noch einem realen Brandsatz Genaueres
vorstellen, doch die Botschaft ist verständlich, weil simpel. Wer bei uns
sozial nicht aufsteigt, der ist empfänglich für die Signale der anderen Seite.
Folglich weiß Rauscher auch keinen Rat, denn vom kollektiven sozialen Aufstieg
der zweiten Generation träumen nicht einmal mehr Integrationsbeauftragte.
Man sollte sich von
der Ratlosigkeit nicht anstecken lassen: Der Wiener Protestmarsch gegen die
antiislamische Stimmung im Westen ist ein wichtiges Zeichen, kein Alarmsignal.
Nicht die Integration bringt eine Besserung der Lage der zweiten Generation,
nur der Widerstand.
Stefan Kainz