Ariel Muzicant, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, über „linken Antisemitismus“
profil: Sind Antizionismus und Antisemitismus dasselbe?
Muzicant: Ich stelle Ihnen eine Gegenfrage: In Frankreich und Großbritannien brannten jetzt Synagogen, die von arabischen Extremisten angezündet wurden. Ist das antizionistisch? Ja! Ist das antijüdisch? Ja!
profil: Ich rede nicht von Brandstiftung. Ist Kritik an Israel per se antisemitisch?
Muzicant: Nein. Man kann israelische Positionen natürlich in sachlicher Form kritisieren. Aber die Grenzen sind fließend.
profil: Und wer definiert, wann Kritik antisemitisch wird?
Muzicant: Kürzlich hat der Generalsekretär der Österreichisch-Arabischen Gesellschaft, Fritz Edlinger, in einer TV-Diskussion gemeint, Israel habe 1948 750.000 Palästinenser vertrieben und dabei „ethnic cleansing“ gemacht. Das ist erstens sachlich falsch, und zweitens ist der Vorwurf, Juden würden „ethnic cleansing“ betreiben, schlicht antisemitisch.
profil: Manchmal entsteht aber der Eindruck, der Antisemitismus-Vorwurf werde von Israel als argumentative Keule gegen die Kritiker seiner Politik verwendet.
Muzicant: Dieses Israel-Bashing hat doch oft nichts mit rationaler Kritik zu tun. Es folgt einem Strickmuster, das sich bei der Linken – und natürlich auch bei der Rechten – eingebürgert hat. Was etwa im Kosovo passiert, ist um eine Zehnerpotenz schlimmer als das, was in Gaza vorgeht. Wen regt das auf? Wen regen Massaker in Afrika auf? Wenn bei Juden mit einem anderen Maßstab gemessen wird, dann befinde ich das als antisemitisch. Aber man kann nicht sagen, alle linken Antizionisten seien Antisemiten. So einfach ist die Sache nicht.
profil: Auch viele Israelis sind mit der gegenwärtigen Politik nicht einverstanden.
Muzicant: Aber dennoch ist die überwiegende Mehrheit des jüdischen Volkes zionistisch.
profil: Bruno Kreisky etwa war antizionistisch.
Muzicant: Ja, Kreisky hatte mit seinem eigenen Judentum Probleme. Er hat seine eigene Herkunft nicht positiv aufgearbeitet. Mit seiner Beziehung zum Judentum war ich keinesfalls einverstanden.
Anm. der Red.: profil ist eine bürgerliche, österreichische Wochzeitschrift.
Das obenstehende Interview stammt aus profil 23/2001