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Hamas: Was tun?

11. April 2006

Auszug der Rede von Osama
Hamdan, Vertreter von Hamas in Libanon, bei der Kairo-Konferenz am 23. März 2006

Das palästinensische Volk und mit ihm jedes besetzte Volk hat ein Recht
auf Widerstand. Die Befreiung Palästinas und jedes besetzten Landes ist eine
Notwendigkeit. Ich möchte auf diese Dinge nicht besonders eingehen, aber ich
habe drei Bemerkungen: Erstens glaube ich, dass wir in der Region heute eine
wichtige Umwandlungsphase durchleben in der manche Menschen ihre Balance
verlieren und nicht mehr in der Lage sein werden, auf gewisse Fragen Antworten
zu geben. Ich glaube es wäre manchmal wichtiger die richtigen Fragen zu stellen
als auf jede Frage zu antworten. Das soll nicht bedeuten, dass wir ohne Ende
fragen sollen, und das heißt auch nicht, dass wir die Fragen aus Schwäche
stellen. Durch die Fragestellungen können wir das für die nächste Etappe richtige
Handeln entwickeln. Wir müssen uns darüber klar werden: Was tun?, und wenn das
klar ist, dann müssen wir dementsprechend agieren. Die zweite Bemerkung ist
über den westlich- islamischen Konflikt. In unserer Kultur sowie in all unseren
Schriften über die Kreuzzüge haben wir diese nie als „Kreuzzüge“ bezeichnet
sondern als „Frankenkriege“, d.h. die Kriege tragen den Namen der Aggressoren,
der Kolonisatoren unseres Landes. Der Begriff „Kreuzzug“ wurde vom Aggressor
selber geschaffen um Unterstützer für seinen Krieg zu finden. Heute macht
George Bush dasselbe. Daher betone ich, dass dies ein Aggressionskrieg gegen
unsere Nation ist, welche sich nun gegen diese Aggression verteidigen muss.
Unsere Nation mit ihrem kulturellen und islamischen Erbe hat sich als die
fähigere in Fragen von Gleichberechtigung und Toleranz erwiesen. Der Beweis
dafür ist die religiöse, kulturelle und ethnische Pluraliät die man heute in
unserer Region findet. Diese Zivilisation hat allen die Möglichkeit gegeben
hier in Freiheit und Gleichberechtigung zu leben. Mein dritter Punkt: Während
wir heute eine Umwandlungsphase durchleben sieht man auch eine Adaptierung der
Instrumente unseres Feindes. In einer bestimmten Zeit kontrollierte der Feind
die Region indirekt, heute steigt er auf die direkte Aggression um. Ich glaube,
dass sie außerdem heute auch darauf setzen von Innen her eine Krise zu
schaffen. Heute reden sie über konfessionelle Konflikte im Irak und arbeiten an
solchen im Libanon. Ich glaube, dass jener der die Sprengung der zwei Gräber
der Imame in Baghdad geplant hat, in der „Grünen Zone“ lebt. Heute arbeiten sie
auch an einem palästinensischen Bürgerkrieg. Sie versuchen seit Jahren einen
Konflikt zwischen Fatah und Hamas auszulösen.

Diese
Gefahr müssen wir uns vor Augen halten, denn sie ist das Instrument des Feindes
um uns eine interne Niederlage zu bereiten. Die Nation hat genug Elemente der
Einheit um so eine Niederlage zu verhindern wenngleich sie eine Schlacht in
diesem Krieg verloren hat. Wir müssen nur auf diese Gefahr aufpassen in den
kommenden Tagen. Was den palästinensischen Widerstand betrifft, sage ich, dass
trotz der letzten Entwicklungen die Philosophie des Widerstands weiterbesteht.
Die Besatzung ist immer noch da, sie haben sich zwar aus Gaza zurückgezogen
aber so teuer uns Gaza ist, macht es
doch nur 1,5% der Fläche Palästinas aus. Auch wenn wir nur die 1967 besetzten
Gebiete betrachten macht der Gazastreifen nicht mehr als 5% aus. Trotzdem steht
Gaza immer noch unter Blockade und wird täglich bombardiert. Er wird zu
beliebigen Zeiten abgeriegelt und angegriffen und das alltägliche Leben
gelähmt. Alle Grenzen sowie der Luftraum und das Meer sind von der Besatzung
geschlossen, daher ist Gaza immer noch unter Besatzung und daher muss der
Widerstand weiter bestehen. Die letzten Wahlen und der Sieg von Hamas bedeuten
nicht, dass wir am Ende des Weges sind, im Gegenteil die Verantwortung und Last
auf unseren Schultern haben zugenommen. Denn nun ist es unsere Aufgabe geworden
unsere interne Realität zu beschützen welche selbst weder unabhängig noch
souverän ist. Gleichzeitig befinden wir uns in einer Konfrontation mit einem
brutalen Feind der den Anschein hat, uns los werden zu wollen, diese Situation
verlangt auch das Bestehen des Widerstands. Wir sind immer noch in einem Konflikt.
In dieser Phase können andere Methoden und andere Mechanismen notwendig werden,
aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir uns immer noch in einer
Auseinandersetzung befinden. Dieser Konflikt erfordert langen Atem und Weisheit
und die Akkumulation von Errungenschaften die Schritt für Schritt zur totalen
Befreiung führen. Daher will ich betonen, dass wir in keiner Situation sind, in
der wir um Unterstützung für eine Regierung betteln. Die Regierung ist nur
eines unserer Instrumente in diesem Konflikt für die nächste Periode. Ich
möchte daran erinnern, dass die Palästinenser in den früheren Phasen geglaubt
haben, dass wenn sie in der Logik des Feindes bleiben und bei seinen
Initiativen versuchen teilzunehmen, dass sie dadurch etwas gewinnen können, es
hat sich aber gezeigt, dass wir gerade durch diese Logik zerquetscht wurden.
Heute müssen wir unsere eigene Logik entwickeln. Um das klarer darzustellen:
wenn jemand auf einen Fussballplatz mit einem Basketball geht, dann wird er
nichts spielen können außer Fussball, versucht er dort Basketball zu spielen,
wird er verlieren. Wir müssen den Feind auf unseren Spielplatz bringen um ihn
besiegen zu können. Wir haben angefangen unsere Logik zu entwickeln. Wir müssen
den Widerstand als Chance für die Nation sehen und nicht als Last. Das Problem
ist, dass viele, wenn sie über den Widerstand reden, nur die Seite des Leidens
sehen. Sie sehen nur die Opfer und das ist auch ihr Recht. Aber das bedeutet
nicht für uns, dass der Widerstand eine Last ist, sondern eine Energie dieser
Nation die man richtig anwenden muss.

Heute
ist es erforderlich dass wir unseren politischen Anspruch Schritt für Schritt
erhöhen, es ist eine historische Chance nicht nur für uns, sondern auch für die
Regime. Ich verlange nicht, dass sie zu der Rethorik der Sechziger zurückkehren
aber ich fordere, dass sie wenigstens sagen, dass wir versucht haben den
Friedensprozess mit dem zionistischen Feind zu machen, und dass dieser
gescheitert ist. Er scheiterte weil er von der Akzeptanz der amerikanischen und
israelischen Bedingungen ausgegangen ist. Wir wollen den politischen Prozess in
der Region unter einem anderen Titel neu starten, nämlich ausgehend von den
palästinensischen und arabischen Rechten. Wir müssen an diesen Rechten
festhalten. Heute und nach sechzehn Jahren Friedensprozess spricht der Feind
von den Palästinensern immer noch als Bewohner und nicht als Volk. Heute noch
gelten wir bei den Israelis nicht als Volk sondern als Bewohner, eine Gruppe
von Menschen, die in einem Land lebt, das nicht einmal als besetzt gilt sondern
als eine Einflusssphäre für sie. Bis heute ist man nicht vom richtigen Punkt
ausgegangen. Heute müssen wir unsere Positionen verbessern und unseren
politischen Anspruch erhöhen. Hier möchte ich betonen, dass wir als Hamas Wert
darauf legen, dass unser Widerstandsprojekt nicht von der Regierungsbeteiligung
geschluckt wird.

Wir
haben hier lange über Unterstützung für den Widerstand in Palästina geredet,
ich glaube, dass die Nation viel für Palästina und den Widerstand gegeben hat
und ich übertreibe nicht, wenn ich unser Standhalten der letzten fünf Jahre
gerade dieser Unterstützung zu verdanken gedenke. Nachdem Condolezza Rice zur
Außenministerin ernannt wurde, beauftragte sie ihre Mitarbeiter auszurechnen
wieviel Geld nötig sei um Israel zu befähigen den palästinensischen Widerstand
zu beenden. Die errechnete Summe war das zwölffache davon was die Nation für
die Palästinenser gespendet hat. Also können Sie sich den Effekt dieser
Unterstützung in Palästina vorstellen. Es ist heute notwendig, dass wir von vom
Begriff Unterstützung zu dem Begriff Partnerschaft übergehen. Ich sage, dass
jeder freie Mensch, jeder Moslem jeder Araber, seinen Anteil an Palästina hat.
Dieses Land ist eine Sache von uns allen, und wir alle müssen dafür arbeiten.
Wenn wir den Wert des Widerstands begreifen und wenn wir begreifen, dass er
eine Chance ist, wenn wir begreifen dass wir Partner in diesem Widerstand sind,
dann glaube ich dass wir die Frage Was tun? leicht beantworten können.

Zum
Schluss möchte ich auf das Problem der Begriffe eingehen, ich rufe diese
Konferenz dazu auf, ein Projekt zu beginnen, die politischen Begriffe neu zu
konstruieren. Wir müssen Begriffe wie Terror und Widerstand genauer definieren,
wir müssen den Begriff Weltgemeinschaft und Globalisierung neu definieren und
diese Begriffe in unserem Sinne einsetzen. Das ist zwar hauptsächlich die
Aufgabe der solidarischen Menschen hier und im Westen aber wir werden ihnen
eine Hilfe sein in der Konfrontation gegen eine Aggression die sich gerade auf
diese Begriffe stützt. Wenn ein Iraker Widerstand leistet, dann gilt er als
Terrorist. Aber wenn die USA in einem Jahr 150 000 Iraker töten, dann heißt es,
sie möchten Frieden und Demokratie im Irak verbreiten. Wenn der Israeli uns tötet,
dann verteidigt er sich selbst, wenn wir uns und unser Land verteidigen dann
gelten wir als Terrorgruppen. Daher müssen wir die Begriffe zurückholen und neu
definieren. Und noch etwas: der Begriff Widerstand muss in Europa verteidigt
werden. Wir müssen eine Lücke zwischen der amerikanischen und europäischen
Position schaffen. Außerdem müssen wir über Palästina und Irak hinaus ein
Netzwerk des Widerstands schaffen, dort kämpfen wir mit Waffen, aber ich
glaube, dass die Widerstandsmethoden darüber hinaus auch zivilgesellschaftliche
Ausdrücke haben sollen im Rahmen von Organisationen und gesellschaftlichen
Institutionen, damit wir alle gemeinsam zum amerikanischen Projekt nein sagen
können. Alle zivilgesellschaftlichen Institutionen sollen den Widerstand in
Palästina und Irak als einen integralen Teil des Widerstands gegen die
Amerikanisierung bzw. gegen die sogenannte Gobalisierung betrachten.“

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