Die Unterdrückung der nichtdeutschen Bevölkerung traf in der Monarchie in unterschiedlichem Ausmaß alle Nationalitäten, auch jene, die keine Minderheiten waren. Die spezifische Unterdrückung der Slowenen radikalisierte sich mit der Gründung der mehrheitlich deutschsprachigen Republik Österreich einerseits und des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS) andererseits.
Der Gründungsmythos des Kärntner Deutschnationalismus ist die Volksabstimmung von 1920 in den damals slowenischen Gebieten Unterkärntens, die von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs erzwungen wurde. Trotz einer eindeutigen slowenischen Bevölkerungsmehrheit stimmten rund 60%, also auch viele Slowenen, für den Verbleib bei Österreich. Der Deutschnationalismus interpretiert das Votum bis heute als Legitimation und Auftrag zur Auslöschung des Slowenentums.
Die Slowenen stimmten damit aber keineswegs für ihre Assimilation: Im Gegenteil, sie erwarteten sich von der relativ fortschrittlichen Republik Österreich, die mit der Räterepublik schwanger war, mehr Rechte als von der damals deutlich reaktionären, von der Entente protegierten SHS-Monarchie. Doch sie sollten durch das gesamte 20. Jahrhundert hindurch eines besseren belehrt werden, nämlich, dass die Deutschkärntner, unabhängig davon ob im Rahmen der Republik oder der Nazi-Diktatur, nur ihre Assimilation anstrebten – die auch weitgehend gelang. Waren um 1900 noch rund 30% aller Einwohner des heutigen Bundeslandes Kärnten Slowenen, so geben heute nur mehr 3% dies als nationale Identität an.
Tatsächlich drehten sich die politischen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts, wo dem Deutschtum Modernität und Fortschrittlichkeit, dem Slowenentum aber klerikale Reaktion zugeschrieben wurde, sehr schnell um. Das Kärntner Deutschtum, das noch um die Jahrhundertwende von einer ehemals liberalen Position zehrte, wurde über alle Parteigrenzen hinweg (nämlich einschließlich der Sozialdemokratie) zu einem kompakten reaktionären Block, der auch die Nazis willkommen hieß. Das dokumentierte der langjährige SP-Landeshauptmann Wagner in den 70er Jahren mit Bekenntnis zu seiner Vergangenheit als Hitlerjunge.
Die Slowenen wandelten sich trotz des ländlich-katholischen Hintergrunds aufgrund der Konfliktstellung zu einer fortschrittlichen Kraft. Sie bildeten die Basis für die Partisanenbewegung gegen die Nazi-Barbarei, von denen viele Kommunisten wurden. Die historische Anerkennung dafür wird ihnen bis heute versagt, obwohl nach dem Ende Jugoslawiens und der Sowjetunion sich der Österreich als antifaschistisch darzustellen versucht.
Der Kärntner Deutschnationalismus indes wurde zum Bollwerk des Antikommunismus und vor allem des Antijugoslawismus. An der öffentlichen Legitimation der Zerschlagung Jugoslawiens sowie der neokolonialen Kriege gegen Serbien hatte es seinen Anteil.
Kärntner Anomalie?
Interessanterweise zeigt der Kärntner Deutschnationalismus eine erstaunliche Resistenz gegen den liberalistischen Geist der Zeit, der im Gefolge des Niedergangs der Linken auch die traditionelle, konservative und nationalistische Rechte, im weitesten Sinn die historischen politisch-kulturellen Strömungen der Bourgeoisie, zugunsten des Amerikanismus untergräbt. Ist das Ressentiment gegen die Slowenen stärker als die Globalisierung? Nein, die kapitalistischen Eliten tun indes gut daran, auf das Denken der Bevölkerung Rücksicht nehmen und Elemente desselben in die ideologische Legitimation ihrer Herrschaft aufnehmen. In Kärnten, einem tendenziellen Verlierer der Globalisierung, bleibt der tradierte Chauvinismus gegen die Slowenen ein wichtiges Element der sozialen Kohäsion. Im benachteiligten Süden Österreichs hat das „global village“ keine ausreichende Anziehungskraft, zumal das Villacher „silicon valley“ eher eine subventionsschluckende Zitterpartie abhängig von den Börsenkursen als eine Erfolgsstory darstellt. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass der Liberalismus um Kärnten einen Bogen machte, denn Chauvinismus und Liberalismus waren immer schon gut kombinierbar.
Heißt das, dass der alte antifaschistische Reflex in Kärnten noch Gültigkeit hat, während er im Rest von Österreich und in Deutschland zur Legitimation der herrschenden Macht verkommen ist? Sicher ist, dass Haider im Gegensatz zu Schröder und Vranitzky (noch?) keine Antifa-Sprüche klopft. Nach dem Ende der kommunistischen Bewegung und der UdSSR bedurfte der westliche Kapitalismus des Faschismus als letzte Absicherung nicht mehr und gemeindete den Antifaschismus, der seine antikapitalistische Stoßrichtung längst verloren hatte, ein. Er verlor seinen ursprünglichen Sinn, denn der Faschismus wird in keiner Weise mehr als Werkzeug der Eliten, sondern als kollektive moralische Schuld verstanden. Statt gegen die Eliten richtet sich der Antifaschismus nun gegen die Massen und nach mehr gegen die Dritte Welt. Um die vermeintliche moralische Schuld abzuarbeiten entdeckt man im Widerstand der unterdrückten Völker überall neue Faschismen. Im Krieg auf Seiten der USA und Israels gegen diese kann man dann praktischerweise seine Schuld abarbeiten und Ablass erlangen. Diese Transformation des Antifaschismus zu einer Ideologie der kapitalistischen Herrschaft ist eine der großen Meisterleistungen der Bourgeoisie die ihr System panzert.
Auch in Kärnten ist mit dem „politisch-korrekten“ Antifa vom Typus der Grünen außer allenfalls der periodischen Eruption des impotenten Ekels des kleinen intellektuellen Mittelstands gegenüber dem Pöbel gar nichts zu erreichen. Es reicht nicht die Haiderei als faschistisch zu denunzieren, denn sie ist nur die Spitze des Eisbergs eines Blocks, der an der Basis SPÖ und ÖVP enthält, also das ganze Regime umfasst. Dieses aktuelle österreichische System hat aber nichts mit Faschismus, sondern alles mit Euro-Amerikanismus zu tun. Der Kärntner Deutschnationalismus hat also weit tiefere Wurzeln als der Nationalsozialismus, die sich auch heute noch reproduzieren. Ihn aufzubrechen geht über zwei Kernpunkte: einerseits dem herrschenden Zentrumsliberalismus und dem sich als Opposition gerierenden Haiderschen Sozialpopulismus gegenüber dem „kleinen Mann“ eine echte antioligarchische Alternative entgegensetzen und andererseits dem Slowenentum zu einem Sieg zu verhelfen, der die Niederlage im Ortstafelstreit umkehrt.
Ortstafeln als Symbol
Der Assimilationszwang wird vielfältig ausgeübt. In der Zweiten Republik nahm und nimmt er meist subtile und nur selten brachiale Form an. So ist es vor allem die soziale Ächtung, die das Slowenische immer weiter zurückdrängt. Je geringer der Anteil der Slowenen wird, desto mehr gewinnt die Assimilation an Eigenbewegung, denn die Teilnahme einer immer kleiner werdenden Minderheit am öffentlichen Leben erfordert automatisch Anpassung an die Mehrheit. Doch dort wo der stille Zwang nicht ausreicht, dort wurde auch Gewalt angewandt – so zuletzt beim Ortstafelsturm 1972.
Die Ortstafeln erhalten ihre symbolische Bedeutung daraus, dass die öffentlich angebrachte Dokumentation der slowenischen Existenz mit roher Gewalt – gegen die ausdrückliche Bestimmung durch die Verfassung – verhindert wird. Diese militante Unterdrückung der Slowenen hatte und hat bis heute die offene Unterstützung der deutschen Mehrheitsbevölkerung sowie der Regimeparteien. Erst auf dem Höhepunkt der Kreisky-Reformen getraute sich die Bundesregierung den unerhörten Vorstoß die Verfassung durchzusetzen und die zweisprachigen Ortstafeln aufzustellen – und scheiterte. Damit wurde es bis heute festgeschrieben: die Slowenen darf es nicht geben, Verfassung hin oder her! Mit Ausnahme der Grünen bleibt das die Position sowohl der deutschen Mehrheitsbevölkerung Kärntens als auch der Institutionen nicht nur auf Landes- sondern auch auf Bundesebene. Die Haiderei ist da nur die Spitze des Eisbergs.
Hoffung EU?
Nachdem alle Versuche – einschließlich der in den 70er Jahren aufflackernden linksaktivistischen – die Assimilation der Slowenen aufzuhalten als gescheitert erscheinen, setzen viele der ehemaligen Linken all ihre Hoffnungen auf die Europäische Union, so zum Beispiel der frühere kärntner-slowenische Maoist Lojze Wieser.
Der Standpunkt, nach dem der EU eine zivilisatorische Rolle gegen den Nationalismus zukäme, stellt nicht die isolierte Position eines aus einer unterdrückten Minderheit stammenden gewendeten Linken dar, sondern ist heute in den Mittelschichten, bei den Intellektuellen und der sogenannten Zivilgesellschaft hegemonial. Aus dieser Sicht verhindert der in der EU institutionalisierte Zusammenschluss der europäischen Nationalstaaten, dass sich diese wie so oft im vergangenen Jahrhundert in die Haare kriegen und so das damit verbundene reaktionäre Potential des Nationalismus im Zaum gehalten wird. Der Globalisierung, die die Nationalstaaten tendenziell überhaupt auflöst, soll ein menschliches Antlitz gegeben werden. Wenn diese ohnehin als Sachzwang, als Naturgewalt daherkommt und nicht zu stoppen zu sein scheint, so solle man ihr wenigstens diesen positiven Aspekt abringen und auch – in unserem spezifischen Fall – auch den Kärntner Deutschnationalismus zivilisieren.
Doch diese Hoffnung ist sowohl was die Minderheitenforderungen als auch was die allgemeine gesellschaftliche Perspektive betrifft eine gefährliche Illusion.
Die Kärntner Slowenen sind nicht die einzige nationale Minderheit im EU-Europa. Ihrer gibt es Dutzende und einige von ihnen haben starke Bewegungen zur Einforderung des Selbstbestimmungsrechts entwickelt. Die bekanntesten sind die Basken, Iren und Korsen, wobei bei den ersteren zwei die Linke oder sogar die radikale Linke die Führung innehat. Keine dieser Bewegungen hat von der EU auch nur die geringste Hilfe erhalten, obwohl sie dieser zumindest anfänglich durchaus freundlich gesinnt war. Als Dank dafür wurde die Partei der baskischen Linken, Batasuna, die über lange Jahre rund ein Fünftel der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte, von Madrid verboten und ihre Jugendorganisation gleich auf die EU-Terrorliste gesetzt. Die EU besteht aus nichts anderem als den Eliten der bestehenden Staaten und diese setzen ihre Interessen über die Brüssler Institutionen weiterhin durch. Das Selbstbestimmungsrecht bleibt also auch in der EU ein toter Hund.
Man mag einräumen, dass die Kärntner Slowenen gar keine Selbstbestimmung fordern, sondern nur vor der Vernichtung bewahrt werden wollen. Außerdem seien sie keine Gefahr für das institutionelle Gefüge der Republik, wie es Durchsetzung der demokratischen Rechte der Korsen, Nordiren oder Basken zweifellos wären. So kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass von Brüssel allenthalten eine vorsichtige Ermahnung zur Einhaltung der Menschenrechte kommt – zumal auf Intervention Ljubljanas -, die der Wiener Bundesregierung als Druckmittel nicht notwendigerweise unangenehm sein muss. Doch der Kärntner Deutschnationalismus bleibt ein überparteilicher Block, der auch auf Bundesebene eine Rolle spielt, die von den Institutionen nicht ignoriert werden kann. Ein zu forsches Vorgehen nach dem Beispiel Kreiskys wird von den Regimeparteien nicht gewünscht, denn der Deutschkärntner Block bleibt Kind des Regimes (und eben nicht nur der gespaltenen BZÖ-FPÖ, sondern eben auch der SPÖ und ÖVP), wenn auch ungeliebtes.
Was die angenommene allgemeine fortschrittliche Rolle der EU betrifft, so ist es sicher nicht falsch anzunehmen, dass diese die zwischenstaatlichen Konflikte innerhalb der Union dämpft. Doch global gesehen heizt sie diese sehr wohl an. Einerseits sind die Brüsseler Institutionen das Hauptinstrument des liberalistischen Angriffs auf die unteren Schichten und der Zerstörung des Sozialstaats. Andererseits organisiert die EU das Bündnis mit den USA in deren Schlepptau sie sich im Krieg „gegen den Terror“, also im Klartext gegen die Befreiungsbewegungen vom Amerikanischen Reich befinden. Ganz zu schweigen vom Neokolonialismus besonderer Art am Balkan und in Osteuropa. So ist der zivilisatorische Lack schnell abgekratzt und wird die antisoziale und imperialistische Substanz der EU sichtbar, die uns in den permanenten globalen Krieg führt.
Unsere Hoffnung
Welche Hoffnung gibt es dann für die Slowenen? Welche Perspektiven können die Antiimperialisten anbieten und welche Stellung hat der slowenische Kampf in der globalen Bewegung gegen den kapitalistischen Imperialismus?
Zunächst muss es darum gehen, einen Pol zu bilden, der genug Gewicht hat, die Durchsetzung der Verfassungsbestimmung zu den Ortstafeln durchzusetzen. Dieser muss natürlich weit über die österreichischen Slowenen selbst hinausgehen. Das ist leichter gesagt als getan. Denn alle Parteien des politischen Systems stehen für den status quo. Nur die Grünen sprechen sich eindeutig für die Ortstafeln nach Verfassung aus. Doch da sie als Teil des Systems – am deutlichsten im Wunsch nach Regierungsbeteiligung ausgedrückt – ihre Hände gebunden haben, sind sie weder zur Mobilisierung noch zur Bildung des notwendigen systemoppositionellen Blocks fähig noch willig.
Nur eine echte Systemopposition, ein antagonistischer Block, kann die Aufstellung der Ortstafeln und die damit verbundene Anerkennung der Slowenen als konstitutive Minderheit Kärntens erreichen. Diese muss auf Konfrontationskurs gehen, die Tafeln aufstellen und sie mit einer Mobilisierung bis nach Slowenien hinein schützen. Nur so kann der herrschende Block gespalten werden. Und dieser wird sich in der Frage spalten, wie der Kreiskyvorstoß zeigte. Dieser scheiterte an der traurigen Umkehr, dass der von oben aus dem Machtapparat kommende Anstoß unten nicht genug Resonanz fand.
So sind die slowenischen Interessen direkt mit der Herausbildung einer systemoppositionellen Bewegung gegen die kapitalistisch-imperialistische Oligarchie, institutionalisiert in der EU, verbunden. Die Slowenen sowie die neuen Minderheit wie Moslems, Araber oder Serben bilden bevorzugte Ansprechpartner für einen solchen Pol. Im Gegensatz zu den anderen autochthonen Minderheiten wie den Kroaten, Roma usw., die politisch ins System integriert sind, müssen sie ohne Widerstand mit der Zwangsassimilation rechnen. Ihnen bleibt maximal der multiethnische Folklorezoo der Zivilgesellschaft, den Slowenen angesichts des militanten Deutschtums nicht einmal das.
Antiimperialistische Koordination
Juni 2006