von Aug und Ohr
Nachdem am vergangenen Montag nach einer
Schnell-Besetzung des Audi-Max ein Plenum,
das gut angelaufen war und sich zu einer regelrechten Versammlung
sozialer und politischer Kräfte entwickelt hatte, auf brutale und primitive
Weise abgewürgt worden war – so wurde etwa eine Vertreterin des Virus
mitten in der Rede von brüllenden Typen unterbrochen und der AIK-Referent wurde
von einer kleinen Clique niedergebrüllt (das ganze unter der Duldung der grünen
ÖH-Funktionärinnen, die die Versammlung, ohne dazu aufgefordert zu sein,
leiteten) – hat es bei der Demonstration auf dem Ballhausplatz bei Gelegenheit
der Angelobung eine interessante Linkswende gegeben, und zwar im Programm, das
von der Vorsitzenden der Bundes-ÖH Spielbauer vorgetragen wurde. Es scheint
sich ein wenig abzuzeichnen, daß Teile der ÖH über ihre bisherige beschränkte –
und auch erfolglose – Standespolitik – hinausgehen wollen und sich verstärkt
als Mitakteur (Mitactrice) in der allgemeinpolitischen Diskussion profilieren
wollen. Das kann für die gesellschaftliche Gesamtentwicklung nur nützlich sein
Die Rede Spielbauers nahm explizit und vehement bezug auf wesentliche
allgemeinpolitische Forderungen, die bereits von den BesetzerInnen der
SPÖ-Zentrale formuliert und an die apa ausgeschickt worden waren, ohne daß dies
jedoch in irgendeiner Weise von der Presse berücksichtigt wurde.
An erster Stelle erwähnte Spielbauer die Forderung nach einem eigenständigen,
mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestatteten Frauenministerium, das
kein Anhängsel des Bundeskanzleramtes (wobei sie die männliche Endung scharf
betonte) sein dürfe, es wurde eine Mindestsicherung gefordert, die, und damit
wurde die Originalformulierung der BesetzerInnen der SPÖ-Zentrale aufgenommen, „die bisherigen Standards zumindest nicht
unterläuft.“ Wenn, dann eine Mindestsicherung, „die diesen Namen auch
verdient“, so Spielbauer.
„Wir wollen einen ordentlichen Kündigungsschutz für Lehrlinge“, hieß
es dann. Die Anhebung der Wochenarbeitszeit wurde aufs schärfste kritisiert,
die Verschlechterungen im Arbeitsrecht wurden angeprangert und es hieß:
„Es ist höchste Zeit, in die andere Richtung zu gehen.
Arbeitszeitverkürzung jetzt!“
Ein weiterer Punkt: Die Liberalisierung der Öffnungszeiten. Schließlich wurde
die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren, die Einführung der
Gesamtschule und „die sofortige Rücknahme des Asylrechts“ gefordert.
Zum letzten Punkt kam der stärkste Applaus. „AsylwerberInnen sind
politische Flüchtlinge und keine VerbrecherInnen!“
Prägnant und sehr bewußt hieß es: „Bleiberecht für alle, sonst gibt´s
Krawalle!“
Sind dies nicht erfreuliche Entwicklung einer
bisher mehr als sterilen „linken“ ÖH, aus der in den letzten eineinhalb
Jahrzehnten alle antagonistischen Gruppen, AnarchistInnen, TrotzkistInnen, von
der KP unabhängige KommunistInnen herausgesäubert wurden, sodaß die ehemaligen
Fakultutätsvertretungen zu unbeweglichen, studentisch bornierten Insidertreffs geworden sind, in denen immer
mehr die Parteien dominieren und die gesamtgesellschaftlich keine Relevanz mehr
haben.
Im Gegensatz zu deutschen Universitäten ist es nun der seit Jahren linken ÖH
nicht gelungen, auf ihrem eigenen Territorium einen der Mindeststandards, die
in Deutschland seit der „Studentenbewegung“ der Siebzigerjahre zu
Gewohnheitsrecht geworden sind, auch hier einzuführen, nämlich regelmäßige
politische Großplena in den größten Hörsälen, an denen selbstverständlich alle
politischen Kräfte der außerparlamentarischen Linken, nicht nur studentische,
zu Wort kommen. An allen Universitäten, an denen linke Asten im Amt sind, ist
dies eine Selbstverständlichkeit – nicht in Wien.
Existiert eine geheime erpresserische Direktive eines Spitzenbeamten dieser
Republik, mit der permanent sichergestellt wird, daß so etwas auf der Hauptuni
nicht zustandekommen darf? Analog zum politischen Betätigungsverbot für die
PKK?
In Deutschland werden diese Dinger VV genannt (Vollversammlung). Im Audi-Max
hat man und frau bei allen Streik- und Besetzungsaktionen der letzten 10 Jahre
beobachten können, daß das – zum Teil kommerzialisierte – Audi-Max immer der
geeignete Ort war, an dem die Menschen sich und einander wahrnehmen und spüren
konnten. Hier waren einige Male während der letzten zwanzig Jahre Augenblicke
der Kollektivität. 1987 waren auch GewerkschaftlerInnen und Arbeitslose an der
Besetzung beteiligt.
Räumlichkeit, Freiraum – das sind Orte politischer Vergesellschaftung der
fragmentierten Einzelwillensimpulse, die nur auf einem großen Forum, einem
permanenten Tribunal ihre Bestrebungen und Absichten bündeln können.
Aber so weichen die grünen Funktionärinnen –
deren eine ein gutes Exempel für politische, ja leidenschaftlich politische
Eloquenz geliefert hat, vielleicht, um als GRAS ein wenig in der Öffentlichkeit
punkten zu können, in die sterile Technische Universität, und zwar in einen
Vorraum der dortigen Hochschülerschaft, der HTU, aus, weil nur mehr dort,
ausgerechnet unter den extrem unterpolitisierten TU-Studenten und
-studentinnen, überhaupt noch Räume existieren, in denen man und frau sich
treffen kann, im Gegensatz zur sklerotischen und hieratischen und von
burschenschaftlichem Ordnungsdenken verseuchten Haupt-Uni.
Was anderes gibt´s in ganz Wien nicht?
Aber das Plenum vor den Toren der HTU hat sich nun institutionalisiert und
findet jeden Montag um 18 Uhr statt. Beim letzten Plenum waren VertreterInnen
der ArbeitslosensprecherIn, des AST, der AIK präsent, und dadurch wurde
ein gesundes Gleichgewicht zwischen studentischer Inzucht und separierten
Splittergruppen geschaffen.
Ein vernünftiger Mensch wird also dieses Plenum, solange es existiert, als
Forum verwenden und sich nicht scheuen, seine Meinung zu sagen.
Noch stärker durch die radikale Linke geprägt ist das neugegründete Komitee
gegen die Große Koalition, an dem die SOAL, Vertreter (sic!) des (etwas
geschrumpften) österreichischen Sozialforums, respektive der SOAL und zweier
Arbeitslosenorganisationen, weiters der KSV, die KJÖ, die KI, die AIK, ein
Aktivist der Kuba-Solidarität, der Anatolische Kulturverein, Vertreter der
Slowenischen StudentInnen, sowie Leo Gabriel von der daz und vom Südwind
teilnahmen. Dieser Kern wird in nächster Zeit, wie zu hoffen ist, einen verstärkten und systematischen Appell
an NGOs richten, die von der Liquidierungspolitik von Gemeinde und
Bundesregierung betroffen sind, und wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach
erweitern.
Es wird möglicherweise noch weitere
Initiativen geben, es wäre aber gut, bei aller „natürlichen“
Unterschiedlichkeit der politischen Gruppen und auch gebotenen
respektvollen Aufmerksamkeit füreinander, wenn in wesentlichen Belangen ein
gemeinsames Vorgehen gegen die Politik der Koalition im Rahmen von
Kundgebungen, Veranstaltungen, Kampagnen, Aktionen und einer ausgeweiteten
Gegeninformation verstärkt vorangetrieben werden könnte.
Die Tageszeitungen haben beinah alle, mit einer kleinen Ausnahme einer
unbedeutenden und verkürzenden Meldung im elektronischen Standard – die
allgemeinpolitischen Forderungen der ÖH-Vorsitzenden unterschlagen, also
zensuriert.
Dadurch aber, daß eisern verschwiegen wird, daß StudentInnen Forderungen für
Lehrlinge und andere Lohnabhängige aufstellen, wird das Bild vom
abgeschotteten, ghettoisierten Ausbildungsbereich bewußt noch verstärkt.
Dazu kommt, wie von „Österreich“ berichtet, die infame Weigerung des
Herrn Foglar von der Metallarbeitergewerkschaft, die studentische Mobilisierung
zu unterstützen. Dem großkoalitionären Revolverblatt, das natürlich ebenfalls
nichts über die gesamtpolitischen Forderungen Spielbauers berichtet hat, ist
dies natürlich nicht unangenehm, und es war auch kein Anlaß für einen
kritischen Kommentar in diesem Revolverblatt, wie es ein Autor des Augustin
kürzlich treffend genannt hat, und wir übernehmen diese Charakterisierung mit
großem Vergnügen.
Die radikale, also auch die studentische radikale Linke, werden sich mit
einigen Forderungen auf die Seite der Arbeiter und Arbeiterinnen stellen, wenn
am kommenden Montag der ÖGB tagt. Sie versuchen, die linken Kräfte in den
Gewerkschaften zu unterstützen und sie wenden sich gegen das großkoalitionäre
Sozialdumping an der Spitze von ÖGB und AK, sind gegen die
Gewerkschaftsführung, für die Gewerkschaftsbasis, für die Gewerkschaftslinke
oder, wenn´s geht, für eine eigenständige Entwicklung außerhalb der gelben
Gewerkschaften:
Zu diesem Zweck wird eine erste Kundgebung des neugegründeten Komitees gegen
die Große Koalition, das den Namen „Solidarität und Widerstand“
trägt, am kommenden Montag um 16 Uhr vor dem Austria-Center, dem Tagungsgebäude
des ÖGB eine Kundgebung anhalten.
Das Minimum an Forderungen, die auch von der
ÖH erhoben wurden, wird bei dieser Gelegenheit an die Gewerkschaft gerichtet
werden müssen. Wer gegen die Große Koalition ist, der kann sich mit
zusätzlichen Forderungen bei diesem Meeting einfinden und diese „Gewerkschaft“
kritisch beim Wort nehmen.
Aber die radikale Linke wird vor der Türe
bleiben müssen.
Aug und Ohr