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Rostock 2007

23. Juni 2007

Eine Renaissance der linken Bewegung in Deutschland?

Eine Woche nach dem G8-Gipfel gewinnt man allmählich Übersicht über die Geschehnisse rund um Heiligendamm. Jetzt beginnt die Zeit der Rückblicke, Analysen, Einschätzungen und Zusammenfassungen. Im folgenden soll versucht werden, die Demonstration am Samstag und die anschließende Woche der Protestaktionen politisch zu bewerten und somit die Chance für eine Perspektive und Weiterentwicklung zu schaffen.

Der 2. Juni 2007

Die Demonstration von Samstag hinterließ bleibende Eindrücke. Die Anzahl der Teilnehmer blieb strittig, die Polizei drittelte die Angaben gar auf 25.000.

Der hochgelobte „vielfältige und bunte“ Demonstrationszug am 2. Juni sah sich gerne in historischer Tradition, glänzte aber vor allem durch inhaltsleere Parolen („Smash G8“, „für eine bessere Welt“, …) bis hin zu kleingeistigem Unsinn wie „Kapitalismus wegtanzen“ oder „Smash anti-americanism, love communism.“ Insgesamt glich der Zug keiner einheitlichen Demo, sondern eher einem Schaulauf einzelner Gruppen, Parteien und Organisationen.

Aktuelle Bezüge wie z.B. zur Besatzung im Irak, der deutschen Beteiligung an der „Afghanistan-Koalition“, der Stationierung von Bundeswehrsoldaten im Libanon oder auch die Zusammenarbeit von CIA und deutscher Bundesregierung bei Menschenverschleppungen waren nur selten zugegen. Obwohl die G8 vornehmlich unter der Führung der USA für Zustände wie globaler Krieg, weltweite Besatzungen, Stationierung von Soldaten, Aussetzung internationalen Rechts und somit auch für zunehmende Flüchtlingsströme und Armut verantwortlich sind, sehen die Gegner anscheinend keine Notwendigkeit, diese Machenschaften und ihre unmittelbaren und mittelbaren Folgen konkret zu thematisieren.

Der Widerstand in den betroffenen Ländern gegen deren nationale Ausbeutung und Fremdbeherrschung wird in keinem anderen Land auf der Welt so rücksichtslos totgeschwiegen wie in Deutschland. Ob Venezuela, Bolivien, Palästina, Libanon, Irak oder Afghanistan: es gibt einen vielfältigen Widerstand, welcher jedoch aus vermeindlicher „political correctness“ nicht genannt oder denunziert wird.

Doch nur durch eine klare und konkrete Positionierung auch gegenüber den Befreiungsbewegungen und dem Widerstand im Nahen und Mittleren Osten und in Lateinamerika können die alternativen bis linken Kräfte in diesem Land auch international die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens unter Beweis stellen.

Stattdessen flüchtet ein großer Teil, insbesondere der radikalen Linken, in die Abstraktion oder nimmt äquidistante Haltungen ein, die letztendlich keine sind. Wie sonst soll man den Satz aus einem Aufruf der „Interventionistischen Linken“ ‚Denn die Kette der humanitären Interventionen und die Konfusion, Desorientierung und der nicht selten offen reaktionäre Charakter der Widerstände gegen den imperial(istisch)en Krieg belegen unübersehbar, dass internationale Solidarität […] heute nicht mehr umstandslos als Einheit der Linken im Norden mit dem Aufstand im Süden gebracht werden kann‘ verstehen? Statt bezug zu nehmen auf konkrete Bewegungen, die gegen den Imperialismus kämpfen – insbesondere im Nahen und Mittleren Osten sowie Lateinamerika – und nach möglichen Gemeinsamkeiten zu suchen, sagt man lieber, ohne es direkt zu sagen, mit denen wollen wir nichts zu tun haben. Wie will eine Linke international an Bedeutung gewinnen, wenn sie kämpfenden Bewegung ihr Weltbild aufzudrücken versucht?

Großdemonstrationen und Proteste werden so leider in den Zeichen der heutigen Zeit zunehmend Event-Charakter annehmen und von den Herrschenden unter „Demokratie“ oder auch „Brot und Spiele“ verbucht werden können.

Gewalt erzeugt Gegengewalt
Oder: wie man die Rechnung für den Wirt macht

In den letzten Zügen der Rostocker Demonstration wurden die Teilnehmer am Hafen von einer Riesen-Bühne und Dauermusikbeschallung empfangen, ob sie nun wollten oder nicht. Hier löste sich die Heterogenität in ein großes Wohlgefallen auf, das Happening war perfekt.

Jedoch reihten sich einige nicht in dieses „wir-sind-alle-eine-große-Familie-Gefühl“ ein: Die Polizei rückte vor, es kam zum Gerangel und die Randalekräfte der Staatsgewalt prügelte in die ersten Menschenketten.

Der Rest ist (und schrieb) Geschichte. Sowohl die Autonomen als auch das revolutionäre Bündnis verteidigten ihren Block und zwar ziemlich effektiv. Die Staatsschläger in Uniform befanden sich lange Zeit in der Defensive, zu viele hatten sie gegen sich, zu entschlossen war der Widerstand.

Auch wenn die Provokationen der Polizei, welche den Anfang der Auseinandersetzungen bildeten, keinen Widerhall im aufgebauschten Bühnenprogramm fanden und damit nur den Betroffenen selbst zu teil wurden, bleibt der Widerstand ein Akt der Selbstverteidigung gegen die Zerschlagung des Blocks und damit der ganzen Demonstration.

Der „Distanzierungswettbewerb“ ist eröffnet –
und jeder kann dabei sein

Umso obszöner wirken da die schnellen Bekenntnisse der Demonstrationsleitung und der politisch Verantwortlichen. Jeder wollte sich als erstes distanzieren von den „Gewaltakten“ derjenigen, „die nicht zu uns gehören“.
Da trotteten sie nach Hause die braven Schäfchen von Attac, Linkspartei, u.a., und riefen reihenweise nach Repression und „lückenloser Aufklärung“.

Auch der (heute ehemalige) Sprecher der, in der Vorbereitung der G8- Proteste grossgewordenen, „Interventionistischen Linken“ machte von sich Reden, in dem er Vermummung schlicht als „retro“ bezeichnete und sich im selben Interview von „Gewalt gegen Polizeibeamte“ distanzierte.

Den unsäglichen Wettbewerb gewonnen hat jedoch zweifelsfrei Monty Schädel, Bundesgeschäftsführer der DFG-VK, welcher die militanten G8-Gegner mit den brandstiftenden und mordenden Nazis in Rostock aus dem Jahre ’92 gleichsetzte.

Wer hält den Stock und wer springt drüber?

Ihrer politischen Verantwortung scheinbar in keinster Weise bewusst, plapperten die „Distanzierer“ sich von ARD über RTL bis BILD und setzten somit in aller Öffentlichkeit den Spaltungshebel an die „Anti-G8-Bewegung“. Anstatt zu fragen, warum ihnen jetzt auf einmal die Kamera ins Gesicht gehalten wird und nicht vorher, wo sie doch auch da schon so viel zu sagen hatten, liessen sich die Führungsspitzen und jene die sich dafür hielten, munter ein auf das Spiel der Medienmächtigen.

Einem Verrat nahekommend denunzierten und delegitimierten sie G8-Gegner und ihre Aktionen, welche sich gegen die Auflösung ihres Blockes durch gesichtslose Polizeieinheiten mit Helmen, Knüppeln, Pfefferspray und Wasserwerfern wendeten.

Hätten die Methoden der Delegitimation und Distanzierung doch eher auf das G8-Spektakel angewendet werden müssen, hielt man es offenbar für notwendiger gegen die unliebsamen „Gewalttäter“ zu hetzen und sich selbst damit ins „friedlich = gute“ Licht zu rücken.

„Ihr macht unsere Demo kaputt!“ riefen einige Attacis und sonstig engagierte und verrieten damit mehr von ihrem Konzept als sie eigentlich wollten: Den „friedlichen“, sozial angepasst und verträglichen, bunten und ganzheitlichen Protest, der keiner Macht was zu Leide tut; schon gar nicht den aufgereihten Polizisten, schließlich machen die auch nur ihren Job in einer globalisierten Welt.

Gewalt! Gewalt? Oder: Wer hat hier das Monopol?

Als vordringlichstes Argument der sogenannten „friedlichen“ gegenüber den nicht-friedlichen wird angeführt, dass eigene Verhalten könne das der Polizisten beeinflussen . Im Klartext: wenn wir sie nicht angreifen, bleiben auch sie „friedlich“. Eine lang gehegte Mär der pazifistischen Bewegung, wie sich wieder einmal herausstellte.

Denn ihrem Ruf als bezahlte Schläger machten die Einsatzkräfte nicht nur am Tag der Grossdemonstration, sondern auch in den folgenden alle Ehre. Gerne auch vor der Fernsehkamera, schließlich entstehen so die Bilder, die benötigt werden, um Abschreckung zu produzieren. So wurde in (friedliche) Blockaden geprügelt, Festgenommene in Guantanamo-Käfige gesperrt, Menschen mit Pfefferspray und Wasserwerfern attackiert. In zwei Fällen werden die Betroffenen den Verlust der Sehfähigkeit auf einem Auge davon tragen; ein Brite befindet sich noch immer in stationärer Behandlung in Deutschland.

Der Republikanische Anwaltsverein (RAV) überprüfte die Beweislage, welche für eine Vielzahl der Ingewahrsamnahmen herangezogen wurde und kam zu dem Schluss, das in 95% der Fälle ein rechtswidriges Verhalten seitens der Polizei vorliegt.

Das Gewaltmonopol liegt gestern wie heute bei den Einsatzkräften der Polizei, also beim Staat. Manch einer mag sich in Rostock an „Startbahn-west“ oder „Wackersdorf“ erinnert gefühlt haben. Schlussendlich bleibt nur eines gewiss: ob eine Demo „friedlich“ oder anders verläuft, können die Teilnehmer selbst nur schwerlich beeinflussen.
Alles nur Einzelfälle?

Gerne wird bei Prügelorgien der Polizei und der unzulässigen Ingewahrsamnahme der Einwand laut, es handele sich um „Einzelfälle“. Jedoch entlarvt sich die Problematik bei genauerer Betrachtung als systemimmanent und damit nicht durch Einzel-Verfolgung behebbar:

Die Mecklenburger Koalition aus Linkspartei.PDS und der SPD sorgte pünktlich zum Gipfel für amerikanische Rechtsverhältnisse: Sie verabschiedete ein bundesweit einmaliges Gesetz für den Präventiveinsatz der Polizei und die Gefangennahme von Verdächtigen auf Grundlage von Indizien, wie bspw. das Tragen einer Sonnenbrille oder die Bei-sich-Führung einer Schnur. Die angebliche „Deeskalationstaktik“ der Polizei kann hier nur im Orwell´schen Sinne verstanden werden. Die provozierte Eskalation auf freibrieflicher Rechtsgrundlage sorgte für ein willkommenes Exerzierfeld für die Zusammenarbeit von Staat, Polizei und Regierung.

Quo vadis?

Wohin soll sie nun die Linke mit all der Stärke die sie laut Propaganda über die Woche in Rostock gewonnen habe? Die Blockadeaktionen wurden nicht nur von den Veranstaltern, sondern auch von links-liberaler bis bürgerlicher Presse gefeiert. Ein Erfolg also auf ganzer Linie? Diese Frage sollte sich jeder selbst stellen.

Die Aktionsform, mit zivilem Ungehorsam einem übermächtigen Polizei- und Staatsapparat Paroli zu bieten, erwies sich in diesem Fall sicherlich als öffentlichkeitswirksam. Doch die Frage nach den Inhalten bleibt.

Leider wurde weder die Großdemonstration, noch die stundenlangen Blockadeaktionen oder Thementage genutzt um einheitliche Forderungen zu stellen oder zu entwickeln, welche einen konkreten Bezug auf die bundesdeutsche und internationale Realität haben. Natürlich sind Demonstrationen nicht der richtige Ort, um Forderungen zu entwickeln. Aber es lässt doch tief blicken, wenn im Vorfeld der Proteste z.B. kein Versuch unternommen wurde, Vertreter des irakischen, palästinensischen oder libanesischen Widerstands einzuladen.

Stattdessen blieb es bei der vielbeschworenen „Heterogenität“ der Gruppen und Organisationen, welche die Sicht auf das Wichtige, auf das Gemeinsame verschwimmen ließ.

Nur die wenigsten in diesem Land können etwas anfangen mit: „Delete Germany“, „smash capitalism“, „Arbeitereinheitsfront“ oder einer „sozialistischen Welt“. Abschaffung der Hartz Gesetze versteht jeder. Und den Stopp der Privatisierungen und Lohnkürzungen. Oder auch die Rücknahme von Schäubles sog. Sicherheits-Gesetzen. Den Stopp des Demokratie- und Grundrechteabbaus. Den Abzug deutscher Truppen weltweit. Die Schliessung von US-Basen in Deutschland. Usw.-

Es gibt unzählige Bereiche in denen ein Grossteil der Bevölkerung Deutschlands fast täglich neue Einschränkungen erfährt oder Zugriffe des Staates willkürlich erweitert werden. Diese müssen von einer linken Bewegung thematisch abgedeckt und entsprechende Alternativen aufgezeigt werden, konkret und im nationalen wie internationalen Bezug.

Und das Patentrezept?

Eine organisierte Militanz ist das Gebot der Stunde. Organisiert im Auftreten und in der Verteidigung der gemeinsamen Forderungen gegenüber Staat, Zivilgesellschaft und Parteien.

Heterogenität wird durch verschiedenartige Schwerpunktarbeit geschaffen, nicht durch egalitäre und inhaltsleere Parolen wie „für eine bessere Welt“, hinter denen sich jeder einreihen kann. Von Linkspartei über CDU-Attacis bis Grünen-Kriegstreiber.

Auf antifaschistischer und anti-rassistischer Grundlage, kämpfend gegen imperialistische Kriege und zivilgesallschaftliche Hegemonie müssen Bündnisse geschlossen werden, die innerlinke und öffentliche Diskussionen fördern und fordern. Konkrete und radikale Parolen sind der Kern einer perspektivischen Linken und einer linken Perspektive. Die Flucht in die Abstraktion und die Negation realer Widerstände dagegen nicht

Initiativ e.V., Juni 2007

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