Das folgende Interview mit Leila Khaled wurde im Februar dieses Jahres aufgezeichnet. Auch wenn die tragischen Ereignisse der israelischen Frühlingsoffensive nicht berücksichtigt werden konnten, so sind die behandelten Fragen doch von Bedeutung für alle jene, die den Konflikt im Nahen Osten und den palästinensischen Befreiungskampf mit Interesse verfolgen.
Leila Khaled ist Mitglied des Zentralkomitees der PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas). Seit sie Ende der 60er Jahre für ihre Organisation zwei Flugzeugentführungen durchgeführt hat, ist ihr Name zu einem Symbol für den palästinensischen Befreiungskampf geworden. Heute lebt Leila Khaled in Amman.
Frau Khaled, wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein, in der die israelischen Repressionsmaßnahmen aber auch die Widerstandsoperationen eskalieren? Will Sharon der Autonomiebehörde ein Ende setzen, oder handelt es sich nur um blinde Vergeltungsschläge?
Das letzte Massaker, das von der israelischen Besatzungsarmee verübt wurde, war eine Reaktion auf die kontinuierlichen Aktionen des palästinensischen Widerstands. Wenn es nur nach Sharon ginge, würde er die Autonomiebehörde stürzen. Aber es hängt nicht nur von Sharon ab. Einerseits lehnten es die Amerikaner ab, die Beziehungen zu Arafat abzubrechen, anderseits fordert die israelische Gesellschaft eine Lösung. Deshalb steigert Sharon den Druck auf Arafat, damit dieser den Widerstand beendet. Die Politik Sharons besteht nur aus Mord und Zerstörung, um eine „politische Lösung“ zu diktieren, die aus einem palästinensischen Staat auf 42% des Westjordanlands besteht, was weitaus weniger wäre, als es die Oslo-Abkommen vorsehen. Sharon selbst war und ist gegen Oslo.
Heißt das, dass Sharon nicht aus der Geschichte der dreißigjährigen Besatzung gelernt hat?
Rechtsextreme Personen von Sharons Kaliber sind nicht fähig, von der Geschichte zu lernen. Die verlassen sich auf Macht und Gewalt. Sharon will die Veränderungen auf internationaler Ebene nach dem 11. September ausnützen und seine Politik im Windschatten jener Strömungen betreiben, die den vermeintlichen „Terror“ nur mit militärischen Mitteln bekämpfen wollen.
Wie betrachten Sie das Selbstmordattentat von Wafa´ Idris, für das die Fatah Verantwortung übernahm, und die darauffolgende Kamikaze-Operation der PFLP? Drückt sich darin eine qualitative Wende in den Widerstandsoperationen oder eher eine Konkurrenzsituation zwischen den verschiedenen Widerstandsorganisationen aus?
Die Verwendung verschiedener Mittel im Kampf gegen den Feind kann nicht als Konkurrenz der Organisationen betrachtet werden. Die Operation der PFLP war gegen eine israelische Siedlung im besetzten Westjordanland gerichtet und hatte zwei Ziele: Erstens die israelische Sicherheitsstrategien zu durchbrechen und zweitens den Siedlern das Sicherheitsgefühl zu rauben. Die meisten Siedler wohnen dort aus materiellen Interessen und müssen daher daran erinnert werden, dass sie auf besetztem Land leben und dass sie sich dort nie sicher fühlen werden. Die Selbstmordattentate sind nur eines vieler Kampfmittel, genau wie es die Steine einst waren. Die Besatzung, die Demütigungen und die Ungerechtigkeit verringern den Unterschied zwischen Leben und Tod. Hier findet der Mensch in einem Tod, der dem Feind Verluste zufügt, ein Leben für die anderen. Es geht nicht um Selbstmord aus Todeswillen. Zuvor wurden die Einzelaktionen mit Messern durchgeführt, von Menschen, die keinen Sinn in einem Leben unter der Besatzung gefunden hatten. Eine Journalistin des „Observer“ schrieb einmal: „Die Demütigungen, der die Palästinenser in Gaza ausgesetzt werden, sind ohne Gleichen und erklären und legitimieren alles, was die Palästinenser tun“. Das ist kein Selbstmord aus Hoffnungslosigkeit, sondern eine Form des Widerstands gegen die alltäglichen Demütigungen unter der Besatzung.
Arafat wird noch immer in seinem Sitz in Ramallah gefangen gehalten und die palästinensische Führung schwankt weiterhin zwischen den amerikanischen und israelischen Forderungen, die Widerstandskämpfer zu verhaften und die Kampforganisationen aufzulösen einerseits, und dem Druck der palästinensischen Öffentlichkeit, den Widerstand fortzusetzen andererseits. Wie betrachten Sie in der PFLP mittel- und langfristig die Beziehungen zur Behörde Arafats?
Zu Beginn der Intifada schloss sich die Behörde den Massen nicht an und sie hat es bis heute nicht getan. Dies kommt davon, dass sie vom Anfang an den Verhandlungsweg gewählt und einen Konflikt ausgeschlossen hat. Als die Intifada ausbrach, konnte sich die Behörde nicht offen dagegen stellen. So wollten sie die Intifada als ein Druckmittel für den Verhandlungstisch benützen. Sie warfen ein Auge auf die Intifada und das andere auf den Verhandlungstisch. Die jetzige Führung sieht die Lösung in amerikanischer Hand, jedoch sind die amerikanischen Interessen grundsätzlich mit den israelischen verbunden. Mit der Intifada drückte das Volk seine Meinung aus und wählte offen den Widerstand. Unsere Beziehung zur PNA gründet sich auf die Einheit im Kampf, eine Allianz für die Sache. Natürlich durchlebt die PNA eine Krise im Schatten des Widerstands. Arafat beugt sich dem Druck und führt die Verhaftungen durch. Die Verhaftung des PFLP-Vorsitzenden Ahmad Sa´adat ist eine neue und gefährliche Entwicklung. Für die PNA ist es die „Zufriedenstellung“ der Israelis und ihrer Forderung, dem „Terror“ Einhalt zu gebieten, nachdem der Amerikaner Zinni der PNA unter dem Motto „Terrorbekämpfung“ eine Liste von 33 zu verhaftenden Personen überreichte. Das Exekutivkomitee der PLO wurde einberufen, um die Freilassung von Sa´adat zu fordern, aber der Beschluss wurde blockiert. Die Behörde betrachtet die Intifada nur als ein Werkzeug, um Fortschritte bei den Verhandlungen zu erzielen. Arafat kann ein Auge zudrücken, wenn als Antwort auf die israelischen Schläge Widerstandsaktionen durchgeführt werden, aber die PNA hat kein Widerstandsprogramm. Das sehen wir an den Sicherheitskoordinationstreffen, die während der Kämpfe stattfinden und die Moral der Kämpfenden schwächen.
Sehen Sie die Behörde denn nicht als ein Hindernis für die Kontinuität und die Entwicklung der Konfrontation?
Ja, es gibt einen Widerspruch mit der PNA, der ist jedoch sekundär. Der Hauptwiderspruch ist und bleibt die Besatzung und diese kann nicht bloß auf dem Verhandlungstisch gelöst werden. Der sekundäre Widerspruch mit der PNA liegt in der politischen Linie und im Verhältnis zu den Massen. Leider konnte die Opposition bisher kein gemeinsames Programm gegenüber der PNA entwerfen, was die Effektivität der Opposition einschränkt.
Hängt die Suspendierung der Mitgliedschaft der PFLP im PLO-Zentralkomitee nur mit der Forderung nach der Freilassung von Sa´adat oder mit tieferen Reformforderungen zusammen, etwa bezüglich der allgemeinen politischen Linie sowie der Reaktivierung der PLO-Institutionen?
Die Suspendierung unserer Mitgliedschaft in dieser Phase kam als eine Reaktion auf die Verhaftung von Sa´adat. Jedoch haben wir unsere Forderungen nach Reformen in der PLO in keiner Phasen eingestellt. Wir forderten schon vor der Intifada eine Neuordnung des palästinensischen Lagers und einen nationalen Dialog, der alle Organisationen, Hamas und Dschihad inklusive, einschließt. Dieser Dialog wurde von Arafat in ein Rhetorikfestival umgewandelt und endete ohne Ergebnisse. Außerdem wurde die Forderung nach der Bildung von Intifada-Volkskomitees von der Behörde ignoriert, genau wie die Forderung nach präsidentiellen, legislativen bzw. kommunalen Wahlen.
Hat diese Zweitrangigkeit des Widerspruchs mit der PNA nicht Ähnlichkeiten mit der Zweitrangigkeit des Kampfes gegen die arabischen Regimes, was letztendlich zur Eliminierung der palästinensischen Revolution in Jordanien und im Libanon geführt hat?
Erstens gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen der Besatzung und einem Regime, das seine eigenen Bürger unterdrückt. Die Konfrontation mit den arabischen Regimes ist primär die Aufgabe der arabischen Bürger. Wir haben uns damals verteidigt, als wir angegriffen wurden. Natürlich machte die palästinensische Widerstandsbewegung wesentliche Fehler in Jordanien und im Libanon, besonders was ihre Beziehungen zur lokalen Opposition betrifft, die verdrängt oder absorbiert wurde. Jedoch gibt es keine Ähnlichkeit zwischen der Besatzung und den arabischen Regimes, denn die Besatzung ist das Schlimmste, was einem Volk passieren kann, und gegen diese Besatzung gibt es Momente von Allianz und von Konfrontation mit den Regimes. Die Kampfmethoden gegen die Besatzung (etwa der bewaffnete Kampf) unterscheiden sich von jenen gegen das Regime (Demonstrationen, Streiks).
Unmittelbar nach der Verhaftung von Sa´adat wurden Drohungen von PFLP-Kräften gegen gewisse Personen der PNA ausgesprochen, die später vom Stellvertreter Sa´adats (Malluh) verneint wurden.
Als Sa´adat verhaftet wurde, stieg die Wut in der PFLP und in der palästinensischen Öffentlichkeit. Diese Aussagen kamen aber nicht aus dem Politischen Büro und entsprechen daher nicht den Positionen der PFLP. Es ist unmöglich, die Gebäude der palästinensischen Sicherheitskräfte anzugreifen, während der Feind die palästinensische Infrastruktur systematisch zerstört. Es wäre ein großer Fehler, dieses Problem mit Gewalt lösen zu wollen, weil uns das in einen Bürgerkrieg verwickeln würde, der nur der Besatzung nützen würde. Die Antwort auf die Verhaftung von Sa´adat wird sich gegen die Besatzung richten.
Was ist die Linie der PFLP, für den Fall, dass die palästinensische Führung den jetzigen Kurs beibehält? Gibt es ein Alternativprogramm? Gibt es einen Dialog mit den anderen Oppositionskräften, um eine Allianz der Basis des gemeinsamen Kampfes zu bilden und die PNA zu überwinden?
Mit dem Beginn der Intifada wurde die „Nationale und Islamische Führung“ gebildet, um die Operationen der Intifada zu koordinieren. Diese Führung hat es aber bisher nicht erreicht, die politischen Entscheidungen zu beeinflussen. Es wurden mehrere Kongresse abgehalten, aber kein gemeinsames Programm der verbündeten Kräfte gestaltet. Die Kräfte riefen zur Bildung von Volkskomitees des Widerstands und zur Bewaffnung der Massen auf, weil das ganze Volk im Kampf steht, jedoch reagierte die PNA nicht darauf. Es ist aber notwendig, eine Art Volkswiderstand zu organisieren. Es ist nicht akzeptabel, dass die Besatzungstruppen in die palästinensischen Städte und Dörfer einmarschieren, töten, verhaften und mit minimalen Verlusten abziehen können. Natürlich bewaffnen die Organisationen ihre Mitglieder, aber das ist nicht ausreichend. Wir müssen das Volk bewaffnen, genau wie die Siedler ihre bewaffnete Miliz haben. Auf der anderen Seite gibt es in der PNA noch Strömungen, die für das Einstellen des bewaffneten Kampfes eintreten, um Sharon keinen Vorwand für seine Aggression zu geben, als ob Sharon einen Vorwand bräuchte!
Wie ist heute das Verhältnis der PFLP zu den anderen Oppositionskräften?
Wir koordinieren uns aufgrund historischer Erfahrungen vor allem mit der DFLP. Wir haben ein Koordinationsniveau erreicht, wie kein anderes Programm. Auch politisch gibt es eine Annäherung der Linien. Als die Feldführung gebildet wurde, gab es eine Abmachung zwischen allen Kampforganisationen, dass nur Besatzungssoldaten und Siedler angegriffen werden sollten. Jedoch führten andere Organisationen Operationen im 48-er Gebiet durch, was wir in dieser Phase ablehnen, weil das die Weltöffentlichkeit nicht verstehen würde. Die Hizbullah z.B. konzentrierte sich auf Militärziele und griff Zivilisten nur in speziellen Fällen an. Dies wurde durch die Balance der Abschreckung erreicht, deren Resultat das April-Abkommen war. Katjuscha-Raketen wurden nur dann gegen die Siedlungen im Norden des israelischen Territoriums benützt, wenn die Israelis das Aprilabkommen verletzten und Zivilisten angriffen. Ich glaube, die Palästinenser können so eine Balance der Abschreckung erreichen, indem die in ähnlicher Weise die Siedlungen zu Angriffsziele wählen und so Angst unter den Siedlern verbreiten, sodass diese die Siedlungen verlassen und flüchten. Man kann in weiteren Phasen im „israelischen“ Hinterland angreifen, aber nur nach Einigung aller Organisationen.
Die PFLP musste in den letzten Monaten durch den Mord an Abu Ali Mustafa und die Verhaftung seines Nachfolgers Sa´adat zwei schwere Schläge hinnehmen. Welche politischen und militärischen Auswirkungen hatte das auf die Organisation?
In Abu Ali haben wir einen Menschen vollkommen und unwiederbringlich verloren, während der Verlust von Sa´adat als vorübergehend betrachtet wird. Das Zentralkomitee ist noch da und leistet seine Arbeit, was ebenfalls für die Organisation und die Institutionen der PFLP gilt. Natürlich hat die Abwesenheit des Vorsitzenden gewisse Auswirkungen, die aber den militärischen Flügel nicht beeinträchtigen.
Wie erklären Sie das trotz der israelischen Eskalation andauernde Schweigen der arabischen Öffentlichkeit? Haben die fortschrittlichen arabischen Kräfte dabei versagt, eine dauerhafte Solidaritätsbewegung zu organisieren? Ist es noch möglich dieses Versäumnis nachzuholen?
Zweifellos ist der Hauptgrund für die schwache Unterstützung von Seiten der arabischen Massen für die Intifada in der starken Repression durch die Regierungen zu suchen. Am Anfang versuchten die Regime, die Solidaritätsbewegung zu absorbieren, indem sie die Intifada scheinbar unterstützten, jedoch wurden sie nach dem 11. September gegenüber dem Widerstand konservativer. Der Druck hat zugenommen und dazu geführt, dass Hamas und Jihad als terroristische Gruppen deklariert, die politischen Freiheiten weiter eingeschränkt und die Solidaritätsveranstaltungen mit der Intifada verboten wurden. Auf der anderen Seite wurden mehrere Solidaritätskongresse abgehalten, an denen bekannte nationale Persönlichkeiten teilnahmen, was zeigt, dass wir noch da sind. Bisher liegt das Niveau der Massensolidarität unter dem Erforderlichen, was auf die allgemeine Schwäche der Organisationen zurückzuführen ist. Für die arabischen Regimes besteht der Sieg nur darin, dass sie an der Macht bleiben, daher ist es zu erwarten, dass sie die Massenbewegung unterdrücken. Die Intifada hingegen ist ein Aufruf an die Massen, die arabischen Straße zurückzugewinnen. Es ist Aufgabe aller progressiven Kräfte, ihre Methoden weiterzuentwickeln und sich wieder in den Massen zu verankern.
Trägt aber nicht einen Teil der Verantwortung die palästinensische Bewegung, die auf einen nationalen Anspruch immer mehr verzichtet und sich stattdessen auf den lokalen Anspruch beschränkt?
Unser Anspruch besagt immer noch, dass die Palästina-Frage die Sache aller Araber ist. Dass die Palästinenser an der Spitze stehen, heißt nicht, dass die arabische Umgebung keine Aufgaben hätte. Wir waren gegen Oslo, weil es den Konflikt in einen palästinensisch-israelischen Konflikt umgewandelt hat. Wir bestehen darauf, dass unsere Bewegung ein Teil der arabischen Befreiungsbewegung ist. Auch bei Verhandlungen sollten wir als eine vereinigte arabische Delegation gehen, damit die Verhandlungsprozesse nicht getrennt werden, weil die Palästinenser ohne die arabische Dimension keine Lösung erreichen können. Unsere politischen Ansprüche richten sich an die arabische Öffentlichkeit, auch wenn wir die arabischen Gipfeltreffen dazu auffordern, bessere politische Beschlüsse zu verabschieden. Aber meistens sind die Resolutionen der arabischen Gipfeltreffen den Herausforderungen dieser Zeit nicht gewachsen.
International ist auch die Palästina-Solidaritätsbewegung, verglichen mit früheren Phasen, zurückgegangen. Welche Rolle spielt hier das Fehlen einer zentralen und einheitlichen Positionierung der palästinensischen Bewegung, die zwischen der Forderung nach einem demokratischen und sekulären Staat, der Zwei-Staaten-Lösung und dem bedingungslosen Frieden von Oslo schwankt? Hat das nicht einen negativen Einfluss auf die Solidaritätsbewegung, die nicht radikaler sein kann als die Palästinenser selbst?
Es gibt ein von der PLO festgelegtes Programm, nämlich das Recht auf Rückkehr, auf Selbstbestimmung und auf einen Staat. Dies ist durch die UNO-Resolutionen festgelegt und international vertretbar. Wir müssen an diesen Forderungen festhalten, bis sie erfüllt werden. Erst dann widmen wir uns der strategischen Forderung nach einem demokratischen Staat in ganz Palästina. Dafür müssen wir gemeinsam gehen und die nationale Einheit, basierend auf diesem Programm, bewahren. Das Abkommen von Oslo war ein Verrat am nationale Programm und hier liegt das Problem. Wenn sich die palästinensische Führung nicht an das Programm hält, dann können wir das nicht von den solidarischen Europäern fordern. Es gibt natürlich andere Faktoren, wie den Zerfall der Sowjetunion. Auch die USA nach dem 11. September sind nicht dieselbe USA wie zuvor. Die jetzige amerikanische Verwaltung spricht von einem palästinensischen Staat, sagt aber nicht in welchen Grenzen und unter welchen Bedingungen. Das nationale Programm muss von allen Kräften einstimmig unterstützt werden und keine darf davon abweichen. Erst dann können wir ausreichende arabische und internationale Unterstützung erlangen. Neben der Abweichung der Führung ist auch der Verfall der westlichen Linke zu teils opportunistischen und teils in der Vergangenheit lebenden Kräften zu beobachten. Dazu kommt das Auftauchen der Neonazis und des Neorassismus. Es gibt aber auch einige Lichtblicke, denn wir haben gesehen, wie die NGOs in Durban eine ehrenhafte Rolle spielten, indem sie den Zionismus als Rassismus verurteilten. Die Antiglobalisierungsbewegung ist nicht ganz von ihren Wurzeln getrennt. Leider wurde heute der Internationalismus durch die Antiglobalisierungsbewegung ersetzt, jedoch besteht der Inhalt noch teilweise weiter, der sich gegen die Ungerechtigkeit richtet. Wir sind auch von der Globalisierung bzw. den Imperialismus betroffen und haben uns von der internationalen Bewegung nicht isoliert. Wir haben auch NGOs, die sich mit dem Thema Umwelt und den Schäden der israelischen Besatzungspolitik an der palästinensischen Umwelt beschäftigen.
Wie steht es mit der PFLP in der palästinensischen Diaspora? Hat der Umzug des Kaders nach Palästina die Arbeit der PFLP in den Lagern in Syrien und im Libanon nicht beeinträchtigt?
Seit dem Abzug aus Beirut 1982 beschloss die PFLP, den Schwerpunkt des bewaffneten Kampfes in das palästinensische Inland zu verschieben. Das fing bei der ersten Intifada an, dann kam Oslo und die PNA und wir beschlossen nach dem sechsten Kongress der PFLP, auch die politische Führung ins Inland zu verlegen, weil der Schwerpunkt der militärischen aber auch der politischen Arbeit nun im Inland ist. Die Rolle der Exilpalästinenser nahm in dieser Phase ab, jedoch ist die PFLP auch dort anwesend. Dort ist der Kader vielleicht weniger erfahren, jedoch fähig, weiter zu existieren und sich zu entwickeln.
Leila Khaled ist ein Symbol für eine wichtige Phase der palästinensischen Befreiungsbewegung, nämlich die Phase der Flugzeugentführungen, genannt „die Außenoperationen“. Diese Operationen zogen einerseits die internationale Aufmerksamkeit auf die Palästinenser, anderseits wird behauptet, dass durch sie die Palästina-Frage mit Terror assoziiert wurde. Wie schätzen Sie diese Phase ein?
Diese Operationen hatten zwei taktische Ziele: Erstens wollten wir, dass die Leute eine längst verdrängte Frage wahrnehmen: „Wer sind die Palästinenser?“ Zweitens wollten wir unsere Gefangenen befreien.
Unsere Leute lebten 19 Jahre in miserablen Umständen in den Lagern. Ich kann mich daran erinnern, wie die Zelte über unseren Köpfe vom Wind weggefegt wurden. Keiner auf der Welt hat sich für uns interessiert. Nachdem alle andere Mittel versagt hatten, wendeten wir dieses noch nie angewendete Mittel an. Wir wollten damit, dass unsere Existenz einmal wahrgenommen wird und dass die Welt von unserem Holocaust weiß. Auch wenn sie uns am Anfang „Terroristen“ nannten, nahmen sie zumindest unsere Existenz wahr und das ermöglichte dann, weitere Fragen zu stellen. Die Welt hört nur auf Schläge.
Ein weiterer Aspekt waren unsere Gefangenen in Palästina. Im Jahr 1969 gab es mehr als 600 Frauen in den israelischen Gefängnissen, deren Schreie niemand hören wollte. Das erzählten wir damals der Presse und konnten dadurch weitere Fragen stellen. Das war auch eine moralische Unterstützung für unsere Gefangenen, um ihnen das Gefühl zu geben, dass ihre Genossen draußen sie nicht vergessen haben. Daran haben wir Erfolg gehabt.
Eure Operationen hatten eine internationalistische Dimension. So kam bei der Entführung des El-Al-Flugzeugs ein nikaraguanischer Genosse ums Leben kam. War er ein Mitglied der PFLP oder gab es eine Zusammenarbeit mit den internationalen Befreiungsbewegungen?
Genosse Patrick Orguillo war kein Mitglied der PFLP, sondern der sandinistischen Bewegung in Nikaragua, mit der die Operation koordiniert worden war. Für die Befreiungsbewegungen war es klar, dass Israel ein Teil des Imperialismus ist. Viele fortschrittliche Kämpfer aus Asien, Afrika und Lateinamerika schlossen sich auch der palästinensischen Befreiungsbewegung an.
Wo war Leila Khaled in den folgenden Phasen und wo steht Leila Khaled heute?
Das Problem ist, dass mich die Leute nur durch die Flugzeugoperationen kennen. Mein Job ist nicht bloß Flugzeugentführen. Ich bin ein Mitglied der PFLP und führte dementsprechend meine Aufgaben in allen weiteren Phasen durch. Im Libanon waren wir alle auf den Barrikaden. Ich war von 1974 und 1981 Vorsitzende der Generalunion palästinensischer Frauen. Heute bin ich Mitglied des Zentralkomitees der PFLP.
Wie erklären Sie das Fehlen bzw. die Schwäche der palästinensischen Frauenorganisationen im In- und Ausland nach dem Abkommen von Oslo? War das ein Teil der allgemeinen Schwäche oder ein Resultat früherer Fiaskos?
Es ist ein Fehler, die Rolle der Frauen bei der ersten Intifada mit jener heute zu vergleichen. Die erste Intifada war ein Volksaufstand, bei dem verschiedene Mittel im Kampf gegen die Besatzung angewendet wurden, die in der Stadt und im Dorf anwesend war. Heute stehen die Besatzungstruppen vor den Städten, was dem Kampf einen militärischen Charakter verleiht. Die Rolle der Frau ist auch dabei nicht verschwunden, steht aber weniger im Rampenlicht als bei der ersten Intifada.
Die Situation nach Oslo war eine Art Niederlage. Niederlagen schlagen sich immer besonders auf die Situation der Frauen nieder, die nach Hause gehen und in ihre traditionelle Rolle zurückgedrängt werden. Auf der anderen Seite hatte die konservative PNA kein Programm, das die Frauen und ihre Rolle vorwärts gebracht hätte. Jedenfalls reichen sieben Jahre nicht aus, eine funktionierende Behörde zu schaffen, geschweige denn, wenn der Behörde die Hände vom Oslo-Abkommen gebunden sind. Die Verfallphase, welche die palästinensische Frauenunion nach Oslo erlitt, und die wirtschaftlichen Faktoren, wie die Arbeitslosigkeit und das Fehlen einer wahren Entwicklung, führten zu einer Schwächung der Frauenbewegung. Innerhalb eines Jahres der Intifada fingen die Frauen an, ihre Positionen wieder zu erobern und am Kampf teilzunehmen.
Unser Kampf ist lang und nimmt je nach Periode verschiedene Formen an. Wir haben viele schreckliche Phasen durchgemacht, die aber unseren Willen nicht schwächen konnten. In Amman und in Beirut kämpften wir. Nur bei der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens hatte ich ein Gefühl der Niederlage, weil die Unterzeichner unsere Leute waren. Jedoch bewies die Intifada, dass unser Kampf nicht durch eine Unterschrift zu beenden ist. Die kommenden Generationen müssen sich auf den Konflikt vorbereiten und aus unseren Versuchen und Fehlern lernen. Wir waren nicht die ersten und sind nicht die letzten. Nach uns werden andere kommen, die unseren Weg weitergehen werden.
Das Gespräch führte Ali Hussein (Aktivist der AIK)
Amman, Februar 2002