Über die Mobiliserung in Vicenza
Am 15. Dezember 2007 demonstrierten im italienischen Vicenza über 70.000 Menschen gegen die Erweiterung der US-Basis. Damit setzt die Anti-Kriegsbewegung nicht nur die US-Truppenpräsenz in Europa auf die Tagesordnung, sondern auch die italienische Mitte-Links-Regierung unter Druck.
Josef Hala ist entrüstet. Der Bürgermeister der kleinen Gemeinde Jince erhebt seine Stimme: „Ich bin zu Euren Bürgermeister gegangen und habe ihn gefragt: Wie können Sie das verantworten? Wie können Sie dazu ‚Ja‘ sagen? Wir haben uns gegen das US-Radarschild wenigsten zur Wehr gesetzt!“ Das italienische Publikum muss erst die Übersetzung abwarten, um seinen Worten folgen zu können. Trotz der Verzögerung spricht der tschechische Bürgermeister den meisten Anwesenden aus dem Herzen: Nein zum Ausbau der US-Basis in Vicenza. No dal Molin.
Konferenz
Josef Hala war Teil einer Anti-Kriegskonferenz, die am Vorabend der Demonstration im Presidio abgehalten wurde. Dort, wo einige Friedensaktivisten ein permanentes Protestcamp eingerichtet haben, sprachen Vertreter italienischer, deutscher, belgischer, tschechischer und us-amerikanischer Organisationen über die Situation der Protestbewegungen in ihren Ländern. Die Präsenz amerikanischer Truppen bildete immer wieder Ausgangspunkt für Bewegungen, die sich dagegen engagierten.
Die Bedeutung der amerikanischen Truppen in Europa ist, wie die Konferenz festhielt, nicht zu unterschätzen. Insgesamt sind in Europa etwa 96.000 amerikanische Soldaten stationiert. Davon entfällt ein großer Teil – nämlich 64.300 – auf Deutschland. In Italien selbst sind zur Zeit 10.500 Soldaten in 113 militärischen Einrichtungen der USA stationiert. Die größten Basen in Italien sind neben dem Camp Ederle Aviano und das Camp Darby. Hans Lammerant von vredes actie aus Belgien brachte die Situation auf den Punkt: Dienten die militärischen Einrichtungen während des Kalten Krieges noch zur Abschreckung gegenüber der Sowjetunion, so werden sie heute als Drehscheibe für die neuen Kriege im Nahen und Mittleren Osten genutzt. Hier starten jene Flugzeuge, die Afghanistan und den Irak mit Soldaten und Ausrüstung versorgen. Damit ist Europa, gleichgültig wie sich die einzelnen Regierungen tatsächlich verhalten, an der Kriegführung der USA beteiligt.
Die Konferenz vermittelte gleichzeitig einen Eindruck von der politischen Struktur der Protestbewegung in Vicenza. Führende Kraft sind friedenspolitische Netzwerke, die sich speziell zur amerikanischen Truppenpräsenz engagieren. Der Konsens der Bewegung heißt: Nein zu den Militärbasen, Nein zum Krieg. Eine politische Perspektive, die sich auf eine gesamtgesellschaftliche Situation bezieht, fehlt. Ein Blickwinkel, der den Widerstand als kämpfende Kraft wahrnimmt, ist kaum zu finden. Damit verlor sich die Konferenz in militärstrategischen und aktionistischen Details, ohne den politischen Hintergrund der amerikanischen Truppenpräsenz greifbar zu machen.
Demonstration
Vicenza ist eine verschlafene Industriestadt mit etwa 110.000 Einwohnern. Ein Demonstrationszug von 70.000 Menschen müsste in dieser Beengtheit noch mehr an Wuchtigkeit gewinnen – nicht so in Italien. Während viele der Anwesenden noch am Bahnhofsvorplatz umherzogen setzte sich die Spitze des Zuges mit dem Lastwagen der Veranstalter in Bewegung. Immer wieder kamen Busse und Züge mit Scharen von Teilnehmern an, ohne dass sich der Platz jemals gefüllt hätte. Der gewaltige Zug der Demonstration wurde gespeist aus den über Stunden hinweg gestaffelt abmarschierenden Gruppen. Wein, Bier und Schweinefleisch verkürzte die Wartezeit.
Im Gegensatz zur Konferenz nahmen an der Demonstration auch politische Organisationen teil. So konnte man Fahnen jener Parteien im Demonstrationszug entdecken, die der jetzigen Regierungskoalition angehören: Partito della Rifondazione Comunista, Partito dei Comunisti Italiani und auch der Linksdemokraten. Damit erhielt die Demonstration eine interessante Pointe in Bezug auf das regierende Mitte-Links-Bündnis. Insbesondere die Parteiführungen der sogenannten sinistra radicale, also der Rifondazione und der Comunisti Italiani befinden sich in einer schwierigen Lage: auf der einen Seite wollen sie mit allen Mitteln die herrschende Regierung Prodi an der Macht halten, mit dem Argument, man müsse Berlusconi verhindern. Andererseits sind sie ihrer Basis und Wählerschaft im Wort, einen Bruch in der proamerikanischen Außenpolitik Italiens herbei zu führen. Dieser Bruch entpuppte sich als glatte Lüge. Hatte Romano Prodi noch eine Reduktion der amerikanischen Truppen versprochen, so soll in Vicenza das Kontigent nun von 2750 auf 4500 Mann aufgestockt werden.
Vicenza ist somit zum Lackmustest für die sinistra radicale geworden, die sich nun in der Sinistra l’Arcobaleno (Linke des Regenbogens) zusammengeschlossen hat. Die Rede von der discontinuitá (Diskontinuität, Bruch) italienischer Außenpolitik wurde nicht umgesetzt. Tatsächlich stellte sich die Diskontinuität als eine Kontinuität heraus. Der Beschluss zum Verbleib der italienischen Truppen in Afghanistan löste ein Krise der Regierung aus, die jedoch gekittet werden konnte – man müsse ja Berlusconi verhindern. Die Kriegsfrage und damit auch die Frage der amerikanischen Truppenpräsenz in Europa bleibt weiterhin auf der Tagesordnung. Es bleibt offen, ob die fragile Regierungskonstellation diese Herausforderung überleben wird.
Sebastian Baryli