Eskalation der Gewalt gegen Friedensaktivisten
Am 16. März 2003 wurde Rachel Corrie, eine 23-jährige Friedensaktivistin aus den USA, in Rafah von einem israelischen Militärbulldozer überrollt und getötet, als sie die Zerstörung eines palästinensischen Hauses verhindern wollte. Sie konnte nicht “übersehen oder überhört werden”, denn sie kommunizierte mit dem Fahrer des Bulldozers über ein Megaphon.
Am 5. April 2003 wurde Brian Avery, ein 24-jähriger US-Amerikaner, der mit erhobenen Händen und Reflektorenweste in Dschenin auf der Straße stand, Opfer schweren Maschinengewehrfeuers israelischer Soldaten in einem Schützenpanzer. Die Salve schlug im Boden vor Avery ein. Ein Regen von Geschosssplittern und Steinen zerfetzte sein Gesicht. Avery befand sich bei einer Gruppe eindeutig unbewaffneter Aktivisten des “International Solidarity Movement” (ISM).
Tom Hurndall, ein 21-jähriger Engländer, ist klinisch tot. Israelische Scharfschützen eröffneten am 11. April in Rafah das Feuer auf Gebäude in unmittelbarer Nähe von Friedensaktivisten, die eine Straßensperre entfernen wollten. Kinder standen in der Schusslinie und Tom Hurndall konnte einen kleinen Jungen in Sicherheit bringen. Als er zwei weitere Kinder holen wollte, schoss ein Scharfschütze in seinen Hinterkopf.
Hunderte von palästinensischen Zivilisten, unter ihnen viele Kinder, sind von israelischen Soldaten ermordet worden. Häuser und Ackerland werden zerstört – die Lebensgrundlagen des palästinensischen Volkes werden zerstört. Da will man keine Zeugen. Die internationalen Aktivisten des ISM (International Solidarity Movement) sind solche Zeugen. Und sie sind Menschen, die sich gemeinsam mit den Palästinensern der israelischen Besatzungsmacht gewaltfrei entgegenstellen. So versuchen sie durch ihre Gegenwart Häuser vor der Zerstörung zu retten, Straßensperren zu beseitigen oder Übergriffe auf Palästinenser zu erschweren oder zu verhindern. Ihre Gegenwart ist unerwünscht und daher geht das israelische Militär schon seit längerem brutal gegen die gewaltfreien Proteste vor – wie etwa mit Tränengas und Plastikgeschossen gegen Demonstrationen, Verhaftungen, Ausweisungen oder Hausdurchsuchungen. Mit der Ermordung von Rachel Corrie und den lebensbedrohenden Angriffen wurde jedoch eine neue Stufe der Eskalation erreicht. Neu ist nicht die Gewalt, neu ist die Zielgruppe.
Der britische Außenminister Mike O´Brien verlangte von der israelischen Regierung eine Untersuchung der Umstände, in denen Tom Hurndall lebensgefährlich verletzt wurde und James Miller, ein britischer Kameramann, in einem Flüchtlingslager in Gaza erschossen wurde.
Die Antwort ist einerseits Schweigen und andererseits menschenverachtender Zynismus: Jeder Ausländer, der in den Gazastreifen fährt, ist selbst schuld, wenn er erschossen wird.
Das ist die Kernaussage eines Erlasses, der Anfang Mai 2003 in Kraft getreten ist.
Es handelt sich dabei um Klärung, die Ausländer – Besucher sowie medizinisches Personal oder auch Mitarbeiter von UN-Hilfsprogrammen – unterschreiben müssen. Sie müssen unterschreiben, dass sie in eine Gefahrenzone reisen und die israelische Armee in keinster Weise belangen können, wenn sie verletzt oder getötet werden. Wörtlich heißt das: “Ich bin mir der Gefahren bewusst und akzeptiere, dass die Regierung des Staates Israel und seine Organe weder für einen Todesfall, noch für Verletzungen und/oder Verlust oder Zerstörung von Eigentum als Folge von militärischen Operationen verantwortlich gemacht werden können.”
Weiters verpflichten sich die Einreisenden mit ihrer Unterschrift, dass sie sich nicht den Sicherheitszäunen um die jüdischen Siedlungen oder der militärischen Zone in Rafah (Flüchtlingslager) nähern werden. Die Einreisenenden müssen erklären, dass sie keine Affinität zum ISM haben.
Gegen diese Erklärung, die der israelischen Armee die Lizenz zum Töten gibt, hat es heftige Proteste gegeben und viele Menschen weigern sich, sie zu unterschreiben. Auch wenn der Erlass von den israelischen Behörden unterschiedlich und willkürlich gehandhabt wird – einige dürfen einreisen, anderen wird die Einreise verweigert – er steht in Einklang mit allen anderen Maßnahmen der Okkupationsmacht. Israels “Sicherheit” rechtfertigt für Israel jede Form von Terror und Gewalt.
So wurden beispielsweise im Juli 2003 acht internationale Aktivisten des ISM mit der Begründung verhaftet, dass ihre Aktivitäten die Sicherheitsinteressen Israels gefährden würden. Gewaltfreie Demonstrationen gegen die Apartheidmauer werden immer wieder mit Tränengas und Plastikgeschossen aufgelöst.
Trotz der Morde, Verhaftungen und Verfolgungen bleiben die Aktivisten, denn sie anerkennen nicht die Besatzungsmacht, sondern den Willen der Palästinenser. Wenn diese sie in Palästina willkommen heißen, bleiben sie.
Elisabeth Lindner-Riegler
Quellen:
http://www.palsolidarity.org
http://www.guardian.co.uk
http://www4.alternativenews.org