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Feindbild Islam

1. Oktober 2010
Von Antiimperialistische Koordination

Eine Erklärung zu den Wiener Wahlen


In den letzten Wochen hat man den Eindruck gewonnen, dass der Wiener Wahlkampf nur ein einziges Thema kennt: den Islam und die Türken. Die FPÖ versucht, sich ohnehin mit einem Kreuzritter-Image zu umgeben, faselt von „Türkenbelagerungen“ und der Verteidigung freier Frauen. Aber auch Bürgermeister Häupl und die Grünen sind sich für „Integrationsdebatten“ nicht zu blöd. Nach dem Muster: Die FPÖ spreche durchaus wichtige Themen an, aber ihr Stil sei rassistisch und daher abzulehnen. Wichtige Themen? Einerseits ja, denn wie kaum etwas Anderes wird der Wiener von der angeblich drohenden Islamisierung emotional in Wallung versetzt. Aber auf welcher Grundlage? Es scheint ein kollektiver Wahn der westlichen Gesellschaft vorzuliegen.

Wenn jemand als Mauerer oder als Fernfahrer arbeitet und sein Lohn von slowakischen oder polnischen Kollegen unterboten wird, dann ist es völlig nachvollziehbar, dass er keine „offenen Grenzen“ fordern wird. Ausländerfeindschaft ist die falsche Antwort, denn der slowakische Kollege ist nicht für die unterschiedlichen Lohnniveaus verantwortlich und will auch nur seine Familie ernähren. Die Antwort ist falsch, aber das Problem ist real: Einwanderung bringt Löhne unter Druck. Nun scheint das Ärgernis aber hundertmal größer, wenn die Migranten Muslime oder Türken sind. Auf einmal wähnt man sich in entsetzlicher Gefahr. Wir wollen daher einige Dinge feststellen:

1. Kein Mensch hat jemals eine heimische Favoritnerin (deren Großmutter wahrscheinlich aus Böhmen zugewandert ist) gezwungen, ein Kopftuch zu tragen. Und kein Mensch hat selbiges vor. Auch Alice Schwarzer muss sich nicht verschleiern.

2. Kein Mensch versucht, Österreich per Zuwanderung und islamischem Geburtenboom zu erobern. Es gibt lediglich eine Gruppe Einwanderer, die gerne ihrem Recht auf freie Religionsausübung nachgehen möchte und deren Religion eben der Islam ist. Dass ein HC Strache, der ob seines deutschnationalen Hintergrundes wahrscheinlich noch keine Kirche von innen gesehen hat, auf einmal das Kreuz und den Stephansdom im Wappen führt, ist eine Verhöhnung aller wirklich gläubigen Christen.

3. Wenn sich Einwanderer etwa aus der Türkei mit dem palästinensischen Volk solidarisieren und dafür auch in Wien demonstrieren, dann ist das kein „Islamismus“, sondern das Recht auf freie Meinungsäußerung, und obendrein völlig richtig. Es ist nicht die Schuld türkischer Zuwanderer, dass die österreichische Mehrheitsbevölkerung gegen die Komplizenschaft der EU mit der israelischen Besatzung eher selten auf die Straße gehen möchte.

4. Die Muslime und die türkischen Einwanderer sind keine diffuse Bedrohung, sondern tatsächlich die Schwächsten dieser Gesellschaft: in die schlechtesten Jobs gedrängt, in den kleinsten Wohnungen sitzend. Und permanent angefeindet, weil sie nicht dazugehören.

5. Und angesichts des FPÖ-„Sagenheftes“ und der historischen Wahrheit zu liebe: Die Türkenkriege zu Beginn der Neuzeit als christlich-islamischen Konflikt darzustellen ist ein wenig zu einfach. Mit den Osmanen verbündet waren etwa die protestantischen Ungarn, denen war die Herrschaft der Osmanen wegen ihrer religiösen Toleranz lieber als jene der katholischen Habsburger. Der wichtigste Verbündete des Sultans war der katholische König von Frankreich – der fühlte sich vom Weltherrschaftsanspruch der Habsburger Kaiser bedroht. Die Wiener selbst empfanden, zumindest im 16. Jahrhundert, die Habsburger als spanische Fremdherrschaft.

Was sind also die „echten Probleme“, die gerade den Islam und Einwanderer aus der Türkei betreffen? Wie viele Wiener wurden bereits von terroristischen Islamisten niedergemetzelt? Wie viele Frauen in orientalische Harems entführt? Wie viele mussten zum Islam zwangskonvertieren oder Türkisch lernen? Wie viele christlich-europäische Länder sind denn von algerischen und indonesischen Soldaten besetzt? So weit wir wissen, stehen NATO-Truppen in Afghanistan und amerikanische im Irak, nicht irakische Truppen in Rom. Tatsächlich gibt es einen ganzen Haufen von Problemen. Eine krisenhafte Entwicklung der Weltwirtschaft, Vorstandsvorsitzende, die 40 Mal mehr verdienen als ihre Beschäftigten, eine Klimakatastrophe, zu teure Wohnungen und sinkende Realeinkommen der Unter- und Mittelschichten, und ein drohender mit EU-Unterstützung geführter Krieg gegen den Iran. Der „Islam“ gehört nicht zu diesen Problemen.

Der Islam ist zu einem klassischen Feindbild der westlichen Welt aufgestiegen. Er ist die Bedrohung, gegen die alle zusammenhalten müssen. Ex- und immer-noch-Nazis, Deutschnationale, konservative Christen, deutsche Feministinnen, liberale Universitätsprofessoren und ex-linke Freunde Israels – alle fühlen sich bedroht. Die Ablehnung des Islam und der Muslime wird zur gesellschaftlichen Klammer, er definiert „unsere Leute“ gegenüber den „Anderen“. Ähnlich dem alten Antisemitismus vermag die Feindschaft gegen den Islam alle anderen Probleme aufzulösen. Wer sich angesichts der Probleme der Weltwirtschaft machtlos fühlt, der kann immer noch „dem Mustafa ane aufbrennen“ (FPÖ-Comic).

30. September 2010

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