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Springer-Sarrazin und die antiislamische Hetze

Kultur- und Klassenkampf von oben


28. Dezember 2010
Von Initiativ e.V.

"Die Verpflichtung zur Integration steht übrigens in einem seltsamen Kontrast zu den Verheißungen der pluralistischen Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Lebensstilen. Weichen sie deutlich von der Norm ab, nennt man sie Subkulturen. Treffen sich hingegen Muslime im Park zum Grillen, bilden sie eine Parallelgesellschaft – und dann ist es aus mit der postmodernen Gemütlichkeit." (1)


Auf der Suche nach einem „neuem“ Selbstbild.

Nach Wochen und Monaten der Springer-Sarrazin–Kampagne folgten die Äußerungen von Bundespräsident Wulf, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Darauf wiederum antworteten die rechtliberalen und konservativen Kräfte, dass Deutschland auf der „christlich-jüdischen“ Leitkultur aufbaue, und damit natürlich die Muslime ausschließe. Dies ist jetzt Bestandteil des neuen CDU-Programms. Es hat also keines Jahrzehnts bedurft, um eine neue (alte) Identität gegen das vermeintlich gesellschaftliche „Unten“ (türkische und arabische Unterschicht ) und „Außen“ (der radikale Islamismus und die Kriege im Nahen und Mittleren Osten) zu etablieren. Dabei ist der Kulturkrieg im vollen Gange.

Die Schein des Multikulturalismus und der Vielfältigkeit fällt.

Jahrzehntelang und gerade wieder durch Bayern Ministerpräsident Seehofer erneuert, wurden die zugewanderten Lohnabhängigen ignoriert und deren sozialen und politischen Interessen unterdrückt. Einerseits wurden multikulturelle Feste veranstaltet auf denen traditionelle Trachenschauen beklatscht wurden, während andererseits die strukturelle Benachteiligung (Ausgrenzung) unangetastet blieb. Keine Staatsbürgerschaft, kein Wahlrecht! Die Forderung nach Integration des Multikulturalismus war immer eine Forderung an die Migrantinnen und
Migranten zur Assimilation, und nicht zur gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe. Das ganze sollte und durfte nichts kosten. Nachdem nun die jeweiligen religiösen und nationalen Gemeinschaften ihre eigenen Wege gingen und erst seit 2005 überhaupt ein „Integrationsgesetz“ in die Wege geleitet wurde, wird Multikulti schon für tot erklärt.

Der Kulturkrieg und seine spezifische Form.

Die grundsätzlich chauvinistische Position gegenüber den mehrheitlich türkischen Einwanderern verfestigt sich. Waren vorher Südeuropäer (Italiener, Portugiesen, Spanier, Griechen etc.) genauso einer Diskriminierung ausgesetzt, so werden sie jetzt als „Christen“ in die christlich-jüdische Wertegemeinschaft eingemeindet. Die von den Eliten initiierte Islamfeindlichkeit findet jetzt ihren gemeinsamen Nenner in der Springer-Sarrazin-Kampagne. Sie bildet gleichzeitig das kollektive Fundament des europäischen Rechtspopulismus. Neben der antiislamischen Hauptachse ist sich die Bewegung in ihrer pro Wohlfahrtsstaat – Rhetorik einig. Propagandistisch ist sie gegen den Neoliberalismus/EU in der Opposition und schwingt sich zur Verteidigerin des Westens auf. Sie ist und wird unbedingt proamerikanisch und auch proisraelisch.

„Die sogenannte Integrationsdebatte ist längst eine Abwertungsdebatte. Hier wird die unerwünschte Unterschicht definiert, die in Konkurrenz zur deutsch-deutschen Unterschicht steht, aber noch eine Stufe darunter angesiedelt wird.“(2)

Die eingewanderten Lohnabhängigen gelten nicht nur als kulturell rückständig, sie nehmen mehrheitlich in den Metropolen die unterste Position ein. Sie müssen und sollen mit den „Einheimischen“ konkurrieren. Die deutsche Unterschicht ist zwar aus Sicht der Eliten auch nicht besser, kann aber immer noch gegen die „Muslime“ in Stellung gebracht werden.

Der Diskurs verschiebt sich.

War die Partei DIE LINKE bzw. ihre Positionen seit 2005 immer im Hintergrund jeder wichtigen politischen Frage anwesend, oder besser war die soziale Frage in den öffentlichen Raum zurückgekehrt, so wird diese in den kommenden Jahren eine Umformung erleben. Ob aus dem Kampf gegen Hartz IV und die Krisenabwälzung auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung eine hegemoniale Kraft unabhängig von der herrschenden Klasse dieser Republik etablieren wird, oder aus Frust und Opportunismus der Linken sich Teile der Unterklasse den Islamophoben zuwenden werden, hängt von der Vertiefung der Krise und dem Widerstand dagegen ab. Ob sich dann eine eigene politische Formation rechtspopulistischer Struktur durchsetzen wird, wie im Rest Europas (FPÖ – Österreich, Wilders Freiheitspartei – Niederlande, Schwedendemokraten etc.) ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht auszuschließen. Da konkurrieren Konservative bis hin zu den Faschisten um die Führerschaft in dieser Frage. Jedenfalls haben die rechts –wie die linksliberalen Kräfte den Boden bereitet, um die Spaltung der Unterschichten und Minderheiten voranzutreiben. Dem nicht machtvoll Einhalt geboten zu haben wird sich für die Linke noch als Bumerang erweisen.

Die Krise als Beschleuniger.

Welche konkreten Auswirkungen die Kampagne der vergangenen Monate auch im Konkreten zeitigen wird, niemand wird behaupten können davon nichts gewusst zu haben, und die Konsequenzen nicht hätte absehen zu können. Auch die vielfach anzutreffende Behauptung, die ganze Kampagne wäre zur Ablenkung von der Finanz –und Wirtschaftskrise lanciert worden, greift hier deutlich zu kurz. Sie verkennt den grundsätzlichen Charakter des
Feindbildes Islamophobie als Hilfsmittel zur Herstellung einer neuen westlichen Identität. Auch wenn diese Identität noch nicht so gefestigt sein sollte wie der Antikommunisnus nach 1945, so ist sie aber sicherlich ein wesentliches Hindernis im Kampf gegen den neoliberalen
Ausverkauf der europäischen Volkswirtschaften zugunsten der herrschenden Kapitalfraktionen wie auch deren imperialen Kriegszielen.

Demokratie heißt Widerstand!

Initiativ e.V.
Duisburg, Dezember 2010

(1) Integrationspflicht,CDU wandelt auf Sarrazins Spuren, Werner Pirker, jW 07.09.2010
(2) Ohne Angriff wird zurück geschossen, Iven Einzehn, jW 20.10.2010

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