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Bemerkungen zur Rolle Chinas, Indiens, Brasiliens und Südafrikas

von Klaus Boos


13. Januar 2011

Ist der Aufstieg Chinas nur zeitweilig? Welche Bedeutung hat der Aufstieg Chinas für den Rest der Schwellen- und Entwicklungsländer? Welche Auswirkungen werden diese Änderungen auf das Weltsystem in dem wir seit fast 500 Jahren leben haben?


Wir veröffentlichen hiermit Diskussionsbeiträge zur „Tagung der Ungläubigen: Krise, Weltordnung, Hegemonie“. Sie dienen dazu die Debatten anzustoßen und verstehen sich als Entwürfe, die als Ergebnis der Zusammenkunft noch verändert werden können.

China ist in aller Munde. Der spektakuläre Aufstieg Chinas seit dem Beginn der Reformen in den frühen 70er Jahren (nach dem Tod Maos) hat zu einem wirtschaftsgeschichtlich einmaligen Aufstieg der chinesischen Ökonomie geführt. Anfang der 70er Jahre noch die Ökonomie eines zurückgebliebenen Entwicklungslandes, in dem noch knapp 10 Jahre zuvor fast 45 Millionen Menschen verhungerten und Kannibalismus grassierte, ist heute die chinesische Wirtschaft an 2. Stelle in der Welt, entwickelt sich weiterhin spektakulär (auch für 2011 wird mit einem Wachstum von an die 9,5% gerechnet).
Was uns aber dabei interessiert sind folgende Fragen.
1. Ist der Aufstieg Chinas nur zeitweilig? Ist er nur eine Art Funktion im imperialistischen Weltsystem, in dem Länder an der Peripherie entweder als Rohstofflieferanten fungieren (wie viele erdölexportierende Nationen, die Karibik im 18.Jahrhundert oder gewisse Küstenregionen Afrikas im 17. und 18.Jahrhundert für den Sklavenhandel). Oder dient China nur als verlängerte Werkbank für die Zentrumsländer, das seine zeitweilige Prosperität nur seinen niedrigen Löhnen und den Wechselfällen der Konjunktur der Zentrumsländer verdankt?
2. Welche Bedeutung hat der Aufstieg Chinas für den Rest der Schwellen- und Entwicklungsländer? Geht von Chinas Entwicklung eine Sogwirkung auf andere Ökonomien aus, die das Antlitz des Weltsystems nachhaltig verändern?
3. Welche Auswirkungen werden diese Änderungen auf das Weltsystem in dem wir seit fast 500 Jahren leben haben? Im Grunde fehlt uns jede geschichtliche Erfahrung damit, wie dieses Weltsystem auf diese Änderungen reagieren wird. Während die Fragen 1 und 2 weitgehend durch empirisches Material zu beantworten sind (was ich hoffe zeigen zu können), stellt die Frage 3 (und die ist entscheidend dafür, wie wir uns auf die sich umgestaltende Welt einstellen müssen) hohe Anforderungen an unsere „theoretische Fähigkeiten“. Hier werde ich nur versuchen einige Denkansätze zu formulieren, diese Aufgabe wird uns noch länger beschäftigen.

Ist der Aufstieg Chinas nur zeitweilig?
Nun, um diese Frage ins rechte Licht zu rücken, ist ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte nützlich. Angus Maddison hat in jahrzehntelanger, mühevoller Arbeit einen Überblick über die ökonomische Geschichte unseres Planeten während der letzten 2000 Jahre erarbeitet. Aus dieser Arbeit(Die Weltwirtschaft: eine Milleniumsperspektive) die für jeden am menschlichen Fortschritt Interessierten, der danach strebt aus der zunächst einmal nur schwer übersichtlichen Geschichte so etwas wie „Fortschritt“ zu destillieren, eine eigentliche unersetzliche Quelle ist, zitiere ich im folgenden(sie ist auf Deutsch im OECD-Bookshop kostenlos herunterzuladen).

(Ich empfehle dem Leser das aufmerksame Studium dieser Statistiken (sowie der weitergehenden Statistiken in dem Buch von Maddison. So mancher historische Mythos lässt sich damit entkleiden, z.B. Lateinamerika nach 1500)

An diesen Statistiken lässt sich gut die historische Bedeutung von China (und Indien)
ablesen. Vom Jahre 0 bis in etwa 1820 lag das Schwergewicht des weltweiten BIP durchgehend auf den Ländern China und Indien (ca. 60% um das Jahr 0 bis zu knapp 50%
um 1820. Danach sank der Anteil der beiden Länder dramatisch, Indien verlor schon früher seine Position seit der Kolonisierung durch GB, Chinas Anteil an der Weltwirtschaft sank von fast einem Drittel um 1820 auf unter ein Zehntel um 1913 und halbierte sich bis 1950 dann noch einmal auf 4,8% – und das bei einem Bevölkerungsanteil von etwa 20% um 1950.
Dieser Abstieg war denkbar dramatisch und von 1950 bis 1970 erhöhte sich dieser Anteil Chinas nicht wesentlich, das RELATIVE Gewicht der Wirtschaftsleistung China erhöhte sich kaum und von 1958-61 gab es einen nochmaligen Abstieg, der fast 30% der Bevölkerung Chinas in die Nähe des Hungertodes drängte.
Mit der Öffnung Chinas und der Reformpolitik, für die hauptsächlich Deng Hsiao Ping verantwortlich zeichnete, änderte sich diese Situation deutlich. Es gelang China viele Auslandschinesen (im gesamten Fernen Osten leben seit verschiedenen Auswanderungswellen viele Chinesen, die häufig wirtschaftlich sehr erfolgreich sind) zu Investitionen zu bewegen und japanische und westliche Investoren konnten nach und nach bewegt werden in China zu investieren.
Dieser kurze geschichtliche Rückblick sollte nur dazu dienen anzuzeigen, dass die Rückkehr Indiens und Chinas in die Reihe der großen Wirtschaftsnationen historisch betrachtet eigentlich Normalität anzeigt. Nicht normal war aus historischer Warte der Niedergang beider Kulturkreise für etwa 150 bis 200 Jahre.
Diese Sicht drängt sich auf wenn man den Blick auf die letzten zwei Jahrtausende richtet, hat man dagegen die letzten 500 Jahre im Blick, also in etwa jene Zeit in der sich in Europa schrittweise das gegenwärtige Weltsystem entfaltete und über den Globus ausbreitete, ergibt sich ein anderes Bild. Aus dieser Sicht begann der Abstieg Indiens und Chinas, trotz zeitweiliger Blüte im Handel, in etwa ab 1500. Ab 1500 stieg Europas Bevölkerung relativ stark und das Einkommen PRO KOPF begann langsam aber stetig (und mit regionalen Schwergewichten) zu steigen, die Orientierung auf Übersee setzte sich durch die Übernahme chinesischer und arabischen Errungenschaften und durch die Entwicklung der Wissenschaften durch.
Zur in etwa gleichen Zeit wurde die chinesische Hochseeflotte, die Teile des Pazifik und fast den gesamten indischen Ozean erfolgreich befahren hatte, durch einen neuen Kaiser und seine konfuzianische Bürokratie eingemottet, der Bau von Schiffe mit mehr als zwei Masten verboten und der Blick des Landes weitgehend auf sich selber gerichtet. Damit fielen in den folgenden Jahrhunderten die Indices für das BIP pro Kopf (die im Mittelalter und Altertum Europa teilweise übertrafen) immer mehr hinter Europa zurück. 1820 war China zwar die größte Volkswirtschaft der Welt, aber sein Pro-Kopf-Einkommen war nur halb so groß wie das Westeuropäische und nur etwa ein Drittel von Vereinigten Königreich und den Niederlanden.

Ist China nur eine periphere Volkswirtschaft im Dienste des Weltsystems?
Nun, China hätte durchaus einen solchen Weg einschlagen können. Für die mit den USA verbündete Kuomintang war sicher ein solcher Weg vorgesehen. Hätte Tschiang Kai-schek
den Bürgerkrieg gewonnen, ziemlich sicher wäre China für längere Zeit in der Peripherie des Weltsystems „verschwunden“, aber weder glaube ich, das so eine „Lösung“ auf Dauer haltbar gewesen wäre, noch glaube ich das der Sieg der KP-Chinas zufällig war.
• Wie auch immer, die KP-Chinas ist zwar beileibe kein Garant für den Aufbau des „Sozialismus“(welcher Machart auch immer), aber ein Garant für eine Entwicklung Chinas auf dem Weg weitgehender Unabhängigkeit bei der Entwicklung einer modernen, konkurrenzfähigen Wirtschaft und Gesellschaft scheint sie allemal zu sein. Man muss (jedenfalls sehe ich das so) die Leistung der chinesischen Bürokratie (und das waren bisher hauptsächlich Kader der KP) bei der Leitung und Entwicklung des Landes in den letzten 35 Jahren durchaus bewundern. Sicher stehen auf den Habenseite des Landes zu Beginn der Reformen einige Dinge
• Die größte Bevölkerung der Welt – Mao hatte durchaus Recht mit seiner Ansicht, dass die große Zahl der Menschen eine der Stärken Chinas ist, Unrecht hatte er allerdings mit der Ansicht, dass durch pure „Massenanwendung“ dieser vielen Menschen eine moderne Gesellschaft aufgebaut werden könnte.
• China ist ein Land mit gewaltiger Tradition, über 1500 Jahre war der Konfuzianismus und seine Verhaltensregeln ein Garant für ein relativ erfolgreiches Zusammenleben der größten Bevölkerung der Welt unter ziemlich prekären Bedingungen
• Speziell die chinesische Bürokratie ist seit weit über 1000 Jahren darauf eingeschworen die Gegensätze im Land auszugleichen, immer wieder neue Bedingungen zu schaffen um Ungleichgewichte auszugleichen und so den Bestand des Staates zu sichern.
• Die chinesische Diaspora speziell in Südostasien war eine günstige Voraussetzung um Kapital ins Land zu bekommen und eine langsame, abgesicherte Einbindung des bis 1970 weitgehend abgeschlossenen Landes in die Weltwirtschaft einzuleiten.
Kurz und gut, wenn die Öffnung Chinas nach Mao für viele im Westen ziemlich überraschend kam und auch mit viel Misstrauen (und auch Hetze) begleitet wurde, so muss man aus heutiger Sicht eindeutig bestätigen, dass der Weg der KP Chinas mäßig, moderierend und dennoch kühn und vorausschauend war.

Man muss diesen Weg nur mit der katastrophalen Öffnung der Ökonomien der ehemaligen SU, hier speziell Russlands und der Ukraine vergleichen und diesen Unterschied zu sehen.
Heute noch sind rund 30% aller Unternehmen in China Staatsbetriebe, viele davon können heute auf dem chinesischen und dem Weltmarkt bestehen. Daneben gibt es eine beträchtliche Anzahl von Unternehmen im Kollektivbesitz, die von Beginn an auf die Bewährung auf den Märkten ausgerichtet waren. Das ausländische Kapital in China steckt in der Regel in Joint Ventures, wobei IMMER dafür gesorgt ist, dass die Abläufe des Produktionsprozesses auf allen Ebenen in das Wissen Chinas übergehen. Immer war in diesem Prozess die Souveränität Chinas unbestritten, auch in den Sonderzonen hatte IMMER der chinesische Staat das Sagen. Sicher haben viele westliche Unternehmen gutes Geld in China und mit der Beschäftigung chinesischer Arbeiter verdient, aber immer (oder zumindest in der Regel) waren die Löhne für diese Arbeiter höher als in vergleichbaren Industriezweigen des restlichen Landes und immer haben die Chinesen sich dadurch Fertigkeiten angeeignet, die sie künftig in Eigenregie anzuwenden bereit und in der Lage waren.
Durch das ungeheure Tempo das China da vorgelegt hat, ist es für uns Wahrnehmung oft nicht erkennbar, dass all die Prozesse durchaus GEPLANT waren und sind. Es ist der chinesischen staatlichen Plannungsbürokratie durchaus gelungen ein weitgehend komplettes System einer umfassenden Volkswirtschaft auf moderner Grundlage zu entwickeln.
Es gibt heute kaum ein Gebiet mehr auf dem China dringend auf ausländisches Wissen angewiesen ist.
Die Struktur des chinesischen Außenhandels ist durchaus nicht (mehr)die eines Entwicklungslandes.
Wie ersichtlich hat sich die Struktur des Außenhandels immer mehr in Richtung auf höherwertige Produkte verschoben und die Statistik endet mit 2005, eine neuere habe ich Moment nicht zur Hand.

Wir können also definitiv feststellen, die chinesische Volkswirtschaft entwickelt sich allseitig, die Struktur des chinesischen Außenhandels entspricht eindeutig nicht der Struktur eines an der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems angesiedelten abhängigen Staates. Natürlich nimmt die Entwicklung der Weltwirtschaft auch auf China Einfluss, aber wie die Jahre 2008/2009 und 2010 zeigen konnte selbst der Einbruch der Weltkonjunktur und der zeitweilige Rückgang der Exporte mangels zahlungskräftiger Nachfrage hauptsächlich aus den USA die Performance der chinesischen Konjunktur im Jahre 2009 nicht bremsen. Während anderorts Sparprogramme gefahren wurden und die Banken mit Steuergeldern gesponsert wurden, wuchs die Inlandsnachfrage in China so stark, dass dennoch 8,9% Wachstum erreicht wurden.
Noch 2000 orakelten amerikanische „Thinktanks“ China könne den amerikanischen Vorsprung nie aufholen, deren einfache (man ist geneigt primitive) Rechnung lief einfach so.
Im Grunde ist die amerikanische Volkswirtschaft fast 3 mal so groß wie die chinesische. Selbst wenn die Chinesen über eine längere Zeit ein Wachstum von 8% pro Jahr erreichen, wird mit nur 3% Wachstum der amerikanischen Wirtschaft der Abstand in absoluten Zahlen immer größer. Eine wirkliche Milchmädchenrechnung, man fragt sich unwillkürlich wie eine solche dümmlich beratene Weltmacht eine solche Position erreichen konnte.
Ich hab hier mal die neusten Zahlen des IWF (nicht eben eine linksradikale Organisation) herausgezogen, betreffend das Verhältnis USA:China.

Die Zahlen nach 2010 sind selbstredend Prognosen. Aber wir können sehen, dass sich das GDP Chinas zwischen 2005 und 2010 annährend um 6 Billionen vergrößert hat. Das GDP der USA hat sich in dieser Zeit um nicht ganz 600 Milliarden vergrößert. Nominell ist nach dieser Statistik (es gibt auch andere Methoden der Berechnung, aber die zeigen im Grunde ähnliche Tendenzen) China schon so groß wie die USA. Wie gesagt, deshalb sind die USA faktisch immer noch beträchtlich vor China, insbesondere was ihre Stellung im Weltwirtschafts- Finanz- und Währungssystem anbelangt, aber die Unhaltbarkeit solchen Vorhersagen („kann nie aufgeholt werden“) ist doch offensichtlich.
Ich kann hier nicht alle Bereiche der Entwicklung Chinas darstellen. Selbstverständlich ist der Aufbruch von 1,4 Mrd. Menschen mit ernsthaften Problemen behaftet. Was aber bei uns immer noch falsch eingeschätzt wird ist die Tatsache, dass China sich heute schon für die
Märkte der Zukunft rüstet. Mit mittlerweile über 6 Millionen Hochschulabsolventen und mit der zweitgrößten Anzahl beschäftigter Wissenschaftler erobert sich China mehr und mehr Zukunftsmärkte. Und die Infrastrukturinvestitionen Chinas lassen die USA alt aussehen. Beispiel: Eisenbahn, China hält den Weltrekord für Eisenbahnzüge mit knapp über 400 km/h. Bis Ende 2012 wird China 13.000 km Hochgeschwindigkeitstrecken haben auf denen Züge mit ca. 350 km/h verkehren werden. Die USA haben nur eine Strecke von ungefähr 300 km auf denen Züge mit etwa 140 km/h verkehren. Der zurzeit schnellste Rechner der Welt steht übrigens auch in China, jahrelang lief da ein (nicht immer rational nachvollziehbarer) Wettkampf um diesen „Weltrekord“.
Vor kurzem lass ich in einer Einschätzung zu China, China baue keine Verkehrsflugzeuge – das ist so nicht richtig – ein Jet mit rund 90 Sitzplätzen wird erfolgreich in China gebaut und verfügt über einige 100 Bestellungen. Und die Planung für größere Einheiten läuft auch.

Trotzdem, es gibt unvermeidlich ernsthafte Probleme, aber die chinesische Politik benennt diese Probleme sehr deutlich und kämpft mit gewissen Erfolgen dagegen. Es gibt zwei Hauptprobleme. Ersten wächst die Schere zwischen arm und reich bedrohlich. Und zweitens sind Energie- und Umweltprobleme zentrale Entwicklungsprobleme Chinas. Da gibt es keine einfachen Lösungen, aber wer chinesische Medien liest kann wahrnehmen, die Probleme sind bekannt und sie werden ausgiebig debattiert und die machthabende Bürokratie (die KP) antwortet durchaus auf diese Probleme.

Eine weitere sehr verbreitete (besonders unter scheinbar „linken“ Chinakritikern) Behauptung läuft daraus hinauf, dass es nur die Hungerlöhne seien, die das chinesische „Wirtschaftswunder“ antreiben. Nun, das ist einfach falsch. Sicher ist die Ungleichheit in China sehr groß (wenn auch nicht so groß wie z.B. in Indien). Tatsächlich haben sich die Löhne in China in den letzten 10 Jahren in etwa verdoppelt und es war der Inlandskonsum im Jahre 2009, der die chinesische Konjunktur angetrieben hat.
Bevor ich zu einem besonderen Beleg für diesen Inlandskonsum komme, möchte ich doch zur Frage der Lohnstruktur Stellung nehmen. Es ist eine verbreitete Fehlannahme, die Löhne eines Landes seien eine Größe, die durch den subjektiven Beschluss des/der Kapitalisten oder
staatlicher Stellen in seiner Höhe bestimmbar wären. Zuerst einmal müssen Löhne nach ihrer Kaufkraft im Lande selber verglichen werden (das sind dann die Vergleiche die nicht nominell über den Dollarwechselkurs gemacht werden, sondern über die sog. PPP (purchasing power pari, deutsch: Kaufkraftparität). Zum anderen hängt die Lohnhöhe ganz allgemein von der Wertschöpfung ab. Lieschen Müller stellt es sich so vor, dass die chinesischen oder ausländischen Kapitalisten (die Marxisten-Leninisten unter Mao haben übrigens noch viel weniger gezahlt) einfach aus Böswilligkeit den Arbeitern weniger zahlen. Aber die Produkte die vielfach (im gesellschaftlichen Durchschnitt) erzeugt werden, haben einfach nicht die Wertstruktur durchschnittlicher Produkte z.B. aus Deutschland. Das mag im Einzelfall ungerecht erscheinen oder sogar sein – aber das ist ein historisches Faktum, das sich nicht von heute auf morgen ändern lässt. D.h. – in dem Maß indem sich die chinesische Volkswirtschaft hin zu höherwertigen Produkten bewegt und diese Produkte auf Grund ihrer Stellung im internationalen Konkurrenzkampf angemessene Preise erzielen können, in dem Ausmaß werden dann die Löhne in China steigen (was sie eben deshalb ohnehin schon tun).

Wer was anderes glaubt soll einfach nach Manila fahren, ein Taxiunternehmen kaufen und seinen Fahrern die Löhne zahlen, die in Österreich Taxifahrer erzielen können. Meinen Segen hat er, das Geld muss er sich aber selber einstecken……
Wir sehen also, die relative Höhe der Löhne in einem Land sind das Ergebnis einer durchschnittlichen Wertproduktion in einem Land und bestimmter historischer Prozesse, die nicht einfach subjektiv auf den Kopf gestellt werden können. Das es jenseits solcher Feststellungen immer noch Spielräume für den „Klassenkampf“ zwischen Unternehmer und Arbeiter bleibt ist selbstverständlich.
So ist es auch in China, die chinesischen Löhne sind in den letzten Jahren stark gestiegen, ein Bekannter, der mit der Textilindustrie (kein Bereich mit sonderlich hoher Wertschöpfung und sicher eher nicht High-Tech) in China zu tun hat, spricht davon dass in diesem Bereich seit Jahren zweistellige Lohnerhöhungen an der Tagesordnung sind.
Ein weiteres Indiz ist die Automobilindustrie, der Wunsch nach einem eigenen Auto war für das „Wirtschaftswunder“ in Deutschland kennzeichnend und er ist in China nicht weniger ausgeprägt.

Auch hier vielleicht einige Zahlen zum besseren Verständnis:
Man sollte noch hinzufügen, dass in China 2010 etwa 18 Millionen Automobile produziert wurden (die endgültigen Zahlen fehlen noch), aber auch Brasilien, Indien, Indonesien, Süd-Afrika und der Iran konnten 2010 die Produktion erheblich erhöhen.
Weiter widerspricht dieser heftig expandierende Automobilmarkt in China der gängigen Annahme die chinesische Entwicklung basiere vorzüglich oder wesentlich auf dem Export.
Wenn heuer in China 18 Mill. Fahrzeuge gebaut und verkauft wurden, beruht das auf der zahlungskräftigen Inlandsnachfrage, da China bisher kaum Automobile exportiert.
Insgesamt (es gibt bei wikipedia eine halbwegs gute Zusammenstellung zur Autostatistik) ergibt sich doch ein beeindruckendes Bild, wie sehr sich die weltweiten Gewichte verschoben haben und weiter verschieben. Die Dominanz die die USA jahrzehntelang auf diesem Gebiet
ausgeübt haben („Detroit“ und die „großen Drei“ sind da der Mythos) ist dahin und es ist absehbar dass China und in seinem Gefolge Länder wie Brasilien und Indien in Zukunft diese Märkte mehr und mehr dominieren werden.

Welche Rolle spielt der Aufstieg Chinas für die anderen Schwellenländer?
Wie schon aus der letzten Statistik über den Automobilweltmarkt und aus den Statistiken über
die Entwicklung des GDP ersichtlich wird, hat China zwar eine Vorreiterrolle und spielt in einem gewissen Sinn die Lokomotive, aber andere Schwellenländer wie Indien, Brasilien und Süd-Afrika folgen der Entwicklung Chinas. Dies sind nur die größeren Länder, dazu kommen Länder wie Vietnam, Indonesien, Malaysia, der Iran und eine Reihe sub-saharischer afrikanischer Staaten und Staaten Südamerikas. All diese Länder versuchen mehr oder minder erfolgreich dem Weg Chinas zu folgen. Mittels des Staates und seiner Lenkungsfunktionen versuchen sie den Aufbau eines relativ kompletten Systems der Volkswirtschaft zu errichten, einseitige Abhängigkeiten vom kapitalistischen Weltsystem zu überwinden.
Viele dieser Länder orientieren sich dabei ganz ausgesprochen an dem chinesischen Vorbild, wobei allerdings ideologische Momente so gut wie keine Rolle spielen.
Aber diese Länder folgen nicht nur dem Modell Chinas, die Handelsbeziehungen zwischen diesen Ländern entwickeln sich sehr dynamisch. Dies hat sich ganz besonders in den letzten 2 bis 3 Jahren gezeigt. Während der Außenhandel Chinas zu Teilen der westlichen Welt und zu den USA stagnierte oder sogar zurückging, entwickelte sich der Handel zwischen diesen Ländern geradezu explosiv. Hier waren Steigerungsraten von bis zu 40% im Außenhandel nicht selten. Und alleine in Afrika entwickeln sich die Volkswirtschaften nicht weniger dieser Staaten durchaus beträchtlich.
Das hat bereits eine neue Qualität, hier sind massenhaft Beziehungen entstanden, die es diesen Ländern ermöglicht teilweise ohne das Diktat der Hegemonialstaaten ihre Entwicklung voranzutreiben. Während das Weltsystem bisher so gestaltet wurde, dass die Länder der Peripherie sozusagen an der Leine der Zentralstaaten hingen, der Technologie, Kapital- und Rohstofftransfer immer nur über das Zentrum liefen, so sind diese neuen Beziehungen viel weniger hierarchisch aufgebaut. Das Weltsystem, wie wir es die letzten 500 Jahre erlebt haben, kommt deutlich an sein Ende. Gut die Hälfte der Menschheit oder sogar mehr ist dabei sich mehr ökonomische Unabhängigkeit zu erkämpfen und mitten in einem Prozess des sich gegenseitigen Vernetzens und die Entwicklung ihrer Ressourcen und Möglichkeiten zum gegenseitigen Nutzen.
Das wird notwendig auf die Gestalt unserer Welt einen tiefgehenden Einfluss haben.
Welche Auswirkungen werden diese Änderungen auf das Weltsystem haben?
Wir kommen nun zu der Frage, die uns im Grunde am meisten bewegt und über die wir am wenigsten wissen. Wie werden sich die einzelnen Bestandteile des gegenwärtigen Systems in Zukunft nach innen organisieren und welche Beziehungen werden sie untereinander pflegen.
Und – welche Bedingungen ergeben sich dadurch für emanzipative Politik?

Zunächst möchte ich noch einmal konstatieren: Das Weltsystem in seiner bisherigen Gestalt ist so nicht mehr aufrecht zu erhalten. Auch die USA haben BEI WEITEM nicht die Kraft diese welthistorische Bewegung aufzuhalten, Europa schon überhaupt nicht.
Welche Entwicklungen sind absehbar: Nun, das Schwergewicht der Weltproduktion wird sich vorhersehbar in den asiatischen Raum verlagern, dort liegt der Schwerpunkt der Weltbevölkerung, dort wird der Schwerpunkt der Ökonomie liegen.
Und so viel ist sicher: auf Dauer wird das politische Gewicht dem ökonomischen Gewicht folgen – da können die USA mit ihrem Streben nach militärischer Dominanz auch nichts daran ändern. Im Folgenden möchte ich einige Probleme oder Denkanstöße nur in Stichworten ansprechen.
• China ist deutlich von einer Bürokratie geleitet, die versucht die sich entfaltenden Marktkräfte zu moderieren. Wie könnte sich die politische Landschaft Chinas bei weiterer Entwicklung langfristig gestalten?
• Wie werden die USA auf den bevorstehenden Machtverlust reagieren? Wie sehr werden sie versuchen diese Entwicklung zu verhindern (was letztlich unmöglich ist und die USA ins Abseits führen würde)
• Welche innergesellschaftlichen Konsequenzen werden diese Systemänderungen auf die innere Gestalt der bisherigen Zentrumsländer haben? Wird die Fähigkeit dieser Zentrumsländer die periodischen Krisen durch Verlagerung an die Peripherie auszulagern, nicht entscheidend abnehmen? Werden die Staatsapparate darauf nicht mit entschiedener Reaktion nach innen antworten?
• Welche Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten werden sich u.U. daraus für emanzipative, radikaldemokratische Kräfte ergeben? Oder drohen massiv totalitäre Gefahren, die uns in Abwehrkämpfe und neue Bündnisse drängen werden?

Wien, den 12.1.2010
Klaus Boos

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