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Palästinensische Frauen

24. September 2004

Opfer der Kriegsituation

Die Situation täglicher Gewalt, das Alltagsleben unter militärischer Besatzung, die Abwesenheit funktionierender sozialer und institutioneller Strukturen zieht auch das soziale Gewebe der palästinensischen Gesellschaft, die sich in erster Linie auf die Familienstrukturen stützt, in Mitleidenschaft. Erste Opfer dieser Entwicklung sind Frauen und Kinder.
Die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen begünstigen das Ansteigen sexuellen Missbrauchs, auch in der Familie. Zahlen und Statistiken existieren nicht, denn das Thema ist weitgehend tabu. Hazem Hajal, Vorsitzender des Jugendberatungszentrums in Nablus sagt: „Wenn zehn Leute in zwei Zimmern zusammenleben und in der Stadt praktisch permanent Ausgangssperre herrscht, ist es schwierig, inzestuöse Beziehungen und Spannungen aller Art zu vermeiden“. Diese Situation wird auch durch die Armut begünstigt. Junge Leute können nicht heiraten, sexuelle Beziehungen innerhalb des Familienkreises nehmen zu. Junge Frauen, deren Männer getötet oder inhaftiert wurden, sind mitunter den männlichen Mitgliedern der Familie ihres Mannes ausgeliefert.
„Männer, junge aber auch ältere, sitzen aufgrund von Arbeitslosigkeit oft zuhause fest. Sie verbringen viel Zeit vor dem Fernseher und oft „probieren“ sie das, was sie am Bildschirm sehen, mit ihren Töchtern oder Schwestern aus“, sagt Shaden Bustami, Leiterin des Vereins zum Schutz der Familie. Laut Bustami ist die Zahl der Hilfesuchenden in den Jahren 2000 und 2003 um das Dreifache gestiegen.
Die Besatzung, der Ausnahmezustand, die wirtschaftliche und soziale Krise führt nicht immer und überall zu Vorfällen dieser Art, doch die Gewalt, welche die palästinensische Gesellschaft auf allen Ebenen bedroht, hat insbesondere die Situation der palästinensischen Frauen verschlechtert. Frauen müssen oft zum Lebensunterhalt der Familie beitragen, bzw. diesen hauptsächlich bestreiten, was sie mitunter, zumindest im wirtschaftlichen Sinne, zu Familienoberhäuptern gemacht hat. Diese neue Verantwortung hätte in einem normalen Kontext eine positive Entwicklung für die Frauen einleiten können, doch unter den gegenwärtigen Bedingungen bedeutet sie eine zusätzliche Belastung, über die Verpflichtungen des Haushalts und die Pflege und Unterstützung gestresster Männer und verängstigter Kinder hinaus.
Die Verschlechterung der Situation der Frauen und Kinder in den palästinensischen Gebieten hat viel mit der Situation der Männer zu tun. Während inzwischen etliche Beratungs- und Unterstützungsstrukturen existieren, die Frauen und Kindern helfen mit sozialen und psychologischen Problemen umzugehen, gibt es, abgesehen von Vereinen zur Unterstützung von gefolterten Gefangenen, nichts vergleichbares für Männer. Die militärische Besatzung schließlich macht es fast unmöglich den Auswirkungen der Krise auf den sozialen und familiären Zusammenhalt mit Gesetzen und Verordnungen entgegenzutreten.

Margarethe Berger und Charlotte Malterre
gestützt auf Berichte von Le Monde

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