Die Euro-Krise ist eine Krise des politischen Modells der EU. Das supra-nationale bürokratische Imperium setzt die Einheitswährung Euro als eiserne Faust ein: Damit will sie neoliberale Disziplin im Zentrum und im ersten Kreis der Peripherie, im Mittelmeer-Raum und in Osteuropa, erzwingen. Die herrschenden Eliten übersehen dabei zweierlei: Die wirtschaftliche Basis, die unterschiedliche Produktivität in Deutschland und in Griechenland, ist nicht nach Belieben manipulierbar – das könnten sie in ihren eigenen ökonomischen Traumbüchern nachlesen („optimale Währungszone“). Und viele Menschen sind nicht mehr fraglos unterwürfig und lassen alles mit sich machen.
Die EU ist ein Imperium, ein post- und supra-nationaler bürokratischer Staat mit dem Ziel der Eindrittel-Gesellschaft: Ein Drittel profitiert, die anderen verlieren. Sie entstand 1958 als regionaler superimperialistischer Pol zur Abwehr des damals für viele attraktiven Sowjetkommunismus. Nebenzweck war die Zähmung des nationaldeutschen Imperialismus.
Die EWG erzielte ihren großen Erfolg mit der Zollunion. Diese Phase war um 1970 vorbei. Damals entdeckte die politische Klasse die Währungsunion als Hauptvehikel ihrer Absichten. Die Ideologen gaben das Ziel vor. Politiker sahen die Möglichkeiten einer Fundamentalpolitik ohne Kontrolle, sprangen auf und zogen die anderen mit. Die ersten Versuche in den 1970 / 1980ern waren allerdings ein jämmerlicher Misserfolg.
Mit dem Paradigmenwechsel vom Politischen Keynesianismus zum Politischen Monetarismus wurde die Währungsunion Hauptziel der EG-Politik. Er wurde durch die weltpolitische Situation der 1980 / 1990er ermöglicht. Das Zerbröseln der Diktaturen im Olivengürtel war die Gelegenheit. Mit der „Süderweiterung“ (1981 – 1986) steckte das hoch entwickelte nordwestliche Zentrums seine Claims ab. Das bot ein Experimentierfeld für die neue Politik der Disziplinierung durch das Zentrum. Der Zusammenbruch des „Realsozialismus“ gab die Gelegenheit zu einem „Ende der Geschichte“ nach konservativ-bürgerlichem Geschmack. Man konnte die Beuteareale im Osten einsammeln. Maastricht schrieb die neue Politik der akzentuierten Ungleichheit und des übernational-bürokratischen Staats vertraglich fest.
Die Sozialdemokraten (Mitterrand / Delors, Brand / Schmidt; im Rahmen ihrer Möglichkeiten Soares, Gonzales, Vranitzky und Persson) wurden zu Janitscharen neoliberaler Imperiums-Bildung. Der Keynesianismus war die europäische Nachriegspolitik gewesen: Über einen inklusiven Sozialstaat hatte man die oberen Unterschichten und die unteren Mittelschichten erfolgreich integriert. Dazu hatte man auch in den Markt interveniert und staatliche Mittel – wenn nötig auf Kredit – eingesetzt. Darauf verzichtete man nun langsam: Die marktfundamentalistische Politik des Monetarismus wurde zum Credo der EG.
Die Süderweiterung gab der EG eine Zwei-Kreis-Struktur, gegliedert in Zentrum und Peripherie. Was man in Südeuropa erfolgreich und noch mit einer gewissen Schonung durchexerziert hatte, wurde in den 1990ern mit aller denkbaren Brutalität in Osteuropa wiederholt: Die ganze Region wurde nun auf eine neue Weise zur „Zweiten Welt“.
Gleichzeitig ging man an den Aufbau des nachnationalen bürokratischen Staats. Er soll einen Verwaltungsföderalismus darstellen. Im wichtigsten Bereich, im wirtschaftspolitischen, gibt das bürokratische Zentrum, „Brüssel“, die Politik vor. Dazu ist die Währungsunion notwendig. Sie ist eine Wachstums- und für die große Masse eine Wohlfahrtsbremse.
Die Einheitswährung brachte zuerst einen Schub für die Peripherie – es war eine Blase. Die Finanzkrise ließ sie platzen. Aber der Euro ist Kern und Symbol des Ausbaus, mehr noch der Verteidigung des Imperiums EU. Gerade weil der Euro keine optimale Währungszone konstituiert, muss er erhalten werden. Es geht um das politische Projekt des postnationalen autoritären Staats. Daneben geht es natürlich auch um das von den Gläubiger-Banken eingeforderte Kleingeld.
Die rechtszentristische politische Klasse in Europa (Christlichsoziale, Sozialdemokraten, Grüne, Liberale), die Brüsseler Bürokratie ebenso wie die nationalen Regierungen, nützen die Gelegenheit in einer reaganistischen Strategie der Überrumpelung (wie die Reagan-Regierung 1980). Sie versuchen, die Entdemokratisierung des Kontinents einen mächtigen Schritt weiter zu treiben. Das „europäische Semester“, die „Wirtschaftsregierung“ und der ESM (der so genannte „Euro-Rettungsschirm“) sollen jene Politik unumkehrbar machen, welche zur derzeitigen Situation geführt hat.
Diese Situation ergibt Chancen für die Linke, die sie seit Jahrzehnte nicht hatte. Allerdings wird dies ein unorthodoxer Kampf.
Es gibt keinen geschlossenen Block eines einheitlichen Kapitals und noch weniger der Handlungsträger in der Politik. Das harte Finanzkapital will schlicht „sein Geld“ und ist dafür bereit, einen Aufstand in Kauf zu nehmen. Derzeit überwiegt diese Tendenz, mehr noch in der Politik (EZB und Europäischer Rat) als in der Wirtschaft. Dort allerdings haben die Rating-Agenturen mit ihrer kompromisslosen Verteidigung der Banken derzeit das Sagen.
Andere Segmente der Herrschenden haben begriffen: Diese Strategie ist illusorisch. Das sind die, welche selbst finanziell nicht engagiert sind. Auch Teile der politischen Klasse begreifen langsam, dass sie gefährdet sind: als Angriffsziel des aggressiven Finanzkapitals, aber auch durch die „eigenen“ nationalen Wähler.
Die Chancen der Linken liegen im Versuch, den plebeisch-proletarischen Protest gegen das Imperium und seine Auswirkungen aufzugreifen. Über die zielführende Taktik lässt sich streiten.
Eine ausführliche Analyse findet sich auf: https://www.antiimperialista.org/2011-06-16-der-euro-und-die-eu/