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1230 Milliardäre bei „Forbes“

20. März 2012
Von A.F. Reiterer

Die Giga-Reichen und der Rest


1.226 Milliardäre, auf US-$-Basis, listet die Zeitschrift „Forbes“ dieses Mal, für 2012, auf. Die ORF-Nachrichten-Sprecherin teilt uns dies am 8. März 2012 um ½ 7 Uhr früh mit, eine Nachricht im Seitenblicke-Format.

Aber dann fängt man an zu recherchieren und zu rechnen.

Leicht macht es einem „Forbes“ nicht. Das Magazin ist kein Datenlieferant für Sozialwissenschafter. Die Kurve Vermögen nach Rang des Vermögens ist eine typische Pareto-Verteilung. Sie hat einen nahezu perfekten fit (r2 = 0,98). Man kann sie also unbesorgt verlängern und z. B. das Vermögen der 2000 Reichsten recht genau schätzen. Da macht es dann nichts, dass man für die zweite Hälfte der Liste keine Namen und sonstigen konkreten Angaben mehr hat. Im übrigen wäre diese Liste gut für mehrere Diplom-Arbeiten oder Dissertationen von Soziologen.

Die Herrschaften dürften ein Gesamtvermögen von 6 Billionen US-Dollar besitzen. Wie hoch ist das Gesamtvermögen der Menschheit? Das Weltprodukt für 2010 wird von der Weltbank mit 63 Billionen US-$ angegeben. Schätzen wir den Kapital-Koeffizienten (K/Y) auf Weltebene mit 3 ziemlich hoch ein, dann wäre das Vermögen der gesamten Menschheit mit 190 Billionen anzunehmen. 6 Billionen davon sind etwas über 3 %. Den 2000 Eigentümern mit dem höchsten Besitz kann man wohl eine durchschnittliche Familiengröße von 3,5 Personen zuschreiben. Mit Anhang würden sie dann rund 7.000 Personen ausmachen. Das wäre 1/10.000 % der Weltbevölkerung, ein Millionstel der Menschheit. Dieses 1/10.000 % der Menschheit verfügt also über ein Dreißigstel des von allen Menschen geschaffenen Werts, hat ihn sich angeeigneten, nutzt ihn für ihre Zwecke und kann jeden anderen davon ausschließen. Denn laut ABGB § 354 ist Eigentum „das Befugnis, mit der Substanz und den Nutzungen einer Sache nach Willkür zu schalten, und jeden andern davon auszuschließen“.

Nun ist plötzlich jede halbseidene Seitenblicke-Atmosphäre verschwunden.

Gehen wir die Sache vorerst von der „Verwendungsseite“ her an, wie man als Statistiker und Volkswirtschaftlicher Gesamtrechner sagen möchte. In der antik-griechischen Sage ging Midas zugrunde, weil alles zu Gold wurde, was er anrührte – er verhungerte folglich. Das ist ein typischer Fall von „Opium für das Volk“, ob in der griechischen Sage oder im christlichen Evangelium über den reichen Prasser. Verhungern tun andere, nicht die Superreichen. Aber eines versucht diese Sage doch zu vermitteln: Man kann als Person einen solchen Reichtum schlichtweg unmöglich konsumieren. Man ist beschränkt. Wenn diese Leute viel konsumieren, dann einerseits in der Erhaltung eines ganzen Heers von Parasiten; und andererseits durch einen permanenten Potlatch, einen Prestige-Konsum, der nur der sozialen Demonstration dient. Und damit kommen wir der Problematik schon näher. Potlatch war stets ein Mittel von Machtgewinn und Machterhalt.

Eine ganz winzige Fraktion, man hat Mühe, sie statistisch überhaupt zu bezeichnen, entscheidet über die Verwendung von Werten, von dem das Sein und das Nichtsein eines ganz erheblichen Teils der Menschheit abhängt. Und hier unterschätzt der Anteil von 3 Prozent die Sache gewaltig, auch wenn er einen wahnwitzigen Multiplikator im Vergleich zum Bevölkerungsanteil darstellt. Wenn je wo die Anwendung des Marginal-Prinzips gerechtfertig ist, dann hier. Besonders deutlich wird dies an Einzelfällen: Die Nummer 1 dieser Liste, Carlos Slim Helu, eignet allein gute 3 % des mexikanischen Volksvermögens. Er beherrscht den Telekommunikations-Sektor und das Fernsehen und hält mit allen Mitteln Konkurrenten draußen. Was dies für die Information bedeutet, braucht man nicht weiters zu erläutern.

Aber dazu kommt die direkte politische Einflussnahme. Ein verhältnismäßig kleiner Fisch, Mit Romney, versucht sich gerade die US-Präsidentschaft zu kaufen, und seine Chancen stehen nicht schlecht. Ein wesentlich größeres Kaliber, Michael Bloomberg, hat den Bürgermeistersessel von New York erworben. Silvio Berlusconi steht an 169. Stelle dieser Liste. Auch hier ist jeder Kommentar überflüssig.

Der Gipfel des objektiven Zynismus der Verhältnisse aber ist: Man muss kurzfristig noch froh sein, dass es Leute wie Bill Gates – auf der Liste derzeit die Nummer 2 und lange Jahre die Nummer 1 – gibt: Sie versuchen Einiges von dem zu reparieren, was diese Eigentumsstruktur im Allgemeinen und die USA im Besonderen in der Welt verpfuschen!

Der globale Finanzkapitalismus ist ein sehr komplexes und ein kompliziertes Gefüge. Die Finanzsphäre ist zu einem hohen Grad von der Produktionssphäre abgekoppelt – aber keineswegs ganz! Was zuerst in die Augen springt, ist eine wahnsinnige Zirkulation von weitgehend fiktivem Kapital auf der Suche nach dem ganz kurzfristigen schnellen Profit. Hier werden unglaubliche Summen auf die Reise geschickt, deren Ertrag dann auch kaum sinnvoll etwa mit einem Zinssatz zu messen ist, weil er sich u. U. in der Größenordnung einiger Hundertstel Prozent bewegt. Aber der absolute Ertrag kann sich trotzdem sehen lassen. Dies ist ein „Spiel“ praktisch ausschließlich innerhalb des Finanzkapitals. Wie das Kapital dorthin, in diese Sphäre kommt, ist eine ganz andere Frage. Aber ist es einmal dort, dann geht es den Rest der Welt nur mehr wenig an. Es ist ein Nullsummen-Spiel: Was der eine gewinnt, verliert der andere.

In der „Forbes“-Liste der Milliardäre aber haben wir eine andere Kategorie. Hier haben wir, man könnte fast sagen: altmodische Kapitalisten, die zwar sicher den schnellen Profit nicht verschmähen, die aber trotzdem längerfristig denken und planen. Hier geht es um Herrschaft über die Produktion und die Zirkulation – letzteres ist wichtig, denn ein ganz erheblicher Teil dieser Vermögen ist ebenfalls in der Finanzsphäre angelegt. Aber es ist nicht kürzestfristiges spekulatives Kapital, dass in unfassbar hohen Summen täglich rund m die Welt auf die Jagd geschickt wird. Wir können sagen: Diese Leute bilden eine der Schleusen, über die Gewinne aus der Produktion bzw. Waren- und Dienstezirkulation zum spekulativen Finanzkapital wird.

Es ist vor allem diese Fraktion, die auch von der Politik begünstigt werden soll. Und hier finden sich auch die eigentlichen Nutznießer der Politik der vergangenen Jahrzehnte wieder. Aber es ist eine widersprüchliche Angelegenheit: Diese Politik hat u. a. dazu geführt, dass das Zinsniveau derzeit sehr niedrig ist. Eine immer größere Summe sucht eine profitable Anlagemöglichkeit. Die sehen sie dann z. B. auch in Staatsschulden.

Es ist ein enormer Konkurrenzkampf, und die Spekulanten lassen sich dabei auf riskante Manöver ein, welche sie meist selbst nicht durchschauen. Vergessen wir nicht, dass etwa die so hoch gerühmten angestellten „Finanz-Manager“ der mittleren Ebene in aller Regel keineswegs hoch qualifiziert sind, auch wenn sie vielleicht in einem bestimmten Bereich eine gewisse Gerissenheit haben. Der sogenannte „Herdentrieb“ auf den Finanzmärkten ist der Ausdruck davon. Sie wollen und sie müssen handeln – im doppelten Sinn des Worts. Aber es fehlen weitgehend rationale Entscheidungs-Kriterien. Also macht man das, was andere auch machen, in der Annahme, dass dies schon nicht so ganz falsch sein kann.

Aber es geht um Geld, in unterschiedlicher Form. Und das ist nun einmal der Steuermechanismus der Wirtschaft. Damit ist nicht zu verhindern, dass auch die Kämpfe dort oben immer wieder einmal Rückwirkungen auf die Weltwirtschaft und das Schicksal derer unten haben.

Denn getroffen werden die Menschen unten. Die ganze Forbes-Gesellschaft hat dagegen eine ziemlich stabile Struktur. Diese Herrschaften verlieren wenig. Selbst wenn Bill Gates im Vergleich zu 2010 um einen Platz zurück gerutscht ist, wird ihm dies wohl keine größeren Sorgen bereiten.

17. März 2012

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