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„Bankenstresstest“ und „lender of last ressort“

31. Oktober 2014
Von A.F.Reiterer

Die Sozialisierung der Verluste: Es zahlt die Bevölkerung


Im Erfinden attraktiver Wörter war die EU schon immer gut: „Rettungsschirm“ für die Geschenke an die Spekulanten; jetzt „Stresstest“ für ein PR-Manöver und eine Beruhigungs­pille… Die Banken werden also getestet wie Spitzensportler. Und (fast) alle schaffen es: Wie Reinhold Messner erreichen sie den Gipfel des Wohlbehaltens ohne den Sauerstoff neuer Gelder. Und die Bevölkerung ist beruhigt ˗ sie braucht nicht wieder zu zahlen, vorerst.

Aber was ist dieser Stresstest? Da wird es schon bedeutend leiser. Lassen wir den Ablauf hier beiseite (siehe eine Beschreibung samt kritischer Bewertung NachDenkSeiten: http://www.nachdenkseiten.de/?p=23729; auch Jahnke, Bankentest: http://www.nachdenkseiten.de/?p=23729; und Häring, Europas Banken: http://norberthaering.de/index.php/de/newsblog2/27-german/news/151-uebergewichtige-banken); der ist aber entscheidend, und man sollte sich daher informieren.

Doch bleibt diese Kritik, so lesenswert sie ist, völlig systemimmanent, ja geradezu handzahm. Die eigentliche Problematik wird nicht einmal angesprochen.

Beginnen wir hier auch einmal systemimmanent. Den Banken wird eine Eigenkapitalquote bestimmter Höhe vorgeschrieben, die sie auch noch unter einigen nicht so günstigen Annah­men erreichen sollten. Aber: 5,5 % oder 10 % ˗ auf das kommt es nicht an! Doch ist dies nicht etwas leger und rotzig hingesagt? Ja und nein! Selbstverständlich macht es Sinn, wenn irgend jemand den Banken auf die Finger sieht und aufpasst, dass sie nicht ganz sorglos werken. Aber ausgerechnet die EZB? Die hat sich bislang vor allem als eine richtige Gewerkschaft der Bankmanager hervorgetan. Vor Allem aber: In dieser Größenordnung, 5 % oder 10 %, kann das Eigenkapital als solches eine Krise nicht im Mindesten verhindern. Wie hoch die Quote dazu sein müsste, ist seriöser Weise nicht zu sagen, jedenfalls aber ein Mehrfaches höher. Denn was passiert in der Krise?

Erinnern wir uns: Von 2008 bis 2010 sind die blue chips der österreichischen Industrie, also die Aktien der seriösesten Unternehmen, um 4 Fünftel eingebrochen. Eine Aktie solcher Firmen erhielt man 2010 um 20 % des Preises, den man 2007 dafür zu bezahlen hatte. Und das war die Industrie, nicht windige Finanzunternehmen.

Kommt es also zu einer Krise, so sind die Aktiven einer Bank an der Börse sehr schnell fast nichts mehr wert. Richtig: Sie haben sich mittlerweile wieder erholt. Aber was geschieht dazwischen? Es gibt den Spruch: Man kann durchaus öfter Verluste machen; aber zahlungsunfähig kann man nur einmal werden. Gute Nerven, um die Panik durchzustehen, reichen in einer Bankenkrise nicht aus. Wenn Konkurse und Kredit-Ausfälle kommen, kommt der wirkliche Stress. Die anderen Banken, die ja genauso wirtschaften, sind nicht mehr willens und in der Lage, einer gefährdeten Bank beizustehen. Sie trauen einander wechsel­seitig nicht mehr über den Weg, und mit gutem Grund. Sie wissen ja, dass die anderen Banken ebenso abenteuerlich wirtschaften wie sie selber. Der Interbank-Markt bricht zusammen, wie wir 2008 gesehen haben. Damit aber haben wir eine wirkliche Banken-, Finanz – und Systemkrise.

Und nun tritt auf: die EZB oder auch das FED oder eine sonstige Zentralbank. Einige der größten Windbeutel schickt sie in Konkurs. Für den Großteil der Banken aber erklärt sie: Was immer geschieht, wir hauen sie heraus, koste es was es wolle. Wir sind „The lender of last ressort“, wir zahlen alle offenen Rechnungen. Aber wen kostet es? Der Bevölkerung natürlich.

Und jetzt sollten wir die Sache nochmals von vorne angehen.

Das gegenwärtige Bankensystem sitzt über einer Wirtschaft und reguliert sie, als ob diese ein sozialisiertes System wäre. Bei gutem Wetter nehmen alle an, dass die Chose funktioniert, dass alles beglichen wird; da ist das Eigenkapital im Grund egal. Der Finanzkapitalismus saugt immer mehr Profit / Mehrwert aus der Realwirtschaft ab. In einem Krieg aller gegen alle findet dann die Verteilung in der Finanzsphäre statt. Solange alles gut geht sind die Profite für den Einzelnen durchaus real; man muss sie nur rechtzeitig realisieren. Dann hat diese/r Marktteilnehmer /in einen höchst realen Wert auf der Hand.

Und wenn es nicht mehr gut geht, wenn die Krise sich unerwartet zeigt? Dann geht das verloren, was die Geschäftsgrundlage bisher war: das Vertrauen ins Funktionieren dieses pseudo-sozialisierten Systems. Aber nun wird die Finanzwirtschaft kurzfristig und in einem wesentlichen Aspekt tatsächlich sozialisiert. Nun handelt die Politik, und die Zentralbank ist nichts anderes als Teil dieser Politik, allerdings unverantwortlicher Teil, nicht nur, als ob die Wirtschaft sozialisiert wäre. Sie sozialisiert tatsächlich und ganz real die (Spekulations-) Verluste. Sie schießt nämlich öffentliches Geld ein.

Erlauben wir uns den Luxus und seien wir auch einmal zynisch: Die „realistische“ Kapital­lücke der Banken (was immer dies heißt) ist vielleicht nicht 10 Mrd., sondern 500 Mrd. €, wie es skeptischere Ökonomen errechnen. Na und? Auf das kommt es auch nicht mehr an. Das sind rund 5 % des BIP im €-System. Der Rückgang des österreichischen BIP 2009 machte auch rund 4 % aus, und die Welt ging keineswegs unter. Die Größenordnung wäre also durchaus verkraftbar, wenn, ja wenn die Wirtschaft entsprechend organisiert wäre, und wenn es sicher gestellt wäre, dass diejenigen, die zahlen, auch die Gewinne davon hätten.

Es gibt nur ein Mittel in der Finanzkrise, das tatsächlich wirkt: Es braucht einen „lender of last ressort“. Nur die Gesamtwirtschaft, die Gesamtgesellschaft ist in der Lage, den Ansprü­chen an das Finanzsystem tatsächlich die entsprechenden Werte gegenüber zu stellen. Der „Stresstest“ hingegen ist eine pure Beruhigungspille, welche Sicherheit vorgaukelt, aber nicht bietet. Sicher: Es ist ein positiver Aspekt, wenn die Banken wissen, dass sie nicht Alles machen können, dass sie kontrolliert werden, und sei es auch nur ein klein bisschen. Allein dadurch werden sie sich ein wenig anders verhalten. Aber die Erhöhung der Eigenkapital-Quote als solche kann eine Krise nicht verhindern. Und noch ist sie ein geeignetes Mittel, in der Krise durchzukommen.

Der entscheidende Punkt ist: Das Wirtschaftssystem ist gegenwärtig, und in Wirklichkeit schon seit Langem, derart hoch vernetzt, dass es immer stärker den Charakter eines organisierten Systems annimmt. Doch noch immer ist es so organisiert, dass allein private Sonderinteressen die Regulierung durchführen und die Vorteile einsacken. Die Organisation der Wirtschaft über einige Privat-Interessen hinkt in geradezu jämmerlicher Weise den Notwendigkeiten einer hochvernetzten Gesellschaft und einer weitgehend sozialisierten Produktion und Verteilung nach.

31. Oktober 2014

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