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Transformation ˗ Putsch?

29. Dezember 2014
Von A.F.Reiterer

Geld, Politik und die leise Rebellion gegen den Globalismus


„Der permanente Staatsstreich“ (Il colpo di stato permanente) nennt Paolo Becchi ein dünnes lesenswertes Büchlein, welches April 2014 erschien und in konziser Weise  die italienische Politik der letzten drei Jahre beschreibt, insbesondere aber die Rolle des Staatspräsidenten beleuchtet. Giorgio Napoletano war bereits zu Zeiten der KPI der rechte Leuchtturm dieser Partei. Nun hat er die Rolle seines Lebens gefunden und arbeitet zielstrebig am Abbau der nationalen parlamentarischen Demokratie in Italien. Manches erinnert ein klein wenig auch an Heinz Fischer, und das wird kein Zufall sein.

„Der stille Putsch“ heißt ein anderes Buch, das zur selben Zeit erschien. Der deutsche Journalist Jürgen Roth beschreibt hier das Unwesen der europäischen Wirtschafts-Elite und ihre Verbindungen zur Politik. Er tut dies in „Spiegel“-Art, mit einer Fülle von oft auch ganz unwichtigen Details, sodass man meist den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.

Zweimal wird also der Begriff „Staatsstreich“ bzw. „Putsch“ verwendet, um die Transforma­tion der parlamentarischen Demokratie in einen Autoritarismus neuer Art zu beschreiben. Der eine, Becchi, kritischer Sympathisant der Grillini, vielleicht mittlerweile schon „ehemaliger“ Sympathisant, konzentriert sich auf die nationale Ebene. Der andere, Roth, argumentiert kontinental und global.

Putsch, Staatsstreich ist ein Wort, dass sich auf dem ersten Blick für die Agitation nicht schlecht macht.

Das Roth-Buch mit seiner detailreichen Darstellung der Korruption in der Elite und dem vollkommenen Verschwimmen der Grenze zwischen den funktionellen Aktivitäten der Top-Manager und dem, was im Alltag gewöhnlich als Korruption bezeichnet wird, zeigt vor allem Eines: Die Organisation der Wirtschaft ist in einer höchst gefährlichen, ja schrecklichen Weise unzulänglich für hoch entwickelte Gesellschaften.

Auch der immer häufiger werdende direkte Wechsel von Spitzenpolitikern in die Privatwirt­schaft ist unter den gegenwärtigen Verhältnis eine nur zu nahe liegende Normalität. Das Leben nach der Politik eines Gerhard Schröder oder Wolfgang Schüssel ist nur mehr ein hauchdünnes Blättchen von offener Korruption entfernt. Aber nicht zuletzt die EU bemüht sich, dem Prinzip Nachachtung zu schaffen: Es sollen in der Wirtschaft und in der Politik möglichst dieselben Grundsätze und die selben Strukturen gelten.

Aber dagegen erhebt sich inzwischen Widerstand. Er kommt nicht mehr nur, vielleicht nicht einmal in erster Linie, aus der linken Tradition, wie es für Becchi und Roth noch zutrifft. Mir wurde unlängst ein kennzeichnendes Produkt einer, wie können ohne weiteres sagen: klein­bürgerlichen Revolte in die Hände gedruckt: Ein ehemaliger Chefredakteur der Wiener „Presse“ und danach Journalist bei einer Reihe bekannter bundesrepublikanischer Medien, Michael Maier (2014), beklagt die gegenwärtige Politik. Und sein Credo ist (97): „Der Staat kann die Wirtschaft im Grunde nur beeinflussen, wenn er Geld druckt. Die reale Wirtschaft ist, wie Hayek gezeigt hat, zu kompliziert für die Politik. Mit dem Gelddrucken bringt der Staat die Gesellschaft aus der Balance. Das von den Staaten im Umlauf gebrachte Falschgeld ist eine Flut an uneinlösbaren Versprechen. Sie führen zu Chaos und Zerstörung.“

Diese erzreaktionäre Haltung, die sich nicht zufällig auf Hayek beruft, wäre an sich nicht weiter erwähnenswert. Aber zum Einen sind die Formulierungen, die wir zu Dutzenden in diesem Buch finden, oft wirklich verwechselbar mit der Agitprop-Sprache, die viele Linke oder solche, die es sein wollen, auch benützen. Und zum Anderen schwappt das Vokabular dieses eifernden Kleinbürgers selbst wieder in die Debatte über: „Gelddrucken“ ist z. B. ein solches Wort, das nicht nur analytisch rundum ein Unsinn ist, sondern das ideologisch direkt aus dem Kern kommt, aus dem Sehnsucht nach dem „sauberen Privatkapitalismus“.

Unter „Falschgeld“ versteht der Herr Maier nämlich einfach das Buchgeld (Giralgeld), somit das eigentliche Geld der Gegenwart. Das zeigt am deutlichsten, wes Geistes Kind er ist. Am liebsten wäre ihm offenbar wieder der Goldstandard. Also: Zurück ins 19. Jahrhundert!

Wenn schließlich R. Rajan die Subprime-Krise der USA 2007 ˗ 2009 der Politik anlastet, dann gehört der ehemalige Chef-Ökonom des IMF im Grund auch in die selbe Kategorie. Ganz unrecht aber hat er damit wieder nicht. Manchen US-Politiker kamen das Steigen der Hauspreise und die NINJA-Kredite (NINJA = No Incom, No Job, no Asset, also Kredite an Unterschicht-Angehörige, die keinerlei Voraussetzungen für solche Kredite hatten) durchaus recht. Aber die FHA, die dortige Bundesbehörde für Wohnungswesen hat durchaus versucht, den Wahnsinn einzubremsen. Es waren die Banken, die in ihrer Gier abhoben. Und sie wollten wiederum die Geldschwemme aus den steigenden Profiten irgendwie wiederum profitabel anbringen.

Aber das eigentlich Interessante daran ist: Hinter diesen Texten, selbst bei Rajan, steckt eine Rebellion gegen diese Art von Globalisierung, wie sie mit aller Macht von USA und EU vorangetrieben werden.

Und damit stellt sich die Frage: Sind diese Menschen potenziell politische Bündnispartner?

Die Antwort ist nicht einfach. Leute wie Becchi und Roth müssen von der Linken ernst genommen werden. Außerdem werden ihre Bücher und Artikel von einem breiten Publikum gelesen. Letzteres trifft zwr auch für Maier zu. Aber der ist natürlich kein potenziell Verbündeter und würde sich sehr dagegen verwahren.

Aber die Gruppen und Personen, die er anspricht, sind für uns interessant. Ich bekam sein Buch von einem alten Bekannten aus Studientagen, der nie „gewendet“ hat. Mag sein, dass er inzwischen etwas von einem alten Wiener Sumperer an sich hat. Aber man kann und muss ihn ansprechen. Und er steht für einen ganzen Typus.

Das sind Menschen, die darauf warten, dass man sie irgendwie anspricht. Eine andere Frage ist freilich, ob sie bereits sind, sich selbst noch einmal zu engagieren. Dahinter steht übrigens ein ernsthaftes Problem: Doie Priorität, welche die Linke der Politik meist einräumt, ist eine zutiefst intellektuelle Haltung und durchaus problematisch. Aber das ist ein Problem für sich, über das man gesondert reden muss.

Wesentlich ist: Nicht wenige Menschen sehen in der gegenwärtigen Transformation von Staat und Politik tatsächlich einen illegitimen Staatsstreich. Die legalen Formen werden gewahrt. Aber der Inhalt, die demokratische Partizipation geht verloren. Schließlich: Was legal ist, entscheiden noch immer die Eliten. Über die Existenz von Hausmeistern in Wien dürfen wir abstimmen. Aber auf die Forderung nach einer Volksabstimmung über den Vertrag von Lissabon meinte unser Bundes-Grußaugust: „Das ist nicht notwendig…“ Kann man den politischen Zynismus weiter treiben?

Wir müssen versuchen, alle jene anzusprechen, die über den schleichenden Staatsstreich der nationalen Eliten und der EU-Bürokraten verstört sind. Die große Frage ist freilich: Wie gelingt uns das?

29. Dezember 2014

 
Becchi, Paolo (2014), Il colpo di Stato permanente. Cronache dagli ultimi tre anni. Venezia: Marsilio.

Maier, Michael (2014), Die Plünderung der Welt.  Wie die Finanz-Eliten unsere Enteignung planen. München: FinanzBuchVerlag.

Rajan, Raguram G. (2010), Fault Lines. How Hidden Fractures Still Threaten the World Economy. Princeton: Univ. Press.

Roth, Jürgen (2014), Der stille Putsch. Wie eine geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt. München: Heyne.

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