Links-Rechts-Frontstellung zur Zuwanderung in der Periode des Neoliberalismus
Die gesamte moderne Geschichte ist von großen Wanderungsbewegungen gekennzeichnet. Wir wollen hier lediglich die Periode seit dem Einsetzen des Neoliberalismus in den 1980er Jahren betrachten, die von dauerhaft erhöhter Arbeitslosigkeit und Schleifung des Sozialstaats geprägt ist.
Die Linke hat sich grosso modo auf die Seite der Immigranten gestellt, wenn auch in einer vorwiegend moralisierenden Weise, die bis heute keine Handhabe gegen den aufsteigenden Rechtspopulismus bot, der seinerseits die Einwanderer als Wurzel allen Übels darstellte. Diese Linke agierte allerdings von einer gesellschaftlich marginalisierten Position aus. Denn im Hintergrund gab es einen Kompromiss zwischen den Massenorganisationen der konservativ-liberalen Eliten (alte Rechte) sowie der über den Linksliberalismus (alte Linke) integrierten Arbeitnehmerorganisationen um den Zuzug zu begrenzen. Dieser Konsens basierte auf einer Mischung aus Kulturchauvinismus und Schutz des Arbeitsmarktes. Die Mittelschicht-Linke griff diesen Modus vivendi mit der Forderung nach offenen Grenzen an und bettete das in die Ideologie des Altermondismus ein, die die Globalisierung von unten imaginierte. No boder, no nation – so einer der extremsten Slogans. Gleichzeitig entwickelten sich auch im Elitenliberalismus Strömungen, die die Begrenzung der Zuwanderung aufheben wollten. Zumindest innerhalb der EU im Rahmen des Binnenmarktes haben sie sich durchgesetzt.
Der Rechtspopulismus baute seinen Aufstieg auf die Kombination von „Ausländer raus“ und Verteidigung der sozialen Interessen der Unterschichten. Symptomatisch war in Österreich die halb staatstragende Mobilisierung des Lichtermeers 1993, die eine Viertelmillion gegen die FPÖ auf die Straße brachte. Haider antwortete sinngemäß: André Heller, ein federführender linksliberaler Künstler mit besonderer Verachtung für die Unterschichten, kenne Ausländer nur als Dienstboten. Da lag in viel Chauvinismus ein Kern sozialer Wahrheit, die das historische Dilemma und Impotenz der linksliberalen Pro-Migranten-Position kennzeichnet.
Refugee Welcome
Im Sommer vollzog Merkel dann eine historische Wende schwedischer Art. Angesichts des immer näher ans Zentrum rückenden Flüchtlingselends signalisierte sie die Bereitschaft, signifikante Teile des Flüchtlingsstroms aufzunehmen. Dies rief eine enorme Resonanz in den Fluchtländern hervor. Es wurde als eine Art Einladung verstanden, jedenfalls als einmalige Möglichkeit ins reiche Zentrum zu kommen. Nicht die tatsächliche Zahl von Flüchtlingen, sondern das Potential diese Wende machte das politische Novum aus.
In den ersten Wochen wurden die Bilder in den Medien von Neuankömmlingen dominiert, die aus dem gebildeten Mittelstand stammten und einer globalen kapitalistischen Kultur angehörten – und oftmals auch noch fließend Englisch sprachen. Ihr Profil schien genau auf die Suchanfragen der deutschen Industrie zu passen. Die Ereignisse konnten fast so gelesen werden, als wolle Merkel Assad die Know-how-Träger abwerben. Jedenfalls handelte es sich im kollektiven Bewusstsein um Menschen, die schnell in den deutschen Mittelstand integrierbar sein würden.
Man feierte die „Willkommenskultur“ und sich selbst. Endlich stand man auf der Seite der Guten und des Guten, konnte die moralische Weltführerschaft für sich in Anspruch nehmen. Die Linksliberalen schienen sich nach dreißig Jahren endlich durchgesetzt zu haben. In Österreich war man besonders glücklich, denn man konnte Hunderttausende durchschleusen, ohne sie aufnehmen zu müssen.
Doch bald zeigte sich die Realität, dass der syrische Mittelstand zwar durchaus entwickelter als in anderen Ländern der Region, aber dennoch begrenzt ist – denn auch dieses Land wurde durch den Neoliberalismus, der dem Bürgerkrieg voraus ging, sozial verwüstet. Zudem kamen die Armen nicht nur aus Syrien, sondern auch von der Balkanperipherie und von den außer Kontrolle geratenen Brandherden der Peripherie, vorzugsweise Irak und Afghanistan.
Wie kann Merkels Wende erklärt werden? Hatte sie nicht noch vor kurzem von der deutschen Leitkultur gesprochen, einem nebulösen Konzept, das den einzigen Zweck hat Liberalismus mit Kulturchauvinismus unter ein Dach zu bringen? Sieht man von diversen kulturchauvinistischen und konspirativen Narrativen ab, so liegt ein Kern von Realität in der These von der lohnsenkenden Wirkung der Migration. Das was von Schröders Hartz-IV durch Merkels Mindestlohn abgeschwächt wurde, wird nun durch einen dritten Arbeitsmarkt bewirkt. Das ist eine unbestreitbare Folge und ist von einigen in der Elite sicher auch gewünscht, doch das als wesentliche Erklärung zu handeln wäre reduktionistisch und ökonomistisch. Zudem hat Deutschland keinen allzu großen Bedarf an ungelernten Arbeitskräften, es sei denn man wollte zum amerikanischen Modell. Viel besser geeignet als Lieferant ausgebildeter Arbeitskräfte ist indes Osteuropa, das durch den Binnenmarkt ja bereits weitgehend erschlossen wurde.
Zudem steht insbesondere die CDU/CSU für ein kulturchauvinistisches Konzept mit dem Islam als globalem Feind. Dazu ist es zwar sicher wichtig, den Feind auch im eigenen Land zu haben. Doch nicht, wenn man dafür die politische Verantwortung trägt. Die islamophobe Mobilisierung kann gewünscht sein, denn sie verleiht einer durch den Neoliberalismus fragmentierten Gesellschaft Identität und Einheit, doch nicht wenn sie mitten durch die eigene Klientel und noch schlimmer, den eigenen politischen Apparat, geht.
„Amerika will mittels Islamisierung Europa zerstören.“ Das ist das andere Extrem der Erklärungsversuche. Der Rechtspopulismus versucht so die Islamophobie als Werkzeug gegen die Eliten zu wenden. Dieses ideologische Phänomen wäre eine eigene Untersuchung wert. Wir wollen diese verquerte Behauptung nur nutzen, um Blicke auf die Wirkung von Migration zu werfen. Denn diese schwächt die Eliten nicht, sondern stärkt sie tendenziell durch Bevölkerungswachstum, den erhöhten Druck auf die Löhne und zementiert die politische Einheit über den Schichtenbau hinweg, wenn sie ein kulturell Anderes als Feindbild etablieren kann. Von Schwächung Europas kann also nicht die Rede sein. Zudem ist der Islam wie er als Anderes kultiviert wird, eine Form des Widerstands gegen den Zentrumskapitalismus, kann also selbst bei zunehmendem demografischen Gewicht keine herrschende Kultur werden. Von Islamisierung kann also nicht die Rede sein. Man könnte einwenden, dass das am Golf auch ginge, warum also nicht in Europa? Doch der Golf bleibt ein Appendix des Westens, ein zunehmend politisch dysfunktionales Herrschaftssystem für die Region, dem der Politische Islam entglitten ist.
Die wesentliche Erklärung für Merkels Wende bleibt eine christliche Ethik, die auf Charity basiert. Diese kann es als politische Kraft mit den Linksliberalen durchaus aufnehmen.
Gegenschlag mit Kölner Inszenierung
„Das Boot ist voll“ gibt es objektiv nicht, nur politisch-subjektiv. Die USA haben in den letzten Jahrzehnten dutzende Millionen Menschen aufgenommen, auch wenn diese hinsichtlich Bildung und Kapitalausstattung oft – nicht immer – besser situiert sind als der heutige Flüchtlingsstrom nach Europa. Es ist vor allem die Austerität und die Wirtschaftskrise, die die Aufnahmefähigkeit soziopolitisch begrenzt und die kulturelle Differenz vertieft. Signifikante Zuwanderung von wenig Gebildeten ermöglicht in Zentrumseuropa einen verstärkten Angriff auf das soziale Modell, das trotz allem Abbau substantiell mehr Reste des sozialen Ausgleichs kennt als die USA, die immer einen Billig-Lohnsektor hatten (siehe die Liftboys etc.). In diese Richtung würde Zentrumseuropa durch einen ungebremsten Flüchtlingsstrom unweigerlich bewegt.
Daher ist die Opposition der Unterschichten nicht nur verständlich, sondern auch legitim. Natürlich nicht der Chauvinismus und auch nicht die Diskriminierung der Migranten selbst, aber die Forderung nach der Beschränkung des Zugangs zum Arbeitsmarkt sehr wohl. Oft handelt es sich auch um angelernte Osteuropäer, oder sogar islamische Türken, die sich bereits eine Position erworben haben, die solche Anti-Migrationsstellung organisch entwickeln. Die Antwort der Linken „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ bleibt wirkungslos, wenn nicht gleichzeitig der Neuzugang reguliert wird – und da sind die Linksliberalen blind.
Doch es gibt auch einen mächtigen, historisch tief verwurzelten Chauvinismus der Eliten und des Mittelstands, der eine Tradition als Herrschaftsideologie des Imperialismus aufweist. Ersteres und Zweiteres tendieren dazu sich zu vermischen, wenn die Interessen der Unterschicht nicht von einer linken Kraft aufgegriffen werden.
Hier kommt noch ein weiterer wesentlicher Effekt hinzu: Die antiislamische Haltung wird von weiten Teilen der Linken geteilt. Der alte Rassismus ist zwar auch noch vorhanden, doch die große Gefahr ist ein transversaler Kulturchauvinismus, der sich selbst als demokratisch versteht und dem alten Rassismus in seiner Integrations- und Anziehungskraft weit überlegen ist. Stichwort: Aufklärungsfundamentalismus.
Die Silvesterereignisse von 2015/16 kamen da gerade wie gerufen. Sie sind Folge eines anwachsenden Milieus von Kleinkriminellen, das durch die verfestigte soziale Hoffnungslosigkeit entsteht. Für Frankreich oder auch England ist das nichts Neues. Spezifisch ist hingegen, dass noch das Label Islam draufgelegt wurde, wiewohl es nicht belegt werden konnte. Und schon ist die große Einheitsfront der Zivilisation erstanden. Wieviele Diebstähle, sexuelle Belästigungen und Vergewaltigungen es bei kulturdeutschen Veranstaltungen ähnlicher Größenordnung gibt, interessiert da wenig. Wie läuft das wohl beim Oktoberfest des Mittelstandes und der (Groß)firmen? Da verzichtet man dann besser auf die Anzeige. Erst nach Bekanntwerden der Kölner Ereignisse gingen in Österreich zahlreiche ähnliche Anzeigen ein – scheinbar wollte man ein politisches Zeichen setzen.
Zur Haltung der osteuropäischen Staaten
Gerne wird die Weigerung der meisten osteuropäischen EU-Staaten auf Geheiß der EU und Deutschland Flüchtlinge aufzunehmen als Pendant zur Position der Rechtspopulisten gesehen. Und tatsächlich deutet Vieles in diese Richtung. Doch es gibt durchaus auch ein legitimes Element. Es ist das Zentrum, das die Welt beherrscht, die Globalisierung steuert, die Kriege führt – und zu guter letzt die Profite einstreift. In diesem System bilden die Visegrad-Staaten den ersten Ring der Peripherie – und sie haben sich dafür einer neoliberalen Rosskur unterzogen. Warum sollen sie nun die vom Zentrum hervorgerufenen Flüchtlingsströme aufnehmen?
Eine Haltung im Interesse der Subalternen
Jede linke Positionierung muss von der Ungleichheit, Unterdrückung und Ungerechtigkeit des kapitalistischen Weltsystems, des historischen und aktuellen Imperialismus ausgehen. Spezifisch sind es heute die neoliberale Globalisierung, also das extreme Freihandelsregime, sowie die zahlreichen Kriege zur Erhalt der US-amerikanischen Hegemonie. In den sich ums Zentrum legenden Krisenringen zerfallen Staaten und wird das Leben immer schwieriger. Es reicht ein paar Länder zu nennen und jeder hat die Bilder im Kopf: Afghanistan, Somalia, Irak, Jemen, Libyen, Ukraine, man könnte die Liste beliebig verlängern. Und erstaunlicherweise sind aus einigen dieser Staaten die Flüchtlingsströme noch nicht so richtig bei uns ankommen. Im Grunde genommen ist sich ein erheblicher Teil der Gesellschaft dessen bewusst, auch wenn es durch die Medien nicht angesprochen wird.
Lange Zeit bestand die Antwort der Linken in der Forderung der Globalisierung von unten, der sozialen EU usw. Der Prozess der Entmachtung der schwachen Staaten wurde grundsätzlich gutgeheißen, der überbordenden Macht einer scheinbar entstaatlichten Zentrumsoligarchie wollte man mittels globaler Gegenmacht begegnen. Eine gefährliche und auch schon damals völlig unrealistische Illusion. Sie interpretierte den Neoliberalismus als Rückzug des Staates insgesamt, auch der Zentrumsmächte. Tatsächlich waren die Zentrumsstaaten nur in ihrer Funktion des sozialen Ausgleichs ins Visier geraten. Im Sinne der Interessensvertretung der Eliten haben sich die Zentrumsstaaten jedoch nie zurückgezogen, sondern ihre Rolle sogar ausgeweitet – beispielsweise bei der Kriegsführung, der Verbreitung des Dieselmotors aber auch bei der Bankenrettung. Kapitalismus kann es ohne starken Staat überhaupt nicht geben, ebenso wenig einen freien Markt oder globalen Freihandel.
Nur mit Hilfe zuerst der schwachen (National)staaten, aber letztlich mittels Forderungen an die Zentrumsstaaten können die Subalternen ihre Interessen gegen die globalen Eliten geltend machen. Politische Kontrolle der Subalternen über die Wirtschaft, über die Ströme von Waren, Kapital und Arbeitskraft kann nur über die Rückeroberung von Macht in den (National)staaten entwickelt werden.
Heute sind wir wieder beim alten kolonialen Dreieck Kapital, Sklaven, Baumwolle angekommen – dieses müssen wir durchbrechen.
Die Arbeitskraft ist nur ein Teil davon. Sie muss in den Gesamtkontext gestellt werden, was zugegebenermaßen nicht einfach ist. Aber sie ist ein wichtiger Teil. Nur wenn die Arbeitsmärkte reguliert sind, können soziale Rechte durchgesetzt werden, natürlich noch mehr im Rahmen einer umfassenden Wirtschaftspolitik.
Aus tiersmondistischer Sicht könnte man einwenden, dass die Zentrumssubalternen gegenüber jenen der Peripherie ebenfalls privilegiert seien – und das ist natürlich richtig und oft exorbitant zutreffend. Daraus allerdings die politische Sinnhaftigkeit der Migration abzuleiten, wäre ein Trugschluss. Nicht nur, dass Entwicklung an der Peripherie vor allem die ausgebildeten Arbeitskräfte braucht und durch Bevölkerungsverlust der aktiven Schichten zerrüttet wird. Vor allem muss man sich bewusst machen, dass die globalen Subalternen ein Abstraktum sind. Das Forum der Politik bleibt der (National)staat, in dem sich der Kampf der Subalternen artikuliert. Wenn in einem Zentrumsstaat eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten der Subalternen stattfindet, so ist das über vielerlei Vermittlungsschritte auch für den Kampf an der Peripherie günstig. Umgekehrt gewendet: die Amerikanisierung oder Faschisierung des Zentrums durch Amalgamierung der Eliten mit den Subalternen ist für die Opposition an der Peripherie das ungünstigste Szenario.
In diesem großen Zusammenhang wird klar, warum es im Interesse der unteren Schichten liegt, die Zuwanderung zu regulieren und zu begrenzen. Für dieses Recht muss man eintreten und diese Forderung ist für sich genommen nicht chauvinistisch.
In diesem Kontext ist es von großer Bedeutung zwischen politisch Verfolgten, Kriegsflüchtlingen und Menschen, die einfach nach einer besseren Existenz suchen – so individuell verständlich das auch sein mag –, zu unterscheiden. Erst die Begrenzung der Zuwanderung gibt Raum und Akzeptanz für Asyl.
Gleichzeitig muss für bereits Eingewanderten ein Kampf für gleiche Rechte und gegen jede Form des Chauvinismus geführt werden. Das kann bis zu Formen politisch-kultureller Autonomie gehen. Die Anwesenheit anderer Kulturen soll zum Austausch, gegenseitigem Verständnis und gemeinsamer Entwicklung genutzt werden.
Auf der anderen Seite bedeutet die Anerkennung des Anderen auch die Affirmation der eigenen (nationalen) Identität, die als solche noch nicht chauvinistisch sein muss, sondern politisch veränderbar ist. Erst mit dieser Feststellung kann der Kampf gegen den rechten, chauvinistischen Sozialpopulismus aufgenommen werden. In diesem Sinne müssen auch Mehrheiten für die Begrenzung der Zuwanderung als demokratischer Entscheid akzeptiert werden, selbst wenn wir den chauvinistischen Unterton ablehnen und verurteilen.