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Rohrkrepierer Islamgesetz?

3. April 2016
Von Wilhelm Langthaler

Gedanken zur Abweisung der Verfassungsklage


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Am 1. März 2015 trat das stark novellierte Islamgesetz in Kraft, dessen Vorgaben per Jahresfrist umzusetzen waren. Politisch war es wesentlicher Bestandteil der islamophoben Mobilisierung, namentlich deren staatlicher Flügel. Die selbstorganisierten islamischen Vereine, denen eine hierarchisch-zentralisierte Organisation fremd ist, wurden summarisch als potentiell gefährlich hingestellt. Man will sie daher nach dem Modell der katholischen Amtskirche unter ein staatstragendes Dach zwingen. Die öffentlich-rechtliche Institution „Islamische Glaubensgemeinschaft“ (IGGiÖ), für deren integrative Wirkung sich Österreich mit gewissem Recht rühmte, wird nun von freiwilliger auf Zwangsmitgliedschaft umgestellt. Der Staat maßt sich in unerhörter Weise an, die oberste, zentrale, exklusive religiöse Instanz des Islam zu organisieren.

Antiislamisches Pferd gegen die Demokratie: reiten oder abgeworfen werden?

Politischer Architekt dieses Husarenstreichs ist der ÖVP-Jungzampano Kurz, der seine Weisheit bereits davor mit der Forderung einer amtlichen Koranübersetzung unter Beweis gestellt hatte – als gäbe es nicht bereits zahlreiche unterschiedliche und kompentente Übertragungen und vor allem als gingen die gegenwärtigen Konflikte auf den Inhalt der sakralen Schriften zurück. Diese zweite These ist übrigens ein wichtiger Bestandteil des islamfeindlichen Narrativs. (Denn wie in allen Religionen ist Inhalt und Status der heiligen Bücher nur ein Element, während der Schwerpunkt in der von der Gegenwartsgesellschaft inspirierten Gestaltung liegt.) Kurz schließt an die österreichische Tradition des Josephinismus an, die Religion unter staatliche Kontrolle zu nehmen und für die eigenen autoritären Zwecke zu (miss)brauchen. Die Schule des aufgeklärten Absolutismus ist grundlegend paternalistisch und antidemokratisch und transformierte sich nicht zufällig angesichts der französischen Revolution und anderer drohender Volkserhebungen in die schlimmste Reaktion (Metternich), die Europa Jahrzehnte in Griff haben sollte.

Die „Kurz-sichtigen“ SPler waren auf den antiislamischen Zug mit aufgesprungen und hatten das Gesetz freudig mit beschlossen, ohne zu erkennen, dass es einen Bruch mit ihrer eigenen Tradition der gelenkten Integration darstellte. Man dachte wohl an schnelles politisches Kleingeld ähnlich der billigen Rhetorik gegen das größtenteils von Saudiarabien finanzierte King Abdallah Dialogue Centre (KAICIID), während man das Wesentliche, die hervorragenden Geschäftsbeziehungen mit Riad, unangetastet lassen könne. Als aber dann die ÖVP-Kampagne gegen die islamischen Kindergärten sich auf die rote Gemeinde Wien einschoss und dafür den Hofmoslem Ednan Aslan in Stellung brachte, sahen sich die SP-Granden in die Enge getrieben. Sie müssen nun den Preis dafür bezahlen, dass sie mit dem chauvinistischen Populismus spielten, anstatt neue Wege der demokratischen Teilhabe zu entwickeln. Es wäre nicht zum ersten Mal, dass die Geister, die man rief, sich gegen einen selbst wendeten.

Aslan soll übrigens für seine Dienste um die sich entdemokratisierende Republik mit einer Professur am zu schaffenden universitären Institut für die Ausbildung der Islamlehrer belohnt werden – eine Hand wäscht bekanntlich die andere. Der islamischer Religionsunterricht (die materielle Grundlage der IGGiÖ, denn Zwang allein ist meist nicht ausreichend) und die neu zu regelnde Lehrerausbildung, die der Staat ebenfalls als Hebel einzusetzen sucht, wurden übrigens aus dem Gesetz ausgenommen. Denn Fragen des Unterrichts bedürfen einer Zweidrittelmehrheit, die eine großkoalitionäre PR-Aktion auf Kosten der Demokratie und der Muslime vermutlich auf die Schnelle nicht zustande bekommen hätte.

Tatsächlich sägt das Gesetz an den Grundlagen der Republik, nämlich den demokratischen Rechten auf Meinungs,- Religions- und Organisationsfreiheit. Es handelt sich um seit 1848 erkämpfte Rechte, die die Macht des Staates gegenüber seinen Bürgern begrenzen. Mit der Sicherheitshysterie um das Bedrohungsszenario 9/11 werden diese Rechte systematisch beschnitten und zurückgedrängt. Die vom Islamgesetz stipulierte Auflösung aller nicht kirchenmäßig organisierter muslimischer Vereine ist ein gefährlicher Präzedenzfall, umso mehr als er sich hinter der geschürten Angst vor dem Islam versteckt.

Wer ist hier säkular?

Unbemerkt richtet sich das Gesetz frontal gegen die Trennung von Kirche und Staat, dessen Fehlen zynischerweise gerade dem Islam kollektiv vorgeworfen wird. Mit dem Gesetz soll der unabhängige und vielfältige sunnitische Islam verstaatlicht werden.

Abgesehen davon stimmt auch der Vorwurf nicht. Denn der sunnitische Islam kennt keine Priesterschaft, keine professionellen Mittler zwischen den Gläubigen und Gott. (Der staatliche 12-Schiitismus ist da dem Christentum viel ähnlicher, auch wenn er nicht den Exklusivitätsanspruch des Katholizismus hat, der zu einer Unzahl von Spaltungen geführt hat.) Das Problem der Säkularisierung stellt sich im sunnitischen Kontext völlig anders. Die weltlichen Herrscher mussten sich gar nicht von der Kirche emanzipieren, denn die gab es nicht. Machtbasis der Imame war die Rechtssprechung. Wenn man so will, gab es also schon vor der Aufklärung eine vormoderne Form der Gewaltenteilung.

Die islamophobe Kampagne greift auf hanebüchene Weise den Islam als solchen an und verwechselt ihn (absichtlich) mit der Protestbewegung des Politischen Islam, der vollständig Ausdruck der Verwerfungen der (Post)moderne ist. Die Islamisten fordern, dass die Religion die Politik bestimmen müsse. Das postulieren sie aber im Wesentlichen nicht von der Perspektive des Staates aus, sondern – um einen problematischen Begriff zu verwenden – von jener der Zivilgesellschaft aus. Denn die vom westlichen Kolonialismus übernommenen Staaten haben versagt, ebenso wie die staatlichen Befreiungsversuche im Sinne einer selbständigen Entwicklung vom Westen politisch, militärisch, ökonomisch und kulturell niedergewalzt wurden. Der Politische Islam ist ein Protest gegen die bestehenden Staaten und das bestehende Weltsystem hinter ihnen. Wenn man also schon eine Analogie ziehen will, dann ist die historische Säkularisierungsbewegung gegen die mit der Kirche verbundenen Staatseliten mit der Protestbewegung des Politischen Islam vergleichbar, der gegenwärtig gegen die mit dem Westen verbundenen Staatseliten aufbegehrt. Der Vergleich hinkt gewiss, jedoch weniger als der Versuch die historische Aufklärung mit Massenanhang gegen die Eliten mit der gegenwärtigen Aufklärungskeule von oben gegen die islamischen Volksmassen zu assoziieren.

Nur in einem einzigen Staat wurde eine Randform des Politischen Islam, der Wahhabismus, in einer Koalition mit dem Königshaus in den Apparat eingebaut. Autoren dessen Monstrums waren aber wiederum die Briten, die willige Vollstrecker wollten und selbständige Anwärter auf die Herrschaft von Anfang an ausschlossen. Ansonsten haben politisch-islamische Bewegungen auf demokratische Weise, über Wahlen Einfluss genommen. Selbst wenn ihre Ziele nicht immer demokratisch sind, konnten sie daher die Staaten nicht vollständig unter Kontrolle nehmen.

Was den bewaffneten Politischen Islam, den Jihadismus, betrifft, so wird dieser trotz der verzweifelten Lage der Volksmassen mehrheitlich abgelehnt. Nur im Gefolge der Besatzung des Iraks durch die US-Koalition und die Marginalisierung der sunnitischen Bevölkerung, sowie die regionalen und internationalen Verstrickungen, konnte sich der Islamische Staat etablieren und auf Syrien ausdehnen. In diesem Kontext hat das autoritäre Ancien Regime in der gesamten Region Konsens verloren und ein politisches Vakuum hinterlassen. Nachdem die demokratische Volksrevolte scheiterte, konnten auf der einen Seite sich Teile des alten Systems (Sisi, Assad,…) wieder stabilisieren und auf der anderen Seite der Jihadismus ausbreiten. Doch die Verschmelzung von Kriegern, Priestern und Richtern, wie sie der IS de facto betreibt, widerspricht grundsätzlich der sunnitischen Tradition. Aber zurück zum Islamgesetz.

Verfassungsklage und Winkeladvokatentum

Geführt vom größten und mächtigsten islamischen Verband, der ATIP, erhoben mehrere Dutzend Vereine Klage beim Verfassungsgericht (VfGh). Dabei muss man wissen, dass die ATIP der Intimfeind des Ministeriums ist, denn sie steht in Verbindung zur von der kemalistischen Republik geschaffenen Religionsbehörde Diyanet. (Eigentlich wurde diese mit dem gleichen Motiv ins Leben gerufen, wie die IGGiÖ und das Islamgesetz.) Seit Jahrzehnten geht es vor allem darum, die ATIP von der Kontrolle der IGGiÖ fernzuhalten, Erdogan hin oder her. Mit demokratischen Mitteln ist das kaum möglich, denn sie ist angesichts des türkischen Hintergrunds der meisten Muslime die dominante Kraft unter ihnen.

Nicht, dass ATIP, Diyanet und die AKP selbst besonders demokratisch wären. Aber Demokratie misst sich nun einmal daran, welche Freiheit die Andersdenkenden genießen. Vor allem auch wenn es um Religion geht, die sich der Ebene des Rationalen zumindest teilweise entzieht.

Kern des novellierten Gesetzes ist, dass sich alle islamischen Vereine, die die Verbreitung der religiösen Lehre als Teil des Vereinszweck angeben, auflösen und in die IGGiÖ einordnen müssen. Wer das nicht tat, musste per 1.3.2016 mit der Auflösung rechnen. Doch bis 1. März erging kein einziger Auflösungsbescheid. Was war passiert? Im letzten Moment hatten sich die meisten Vereine ungeachtet der Klage doch der IGGiÖ eingegliedert, in der bereits fest um Einfluss und Neuverteilung der Macht gerungen wird. Doch so klein beigeben wollte die ATIP dann auch wieder nicht. Ein einziger Verein in ihrem Dunstkreis trat den Canossagang nicht an und will die Regierung stellvertretend für alle herausfordern. Gut so. Man darf gespannt sein.

Währenddessen hat Anfang März der VfGh die Klage aus formalen Gründen abgewiesen, ohne mit einem einzigen Wort auf deren Inhalt einzugehen: „Vor dem Hintergrund der Unbestimmtheit des Antragsvorbringens und der Vielfalt der Zwecke in den Statuten ist unklar, inwieweit ein Zwang zur Statutenänderung bei sonstiger Rechtsfolge der Auflösung besteht. Den antragsstellenden Vereinen wäre es in dieser Situation zumutbar gewesen darzulegen, durch die Aufrechterhaltung welcher Bestimmungen in ihren Statuten eine Auflösung der Vereine drohe.“ Jeder Verein hätte also im Detail für sich argumentieren sollen, in welcher Weise seine Statuten das Gesetz verletzen würden. Sollte so die polizeijuristische Arbeit an die potentiellen Opfer ausgelagert werden?

Es ist zwar ein wichtiges demokratisches Prinzip, dass die Judikatur die Politik den anderen Staatsgewalten überlässt, aber dieses Urteil ist politische Feigheit versteckt hinter juristischer Haarspalterei. Immerhin geht um grundlegende verfassungsmäßige demokratische Prinzipien, zu deren Wahrung das Verfassungsrecht schließlich dient.

Das gilt auch für die zweite wesentliche Frage, nämlich ausländische Finanzierung versus Gleichbehandlungsgrundsatz. Es ist eine diskutable politische Entscheidung ausländische Finanzierung von Vereinen und religiösen Gruppen zu untersagen. Wenn das Russland und China machen, dann gilt es zwar den Medien als undemokratisch, aber wenn es das österreichische Parlament beschließ, wäre das eine demokratisch legitimierte politische Entscheidung. Die generelle Untersagung ausländischer Geldzuschüsse widerspräche jedenfalls in keiner Weise der Verfassung. Doch warum ist es dann bei der katholischen Kirche oder noch mehr bei den diversen amerikanischen Freikirchen, die den puren Kapitalismus predigen, kein Problem? Es sind diese Doppelstandards, unterschiedliches Recht für Freund und Feind, die dem Gleichheitsgrundsatz eklatant zuwider laufen.

Politische Interpretation – österreichische Lösung

Politisch ist Kurzens Operation also auf halbem Weg stecken geblieben. Die einschüchternde Wirkung des Gesetzes ist spürbar und ein Schritt zur Sunna-Kirche wurde getan. Ein gefährlicher Präzedenzfall für die Durchlöcherung des Vereingesetzes ist es sowieso. Doch die Exekution der hart antidemokratischen Vereinsauflösungen hat das Ministerium scheinbar zu umschiffen versucht, zu sehr würde man die Verfassung herausfordern. Indirekt kann die Formulierung des VfGh, „unklar inwieweit ein Zwang zur Auflösung besteht“, so gelesen werden. Es wurde also totes Recht geschaffen, das aber durchaus politische Wirkung zeitigt.

Zur vielbeschworenen Entradikalisierung trägt das alles nicht bei – im Gegenteil. Es zeigt den Muslimen, dass sie potentielle Feinde sind und sich dementsprechend verhalten sollen. Die meisten werden sich unterordnen, wenn auch mit bitterem Beigeschmack. Einige mehr als früher mögen andere Schlüsse ziehen – jedenfalls ein Schritt Richtung französischer Verhältnisse.

Das sollte keine Entwarnung sein. Der Kampf für Meinungs- und Religionsfreiheit muss weitergehen und dieser beginnt immer bei den Rechten der Anderen. Eigentlich bedürfte es eines einzigen Gesetzes für alle Religionsgemeinschaften. Der Widerstand gegen die grassierende Islamophobie ob von oben oder von unten bleibt zentral.

Statt Haudrauf plädieren wir für die demokratische und soziale Teilhabe und das schließt immer auch ein internationales Element der Gerechtigkeit gegen (Neo)kolonialismus und Ungleichheit ein, dessen (auch religiöses) Symbol nun einmal die israelische Besatzung Palästinas ist. Eine europäische Anerkennung des palästinensischen Selbstbestimmungsrechts würde dem Jihadismus in Europa sehr schnell jegliche politische Basis entziehen. Ähnlich wichtig wären ein Ende des Neoliberalismus und damit der Armut und Perspektivlosigkeit, der die französischen Ghettos in Europa verallgemeinern.

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