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Alexander van der Bellen – die Dritte Republik und ihre Machtgelüste

24. Februar 2017
Von Albert F. Reiterer

Schuschnigg in Berchtesgaden und der Bundespräsident in Brüssel / Strassburg


„Kleinstaaterei … Verzwergung … die Macht unserer großen europäischen Gemeinschaft“ … usw. (Wiener Zeitung, 15. Feber 2017). Es ist nicht Schuschnigg, der hier vor Hitler in Berchtesgaden auf den Knien liegt. Das erkennt man daran, dass die Macht Europas, nicht des Deutschen Reichs, angerufen wird. Es ist Alexander van der Bellen, welcher am 14. Feber 2017 seinen Kotau vor Brüssel und dem sogenannten Europaparlament macht. Die Unterwer­fungsgeste kam natürlich bestens an. Die Janitscharen der EU tobten vor Begeisterung: „Tosender Applaus … Niemand verstand es, aber alle klatschten“ (Kurier, 15. 2. 2017).

Es war Felix Kreissler, erzwungener Emigrant aus Österreich mit jüdischem Hintergrund, der in einem umfangreichen Werk (1980) darauf hinwies: Bevor die Erste Republik von den Nazis mit dem Einmarsch der deutschen Truppen einkassiert wurde, ging sie mental an ihren Intellektuellen und ihrer politischen Klasse zugrunde. Er, selbst Historiker, hat oft genug und im Detail gezeigt, wie das akademische Establishment – er nennt immer wieder Srbik, Groß­professor und Präsident der Akademie unter den Nazis – damals die hegemoniale Ideologie bestimmt hat. Ein doch erheblicher Teil der Bevölkerung ging dabei mit, nicht zuletzt, weil die Menschen die Austrofaschisten hassten.

„Zu groß für Österreich“ (Reimann 1968) dünkten sich einige der Sozial- und Christdemokra­ten damals. Nur nebenbei: Dieser Buchtitel eines deutschnationalen Journalisten hallt noch in jenem läppischen Brief seines Gesinnungsgenossen Gorbach aus Vorarlberg 2007 nach, wo der den britischen Schatzkanzler um eine Sinekure anging: Austria „is too small a country…“. Und in diese Umgebung und diese Mentalität gehört der neue Bundespräsident denn auch.

Das Österreich der Ersten Republik ging auch und nicht zuletzt an der Weigerung seiner politischen Klasse zugrunde, die neue Existenz als Kleinstaat als eine historische Chance zu sehen. Sie waren im archaischen Habsburgerstaat aufgewachsen und hingen dem Wahn der Großmacht nach. Diese Großmacht sahen sie nun im Deutschen Reich. Dementsprechend lief auch die sonstige Politik der Möchtegern-Staatsmänner zwischen Größenwahn und Unterwerfung – erst unter Mussolini, dann unter Hitler.

Die Zweite Republik verstand hingegen ihre Existenz ganz anders und erreichte damit einen Riesenerfolg für die Bevölkerung. Nicht dass dies von vorneherein für alle selbstverständlich war. Insbesondere die Sozialdemokraten taten sich schwer. Fritz Adler wollte aus dem Lon­doner Exil von seiner großdeutschen Gruppe gar nicht zurück kehren in dieses so verabscheu­te Österreich. Karl Czernetz tat dies sehr wohl und wurde NR-Abgeordneter und, in der Diktion der konservativen Journaille, „Chef-Ideologe der SPÖ“. Über die deutsche Nation hielt er in Hinkunft den Mund. Dafür sprach er mit Vorliebe über Europa. Bei keinem anderen als diesem langjährigen hohen SP-Funktionär ist dies so durchsichtig: Deutschland durfte er nicht mehr sagen – also sagte er „Europa“.

Die Konservativen taten sich da leichter, weil sie eher auf kleine, regionale Einheiten orien­tiert waren. Dort waren sie noch die Herren. Raab – „mich werdet ihr nicht zum Demokraten machen“, sagte der Wirtschaftskammer-Präsident und Bundeskanzler – spöttelte sogar darüber. Gefragt, warum die Sowjets Österreich entgegenkamen, meinte er: „Weil wir ein so furchtbares Land sind…“ Heute allerdings sind die Kräfte in der Tradition dieser Konservati­ven die unbedingtesten EU-Enthusiasten. Das gilt auch für jene, die einmal historisch positiv über Österreich reflektiert haben (etwa: Bruckmüller 1984 und 1998).

Heinz Fischer hatte den Vertrag von Lissabon mitzuverantworten. Er hat eine Volksabstim­mung verhindert. Damit trägt er hohe Verantwortung für den heutigen Verfall Österreichs. Aber Heinz Fischer hat nie die Aufrüstung der EU befürwortet. Er hat Österreich nie in diesem Ausmaß verkauft. Der österreichische Bundespräsident hat zwar keine Machtstellung. Trotzdem ist diese bedingungslose Unterwerfung unter das deutsch-brüsseler Diktat von symbolischer Kraft. Van der Bellen betont nicht zufällig immer wieder seine Freundschaft mit Franz-Josef Fischer. Der steht für den ersten Angriffskrieg der Berliner Republik, zusammen mit Schröder. Das also ist die Perspektive der Dritten Republik. Der grün-rosa Bundespräsi­dent kehrt in die Erste Republik zurück. Er nimmt den Diskurs der Nostalgiker des Ancien Regime wieder auf.

Aber hat denn nicht eine Mehrheit der Österreicher diese Figur gewählt? Ja, hat sie. Die hegemonialen Kräfte und die politische Klasse an den Futtertrögen haben sich akut bedroht gefühlt. Es ist fast lachhaft, wenn man den Gegenkandidaten und sein Format betrachtet. Aber selbst dieser stellte eine Gefahr dar, weil ihn die unteren Klassen mit großer Mehrheit wähl­ten. In ihrem knappen Triumph übersehen sie nur jetzt, dass sie zwar die Wahl gewonnen haben, die Hälfte der Bevölkerung aber doch gegen den Grünen gestimmt hat. Einen solchen Erfolg hat die FPÖ allein gegen alle noch nie erzielt. Wenn die Elite halbwegs nüchtern wäre, müssten alle Alarmglocken bei ihnen schrillen…

Doch bleiben wir ein wenig noch bei der Dritten, der Zweiten und der Ersten Republik.

Seit Jahrzehnten gibt es immer wieder Untersuchungen zum Thema „democratic peace“ (Ward / Gleditsch 1998). Die These ist: Demokratien führen keine Kriege. Wenn also die Welt möglichst demokratisiert würde, käme Frieden. Unglücklicher Weise stützen die Ergebnisse dieser aufwendigen Untersuchungen mit hohem statistischen Einsatz die These nicht wirklich. Es kommt darauf an, was man als Demokratie versteht. Man bräuchte dazu eigentlich gar keine hochgestochenen statistischen Untersuchungen. Es genügt völlig, dass man nachzählt: An wie vielen Kriegen, Aggressionen und sonstigen bewaffneten Konflikten in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg waren die USA beteiligt? Der Anteil ist äußerst hoch. Und die Politikwissenschafter, welche diese Untersuchungen durchführen, werden die USA wohl ohne Zweifel zu den „Demokratien“ rechnen.

Es kommt also nicht auf das Regime an, jedenfalls nicht, solange unter Demokratie nicht etwas Substanzielleres verstanden wird als der geläufige westliche Parlamentarismus. Auf was kommt es aber dann an?

Da hatte Karl W. Deutsch, Nationentheoretiker in der Mitte des 20. Jahrhunderts und Politik­wissenschafter, eine ingeniöse Idee. Sie wird seither von den mainstream-Politikwissenschaf­tern, den Großmacht-Apologeten, noch und noch wiederholt, obwohl nichts sie stützt und sie in Wahrheit auch nicht ehrenhaft war. Es gibt umso eher Frieden, sagen sie, je weniger Staaten es gibt. Das Beste wäre ein (despotischer?) Weltstaat. Denn mit jedem zusätzlichen kleinen Staat gibt es mehr Konflikte. Wer allerdings diese Konflikte auslöst, sagen sie nicht dazu.

Das Machtgefälle und die Machtkonzentration macht defnitorisch den Großstaat aus. Das aber ist die eigentliche Quelle von Konflikt aus der Aggressivität der Großstaaten heraus. Jeder Großstaat ist unter augenblicklichen Verhältnissen eine Gefahr für den Frieden. Man müsste die bestehenden Großstaaten zerlegen, bevor sie noch mehr Schaden anrichten. Kant hat dies vor mehr als zwei Jahrhunderten schon ganz gut begriffen. Seiner Auffassung nach wäre ein System von gleichrangigen Staaten die beste Voraussetzung für „ewigen Frieden“. Als ich das nicht nur einmal auf einer Konferenz ausgerechnet eines Kleinstaats vertrat, der gerade der NATO beitrat, habe ich mich bei den offiziösen Gastgebern akut unbeliebt gemacht (Reiterer 2000). Man sieht, auch in anderen Kleinstaaten haben Politiker mit der Kleinstaaten-Existenz Schwierigkeiten: Sie fühlen sich nicht ernst genug genommen…

Eine Reihe der archaischen Großstaaten sind bereits vor einem Jahrhundert zerfallen: das Osmanische, das Zaren-, das Habsburgerreich, nicht ohne vorher Millionen von Toten zu verursachen. Bei den USA, China, Indien, ist es derzeit ziemlich schwierig, sich das vorzu­stellen. Die EU hingegen kann noch ohne Schaden, ja mit ganz erheblichem Gewinn ausein­ander genommen werden, bevor sie noch mehr Schaden anrichtet, zum ökonomischen Desaster auch noch mehr Kriege jenseits der Ukraine etc. anfängt. Dringlich vonnöten wäre dies, wie es sich in den letzten Jahren gezeigt hat. Denn da war das Kriegs- und Militarisie­rungs-Projekt EU besonders in Fahrt. Die Berliner Republik hat ihre neuen Ansprüche nicht zuletzt auch über die EU nach außen getragen.

Für dieses Aufrüstungs- und Militarisierungs-Projekt steht Alexander van der Bellen. Die Eliten und ihre Lohnschreiber lieben ihn daher. Man lese nur den „Kurier“-Leitartikel vom Sonntag, 19. Feber 2017.

Wir von der Linken müssen uns drauf einstellen: Wir müssen diesen Gegner bekämpfen, bevor er mehr Schaden anrichtet – ebenso wie wir seinen Gegenkandidaten zu bekämpfen gehabt hätten, wäre der Sieger gewesen. A. van der Bellen ist aber gefährlicher, weil er die Unterstützung nicht nur der nationalen politischen Klasse hat, sondern auch den übernatio­nalen Staat hinter sich weiß. Der Bundespräsident hat heute eine einzige reale politische Funktion: Er soll die jeweilige Regierung legitimieren und mit ihr dieses verrottete System. Das allein reicht schon aus, dass wir die Funktion bekämpfen. Beim Grünen kommt aber noch was dazu: Er will Österreich zerstören, diesen „Zwerg“, der ihm so zuwider ist. Doch dieses Österreich hat in der Zweiten Republik immerhin ein Projekt dargestellt, welches auch für die mittleren und unteren Schichten ein halbwegs menschenwürdiges Leben ermöglichen sollte.

Wir müssen uns also auf einen jahrelangen Kampf gegen dieses Amt und gegen diese Person, gegen dieses Symbol, diese Verkörperung der Eliten einstellen, gegen Alexander van der Bellen. Den aber müssen wir unbedingt sofort beginnen. Leicht wird es nicht, weil die Menschen andere Sorgen haben, die ihnen näher liegen. Aber der Fisch beginnt vom Kopf zu stinken, also muss dieser Kopf weg.

Literatur

Ernst Bruckmüller (1984), Nation Österreich. Sozialhistorische Aspekte ihrer Entwicklung. Wien / Köln / Graz: Böhlau.

Ernst Bruckmüller (1998), Die Entwicklung des Österreichbewusstseins. In: Kriechbaumer, Robert, Hg., Österreichische Nationalgeschichte nach 1945. Die Spiegel der Erinnerung: Die Sicht von innen, Band 1. Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 369 – 396.

Deutsch, Karl W. (1968), The Analysis of International Relations. Englewood Cliffs, N.J.: Prentice-Hall-

Félix Kreissler (1980), La Prise de conscience de la nation autrichienne. 1938 1945 1978. 2 vol. Paris: PUF.

Kant, Immanuel (1795), Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Königsberg: Friedrich Nicolovius (Reprint Stuttgart: Engelhorn, 1987).

Reimann, Viktor (1968), Zu groß für Österreich Seipel und Bauer im Kampf um die Erste Republik. Wien u. a.: Molden.

Reiterer; Albert F. (2000), Human Rights and Great Power Politics: A Social Scientist’s View. In: Javnost – The Public 7: 1, 15 – 23.

Ward, Michael D. / Gleditsch, Kristian S. (1998), Democratizing for Peace. In: Am. Pol. Sc. Rev. 92, 51 – 61.

20. Feber 2017

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