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Für eine seriöse linke Umwelt- und Klima-Debatte

6. September 2019
Von A.F. Reiterer

Eine seriöse linke Umwelt-Debatte ist überfällig. Sie müsste aber eine rationale, autonome und von linken Grundsätzen getragene Diskussion sein, die nicht „die grünen Schauerge­schichten über ein bevorstehendes Ende des Lebens auf dem Planeten nacherzählt“ (W. Streeck).


 

Kommentar von A.F. Reiterer, 5.9.2019

Das Thema ist zu wichtig, um es den grünen Gefolgsleuten der Elite zu überlassen

Vor einem halben Jahr begann die Schüler-Bewegung zur Erderwärmung. Wir haben mit Sympathie hingesehen. Endlich demonstrierten da junge Leute, dass sie mobilisierungsbereit und politikinteressiert waren!

Inzwischen haben sich die hegemonialen Schichten und Gruppen dieser Bewegung völlig bemächtigt. Sie dient wesentlich dazu, von den sonstigen politischen Themen abzulenken. Ein Fetischismus des drohenden Weltuntergangs verdrängt Alles, was an rationaler Debatte in diesem ohnehin schwierigen Bereich noch möglich gewesen war. Greta Thunberg und ihre jungen Gefolgsleute erweisen sich immer mehr als die sprichwörtlichen nützlichen Idioten von Eliten und Intellektuellen.

Wie verblödet inzwischen die Debatte läuft, zeigt sich an der Atlantik-Überquerung im Segelboot. Das ist eine glänzende Marketing-Idee. Aber was sagt es, wenn es irgend einen Inhalt hat? Zurück in die Zeit der Segelschiffe, in die vorindustrielle Zeit. Und der ORF-Journalist ist sich nicht zu blöde, daraus eine Geschichte über die Fahrt mit der Transsib nach Peking zu machen…

Eine seriöse linke Umwelt-Debatte ist überfällig. Sie müsste aber eine rationale, autonome und von linken Grundsätzen getragene Diskussion sein, die nicht „die grünen Schauerge­schichten über ein bevorstehendes Ende des Lebens auf dem Planeten nacherzählt“ (W. Streeck).

Zu einer solchen Debatte gehören mehrere Stränge. Analytisch muss man sich dringlich von der Hegemonie der IPCC-„Experten“ verabschieden. Zu einer solchen Diskussion gehört auch politisch, sich in den politischen Zielen von Prinzipien wie Egalitarismus, Selbstbestimmung und Demokratie leiten zu lassen. Eine neue Umwelt-Politik soll schließlich nicht im Wesent­lichen eine Disziplinierungs-Kampagne für widerspenstige Unterschichten werden, und auch nicht eine Werbe-Strategie für ansonsten nicht konkurrenzfähige Produkte oder Energie-Quellen. Genau darauf läuft die Medien-Hype derzeit hinaus.

Ich bin auf die Klima-Problematik vor längerer Zeit gestoßen. Mich interessiert hauptsächlich die langfristige Entwicklung von Mensch und Gesellschaft. Das führte mich zu intensiven Recherchen über die langfristige Klima-Geschichte. In diesem Themen-Bereich, soziale Ent­wicklung, gibt es seit längerer Zeit wieder eine eigentlich sehr alte Tendenz: Jede Entwick­lung und insbesondere jeder gesellschaftliche Zusammenbruch wird auf eine Klima-Änderung zurück geführt. Der Zusammenbruch des Alten Reichs in Ägypten um 2300 v.u.Z., das Ver­schwinden der Anasazi-Zivilisation im Südwesten der heutigen USA um 1200 u. Z.; und nun eben der angeblich drohende Zusammenbruch des westlichen Kapitalismus im 21. Jahrhun­dert – das Alles sind Folgen von Klima-Änderungen.

Ein auch in Fachzirkeln ernst genommener Bestseller-Autor, Jared Diamond, hat dies mit seinem umfangreichen Wälzer („Collaps“), zu seinem Thema gemacht. Man soll das Buch lesen. Denn im Gegensatz zu seinem ersten Bestseller über die Entwicklung der Zivilisation und des heutigen Weltsystems („Guns, Germs, and Steel“), der auch schon eine naturali­stische Schlagseite hatte, ist dieses spätere Buch schlampig recherchiert und oberflächlich. Aber es steht in einer Tradition. Nicht nur Malthus mit seiner menschenverachtenden Bevölkerungspolitik lässt grüßen. Schon vor 150 Jahren hat William Jevons, einer der Begründer der Neoklassik und damit der heutigen mainstream-Ökonomie, die Konjunkturen und die zyklischen Krisen des Kapitalismus mit dem Sonnenflecken-Zyklus begründet: Wirtschaft und Gesellschaft sind Natur-Ereignisse und -Prozesse… Diese Naturalisierung sozialer Entwicklungen ist viel älter, fand sich schon vor Thomas Malthus und findet sich heute vor allem im angelsächsischen Bereich prominent wieder. Man sehe nur methodisch die Journale Science und Nature durch, auch das eher für interessierte Laien gedachte Spektrum der Wissenschaft (Scientific American) und ihre Berichte zur Archäologie oder zur Frage von Gerechtigkeit, etc.

Bei diesen Recherchen zur Klima-Geschichte kam ich eben auch in die aktuelle Debatte und die internationalen Berichte. Die argumentieren teils durchaus historisch. Dabei fiel mir insbesondere auf: Die IPCC-Leute bekämpfen mit einer religiösen Inbrunst die Aussage: Schon im römischen Klima-Optimum (etwa 150 u. Z.) und im mittelalterlichen Klima-Optimum (etwa um 1000 u. Z.) habe es in Europa vergleichbare Temperaturen wie heute gegeben, bevor sie wieder absanken. Und dies ist kein Zufall.

Denn damit sind zwei Grundlagen der heutigen Klima-Hysterie massiv betroffen und in Frage gestellt.

(1) Der anthropogene Faktor der Erderwärmung konnte damals nur einen ziemlich kleinen Anteil an der Klima-Veränderung ausgemacht haben, nach Oben wie nach Unten.

(2) Die gesellschaftliche Katastrophen – und es ist vielleicht ein grobes Vokabel, aber kein ganz falsches – waren damals keineswegs die Perioden der Erderwärmung. Man spricht nicht zufällig vom Optimum, in der römischen Zeit wie im Mittelalter. Die Katastrophe ergab sich vielmehr jeweils durch die nachfolgende Abkühlung. Und die war auch nicht von Menschen gemacht. Sie war für die europäische Bevölkerung in der Kleinen Eiszeit von 1300 bis 1850 auf weite Strecken wirklich katastrophal. Und warum? Weil die Menschen und Gesellschaften damals, gefördert durch die feudale Gier nach dem bäuerlichen Mehrprodukt, in völlig ungeplanter Weise den Spielraum durch die günstigeren Klima-Verhältnisse ausreizten. Damit sahen sie bei der Abkühlung keinerlei Möglichkeiten mehr, wie eine sinnvolle Reaktion auf die neuen Verhältnisse aussehen sollte. Oder drastischer gesagt: Sie verhungerten einfach bzw. waren so geschwächt, dass sie neuen Seuchen eine leichte Beute wurden. Schon im ältesten Ägypten könnte dies so ähnlich gewesen sein.

Analytischer gesagt: Die damalige Erderwärmung brachte günstige Produktions-Bedingungen unter den damaligen Produktions-Verhältnissen und dem damaligen Stand der Weltbevölke­rung (um 1000 u. Z. herum etwa 300 Millionen Menschen, vielleicht einige Millionen mehr) und vor allem der Bevölkerung in Europa. Ob der Meeres-Spiegel damals um einige Zentimeter anstieg, war weitgehend gleichgültig. Noch waren die Küsten nicht vollgedrängt von halb verhungerten Bauern, wie heute in Bangla Desh.

Heute hat sich letzteres drastisch geändert. Aber eine Voraussetzung ist vergleichbar: Die völlig ungeplante Bevölkerungs-Explosion seit den 2,5 Mrd. von 1950, und eigentlich schon vorher (1800 machte die Weltbevölkerung erst 1 Mrd. Menschen aus) hat den Nahrungsmittel-Spielraum einigermaßen ausgereizt. Allerdings, und das ist eine wesentliche Korrektur zum eben Gesagten: Die heutige Menschheit – 2019 etwa 7,9 Mrd. Menschen – wäre bei heutigen Produktions-Bedingungen ohne weiteres ernährbar. Selbst bei einem Anstieg auf rund 11 Mrd. Menschen im Jahr 2100 gäbe es sogar mit der heutigen (!!) Technik kein eigentliches Nahrungsmittel-Problem von der Produktion her. Das Problem ist die Verteilung.

Das sind nun zwei fundamentale Feststellungen.

Die Bevölkerungsentwicklung, deren Wachstumsraten gerade in Gesellschaften besonders hoch sind, die es sich am allerwenigsten leisten können, man sehe nach Afrika, ist kein ein Naturprozess. Es ist eine Frage der Wohlstands-Entwicklung und damit auch der politischen Planung. Eilends sei hinzugefügt: Bisher wurde diese Aussage missbraucht, um die Bevölke­rung zu schikanieren und zu knechten. Beispiel China: Die nachmaoistische Bevölkerungs­politik („Ein-Kind-Politik“) hat für das Einbremsen der Geburtenentwicklung nahezu nichts erbracht. Der große Rückgang in der Gesamtfruchtbarkeit (Kinder pro Frau) hat bereits vorher stattgefunden. Die Deng-Restauration hat sie nur benutzt, um China erst recht in einen eisernen Griff zu bekommen.

Die zweite ebenso wichtige Aussage, die wiederum viel näher direkt an der Klima-Politik ist:

Wenn die Erderwärmung zu einem beträchtlichen Anteil ein spontaner Natur-Prozess ist, dann ist sie auch nur zu einem geringen Teil einzubremsen. Dann ist eine Politik, die darauf angelegt ist, eine riesige Verschwendung (in wessen Interesse?). Dann wäre es wesentlich zielführender, die negativen Folgen dieser Erderwärmung durch eine entsprechende Politik abzufangen.

Zum Vergleich ein Bild: Wenn, wie es in Horror-Filmen vorkommt, ein riesiger Meteorit auf die Erde zurast, wird es wenig Sinn machen, zu versuchen die Erde aus ihrer Bahn zu schie­ben. Aber man kann mit vergleichsweise geringem Aufwand versuchen, den Meteoriten zu sprengen und seine Bestandteile zu pulverisieren.

Eine Debatte über Klima und Klima-Politik ist dringlich. Dass ausgerechnet manche Linke glauben, die Hysterie mitmachen zu müssen und die abgegriffenen Slogans der konservativen Grüne übernehmen, ist eine der leider ziemlich kennzeichnenden Ironien der „progressiven“ Debatte.

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