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Das Nach-der-EU vorbereiten

Schluss mit dem Neoliberalismus


22. Juni 2020

Aufruf der Europäischen Koordination gegen Euro, EU, Nato und Neoliberalismus


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[Hier kann man den Aufruf selbst unterzeichnen.]

Die Corona-Pandemie hat einen gewaltigen Sturm losgetreten und uns an einen Point-of-no-return geführt. Die Büchse der Pandora wurde geöffnet. Die Gesamtheit der chronischen Krankheiten des Finanzmarkt-Kapitalismus wurden ans Licht gezerrt. Über der Menschheit geistert das Gespenst der Jahrhundert-Stagnation. Mit dem Niedergang der neoliberalen Globalisierung treten wir in eine Periode großer Turbulenzen und sozialer Katastrophen ein, die andererseits auch Chancen auf Veränderungen bieten. Zusammenstöße zwischen Vertretern eines politischen Projekts der unteren Schichten und Klassen und jenen eines autoritären kapitalistischen Regimes sind möglich. Die Umwälzungen reißen die aktuellen geopolitischen Gleichgewichte fort, mit dem Risiko eines zerstörerischen Konflikts zwischen den großen Mächten.

Die EU wird aufgrund ihrer brüchigen Fundamente und ihrer inneren Gegensätze in diesem kommenden weltweiten Beben schwer ins Strudeln kommen. Die Covid-19-Pandemie hat in der Tat die totale Unfähigkeit der Union entblößt, auf die Notsituation zu reagieren und sich zu reformieren. Deutschland, der eigentliche Hausherr der EU, hat nie aufgehört seine eigenen Interessen zu verfolgen, seine starren ordoliberalen Regeln durchzusetzen, wiewohl sie sich als unhaltbar erweisen. Dieses deutsche und europäische Dogma wirkt zu Ungunsten insbesondere der Mittelmeerländer, die riskieren im Abgrund zu versinken. Das ist es auch, was uns das kürzliche Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts sagen will.

Keine Spur von Eurobonds, also der Vergemeinschaftung der Schulden. Die vorgelegten Instrumente (EIB, SURE, ESM) um die am härtesten getroffenen Länder zu unterstützen, sind wie der Strick, der den Gehängten stützt. Es handelt sich in der Tat um Kredite, um neue Schulden für Staaten, deren Titel schon jetzt als Junk-Bonds angesehen werden. Schlimmer noch: um diese Kredite in Anspruch zu nehmen, müssen die Empfängerstaaten strenge Bedingungen akzeptieren, die die Möglichkeit einschließen, dass sie unter Kuratel gestellt werden, mit der Aussicht als Protektorat behandelt zu werden. Das setzt diese Länder, in allererster Linie Italien, sozialen und politischen Spannungen aus, die sie auf den Weg heraus aus dem Käfig des Euro führen könnten.

Einen Weg, ihre Agonie zu verlängern, hätte die EU. Das ist sicher nicht der ungewisse, sogenannte Wiederaufbaufonds. Vielmehr müsste man der EZB erlauben, wie alle Zentralbanken zu agieren, nämlich als Darlehnsgeber der letzten Instanz. So könnte, in der Hoffnung den volkswirtschaftlichen Motor wieder anzuwerfen, die dazu notwendige enorme Liquidität geschaffen werden. Das ist der Vorschlag, den Draghi gemacht hat. Er verbleibt im Rahmen der klassischen liberalen Ökonomie und würde immer noch zu weiteren Verschuldung führten: die Zentralbank würde die Staaten finanzieren, unter Verwendung des Kanals über die Privatbanken. Natürlich müssen die Staaten die Schulden wieder zurückzahlen, wobei sie die Ausfälle des privaten Sektors umgehängt bekämen. Das Prinzip ist bekannt: Vergesellschaftung der Verluste, Privatisierung der Profite.

Zusammengeschweißt wie Blutsbrüder haben die dominanten transeuropäischen Sektoren des Kapitalismus im Namen des monetaristischen Dogmas, für das das Geld in Europa ein knappes Gut bleiben muss, diese Möglichkeit ausgeschlossen. Der Hintergrund für diese Beharrlichkeit ist evident: es ist die monetaristische Idee, nach der die Geldpolitik eine unabhängige Variable sei, welches nichts zu tun habe mit Fiskalpolitik und auch keine sozialen Auswirkungen zeitigen würde. Für die Herrschenden soll der Geld-Hebel aber immer die Peitsche zur Unterwerfung der Lohnabhängigen bleiben, um sie ackern zu lassen wie die Lasttiere.

Aus diesem Sumpf können sich Länder, vor allen jene mit der Pistole der Gläubiger an der Schläfe, mit halben Maßnahmen niemals herausziehen – auch nicht mittels finanz- und geldpolitischer Manöver, seien sie auch noch so virtuos. Sie können das nur schaffen, indem sie dem Staat eine neue Rolle zuschreiben, eine Rolle, die ihm erlaubt, nicht nur die volle Kontrolle über das Geld und das Bankensystem, sondern auch über die wichtigsten Mittel der Produktion und Distribution auszuüben. Die Privatwirtschaft lenkt und investiert ihre Ressourcen nur unter der Bedingung, dass es ausreichende Sicherheit gibt, kurzfristig und in zufriedenstellendem Umfang Profite zu erzielen. Es ist genau diese Bedingung, die das Kapital im Kontext einer verallgemeinerten Krise wie der aktuellen nicht antrifft. Es zieht es vor, seine Motoren anzuhalten, auch zu dem Preis, die Gesellschaft in die Katastrophe zu stürzen.

Aus dieser schweren Krise können die Staaten, besonders jene, die dem Angriff des räuberischen Finanzsektors ausgesetzt sind, nicht heraus, wenn sie sich nicht aus dem doppelten Käfig des Neoliberalismus und der Globalisierung befreien – dessen Bollwerk die EU ist. Die verschiedenen Mitgliedsstaaten können sich nur retten, indem sie die EU-Verträge kündigen, die sie in Ketten halten, und so ihre nationalen Souveränität und damit die Kontrolle über Politik und Geld zurückgewinnen. So kann der Weg zu einer regulierten Wirtschaftsweise durch die öffentliche Hand eingeschlagen werden.

Es handelt sich nicht nur um einen Wunsch. Die EU wird den Schlägen, die ihr durch die Krise versetzt werden, kaum standhalten können. Der Zerfall der EU läge in der Logik der Dinge. Was aus ihren Trümmern hervorgehen wird, hängt von vielen und noch unkalkulierbaren Faktoren ab. Sicherlich werden neue geopolitische Konfigurationen und Bündnisse entstehen. Und sicherlich werden, wo die Volksmassen sich nicht rechtzeitig in Bewegung setzen, wo sie es nicht rechtzeitig schaffen, bedeutende demokratische und soziale Fronten zu bilden, Kräfte der extremen Rechten oder Unterstützer eines nationalen Kapitalismus die Gelegenheit nutzen wollen, um im Chaos ein autoritäres System zu etablieren.

Dies ist die Herausforderung, die sich am Horizont abzeichnet – und auf diese Herausforderung müssen wir uns vorbereiten. Es müssen demzufolge in jedem einzelnen Land breite Bündnisse gebildet werden, Instrumente, die die Mobilisierung der Lohnabhängigen und der Mehrheit des Volkes organisieren und leiten können. So kann vom augenblicklich schwachen Widerstand zur Offensive übergegangen werden. Früher oder später geht es um nichts anderes als die Macht. Um diese zu erlangen, ist es notwendig, ein Programm für eine breite und tiefe Transformation zu entwickeln, die soziale Gerechtigkeit, politische Demokratie und Freiheitsrechte zusammenführen. Jedes einzelne Land wird unter Berücksichtigung der Eigentümlichkeit seiner eigenen Geschichte und Kultur, seines sozio-ökonomischen Gefüges, seinen eigenen Weg einschlagen. Es genügt nicht, dass die Staaten zu ihrer Souveränität zurückkehren. Es bedarf der Volksmacht statt der Macht der Eliten, um die antisozialen Antriebe des Kapitalismus auszubremsen, um den Vorrang des öffentlichen Eigentums in den strategischen Sektoren zu etablieren und die Wirtschaft im Sinne des Gemeinwohls zu lenken.

Nur freie Völker und demokratische, souveräne Nationen können gleichberechtigte Beziehungen der gegenseitigen Solidarität etablieren, gegen jeden Nationalismus und Imperialismus, können eine neue Weltordnung ohne Blockbildung in gegenseitigem Respekt und der Brüderlichkeit aufbauen.

Ein starker Wind kommt auf: Folgen wir seinem Kurs, setzen wir die Segel.

 

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