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China – ein Beitrag zu einer Debatte

21. November 2020
Von Rainer Brunath

Westliche Politik und westlicher Medienmainstream haben sich dafür entschieden, Chinas Entwicklung als Bedrohung aufzufassen. Eine Bedrohung für den »Westen«, wird einfach unterstellt – und daher bliebe diesem – „der Wertegemeinschaft“ - nun gar nichts weiter übrig, als sich mit Konflikt und neuem Kaltem Krieg zur Wehr zu setzen.


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Dies kann einfach nicht die  Sicht eines pragmatisch und realistisch denkenden Menschen sein. Seine Weltsicht, insbesondere nach der Überwindung des einstigen Kalten Krieges zwischen zwei Weltsystemen Ende der 1980er Jahre sollte immer eine ganzheitliche, eine menschheitliche Problemsicht  sein, verbunden mit einer Suche nach Lösungen für massive Menschheitsprobleme, die auch China hat.
 
Hat China Probleme?  Na sicher!  Welcher Art sind diese Probleme? Es sind die Probleme der Menschheit, und China hat sie – anders als die meisten anderen Staaten – wegen seiner schieren Größe und Bevölkerungsmenge auch als  innerstaatliche Probleme. Übertrüge man die Landmasse Chinas  auf Europa mit 1,4 Mrd. Menschen, dann reichte es von Portugal bis zum Ural mit 741 Mio. Menschen und umfasste zusätzlich auch den arabischen, den persisch-afghanischen und den nordafrikanische Raum. Um das zu verstehen, wäre es hilfreich, sich die in diesem Gebiet existierenden sozialen, historischen, ethnischen und religiösen Probleme, ja sich auch die aktuellen massiven Migrationsprobleme die Europa schon hat, vor Augen zu führen,  dann würde sich auch der Blick für die Problemfülle und Problemschärfe in China weiten.
 
Was die Menschheitsprobleme betrifft, so gibt es an ihrer Existenz keinen Zweifel. Schon beginnend mit den 1970er Jahren wurde unzählige Male dokumentiert worin diese Menschheitsprobleme bestehen. Das Klima erwärmt sich mit einer Geschwindigkeit, die für Hunderte Millionen Menschen schon jetzt zu einer unmittelbaren Lebensbedrohung geworden ist (Schmelzen von Polkappen und Gletschern verbunden mit dem Anstieg des Wasserspiegels der Weltmeere; Tauen des Dauerfrostbodens; Wüsten breiten sich aus), die Weltwirtschaft führt zu ungehinderter Zerstörung natürlicher Ressourcen  wie  Zerstörung der tropischen Wälder, Vermüllung der Ozeane.  Das  neoliberale Dogma führt zur Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich, führt zu fortwährendem Gären ethnischer Spannungen; führt zu immer neuen Kriegen – befeuert durch ungebremste, vornehmlich von den Waffenschmieden der westlichen Demokratien materialisierte Aufrüstung.  Wie will die Menschheit das alles bewältigen, wenn nicht nur gemeinsam?
Die UNO wurde 1945 aus weltweitem Problembewusstsein heraus geschaffen, nach dem zweiten Weltkrieg mit der Einsicht, sich trotz fort existierender großer Differenzen eine Weltorganisation zu schaffen, um den Frieden zu wahren und einen neuerlichen Weltkrieg nicht zuzulassen. Und sie gab sich eine Charta zur Friedens-sicherung und eine zu den Menschenrechten  – und sie nahm China auf, im Bewusstsein, dass notwendige Lösungen nur mit China zu haben sind.  China repräsentiert mit 1,4 Mrd. Menschen fast ein Fünftel der  Menschen der Weltbevölkerung.
 
Die UNO, 1945 vor allem ein Kind des damaligen Systemkonflikts, verlor seit 1989  von Jahr zu Jahr an Bedeutung als Folge eines von den Westmächten unter Führung der USA bewusst herbeigeführten Prozesses – durch die Kriege gegen den Irak 1991 und 2003, die NATO-Aggression gegen Jugoslawien 1999, den seit 2001 andauernden Afghanistankrieg, dem  entfachen der Kriege gegen Syrien und Libyen.  Diese Kriege sind nicht anderes als eine hinterhältige Überlistung und damit eine  Schwächung der UNO gewesen – und sind sie noch.
 
Die Zeitenwende, das Ende des Systemkonfliktes und des kalten Krieges  1989 war für China von ganz besonderer Bedeutung. Der Aufstieg Chinas, 1978 mit der von Deng Xiaoping geführten radikalen Abkehr von der »kulturrevolutionären« Politik der 1960er und 1970er Jahre, ging 1990 über in seine  entscheidende Phase.  Gorbatschow sah zwar den Systemwechsel  auch in China voraus, doch  Deng Xiaoping   orientierte auf  das Festhalten des chinesischen Weges zum Sozialismus und der Erhaltung des Weltfriedens.
 
Das aber wurde von den Herrschenden, bestärkt in der Überzeugung,  den Gang der Weltgeschichte endgültig siegreich entschieden zu haben – quittiert mit neuen Kriegen, neuen Spannungen – einem neuen Systemkonflikt.  Dem steht entgegen, dass China  seit 1990 nicht einen Krieg geführt hat – eher Verhandlungsangebote machte, wie z.B. in Verbindung mit diversen Grenzstreitigkeiten mit Vietnam oder Taiwan. Da sollte ein rationaler Geist sich fragen, wer eigentlich an Frieden und gleichberechtigte Beziehungen interessiert ist und wer eher an Unterwerfung und an Sieg über Schwächere. 
 
Rationale, pragmatische Politik in Deutschland, wenn überhaupt vom Mainstream mit seiner Interessengebundenheit  zur Kenntnis genommen, hat es unter den gegebenen Bedingungen schwer, Massenwirksamkeit zu erlangen. Interessengebundenheit – Profitlogik – steht im Vordergrund und wird leider mehrheitlich hingenommen. So haben Protagonisten für gleichberechtigte Beziehungen zu China keinen Grund zur Annahme, es gebe in Bezug auf China – oder auch auf Russland – so etwas wie einen gemeinsamen »nationalen deutschen« oder auch »europäischen« Standpunkt.
 
So destilliert sich heraus, dass der Umgang mit China eine Klassenfrage ist, wie er es immer schon war. Kaiser Wilhelm II. befahl 1900 »seinen« deutschen Soldaten, bei der Niederschlagung des chinesischen Boxeraufstandes dafür zu sorgen, dass »der Name Deutschlands in China in einer solchen Weise bekannt werde, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen«. 
 
Die  imperiale Politik der „westlichen Wertegemeinschaft“ – beginnend mit den Opiumkriegen der Kolonialmacht Groß Britannien Anfang des 19. Jahrhunderts– demütigte die uralte Kulturnation China eins um das andere Mal – immer beantwortet von chinesischer Seite mit Aufständen gegen Unterdrückung und Ausbeutung. Und die chinesischen Kämpfer bekamen Verbündete: deutsche Kommunisten traten in den 1920er und 1930er Jahren an die Seite der chinesischen Resistenza gegen Chiang Kai-shek und gegen die Aggression des mit dem faschistischen Deutschland verbündeten Japan. Diese Völker-Solidarität sollte sich in Spanien gegen den Faschisten Franko wiederholen. Es wäre hilfreich für jeden Politiker, sich diese historischen Erfahrungen immer zu vergegenwärtigen.
 
Das bedeutet nicht, einer unkritischen, »Solidarität« mit der chinesischen Führung das Wort zu reden – so wie sie offenbar zur israelischen Politik seitens der offiziellen Politik in Deutschland gepflegt wird. Nein, darum geht es gar nicht. Das wäre eher dazu geeignet, Pranger zu errichten, um dann im innergesellschaftlichen deutschen (europäischen) Diskurs die »Chinaversteher« an diesen stellen zu können.
 
Nein, es geht um etwas viel wichtigeres: es geht um den  menschheitlichen Blickwinkel gegen eine Politik, die statt auf eine  friedliche, sozialökologisch lebba-re Perspektive zu setzen,  Gegnerschaft, Konflikt, Kampf, Sanktionen zum Mittel ihrer Wahl macht.                                                               
 
Kurz, es geht um „Normalität“ in den Beziehungen zu China, wobei Fragen, wie „der Umgang mit den Uiguren“ oder „Hongkong“ – dessen Territorium ur-chinesich ist und das das UK einst geraubt hatte, eben nicht die Gehirne vernebeln sollte, weil alle Mainstream-Nachrichten einseitig sind und weil die Ansichten der chinesischen Führung eher in herablassender Weise besprochen werden.  So erzeugt solche Herangehensweise an die chinesische Politik Verurteilung und Protest in den Köpfen. Zweckdienlich – nämlich der Herstellung von Normalität – ist sie nicht.
 
Und dabei macht es China dem Westen vor, wie „Normalität“ aussehen könnte, wobei es in seiner Außenpolitik immer die „Interessenlage“ der anderen Seite berücksichtigt. Die Initiativen „Neue Seidenstraße“ oder  „Asiatischer Freihandelsraum“ dem quasi alle ostasiatischen Staaten inklusive Australien beigetreten sind, sind Beispiele für die Politik von Chinas Parteichef Xi Jinping, der  für „globale Lösungen“ wirbt.  Auch das wäre hilfreich für jeden Politiker, diese Angebote ernst zu nehmen anstatt die Debatte mit Killerbemerkungen  wie  Chinaversteher, ähnlich wie schon gehabt im Kontext mit Putin,  zu verschärfen. Sehen wir uns an, was Xi Jinping am 6.11.2019 auf einer internationalen Messe in Shanghai gesagt hat (zitiert nach Bejing Rundschau): Er kündigte eine weitere Öffnung Chinas an, getragen von „Pflicht und Verantwortungsbewusstsein Chinas, [um] gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft eine offene Weltwirtschaft […] aufzubauen. […] Kein Land kann im nationalen Alleingang die Entwicklungsprobleme der Weltwirtschaft lösen. Alle Länder sollten […] ihre eigenen Interessen nicht über die Interessen der Menschheit stellen“
Gibt es dagegen etwas einzuwenden?  Überlegenheitswahn oder Besserwisserei scheint aber unausrottbar und es finden sich immer noch unverbesserliche Schreiberlinge, die publizieren, Reden und Texte von Xi Jinping gehörten nicht in die Regale deutscher Buchhandlungen wie z.B. Thalia, denn das sei Chinesische Staatspropaganda. Das ist mehr als nur Verfehmung, das ist Hardcore und ist gleichzusetzen mit  Bücherverbrennung. Wollen wir da wieder hin? 
 
18.11.2020
 
Literatur: Chinas Weg – eine Menschheitsfrage, Wolfram Adolphi, Marxistische Blätter 6-2020
 

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