Ob ich in den Donbass gereist sei oder noch vorhabe mich dort hin zu begeben, wollen sie wissen. Sie stellen zahlreiche Fragen über die „Österreichische Friedens- und Neutralitätsreise“, die vergangenen Hebst hätte stattfinden sollen (siehe den bisher unveröffentlichten Aufruftext nachstehend). Das Projekt bestand darin, mit AktivistInnen und JournalistInnen – begleitet von einem Angebot an PolitikerInnen – sich ein eigenes Bild über die Situation im Donbass zu machen, um den es im gegenwärtigen Krieg sehr stark geht. Rund ein Dutzend ÖsterreicherInnen hatten sich angemeldet. Die Behörden der Volksrepubliken des Donbass hatten bereits Einladungsbriefe geschickt, die zur Beilage bei der Einreichung für Visen gedacht waren.
Schon 2019 hatten wir eine ähnliche Delegation durchgeführt, an der sich auch der steirische KP-Landtagsabgeordnete Werner Murgg beteiligt hatte.
Grundidee war und ist, dass die Repräsentantinnen und Repräsentanten eines Landes mit beiden oder viel mehr mit allen Seiten des Konflikts sprechen sollten, um zu einer friedlichen und gerechten Lösung beizutragen. Insbesondere die Bevölkerung des Donbass sowie ihre politische Repräsentation durch die Volksrepubliken wurden in der westlichen Darstellung völlig ignoriert. Dieses Ausblenden hat System. Es soll den Blick auf die Ursachen des Konflikts verstellen, der in der gewaltsamen Usurpation der Macht durch die ukrainischen Nationalisten 2014 liegt, unterstützt vom Westen. Dies provozierte im Donbass einen Volksaufstand. Die Bevölkerung wollte sich nicht von Leuten unterdrücken lassen, die sich in die Tradition der Nazi-Verbündeten um Stepan Bandera stellen, während ihre Vorfahren Millionen von Opfern im Kampf gegen die Nazi-Truppen zu beklagen hatten. Man darf nicht vergessen, dass gerade im Industriegebiet Donbass sowjetische und linke Traditionen noch lebendig sind.
Unsere ganz klare Botschaft: wenn unsere Regierung nicht bereit ist im Sinne der Neutralität zu handeln und zu diesem Zweck auch mit dem Donbass zu sprechen, dann machen wir das eben selbst – und laden dazu alle ein mitzumachen, denen der Frieden mit Russland und die Neutralität ein Anliegen sind.
Warum die Reise letztlich nicht stattfand, interessierte den Verfassungsschutz dann gar nicht mehr. Ihnen war es genug zu hören, dass derzeit nichts geplant sei. Der Grund für die Absage dieser Reise: Nach der Schlacht um Severodonetsk und Lisitschansk im Juli war die Hoffnung im Donbass groß, dass mit dem Zurückdrängen der ukrainischen Truppen endlich auch der Beschuss der Zivilbevölkerung aufhören würde, der in den acht Jahren des vorangegangenen eingefrorenen Bürgerkriegs auf beiden Seiten weit mehr als Zehntausend Tote gefordert hatte. Doch Washington legte nach dem russischen Teilerfolg nach und lieferte höherwertige Artilleriesysteme (Himars), mit einer Reichweite weit hinter die bisherigen russischen Linien. Damit wären wir direkt ins Kriegsgebiet gefahren und diese Verantwortung konnten wir nicht auf uns nehmen.
Nach ein paar Minuten ging die morgendliche Befragung zu Ende. Bis auf die konkrete Nachfrage nach zwei Namen gab es absolut nichts, was nicht auch über unsere zahlreichen Publikationen und öffentlichen Aktivitäten erfahrbar gewesen wäre. Ich frage nach einem Einvernahmeprotokoll. VS: „Ist nicht vorgesehen.“ WL: „Ist die Befragung Teil einer gerichtlichen Vorerhebung und wenn ja, wegen welchem Verstoß?“ VS: „Nein, ist es nicht.“ Ich war verdutzt. Welchem Zweck hätten die nutzlosen Fragen eigentlich dienen sollen? Der Inhalt kann es kaum gewesen sein. Oder wollten sie mich einschüchtern? Wohl auch kaum, denn dann hätten sie anders auffahren müssen, nachdem was sich über uns in der Bewegung gegen die Besatzung des Iraks zusammengebraut hatte (siehe weiter unten).
Eines kann man mit Bestimmtheit sagen: die Aktionsform der politischen Delegation in den Donbass hat enormes Potential Aufmerksamkeit auf die Frage der Neutralität und deren Missachtung durch die österreichische Regierung zu lenken. Das wenigstens hat der Besuch der „Staatsschützer“ unterstrichen.
Das einzige konkrete Element der Befragung waren die zwei Namen italienischer Staatsbürger. Tatsächlich hatten wir uns mit Friedensinitiativen aus anderen europäischen Ländern koordiniert, um mehr oder weniger gleichzeitig in den Donbass zu reisen. Darunter befand sich auch eine Koalition aus italienischen Kräften. Doch warum interessieren sich die österreichischen Behörden für zwei italienische Linksaktivisten? Sie wollten nur wissen, ob ich sie kennen würde. Mehr wollten sie gar nicht hören.
Komisch bleibt die Sache allemal. Denn wenn es sowas wie ein Amtshilfeansuchen von Italien (oder den USA) gibt, dann muss es wohl auch in irgendeiner Form die Konstruktion eines strafrechtlich relevanten Tatvorwurfs geben. Die österreichische politische Polizei hat jedenfalls nicht den Eindruck zu erwecken versucht, die Sache selbst ernsthaft zu verfolgen.
Schwierigkeiten der italienischen Regierung
Tatsache ist, dass die Nato-Kriegstreiberei der rechten Meloni-Regierung weder in der Bevölkerung noch in Teilen der Klientel der Regierungskoalition gut ankommt. Im Gegenteil, insbesondere in der Lega produziert das Spannungen und im geringeren Ausmaß auch in der Berlusconi-Partei. Da kann es zu allerlei Intrigen kommen, die auch über die Polizeiapparate und/oder die Medien gespielt werden können. Vielleicht soll in der einen oder anderen Form Munition für Kampagnenführung gegen Kriegsgegner gesammelt werden.
Es sei daran erinnert, dass wir schon einmal Opfer einer solchen italienischen Intrige geworden sind. Im Belpaese war der Widerstand gegen die Beteiligung am US-Krieg gegen den Irak und die nachfolgende Besatzung besonders stark. Das setzte die Regierungskoalitionen unter Berlusconi unter besonderen Druck, der in der Folge im Irak selbst eine weichere Linie fuhr als Washington lieb war. Sichtbar wurde das bei Entführungen von italienischen Soldaten oder anderen italienischen Bürgern im Irak. Berlusconi zahlte für deren Freilassung meistens, während die US-Führung darin einen Ansporn für weitere Entführungen sah und das zu unterbinden suchte.
Ein besonders brisanter Fall war die Entführung von vier italienischen Soldaten 2004 in Fallujah, einer Hochburg des Widerstands. Ein politischer Anführer des Widerstands, Abduljabbar al Kubaysi, bot damals die Befreiung der Geisel ohne Lösegeldzahlung mit der einzigen Bedingung an, nämlich dass diese an Vertreter der Friedensbewegung und nicht an Militärs oder die Regierung übergeben werden sollten. Der Widerstand wollte damit ein politisches Signal setzen, dass er nicht gegen das italienische Volk oder die Völker Europas kämpfe, sondern gegen die Besatzung und deren europäische Unterstützer. Berlusconi betrachtete ein solches Szenario als politisch hoch gefährlich und wollte das unter allen Umständen vermeiden. Ergebnis: eine tote Geisel und für den Rest wurde wieder gezahlt.
Der Zusammenhang mit heute? Man hat versucht Mitglieder der Antiimperialistischen Lagers, dessen Teil die Antiimperialistische Koordination (AIK) ist, für die Entführungen verantwortlich zu machen – mit geheimdienstlich gefälschten Beweisen, wie sich später glücklicherweise herausstellen sollte. Drei Italiener wurden wegen „Unterstützung des Terrorismus“ verhaftet. Sie wurden erst nach jahrelangen Prozessen freigesprochen.
Ich selbst sollte eines der Binderglieder zu den Entführern gewesen sein. Das wurde erst anlässlich eines Strafprozesses gegen einen in Ungnade gefallenen Agenten des Militärgeheimdienstes Sismi ruchbar. Gianluca Prieto hatte sich Zugang zu unseren Email-Accounts verschafft, Beweise gefälscht und die Geschichte an den Sismi „verkauft“. Innerhalb jenem tobte zu diesem Zeitpunkt selbst ein Machtkampf. Vielfach wurde die fragwürdige Tötung des Sismi-Vizechefs Calipari durch US-Soldaten im Irak damit in Zusammenhang gestellt.
Wir hatten damals großes Glück von der Maschinerie nur gestreift worden zu sein. Soviel nur, um ein Gefühl über die Unwägbarkeiten dieser Apparate zu bekommen.
Der größere Kontext: US-Kampagnendruck
Zu verstehen ist das nur, wenn man sich den enormen Druck vergegenwärtigt, der damals von Seiten der USA gegen die Unterstützer des irakischen Widerstands in Europa aufgebaut wurde, letztlich mit dem Ziel diese zum Schweigen zu bringen.
Wir hatten damals die politische Initiative „10 Euro für den irakischen Widerstand“ lanciert. Es ging darum zu demonstrieren, dass Widerstand, auch bewaffneter, gegen fremde Besatzung legitim ist, genauso wie es der Widerstand gegen die Nazi-Besatzung in großen Teilen Osteuropas gewesen war.
Das US-Parlament mit seinen diversen Institutionen sah die Initiative als Speerspitze einer politischen Bewegung und damit als große Gefahr an und versuchte dagegen vorzugehen. Am 28. Juni 2005 gab es dazu im Repräsentantenhaus ein gemeinsames Hearing des „Committee of Armed Services – Terrorism, Unconventional Threats and Capabilities Subcommittee“ sowie des „Committee of Financial Services – Oversight and Investigations Committee”. Besonders die republikanische Abgeordnete zum Repräsentantenhaus, Sue W. Kelly, tat sich hervor und initiierte einen Brief von 44 Kongressabgeordneten an den italienischen Botschafter in Washington (siehe PDF des Originals im Anhang), der das Verbot des Antiimperialistischen Lagers sowie die Unterbindung eines Kongresses zur politischen Anerkennung des irakischen Widerstands forderte. Die Kriminalisierungsversuche gingen nur haarscharf schief.
Die Snowden-Files brachten über ein Jahrzehnt später ein Dokument zum Vorschein, dass sich die NSA schon 2004 mit dem politischen Problem von Gruppen auseinandergesetzt hatte, die die Legitimität des bewaffneten Widerstands gegen die US-Besatzung nach Völkerrecht verteidigten. Sie veranstalteten ein Seminar unter dem trefflichen Titel „Playing the line between Terrorism and Political Action: The Anti-imperialist Camp“ – Einstufung: Top Secret.
2018 bekam das Nachrichtenmagazin Profil in den Besitz einer Liste von österreichischen Personen und Institutionen, die vom BND, mutmaßlich im Auftrag der NSA, überwacht worden waren. Auch mein Name schien zumindest für das Jahr 2005 auf, mit dem Vermerk „Terrorismus“.
Der Krieg gegen Russland ist dem US-Empire mindestens so wichtig wie jener gegen den Irak. Man kann sich also vorstellen, welche Mittel sie in Bewegung setzen werden, um die Unterstützung durch die EU aufrecht zu erhalten.
Der Besuch des Verfassungsschutzes ist letztlich ein Fanal für die Bedeutung unseres Kampfes für die österreichische Neutralität, gegen die Kriege zum Erhalt des American Empire und für den Frieden.
***
Bisher unveröffentlichter Aufruf für eine neuerliche Reise in den Donbass:
Für Frieden und Neutralität
Österreichische Fact-Finding-Mission in den Donbass
Der Krieg in der Ukraine ist eine unsägliche Katastrophe – vor allem für die Menschen im Land, und auch für uns in Österreich.
Der Westen schiebt die alleinige Schuld auf Russland. Unsere Eliten wollen keinen Zusammenhang mit der Ost-Expansion der Nato und EU sowie dem Ziel, Russland unterzuordnen, gelten lassen.
Ähnliches gilt für den blutigen Bürgerkrieg, in den die gewaltsame Machtübernahme rechter Nationalisten, unterstützt vom Westen, die Gesellschaft gestürzt hat.
Der Minsker Vertrag mit seiner Autonomieregelung wäre der Schlüssel zum Frieden gewesen, doch er wurde vom Westen und vom Maidan-Regime hintertrieben. Wer in der Ukraine dafür eintrat, wurde sogar verfolgt.
Im Sinne der Neutralität Österreichs müssen wir auch die andere Seite anhören, nämlich die Menschen im Donbass. Wir wollen uns daher selbst ein Bild von der Lage machen und mit Exponenten der Zivilgesellschaft, Augenzeugen der Kämpfe sowie Vertretern der Volksrepubliken sprechen.
Wir wollen als Botschafter der Neutralität dienen –und für Frieden mit Russland wirken. Denn das sind die antifaschistischen Lehren aus dem Weltkrieg, denen Österreich seine Existenz verdankt. Die Sanktionen und die Unterstützung des Nato-Kriegskurses verletzen nicht nur unsere Verfassung, sondern sie gefährden auch die Grundfesten der Republik.