Ein ganz entscheidender ideologischer Aspekt des Neoliberalismus insbesondere in Deutschland und Österreich ist die (späte) Umarmung des Antifaschismus, die einhergeht mit seiner Umwandlung, ja fast vollständigen Verdrehung und Auf-den-Kopf-Stellung. Der Antifaschismus verwandelte sich von einem oppositionellen Projekt gegen die kapitalistischen Eliten nicht nur zu einem Instrument zu deren Legitimierung, sondern zu einer richtiggehenden Keule gegen jede soziale und demokratische Opposition, geschweige denn eine antikapitalistische.
Wir wollen kursorisch nachzeichnen, wie diese noch in den 1980er Jahren völlig undenkbare Metamorphose möglich wurde.
Historische Vorbedingung Nachkriegsregime
Das deutsche Nachkriegsregime entmachtete als antikommunistischer Frontstaat den nationalsozialistischen Staatsapparat nicht, sondern köpfte ihn lediglich. Gegen die UdSSR und die Kommunisten brauchte man verlässliche Antikommunisten und da erschien den neuen Herren, den USA, die Entfernung der mittleren und unteren Ränge der alten Staatsapparate als nicht zweckdienlich. Es galt diese Schande möglichst zuzudecken, zu verschweigen, zu verwischen. Insbesondere der antifaschistische Widerstand, der in seiner überwältigenden Mehrheit von Kommunisten getragen worden war, galt als unerwünscht. Jedenfalls waren Kommunisten und konsequente Demokraten gefährlicher als US-treue Altnazis.
In Österreich was das doch etwas anders. Man hatte die Teilung des Landes durch die Zusicherung der Neutralität verhindert. Die linken Kräfte mussten nicht in gleicher Weise wie in der BRD unterdrückt werden. Die proamerikanisch gewendeten Altnazis blieben ebenfalls in den Apparaten, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß wie in der BRD. Man setzte sich zunehmend vom Deutschnationalismus ab. Österreich als Nation wurde innerhalb einer Generation von der überwältigenden Mehrheit akzeptiert, worin sich auch ein demokratischer Impuls befand. Die Problematik lag vielmehr in der Opferthese, die die Schuld der Austrofaschisten, deren gegenwärtige Nachfolger die ÖVP sind, verschleiern half. Denn sie hatten Österreich an die Nazis verkauft, mit De-facto-Unterstützung der deutschnationalen Sozialdemokratie. Zugedeckt, verschwiegen und verwischt wurde ähnlich wie in der BRD.
In Frankreich war das beispielsweise ganz anders. Der Gaullismus lebte davon, sich die Tradition der Résistance anzueignen, die wie überall überwiegend kommunistisch gewesen war und nahm so den Kommunisten Wind aus den Segeln. In Japan wiederum erschien es den herrschenden Eliten kaum nötig, sich von ihrer Vergangenheit abzusetzen.
Aber zurück zu Deutschland: „Unter den Talaren der Staub von Tausend Jahren“ lautete eine vielsagende Losung der 68er Bewegung. Sie griffen die Lebenslüge der BRD an, die als antikommunistischer Staat aus den Bausteinen des Nazistaates geschaffen worden war. Im Interesse der USA (und in ihrem eigenen) spalteten die kapitalistischen Eliten sogar ihr Land, um ein vereinigtes neutrales Deutschland, wie es von der UdSSR vorgeschlagen worden war, zu verhindern. Die DDR, die sich mit einiger Legitimität als antifaschistisch bezeichnete, wurde als Unrechtsstaat beschimpft, während man selbst die Kommunisten unterdrückte und die Antifaschisten am liebsten aus der Geschichte tilgen wollte. Daraus kann man die überragende Bedeutung des Antifaschismus ermessen, der eigentlich eine „normale“ kapitalistische Demokratie wie in weiten Teilen von Westeuropa erstrebte, was aber durch die Verweigerungshaltung von oben ein Radikalisierungspotential in sich barg.
Mit dem Ende der UdSSR und dem Feindbild Kommunismus bot sich die einmalige Chance die deutsche Anomalie zu korrigieren, zumal das zur Neuen Weltordnung Clintons passte, die die Linke einzugemeinden versuchte und sich als kulturliberal gab. Der Konservativismus, der der Bourgeoisie die letzten zweihundert Jahre als zentraler Schild gedient hatte, wurde zu einer ihrer Strömungen reduziert, während der Liberalismus alles dominierte, vorzugsweise in der linken Variante, aber natürlich nicht nur.
In Bezug auf den Nationalsozialismus wurde die Kollektivschuldthese in der Tätervariante dominant. Man gestand die Schuld ein, man müsse Buße tun und könne sich nur so reinigen. Entscheidend blieb allerdings, das ganze Volk verantwortlich zu machen und damit die präzise Funktion des Faschismus für die Bourgeoisie, nämlich die Arbeiterklasse als politisches Subjekt, potentiell geführt von den Kommunisten, mit Gewalt zu vernichten, zu verschleiern. Das war um so leichter, als die Kommunisten unter Anleitung des Kremls eine kampflose Kapitulation ohne jede Gegenwehr hingelegt und sich damit selbst auf den Misthaufen der Geschichte befördert hatten. Sie sollten sich von dieser Selbstzerstörung auch niemals wieder erholen, bis heute nicht.
Waldheim als Wendepunkt
In Österreich vollzog sich dieser Wechsel von der kollektiven Opferthese zur kollektiven Täterschaft mit der Affäre Waldheim.
Waldheim repräsentierte als UN-Generalsekretär das kreiskyianische Österreich, obwohl er aus dem christlich-sozialen Lager stammte. Unter anderem nahm er Israel-kritische Positionen ein und folgte nicht überall der Positionierung der USA. Er war ein Verfechter der österreichischen Neutralität. Auf der anderen Seite hatte er, wie im Nachkriegskonsens üblich, seine opportunistische Beteiligung am NS-Regime verkleinert oder verschwiegen. Auch das stand keineswegs im Widerspruch zum kreiskyianischen Österreich, zumal ja Kreisky selbst seine Minderheitsregierung vom ehemaligen SS-Obersturmbannführer und FP-Chef Peter unterstützen hatte lassen.
Vordergründig wurde die Verlogenheit Waldheims angegriffen und damit der Nachkriegskonsens zur Verdeckung der Vergangenheit aufgebrochen – ein antifaschistisches und demokratisches Anliegen. Im Hintergrund wurde aber die Errungenschaften des Kreiskyianismus abgeräumt zugunsten des Neoliberalismus und der US-Alleinherrschaft über die Welt.
Die Aufarbeitung des Antisemitismus wurde gedreht und endete in der vollen Verteidigung des israelischen Kolonialismus und des US-Imperialismus. In dieser Episode ist die Quintessenz der nachfolgenden Jahrzehnte bereits enthalten.
Aber in dieser Wende ist noch viel mehr Bedeutung enthalten. Die österreichische Neutralität hatte in den 1970er Jahre ihre höchste Entfaltung erlebt, was auch die Stärke der antiimperialistischen Befreiungskämpfe reflektierte und sich innenpolitisch im Höhepunkt des Sozialstaats ausdrückte. Die Nation Österreich in einer tendenziell progressiven Interpretation war vom Volk vollständig akzeptiert worden. Just in diesem Moment wurde durch die Bourgeoisie die Kollektivschuldthese adoptiert, nachdem nämlich die Österreicher als Nation schuldig wären und die österreichische Nation folglich nicht mehr als Schild gegen den Nationalsozialismus und als Dämpfung des Imperialismus dienen könne. Man verdammte Österreich als organisch reaktionär und umarmte die Globalisierung in Form der EU, die der Reaktion und den Rückständen des NS-Regimes den Garaus machen müsse.
Wiederum genau in diesem Moment wandte sich die FPÖ vom bisher dominanten Deutschnationalismus ab, roch formlich den freiwerdenden Platz und verwendete von nun an zumindest öffentlich einen Österreichpatriotismus, der Voraussetzung zum Höhenflug wurde. Große Teile der Linken fanden sich in ihrer Abwendung von Österreich als Nation, wie sie in den 1930ern von der KPÖ entwickelt worden war, dadurch zusätzlich bestätigt und transformierten sich in versteckte oder auch glühende Transatlantiker.
Man kann hier nicht von einem großen Plan sprechen. Die meisten Akteure haben damals nicht verstanden, zu welchen Ergebnissen ihr Handeln führen würde. Ich schließe mich hier ein. Als Gymnasiast hatte ich mich führend an der doppeldeutigen Kampagne „Hängt ihn ab – bringt ihn uns“ beteiligt, wo wir zur demonstrativen Entfernung der Waldheim-Bilder in den Klassenzimmern aufgerufen hatten. Dutzende leisteten dem Aufruf Folge. Wir wollten damit keineswegs dem palästinensischen Widerstand schaden, der auch schon damals unser Anliegen war. Die Geschichte ist nicht vorbestimmt. Jedenfalls hat das Ende der UdSSR und die Niederlage der Befreiungsbewegungen so ein reaktionäres Moment ausgelöst, dass der einsetzende Neoliberalismus und die Globalisierung von der Linken fast freiwillig eine Tarnung zur Verfügung gestellt bekommen haben.
Jedenfalls war das bisherige Konzept von Antifa mit dieser offiziellen Abrechnung mit der Vergangenheit hinfällig. Wenn der Staat und die Eliten nicht mehr Pro-Fa waren, dann ergibt auch Antifa historisch keinen Sinn mehr.
Doch die Antifa lebt mit auf den Kopf gestelltem Inhalt noch immer, zumal es in der Periode nach 1989/91 fast keine sozialen Kämpfe mehr gab und viele gesellschaftliche Auseinandersetzungen sich um kulturelle und identitäre Angelegenheiten drehten.
Schon zuvor hatte die Linke den Marsch durch die Institutionen angetreten. Die SPÖ war sowieso schon dort, die Grünen überholten die SPÖ in ihrer Anpassung und selbst die KPÖ versuchte noch was von den Brosamen des Systems abzubekommen. Ein gutes Beispiel ist das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW). Es transformierte sich von einem Werkzeug zur Aufbrechung des NS-verdeckenden Nachkriegskonsenses in ein Propagandainstrument des israelischen Kolonialismus. Nicht nur demokratische und antiimperialistische Kräfte wie die AIK werden denunziert, sondern tendenziell auch demokratische und soziale Proteste, die sich gegen das neoliberale Regime stellen. So wurde das Regime-Narrativ bedient, nachdem die Corona-Maßnahmengegner dem rechten Lager angehören würden. Dieser Wandel vollzog sich oft in ein und derselben Person ohne dass diese sich dieses Seitenwechsels voll Rechenschaft abgelegt hätte.
Jugoslawienkrieg
Die politisch-medialen Apparate sprechen heute gerne vom ersten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie meinen damit den Krieg in der Ukraine und unterschlagen, dass der erste Krieg der Angriff auf und die Zerschlagung Jugoslawiens durch die Nato war.
Begonnen wurde die Attacke durch Deutschland mit Österreich im Schlepptau. Das wiedervereinigte Deutschland nahm eine sehr aggressive Haltung ein und setzte dabei auf reaktionäre, profaschistische Nationalisten wie die kroatischen Ustascha. Viele Linke malten die Gefahr eines Vierten Reiches an die Wand, jedenfalls eines sich verselbständigen deutschen Imperialismus. Dazu kam noch eine Serie von fremdenfeindlichen Anschlägen vorzugsweise im Osten Deutschlands, eine Neonazi-Bewegung und deren Unterwanderung und Duldung dieser durch die Polizei, die streckenweise an deren Förderung grenzte. Die Affäre um die Neo-Nazi-Terrorgruppe NSU, in der auch die Polizei irgendwie verstrickt war und die Ermittlungen im Sand verlaufen ließ, legen davon exemplarisch Zeugnis ab. Vor diesem Hintergrund entstanden die Antideutschen, die in Deutschland als Nation die Inkarnation des Bösen sahen.
Generell nahmen viele Linke Anfang der 1990er Jahre an, dass der Neoliberalismus gleichzeitig auch ein Neokonservativismus werden würde. Thatcher und Reagan hätten dafür gesprochen.
Diese Annahmen waren grundfalsch. Deutschland begab sich auch nach der Wiedervereinigung vollständig unter die Führung des großen Bruders über dem Atlantik, während der Neoliberalismus vor allem in der Anfangsphase von einer kulturell-formalen Linksentwicklung geprägt war.
Mit dem massiven Eingreifen der USA und der Nato in den Krieg, ohne dem Jugoslawien nicht besiegt hätte werden können, waren die Antideutschen beruhigt. Sie beklatschen die US-Kriegsmaschine als Befreier vor Deutschland. Mit dem Zusammenbruch ihres Bedrohungsszenarios hätte sie eigentlich verschwinden müssen. Doch als Transatlantifa behalten sie eine gewisse Funktion für die Eliten zur Denunzierung antiimperialistischer Positionen, wenn auch als Randerscheinung.
Viel wichtiger als die antideutsche Verirrung ist indes die Kriegstreiberei der institutionellen Linken im Namen des Antifaschismus. Um die Bombardierung Jugoslawiens zu legitimieren, ließ der SPD-Außenminister Scharping den Sager von einem KZ für Albaner im Stadion von Pristina los , gegen das alle Mittel recht seien, Völkerrecht hin oder her. Der grüne Außenminister Deutschlands, Joschka Fischer, betätigte sich ebenfalls als unermüdlicher Bellizist auf der Seite der USA, ebenfalls um ein neues Auschwitz im Kosovo abzuwenden. Die Inbesitznahme des Antifaschismus für imperialistische Zwecke hatte sich als außerordentlich erfolgreich erwiesen. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn der Krieg gegen Jugoslawien mit konservativ-deutschnationaler Argumentation geführt worden wäre. Dann wäre der Widerstand dagegen wohl unverhältnismäßig größer ausgefallen.
Ich erinnere mich an eine Initiative 1999 gegen den Nato-Krieg, wo wir den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Pristinas, Cedomir Prelincevic, nach Wien einluden. Er war der Nationalität nach Serbe und aus seiner Heimat vertrieben worden. Wir organisierten eine Pressekonferenz in der Hoffnung, dass dies das westliche Narrativ etwas erschüttern könnte. Schlägt das angeblich projüdische Moment, das antiserbische Interesse? Jeder kann sich die Antwort ausrechnen: Die Kriegspropaganda ging vor. Denn immerhin ging es darum, jeden Widerstand in Ost- und Südeuropa gegen die kapitalistische Inbesitznahme durch den vereinigten Westen auch mittels Spaltung in sich bekämpfende Nationalitäten im Keim zu ersticken.
Überall neue Hitler
Seit der Ausruf der Neuen Weltordnung werden alle, die mit dieser zusammenstoßen oder sich gegen diese auflehnen, also neue Hitler bezeichnet. Zuerst war es Saddam, dann Milosevic, dann Arafat und seine kollektiv als antisemitisch denunzierten Gefolgsleute. Nicht nur die Hamas, die Taliban etc. wurden als antisemitische Terrororganisationen vergleichbar mit den Nazis geführt, sondern gleich die Palästinenser, Araber und Muslime kollektiv als mit einer Neigung dazu verunglimpft. Und nun ist da Putin oder Putler, gegen den eine Art antifaschistischer Krieg zu führen sei – und nicht nur gegen diesen, sondern gegen die Russen als Nation, die diesen neuen Hitler stützen würden.
Dass sich der Westen dabei auf die größte neonazistische Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg, nämlich die verschiedenen sich auf Bandera beziehenden Kräfte des ukrainischen Nationalismus stützt, ist für die Regime-Antifa in Medien und Politik irrelevant. Auch im Krieg gegen Jugoslawien hatte man sich der Ustascha-Tradition bedient – aber das neue Auschwitz war angeblich von den Serben betrieben worden.
„Antifa heißt Luftangriff“ brachte es einmal Susann Witt-Stahl auf den Punkt. Letztlich war es im Sinne der Eliten genial, sich von der eigenen Schuld reinzuwaschen, sie den gegen das kapitalistische Imperium aufbegehrenden Kräften umzuhängen, um abermals imperialistischen Kriege legitimieren zu können – nicht mehr für Nation und Rasse, sondern für im Sinne des Antifaschismus.
Zweite Nutzanwendung des Antifa – gegen die soziale Opposition
Ende der UdSSR, Ende des Kommunismus, Ende des Klassenkampfs, Ende der Geschichte – so lauteten die zentralen Ideologeme die neoliberalen Zivilreligion der 1990er Jahre.
Die politischen Systeme Europas wurden Schritt für Schritt nach dem amerikanischen Muster umgebaut. Die Sozialdemokratie verwandelte sich von einer integrierten Repräsentation der Arbeiterklasse in eine Form des Sozialliberalismus im direkten Interesse der Eliten – die Namen Blair, Schröder und Vranitzky stehen dafür. Die Grünen führten die Linke vorbei an der Sozialdemokratie de facto noch weiter nach rechts als die noch radikaleren Neoliberalen und Neoimperialen.
Soziale Opposition flackerte nur mehr sehr am Rande auf. Die einzige Kraft, die fallweise auch sozialen Unmut im Rahmen des politischen Systems zu artikulieren wusste, war die FPÖ. Sie tat das fast immer verquickt mit dem typischen Chauvinismus gegen Immigranten. Wie sie die Zeichen der Zeit mit dem positiven Bezug auf Österreich verstanden hatte, so ließ sie auch den Antisemitismus in den Kellern verschwinden und erklärte die Muslime nach dem gleichen Muster zu ihrem Hauptfeind.
In der BRD war es mit der Linken Anfang der 2000er Jahre nochmals gelungen, den sozialen Protest gegen den Neoliberalismus eines Schröder (Hartz 4) fortschrittlich zu äußern. Doch auch dort entwickelte sich mit der Linksliberalisierung der CDU mit der AFD eine rechte Opposition. Sie startete explizit ordoliberal, griff den Unmut im der ehemaligen DRR auf und schaffte es trotz ihres gegenläufigen Programms soziale Elemente aufzugreifen. Die Opposition gegen die Globalisierung und deren europäischen Arm, die EU, konnte in vielen Ländern von der Rechten genutzt werden. So zum Beispiel der Brexit, dem auch ein sozialer Protest zugrunde lag.
Der Linksliberalismus erkor diese (Halb)opposition zu ihrem Hauptfeind und beschwor die Gefahr eines neuen Faschismus, womit sie die Abwendung der unteren Klassen von der liberalen Linken noch weiter beförderte. Die gerierten sich damit als Bollwerk gegen den Faschismus. In Wirklichkeit wurden sie zur Hauptstütze des Neoliberalismus und befeuerten sogar damit das Phänomen der rechten Artikulation des sozialen Unmuts – nicht des ernsten und systematischen Protests, denn das will und kann die historische Rechte nicht.
Das in ganz Europa weit verbreitete Konzept des kleineren Übels, nämlich gegen die Gefahr der Rechten das neoliberale Zentrum zu wählen oder zu unterstützen, hat dreißig Jahre lang die politischen Systeme stabilisiert. Bestes Beispiel dafür ist Frankreich: gegen Le Pen Vater und Tochter konnten sich immer die größten Neoliberalen, wie zuletzt Macron, durchsetzen, so sehr er auch von einer Mehrheit abgelehnt wurde.
Entstellter und stumpfer Faschismusbegriff
Noch dazu führt diese Gleichsetzung des oft (aber nicht immer) rechten Sozialpopulismus mit dem Faschismus einer irrsinnigen Verharmlosung letzteren.
Sie verdunkelt die historische Funktion des Faschismus: Die Nazis dienen als Bürgerkriegsarmee gegen die Arbeiterklasse, welche potentiell von den Kommunisten angeführt wird und als tödliche Bedrohung der kapitalistischen Eliten galt. Die bewaffneten Verbände der Faschisten sollten mit Zustimmung und im Dienste der Bourgeoisie zuschlagen, nachdem alle anderen Möglichkeiten, deren Herrschaft zu sichern, erschöpft erschienen.
Das zu erkennen stellte sich auch nachträglich als schwierig heraus, weil die Kommunisten wider Erwarten auch der Eliten kampflos und passiv kapitulierten und der Nationalsozialisten einfach die Macht überließen – getarnt mit radikal klingenden Phrasen wie „Zuerst kommt Hitler und dann kommen wir“. Der dahinterliegende analytische Fehler hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den heutigen Faschismusschreiern. Er vermochte nicht den qualitativen Unterschied zwischen dem autoritär-bonapartistischen Regime von Brüning, Papen und Schleicher auf der einen Seite und Hitler auf der anderen Seite unterscheiden.
Die heutige populistische Rechte ist ein rein parlamentarisches Phänomen, hat also mit der Straße sehr wenig zu tun und mit einem Bürgerkrieg schon gar nichts. An der Regierung beteiligt oder sogar an der Macht, ändert sich am neoliberalen Regime gar nichts – außer vielleicht der kulturelle Anstrich. In einem gewissen Sinn ist die Rechte in der Regierung im Sinne der Durchsetzung der Interessen der Eliten oft sogar schwächer, ungeeigneter als die Linksliberalen, die mehr Konsens organisieren können. Das Beispiel von Schwarzblau, das sich dann in Schwarzgrün umwandeln musste, legt davon Zeugnis ab. Mit Faschismus hat das alles überhaupt nichts zu tun.
Der politisch-soziale Protest im Zentrum
Die Linksliberalen haben sich einem rein formalistisch-parlamentarischen Denken verschrieben. Für sie heißt Opposition lediglich die nächste Regierungsbeteiligung vorzubereiten. Den alten linken Begriff einer politisch-sozialen Opposition von unten, haben sie völlig verloren.
Für uns bleibt aber dieser Protest, die Mobilisierung von unten gegen die Eliten und die Auswirkungen des Neoliberalismus, der Dreh- und Angelpunkt. Wenn nun die Rechte versucht diese Proteste zu benutzen, sich in ihnen festzusetzen, sie zu kanalisieren, so kann das kein Grund sein, die Bewegungen aufzugeben. Im Gegenteil, wir müssen in diese hineingehen, die demokratischen und sozialen Momente verstärken, während wir reaktionäre Elemente zu verdrängen und zu bekämpfen versuchen– das gilt für den Brexit, für die Gelbwesten, für die Corona-Bewegung und jetzt natürlich für die Friedensbewegung gegen den Nato-Krieg gegen Russland.
Die Linksliberalen (und in ihrem Schlepptau auch die Rechtsliberalen) denunzieren das alles sofort und prinzipiell als rechtsextrem, antisemitisch, faschistisch etc. Das ist natürlich völliger Unsinn und hat mit einem Begriff, der versucht das historische Phänomen des Faschismus gerecht zu werden, nichts aber auch gar nichts zu tun. Und wir haben es auch schon vorher gesehen, bevor diese oppositionellen Massenbewegung aufgetreten sind. Entwickelt wurde diese Verdrehung vor allem im Kampf gegen die Antiimperialisten und Antizionisten, die eigentlich der Restposten der historischen Linken sind, jene die nicht kapituliert haben, die in ihrer Opposition gegen die kapitalistischen Eliten nicht eingeknickt sind. Heute geht es darum, das immer stärkere Aufbegehren gegen die neoliberalen Eliten mit der Antifa-Keule zu erschlagen. Doch das kann die Bewegung nicht aufhalten, lediglich verlangsamen und der Rechten helfen – wenn sich die Linksliberalen als ärgste Kettenhunde des Kapitals gebärden.
Nicht nur, dass Antifa so zu einem ideologischen Instrument der Eliten geworden ist. Wenn es heute ein Phänomen gibt, das in gewisser Weise Ähnlichkeiten mit dem Faschismus aufweist, dann sind es die zionistischen Antifa-Schläger, die auch mit Gewalt gegen antikapitalistische und antiimperialistische Kräfte vorzugehen bereit sind – insbesondere in Frankreich. Bei uns ist es noch nicht so weit, aber es sind dieser Schlag von Antifa-Polizisten, die die Medien füttern und ihnen die Munition für deren Attacken liefern.
Die Rechte als Spielbein der Eliten
Diese Linksliberalen schwadronieren gerne von der Querfront, von rechtsoffen, vom Hufeisen, das links- und rechtsextrem zusammenbringen würde. Das ist natürlich instrumenteller Unfug, denn wenn es eine Querfront gibt, dann jene der Linksliberalen (die noch linke Phrasen dreschen) mit den kapitalistischen Eliten. Das ist heute sehr gut an der gemeinsamen Mobilisierung von links- und rechtsliberalen für in imperialistischen Krieg gegen Russland zu sehen.
Während wir Teil der Protestbewegungen sein wollen und auch sind, so grenzen wir uns dennoch von der Rechten ab, die in diesen Teichen zu fischen versucht. Die FPÖ beispielsweise verteidigt heute als einzige Kraft im politischen System die österreichische Neutralität und will die Aggression gegen Russland dämpfen. Da können wir nicht dagegen sein und wir begrüßen das sogar. Doch wir wissen, dass FPÖ & Co mit der außerparlamentarischen Bewegung maximal kokettiert und spielt, nur um sie dann wieder in den Rahmen des Systems zurückzuführen. Das ist schon zweimal mittels Regierungsbeteiligung passiert. Ganz abgesehen von all den anderen reaktionären Momenten, die FPÖ & Co repräsentieren, und die einer demokratischen, sozialen Entwicklung entgegenstehen.
Und natürlich brauchen wir historischen Weitblick. In dem Maß, wie eine Opposition von unten erstarkt, die Liberalen ihr Regime autoritär verhärten und eine antikapitalistische Option oder sogar eine organisierte neosozialistische Kraft entsteht, kann auch wieder eine Rechte ihr Hauptfeuer gegen diese zu richten versuchen. Doch heute wendet sich die Rechte vor allem gegen die Linksliberalen.