Der Wertewesten in der Defensive

15.12.2021
Von R. Brunath
Die „Frankfurter Allgemeine“ wollte nicht seit ab stehen, als es darum ging die Jahre der Kanzlerschaft Angela Merkels zu werten. Im Gegensatz zu den Lobhudeleinen konkurrierender Medien, kam das Blatt zu einem überraschenden aber auch nachdenklich machenden Schluss. Der erstaunte Leser erfuhr, dass Merkel „nicht erfolglos darum gekämpft habe, vom politisch wie ökonomisch, von innen wie von außen bedrängten Westen zu retten, was noch zu retten ist“.

Baff! Das ist das Eingeständnis eines Kapitalvertreters, dass sich Merkel eindeutig in einer politischen Defensive befand.

Aber damit erfahren wir nichts Neues. Alle jene, die Medienmeldungen verfolgen und sich auch nach Wochen noch  daran erinnern, hören noch Olav Scholz wie er bereits im August erklärte: „ in der Welt, vor allem in Asien, gibt es Milliarden Menschen, die auch können, was wir können. Als Politiker müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern deshalb eine gute Perspektive hier in Deutschland bieten … damit demnächst niemand traurig auf den Wohlstand anderer Kontinente schauen muss.“

Das klingt doch nicht nach dem Bewusstsein, nationaler Erfindungsreichtum würde die deutsche Ökonomie aus allen geopolitischen Herausforderungen herausführen, und dass sich die Welt an solcher Ausstrahlung orientiere. Eher beschleicht einem das Gefühl, dass Olaf Scholz es auch hier um das Ziel geht, vom Wohlstandsunterschied so viel zu retten, wie noch zu retten ist.

Diese Beurteilung der Amtszeit von Angela Merkel wie auch die Analyse von Olaf Scholz haben etwas gemeinsam: Beide Zitate zeigen, dass die  herrschenden Kreise in diesem Land um ihre Lage wissen. Und mit diesem Bewusstsein haben sie vielen gelähmten und strauchelnden Linken etwas voraus, jenen Linken und Halblinken, die sich in der Defensive wähnen und die paralysiert sind vom Zusammenbruch des sozialistischen Lagers 1989, das mit allen seinen Unzulänglicheiten den Kapitalismus zum Frieden gezwungen hatte.

Aber es besteht kein Grund zur Aufgabe. Das mag nach der schmerzhaften Niederlage 1918 in Deutschland, als Rosa Luxenburg und Karl Liebknecht in Berlin ermordet wurden, noch zugetroffen haben. Das war eine verlorene Schlacht. Aber der spätestens seit 1917, dem Jahr des Roten Oktober in Russland und dem folgenden Faschismus samt Weltkrieg II zwischen der Arbeiterklasse und Bourgeoisie hin und her wogende Krieg der Klassen, wurde 1989 nicht beendet, einem Jahr, welches nur eine Niederlage auf einem Teilabschnitt dieses weltweiten Ringens kennzeichnet.

So haben wir nach dem zweiten Weltkrieg komplizierte Zeiten erlebt, die Beendigung der Kolonialismus, den Sieg des Vietnamesischen Volkes gegen US-Aggression aber auch die Niederlagen, die US-geführten Kriege gegen Libyen, Irak oder Syrien nicht verhindert zu haben. Zeiten, der Defensive und Offensive haben sich abgelöst und lösen sich immer noch ab.

In diesen Monaten könnten wir uns an die Ereignisse vor 80 Jahren erinnern. Im Zeitraum vom Herbst 1941 bis zum Frühjahr 1943 vollzog sich an der Ostfront etwas ähnliches, nämlich der strategische Umschwung, der das bis dahin ökonomisch, politisch und militärisch offensiv auftretende Hitler-Deutschland in die Defensive zwang. Damals waren bei vielen Menschen solche Phasen begleitet von Verzagtheit, Verirrung aber auch Übermut, wie sie es auch heute sind.

Einen Umschwung von Defensive in Offensive beobachten wir auch heute in Bezug  auf die geopolitische Entwicklung in der Ukraine. 2014 war es die Unfähigkeit Russlands, den Maidan in Kiew zu verhindern, heute schreckt der Wertewesten vor militärischen Schritten in der Ost-Ukraine zurück. Die geopolitische Situation hat sich in der kurzen Zeit von sechs Jahren dort grundlegend geändert. Russland hat entscheidenden Vorsprung in Militärtechnik machen können, in Asien hat es Verbündete gefunden. Zu ausschließlicher Verzagtheit besteht also kein Grund, denn Russland hat eine antiimperialistische Vergangenheit, die dort  bis heute noch Wertigkeit besitzt.

Deshalb sollten wir, die wir für mehr soziale Gerechtigkeit einstehen, die wir einen Umschwung wollen in Bezug auf Klimapolitik, einen Umschwung in Bezug auf das Menschenverhältnis zu Natur und Umwelt, die Zeichen der Zeit sehen, uns befreien und uns der Herausforderung der sich weltweit immer deutlicher abzeichnenden Offensive der Antiimperialisten annehmen.

Unser Gegner, der Wertewesten - die USA und mit ihr die EU -  ist ökonomisch in der Defensive. Politisch ist der Imperialismus, der z. B.  Cuba im Kampf gegen Corona nicht das Wasser reichen kann, der die politische Entwicklung in Cuba, wo es keinen allgemeinen Impfzwang gibt, als Diktatur denunziert,  zunehmend von der Rolle. Er verliert das Vertrauen der eigenen Völker durch  seine hysterische Coronapolitik und die dadurch verstärkte Führungsunfähigkeit und er liebäugelt in seiner jetzt beginnenden Panik mit der letzten Karte, die er in seinen Händen glaubt, dem militärischen Blatt. Aber auch die zieht nicht mehr, wie die chaotische Beendigung seiner Aggression in Afghanistan zeigte.

Ein befreites Leben jenseits aller imperialistischen Malaisen und Verbrechen ist keine Utopie, sondern ein reales Ziel, das es lohnt – wie auch immer - dafür aufzustehen. Die Geschichte ist nicht zu Ende. Die Wende ist schon sichtbar. Bleiben wir bei Sinnen!  

Hamburg  11.12.2021