Ein Konglomerat aus Diskriminierung, Ethno-Nationalisierung und Islamfeindlichkeit. Der Wissenschaftsmissbrauch der Regierungen Kurz.

05.06.2021
M. M. Weinberger auf Kundwerk.at
Wie sich die Regierungen Kurz des wissenschaftlichen Mäntelchens für ihre identitäre, islamfeindliche und kulturchauvinistische Profilierungspolitik bedienen, wurde ja schon anhand der Aslan-Kindergartenstudie deutlich (https://www.falter.at/zeitung/20170704/frisiersalon-kurz). Neuerdings wieder an der berüchtigten Islam-Landkarte. Die Regierung gibt den Auftrag, zahlt, benützt den Namen der (von ihr aufgebauten) „Consultants“, behält sich aber vor, an entscheidenden Stellen hineinzuredigieren, an den Stellschrauben zu drehen, den Zeitpunkt der Veröffentlichung zu bestimmen (am besten vor Wahlen) und macht einfach – wie auch an den ÖBAG-Bestellungen unter der Ägide Kurzens klar wurde – im Vorfeld klar, wohin es gehen soll. Die Beauftragten verstehen es dann einfach schlechter (Aslan) oder besser, den Erwartungen zu genügen. Zu denen, die es „besser“ verstehen, in der „Grauzone“ zu operieren, gehört Kenan Güngör. Mit freier, unvoreinge-nommener Wissenschaft hat das indes nichts zu tun.
Israel ist nicht "die Juden"

Muslimische Prägung? Oder doch ethnische Herkunft?

 

Da gibt es zum Beispiel eine ominöse Studie von Kenan Güngör, Martina Zandonella, Bernhard Hoser und Valentin Sützl aus 2019 mit dem Titel „Junge Menschen mit muslimischer Prägung in Wien. Zugehörigkeiten, Einstellungen und Abwertungen.“ Herausgegeben eben vom ÖIF. Wer sind denn diese jungen „Menschen mit muslimischer Prägung“? Jugendliche Angehörige ethnischer bzw. nationaler Gruppen: Dabei ist die Studie nicht zimperlich, diese zu definieren, denn die korrekte Form der Zielgruppenbezeichnung als „Wiener/innen mit afghanischem, syrischem, tschetschenischem, bosnischem, kurdischem und türkischem sowie ohne Migrationshintergrund“ findet sich nur auf den Seiten 2 bis 8 (in der Einleitung) und dann erst wieder ab Seite 102 in der Zusammenfassung – man ist eben in jenen Teilen nicht ganz unverhohlen, die am ehesten nach außen dringen.

Ansonsten ist man nachlässiger, so findet sich 41mal die ethno-nationale Zuschreibung „Afghan/innen“ und 26 Mal „Syrer/innen“ – zum Vergleich: „Bosnier/innen“ kommt genau nur einmal vor, hier wird der „bosnische Migrationshintergrund“ bemüht.

 

Böse, wer Absicht vermutet, aber auch Nachlässigkeit sagt etwas aus. Böse auch, wer einen Zusammenhang zu den Demonstrationsverboten im Zusammenhang mit der Palästinasolidarität erkennt, wo von der Anwesenheit „junger Männer mit türkischen, afghanischen und arabischen Wurzeln bzw. entsprechender Herkunft“ die Rede war. Moment einmal, ist die vermeintliche „muslimische Prägung“ vielleicht gleichgesetzt mit der „ethnischen Herkunft“? Gleichgesetzt mit den Staaten, aus denen diese Menschen nach Österreich gelangten? Es kommen in der Studie nach eigenen Angaben aber ja auch christliche und nichtbekennende Wiener/innen mit und ohne Migrationshintergrund vor… Daher darf mit Recht vermutet werden, dass es sich um die Absicht der Studie handelt, Nationalitäten zu kulturalisieren und mit der „muslimischen Prägung“ zu vermengen, woraufhin die muslimische Prägung gleichgesetzt wird mit Muslim/innen und weiter mit dem „Islam“. Geht es am Ende gar um „Politischen Islam“ bei Jugendlichen „muslimischer Prägung“, sind das die bemühten „Einstellungen“, soll hier ein Bedrohungsszenario aufgebaut werden? 

 

Religiös konnotierter Antisemitismus? Moment einmal…

 

Nirgends wird dies deutlicher als an dem Hauptvorwurf gegen die Herausforderer identitärer Regierungsnarrative: dem Vorwurf des Antisemitismus. Dazu gibt es ein klares Ergebnis in der Studie:

 

„Religiös konnotierten Antisemitismus in der Form, dass Israel als der Feind aller Muslim/innen betrachtet wird, äußern zwei Drittel der jungen Afghan/innen, vier von zehn der jungen Menschen mit syrischen oder türkischen Migrationshintergründen sowie jeder dritte junge Mensch mit tschetschenischen oder bosnischen Migrationshintergründen.“ (S.3f.)

 

Moment einmal – Israelfeindschaft ist religiös konnotierter Antisemitismus? Werden da nationale und religiöse Zugehörigkeit einfach mal in eins gesetzt? Es scheint wohl so. In der Detailauswertung wird dann auf das vorweggenommene Ergebnis noch einmal eingegangen:

 

„Dass Israel der Feind aller Muslim/innen ist, denken zwei Drittel der jungen Afghan/innen und jeweils 40 % der jungen Menschen mit syrischen oder türkischen Migrationshintergründen. Diese religiös konnotierte Ausprägung von Antisemitismus ist umso stärker, je religiöser sich die jungen Menschen selbst einschätzen.“ (S. 84)

 

Insbesondere die letzte Aussage („Diese religiös konnotierte Ausprägung von Antisemitismus ist umso stärker, je religiöser sich die jungen Menschen selbst einschätzen“)  lässt sich jetzt wissenschaftlich nicht wirklich aus den Antworten ableiten. Was ist denn mit den christlichen Antwortenden? Personen ohne Migrationshintergrund werden in der Statistik zu 100% mit der Antwort „Stimme wenig zu“ angeführt. Wie lässt sich das erklären? Haben die alle samt und sonders mit der graduell zweiten Antwort reagiert? Oder wurden sie eigentlich gar nicht mit einer Aussage konfrontiert?

 

„Die Juden“ oder „Israel“ – das ist die Frage

 

Wirklich gefährlich wird es dann aber, wenn wir uns anschauen, welche Aussage im Wortlaut zur Bewertung vorgelegt worden sein soll: „Juden sind der Feind aller Muslime“. Moment, war nicht im Absatz davor die Rede von „Israel“? Da wäre doch zu differenzieren? Israel oder die Juden? Gibt es denn da keinen Unterschied? Ist derjenige, der das leichtfertig gleichsetzt, nicht ein „Antisemit“? 

 

Vergessen wir nicht, die Interviews mit den „Afghan/innen“, aber auch mit den „Syrer/innen“, wurden in Flüchtlingsunterkünften und face-to-face durchgeführt (keine Ahnung, wie das vor sich ging), nicht nach einem standardisierten Fragebogen und einem Telefoninterview wie für den Rest. Auch bei der Auswahl der Zielgruppe gab es Unterschiede:

 

„In einem zweiten Schritt wurde ein Snowball-Sampling eingesetzt, welches sich für Befragungen von schwer erreichbaren Gruppen (gemeint sind die Afghan/innen, Syrer/innen und Tschetschen/innen; d. Verf.) eignet. Bei dieser Methode werden die Befragten nach Abschluss ihres Interviews um die Nennung weiterer Kontakte gebeten“ (S. 10).

 

Wie praktisch, dann fragen wir gleich mal deinen Bruder und deine Schwester und deinen Cousin. Zum Teufel mit der Repräsentativität. Das räumen die Durchführenden der Studie auch freimütig ein:

 

„Die jungen Menschen mit afghanischen, syrischen oder tschetschenischen Migrationshintergründen können […] nicht in ausreichendem Maße erreicht werden. Das stattdessen angewandte aufsuchende und Snowball-Sampling hat gewährleistet, dass auch in diesen Gruppen jeweils 100 junge Menschen befragt werden konnten. Damit sind die Ergebnisse zwar nicht repräsentativ, sie eignen sie sich jedoch dennoch gut, um die Gruppen zu vergleichen.“ (S. 13)

 

Jetzt verstehen wir besser, worum es geht: Ums Vergleichen der „Afghan/innen“ mit den Personen mit bosnischem oder ohne Migrationshintergrund. Da sind die Ergebnisse auch echt schöner.

 

Auf die Art der Frage kommt es an

 

In der vorgelegten Aussage „Juden sind der Feind aller Muslime“ wurde nicht gegendert („Juden“ als geschlossene Entität), die Frage wurde so gestellt, dass sie in zwei Richtungen zu verstehen ist („Juden als feindlich gegenüber Muslimen“, „Muslime betrachten Juden als Feinde“), und wurde nicht präzisiert. Die Zielrichtung der Frage definiert sich über „aller“ Muslime (die Interviewten verstehen: die Gesamtheit der Muslime, die „umma“ als Gemeinschaft der Gläubigen), verstanden werden soll durch die Rezipientinnen und Rezipienten der Studie: „jedes einzelnen Muslims“ (im Gegensatz zu „mancher Muslime“). Heraus kommt dann: Ja, was eigentlich? Eine Aussage über Antisemitismus bei jungen Menschen muslimischer Prägung? Wohl kaum.

 

Über die „Gesinnungsfrage“

 

Vielmehr handelt es sich um eine „Gesinnungsfrage“, einen Test quasi, den die „Afghan/innen“ mit der jüngsten Altersstruktur, der kürzesten Aufenthaltsdauer und dem geringsten Bildungshintergrund unter den Befragten beim Face-to-face-Interview in der Flüchtlingsunterkunft nicht durchschauen konnten. 

 

Das erinnert an die „Gesinnungsfragen“, die den Festgenommenen der brutalen und dreisten „Operation Luxor“ gestellt wurden (https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20201223_OTS0079/operation-luxor-sofortiger-ruecktritt-der-verantwortlichen). Darunter etwa die Fragen:

 

„Wie viele Freundschaften pflegen Sie und Ihre Familie mit autochthonen (alteingesessenen) bzw. nicht muslimischen Österreichern? Sind Sie dafür, dass man den Dialog bzw. die Friedensverhandlungen mit Israel führt und unterstützt? Finden Sie es richtig, dass man einem Mitglied der Terrororganisation HAMAS eine Bühne in dem sozialen Medium Facebook gibt? Kennen Sie das Dokument ‚Die Protokolle der Weisen von Zion‘? Sind Sie dafür, dass Österreich, Europa bzw. die ganze Welt zu einem Kalifat wird? Haben die Gesetze der Scharia für Sie in Österreich Bedeutung? Sind Sie für eine Einführung der Scharia in Österreich? Was sagt die Scharia und der Koran zur Vorgehensweise mit Homosexuellen und wie stehen Sie dazu? Geht Ihre Frau alleine zum Einkaufen?“(https://www.antiimperialista.org/de/content/politisch-motivierte-razzia-und-gesinnungsfragen-bei-bvt-vernahmen)

 

 

Je mehr Teile der Wahrheit, desto besser die Lüge

 

Tatsächlich werden in der Studie an anderen Stellen relativierende Zusätze eingefügt, tatsächliche wissenschaftliche Ergebnisse referiert und sie ist nicht in ihrer Gänze unwissenschaftlich oder undifferenziert. Aber es ist wie mit dem Satz über das Lügen: Eine Lüge funktioniert umso besser, je mehr Wahrheit sie enthält. Die Gefährlichkeit und Perfidität dieser pseudo-wissenschaftlichen Vorgehensweise á la ÖIF und Kurz-Regierung bestehen in der politischen Beeinflussung der qualitativ entscheidenden Ergebnisbereiche, wie beispielsweise in dem geschilderten Beispiel, und in der öffentlichen Verbreitung der „Framing“-Kategorien.

 

Auftragsarbeit nach Maß

 

Denn natürlich kommen nicht die Differenzierungen in der Öffentlichkeit an. Die Ergebnisse der hier behandelten Studie finden sich in der APA/OTS-Aussendung selbstverständlich als grob diskriminierend wieder: Die drei Kernüberschriften unter dem Titel „Neue ÖIF-Befragung zu Einstellungen von muslimischen Jugendlichen in Wien“ lauten wie folgt: „Antidemokratische Grundhaltungen von Familie, Prägungen aus Herkunftsland und strenger Religiosität beeinflusst“, „Je stärker die Orientierung am Islam, desto negativer die Einstellung zu Demokratie“, „Verbreiteter Antisemitismus, Verhältnis von Mann und Frau in traditionellen Rollenbildern“. In einem gesagt: „Mission accomplished!“

 

Es wäre unredlich, Kenan Güngör narzisstische Profilierungssucht zu unterstellen, selbst wenn sein Büro für Gesellschaft, Organisation und Entwicklung think.difference (der Name ist Programm) gleich sechs Bilder seiner Person zum Download anbietet, die wirken, als wären sie für Austria’s Next Vision Man oder einen Modegroßhandel gemacht und wenig über die Qualität und Wissenschaftlichkeit des Unternehmens aussagen (https://think-difference.com/uberuns.html) – nein, sein Erfolg verdankt sich der Firmenphilosophie: 

 

„Es entspricht unserer Unternehmensphilosophie, aus einem möglichst schlanken Kernteam zu bestehen. Somit ist es möglich, flexibel, je nach Thema und Komplexität ein entsprechendes Kompetenzteam mit bewährten ExpertInnen und KooperationspartnerInnen zusammen zu stellen.“ (ebd.)

 

Auftragsarbeit nach Maß, so kann man das auch ausdrücken.

 

Ich erinnere mich noch gut an eine Situation in einem Deutschsprachkurs für orthodoxe Rabbiner und die „scherzhafte“ Antwort eines Teilnehmers (selbstverständlich gab es keine Teilnehmerinnen – Abwertung gegenüber dem Geschlecht?) auf die Feststellung, dass MuslimInnen nicht alle gleich seien: „Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber jeder Terrorist ist ein Muslim.“ Vielleicht hätte ich antworten sollen: „Muslime sind der Feind aller Juden – Stimmen Sie sehr zu, stimmen Sie ziemlich zu, stimmen Sie wenig zu, stimmen Sie gar nicht zu?“

 

M. M. Weinberger (2021)

 

Quelle: Kenan Güngör, Martina Zandonella, Bernhard Hoser, Valentin Sützl (2019): Junge Menschen mit muslimischer Prägung in Wien. Zugehörigkeiten, Einstellungen und Abwertungen. Hrsg. von Österreichischer Integrationsfonds. Wien.

 

Artikel entnommen: https://www.kundwerk.at/freies-forum-texte/wissenschaft-und-politik-ein-...