Selektive Gerechtigkeit ist Unrecht

12.06.2021
Von T. Kojić
Das Urteil gegen Ratko Mladić ist keine große Überraschung.

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Ein bitterer Nachgeschmack bleibt dennoch, sowohl auf der serbischen, wie auch auf der bosniakischen Seite. Diese hätte wohl lieber ein Todesurteil gesehen, wenn auch keine Todesstrafen im UN-Kriegsverbrechertribunal vorgesehen sind. Für ethnische Säuberungen und Kriegsverbrechen in Bosnien – die rechtliche Definition des Begriffes Genozid ist unklar und unzureichend definiert – wurden Radovan Karadžić und Ratko Mladić zu lebenslanger Haft verurteilt. Zu lebenslanger Haft wurden noch fünf Serben verurteilt. Zwei Serben wurden zu 40 Jahren Haft, zwei zu 35 Jahren und 16 Serben zu mehr als 20 Jahren. Fünf Militärs wurde in Serbien der Prozess wegen Kriegsverbrechen an der bosniakischen Bevölkerung gemacht, jedoch ohne Urteilsfällung.

Das mag kritikwürdig sein, jedoch gibt es kein reziprokes Vorgehen der kroatischen und bosniakischen Rechtssprechung, was die angespannte politische Lage am Westbalkan nicht verbessert.

Das politisch motivierte selektive juristische Vorgehen der USA, der EU und, als deren juristischer Arm, des Haager Kriegsverbrechertribunals kann seit 1993 70% serbische Angeklagte, 20% kroatische Angeklagte und 10% bosniakische Angeklagte verbuchen. Ante Gotovina, kroatischer General und Kriegsverbrecher, verantwortlich für die Vertreibung von 700.000 Serben aus Kroatien, wurde ebenso freigesprochen wie viele andere angeklagte Kroaten, Kosovo-Albaner und Bosniaken.

Hier ist festzuhalten, dass Naser Oric, der die bosnische Militärpolizei anführte, zwischen dem 24. September 1992 und dem 20. März 1993 verantwortlich zeichnet, die Ortschaften und Dörfer - in der Nähe von Srebrenica - Ratkovići, Ježestica, Fakovići, Bjelovac, Kravica, Šiljkovići und die dazugehörigen verstreuten Siedlungen unter seinem Kommando in Brand gesetzt und vernichtet hat. Er wurde in Den Haag zu nur zwei Jahren Gefängnis verurteilt und im folgenden Berufungsverfahren von allen Anklagepunkten freigesprochen. Der Angriff auf Kravica geschah am 1. orthodoxen Weihnachtstag 1993. 49 Personen wurden umgebracht, 86 schwer verletzt, 688 Häuser in Brand gesteckt, 1.000 serbische Zivilisten flohen allein aus Kravica und Umgebung. Im Frühjahr 1993 reorganisierte sich das bosnisch-serbische Militär unter Ratko Mladić. Seine erfolgreichen Offensiven reduzierten den Einflussbereich der Bosniaken bis März 1993 wieder auf ca. 150 Quadratkilometer.

Insgesamt geht man heute von mehr als 1.500 Opfern auf der serbischen Seite aus, bevor das geschah, was in Srebrenica geschah.

Srebrenica darf weder geleugnet noch verharmlost werden – das sei hier ebenfalls festgehalten.

Die Opferzahlen belaufen sich laut International Commission on Missing Persons auf über 7.000. Die genaue Opferzahl wird man wohl nie wirklich eruieren können. Im Eintrag von Wikipedia steht folgendes dazu: “Zweifel an der etablierten Darstellung der Ereignisse werden auch vorgebracht, weil seit Juli 1995 Tausende von Leichen nicht gefunden bzw. exhumiert wurden. Von den Exhumierten wiederum sind bislang viele nicht identifiziert. Solchen Zweifeln wird die bewusste Vertuschung der Tat durch mehrfache Umbettungen von Leichen entgegengehalten. Die forensischen Untersuchungen sind dadurch komplex und zeitraubend.

Auch Ramus Haradinaj, UÇK-Kommandant, zeichnet für Kriegsverbrechen verantwortlich (gewaltsame Verschleppung von Zivilisten, Entführung, Freiheitsberaubung, Folter, Mord und Vergewaltigung im Zeitraum 1. März bis 30. September 1998 im Kosovo). Er wurde 2005 in Untersuchungshaft genommen, nach drei Monaten entlassen und durfte sich im Kosovo frei bewegen. Am 5. März 2005 begann das Verfahren in Den Haag, im April wurde er in allen Punkten freigesprochen. Die Zeugen, die vor Gericht aussagen sollten, wurden bis auf einen alle ermordet – es liest sich wie ein low-budget Agententhriller.

Das Kriegsverbrechertribunal, welches 2017 geschlossen wurde und nun als sogenannter Residualmechanismus weiter funktioniert, hat nach eigenen politischen Regeln gearbeitet, verfassungswidrige Schritte gesetzt (etwa die Entführung und Auslieferung von Slobodan Milošević) und ist nie einer unabhängigen Kontrolle unterstanden. So gab es auch keine Appellationsmöglichkeit für verurteilte Angeklagte.

Interessantes Detail zum Urteil von Ratko Mladić ist jedoch, dass die aus Sambia stammende Richterin Prisca Matimba Nyambe, die die lebenslange Haftstrafe für Ratko Mladić verlas, nicht die Meinung der anderen Richter vertrat. Richterin Nyambe erklärte in ihrem 60-seitigen Sondergutachten, dass sie die Wiederholung des Prozesses gegen Mladic vor einem anderen Gericht anordnen würde.

„Angesichts der Art und Schwere der in diesem Fall festgestellten Rechtsfehler würde ich im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der Berufungskammer die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Mladic vor einem anderen Gericht in allen Anklagepunkten mit Ausnahme des Punktes 6 anordnen."

Unter anderem erklärte sie, dass sie entgegen den Ansichten der meisten Ratsmitglieder nicht der Ansicht zustimme, dass es ein gemeinsames kriminelles Unternehmen zwischen den bosnisch-serbischen Streitkräften und der Führung der Republika Srpska zur gewaltsamen Tötung der bosnischen muslimischen Bevölkerung gegeben hätte.

„Dementsprechend kann ich nicht den Schluss ziehen, dass es eine erzwungene Umsiedlung mit dem Ziel eines Völkermordes gab.“ Und weiter: „Aufgrund der Gesamtbeweise aus den Akten kann ich nicht den Schluss ziehen, dass muslimische Zivilisten in den Enklaven Srebrenica und Žepa von bosnisch-serbischen Streitkräften mit einer besonderen Absicht verfolgt wurden", schrieb Nyambe in einer separaten Stellungnahme.

Kein deutschsprachiges Medium erwähnte das Sondergutachten von Richterin Prisca Matimba Nyambe. Nur der Guardian berichtete darüber.

Serbien lieferte in den letzten drei Jahrzehnten die wichtigsten politischen und militärischen Akteure der Jugoslawienkriege ans Haager Tribunal aus. Und es hat sich für die Kriegsverbrechen in Srebrenica offiziell entschuldigt.

„Ich kniee vor den Opfern und bitte um Verzeihung für die Verbrechen, die im Namen unseres Staates und unseres Volkes begangen wurden. Alles ,was im damaligen Jugoslawien geschah, hatte Anzeichen von Vökermord. Ich entschuldige mich und bitte um Vergebung“; so 2013 der serbische Präsident Tomislav Nikolić, wohlgemerkt Mitbegründer der rechts-konservativen Serbischen Radikalen Partei.

Das Urteil hat die Fronten, die 26 Jahre nach den Kriegen immer noch bestehen, noch mehr verschärft. Denn die Freisprüche der Kroaten, Bosniaken und Kosovo-Albaner haben die ethischen Gräben zu den Serben in der Republika Srpska und in Serbien vertieft. Für die Kriegsverbrechen an den Serben wurden lächerlich geringe Strafen verhängt.

Für Serbien ist wieder ein Kapitel beendet, auf Sühne folgt Strafe.

Trotzdem wurde nach der Urteilsverkündung für Mladić die Forderung laut, weitere serbische Kriegsverbrecher auszuliefern. Als Zuckerl wird weiterhin der Beitritt zur EU angeboten, aber die Zeiten haben sich geändert.

Die Corona-Krise hat Serbien recht gut durch die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit China und Russland meistern können.

Quellen:

https://www.theguardian.com/world/2021/jun/08/prisca-matimba-nyambe-who-is-the-dissenting-judge-in-ratko-mladic-case

https://www.welt.de/politik/ausland/article13182567/24-Jahre-Haft-fuer-k...

https://www.icty.org/bcs/press/sa%C5%BEetak-presude-po-%C5%BEalbi-u-predmetu-nasera-ori%C4%87a (Urteil des ICTY – International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia - zu Naser Oric)

https://www.tanjug.rs

https://www.politika.rs/

https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Srebrenica#Leugnung_und_Relat...

Bildquellen:

Welt.de (Gotovina und Ramus Haradinaj)

Wikipedia (Naser Oric)

OÖ Nachrichten (Ratko Mladic)

 

 

 

Ramush Haradinaj - nach nur einem Monat Prozess in Den Haag ein Kriegsverbrecher auf freiem Fuß

 

 

 

 

 

Naser Orić 2008 in Den Haag bei seinem Prozess

 

 

 

 

 

 

 

 

Ante Gotovina: Freispruch für kroatischen Ex-General trotz Beteiligung von an der Vertreibung von 700.000 Serben aus Kroatien – die Staatsanwaltschaft hatte 27 Jahre Haft gefordert

 

 

 

 

Ratko Mladic in Den Haag