Zypern: Rebellion des Mittelstandes

25.03.2013
Die Explosivkraft der Krise und die Kurzsichtigkeit der europäischen Elite
Wilhelm Langthaler
Im Angesicht der drohenden Insolvenz der zypriotischen Banken und des Staates selbst, erzwang die Troika erstmals eine Beteiligung des Bankkapitals an der Abdeckung der Schulden – offensichtlich weil es sich nicht vorwiegend um den Besitz der europäischen Finanzoligarchie selbst handelt. Doch die Profiteure des Kasino-Kapitalismus sollten zumindest symbolisch geschont werden. Man versuchte die Einlagensicherung für „Kleinsparer“ (politisch stellvertretend für den Mittelstand) aufzuheben und sie mit 6% zu belangen. Das führte zur Rebellion und musste schließlich zurückgezogen werden – ein Omen für die Euro-Zone.

Bei den Notkrediten an Griechenland, Portugal und Irland hatte die Troika auf das Prinzip der Sicherung des gesamten investierten Finanzkapitals bestanden. Selbst die risikoreichste Form der Spekulation wurde auf Kosten der öffentlichen Hand abgedeckt, um sich in der Folge mittels Austerität an den unteren Schichten schadlos zu halten. Das Prinzip „Gewinne privatisieren, Verluste verstaatlichen“ wurde eisern verteidigt. Dem isländischen Beispiel, die Banken in den Bankrott zu schicken und dabei nicht nur ihr Eigen-, sondern auch ihr Fremdkapital auszulöschen, wollte man keinesfalls folgen. Nicht umsonst halten der britische und holländische Staat, deren Kapitalien die größten Gläubiger waren, die Forderungen gegen die nördliche Insel weiterhin aufrecht.

Anders gegenüber Nikosia. Dessen aufgeblähter Bankensektor, der als integraler Bestandteil des Kasino-Kapitalismus betrachtet werden kann, war durch den griechischen Schuldenschnitt in Arge Bedrängnis geraten. Die EZB machte in einem politischen Akt das, was gemeinhin als einen Kredit fällig stellen genannt wird. Sie akzeptierte keine zypriotischen Staatspapiere mehr als Sicherheit und die drohte die Liquiditätsversorgung Zyperns einzustellen. Staat und Banken wurden schlicht die Pistole angesetzt. Für einen Notkredit in der Höhe von deutlich mehr als der Hälfte des BIP Zyperns (10 Milliarden Euro), wurde eine Eigenbeteiligung von rund einem Drittel des BIP verlangt. Warum auf einmal?

Bei den sich aufdrängenden Quellen der Eigenbeteiligung, den Banken und ihren Kapitalgebern, fiel der Euroelite eine solche Forderung deswegen leichter, weil dem Vernehmen nach die Eigner vorwiegend Russen und Briten sind. Oder anders gesagt: Merkel wollte nicht als Retter auch noch der russischen Oligarchen dastehen, während die Garantien für die europäische Peripherien unter ihrer Klientel bereits reichlich unpopulär sind.

Zudem mag den Bankiers und ihren staatlichen Exekutoren bereits aufgefallen sein, dass die Rettung des Bankkapitals durch die öffentliche Hand bei gleichzeitig verordneter radikalen Austerität, die Staatshaushalte nur noch weiter in die Bredouille bringt und früher oder später die Insolvenz droht. Der griechische Nachbar legt davon Zeugnis ab. Das beteiligte Kapital soll also doch geschoren werden, zumal es nicht das eigene ist. Zur Legitimierung hätte der Verweis auf das kapitalistische Credo es unternehmerischen Risikos ausgereicht.

Dennoch nahm die Sache eine andere Richtung, denn in der ersten Runde wollte man entgegen allen Versprechen auch kleine Guthaben unter €100.000 anzapfen. Es gibt verschiedene Berichte darüber, von welcher Seite der Vorschlag gekommen sei. Von der Interessenslage her wäre es jedoch am ehesten dem zypriotischen Präsidenten Anastasiades selbst zuzutrauen. Er wollte ein Signal an das Finanzkapital und insbesondere an die russischen Gläubiger senden, dass alles getan werde, um ihre Interessen zu wahren. Doch in jedem Fall hatten Schäuble & Co dem Vorschlag zugestimmt, wohl aus einer Mischung aus Indifferenz und Ignoranz.

Damit brach der Sturm los. Denn selbst wenn die großen Volumen an Einlagen der Finanzelite gehören, ging es symbolisch darum den Mittelstand ebenfalls zur Kasse zu bitten. Dieser rebellierte und bildet anders als die Unterschichten die politische Massenbasis von Anastasiades und seiner konservativen DISY, der Schwesterpartei der griechischen Nea Demokratia. Das führte schließlich zur sensationellen Ablehnung des Troika-Pakets durch das zypriotische Parlament ohne einer einzigen Pro-Stimme. Ein unerhörtes Ereignis, das beispielsweise in Griechenland bis heute unvorstellbar ist. Bisher winkte das Athener Parlament noch jeden EU-Beschluss durch, auch gegen den offensichtlichen Willen der Mehrheit der Bevölkerung. Der Plan musste schließlich gänzlich zurückgenommen werden. Eine schwere Niederlage vor allem für die Troika, weniger für Anastasiades.

Nicht nur durch die Mittelstandsproteste hat sich die Troika ins eigene Fleisch geschnitten. Sie hat auch eine tiefe Verunsicherung nicht nur unter dem Kapital, sondern eben dem Mittelstand gestiftet und damit die Tendenz zur Kapitalflucht und zum Bankrun, zu dessen Dämpfung und Hintanhaltung die Einlagensicherung dient, zusätzlich befördert. Die Botschaft an den Mittelstand und das Kapital der europäischer Peripherie ist unmissverständlich: im Fall einer neuerlichen Eskalation der Schuldenkrise (und die ist fast unvermeidlich) werden sie ebenfalls zur Kassa gebeten. Und was nicht neu ist: die EU-Oligarchie machte zum wiederholtem Mal klar, dass das Zentrum um Frankfurt, Berlin und Brüssel kommandiert und die Peripherie zu gehorchen hat. Sie hat damit einen gewaltigen Beitrag dazu geleistet ihren eignen politischen Einfluss an Europas Rändern weiter zu schwächen. Dass sie damit dem politischen Auseinanderbrechen (in Dialektik mit dem ökonomischen) der Eurozone und der EU einen wichtigen Schritt näher gebracht hat, scheint sie nicht weiter zu kümmern oder nicht einmal wahrzunehmen – eine Ignoranz und Kurzsichtigkeit, die ihr noch teuer zu stehen kommen wird.

Gleichzeitig kommt auch die Konzeptlosigkeit der herrschenden Gruppe zum Ausdruck. Laut den Medienberichten stand das Paket mehrfach auf der Kippe. Der Bankrott Zyperns und das unweigerlich darauf folgende Ausscheiden Zyperns aus der Eurozone war eine reale Möglichkeit. Die ökonomische Kleinheit Zyperns scheint umgekehrt proportional zur politischen Bedeutung des Konflikts. Wenn bereits um die Insel ein solcher Konflikt entbrennt, was passiert erst dann, wenn die Schwergewichte des Südens an der Reihe sind? Weder a) Garantien, Risikoübernahme und Hilfskredite, noch b) Geldmengenvergrößerung (Quantitative Easing wie die gegenwärtige Geldpolitik in den USA genannt wird) und schon gar nicht c) nachfrageseitige keynesianistische Maßnahmen will das Zentrum zugestehen. A und B maximal in kleinen Dosen unter der Bedingung harter Austerität, also dem Gegenteil von C. Wenn in der unvermeidlichen Abwärtsspirale der Zusammenbruch nahe kommt, wird auf den letzten Drücker die kleinstmögliche Notmaßnahme gesetzt, nur um die die politischen wie ökonomischen Zentrifugalkräfte weiter zu verstärken – bis die Krise an einem anderen Punkt neuerlich und tiefer aufbricht. Was wird das nächste Mal passieren? Und das nächste Mal kommt bestimmt!

Es gibt eigentlich keinen Ausweg im Rahmen des Kapitalismus, wenn man von der Unmöglichkeit eines gemeinsamen europäischen Staates ausgeht und die Auflösung der Eurozone als für die Elite inakzeptable Niederlage ansieht. Selbst wenn das Zentrum beherzt zur vollen und politisch glaubwürdigen Risikoübernahme für die Peripherie bereit wäre, kann es zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit nicht auf die Austerität verzichten. Die Kürzung der staatlichen Ausgaben führt im gegebenen globalen Umfeld jedoch unweigerlich in eine rezessive Spirale, die die Staaten abermals an den Rand des Bankrotts treiben. Die notwendigen keynesianistischen Impulse können nur mit einer äußeren Abwertung greifen, aber die ist durch das Korsett des Euros unmöglich. Der Zusammenbruch der Eurozone früher oder später erscheint so als unvermeidlich, denn der Euro verhindert den notwendigen Ausgleich zwischen Zentrum und Peripherie. Die politischen Verwerfungen werden gewaltig – im Kern wird es sich um die Niederlage des deutschen Zentrums drehen.