Editorial
Die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten, in Palästina, Libanon und Syrien scheinen eine lang gehegte Hoffnung der USA endlich wahr werden zu lassen: Nicht so sehr der Frieden, als vielmehr die Befriedung des Nahen Ostens – in einem US-amerikanischen Sinne – scheint in erreichbare Nähe gerückt zu sein.
Mahmoud Abbas macht als Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde weder seiner politischen Vergangenheit als Mitglied der alten Kämpfergarde der Fatah noch seinem Titel Ehre. Nicht so sehr scheint er Präsident der Palästinenserinnen und Palästinenser zu sein, als vielmehr Statthalter von Sharons und Bushs Gnaden über die besetzen Gebiete. Was dort vonstatten geht, ist nicht mehr und nicht weniger als der Ausverkauf aller Rechte und Bestrebungen, für die das palästinensische Volk seit Jahrzehnten kämpft und die seit fast fünf Jahren in der Intifada, dem zweiten Volksaufstand, ihren konkreten politischen Ausdruck finden. Was Abbas dafür im Gegenzug erhält, ist so gut wie nichts. Frieden herrscht nur in den Schlagzeilen der westlichen Medien. In den besetzen Gebieten geht die tägliche Gewalt, die Unterdrückung und Erniedrigung der Bevölkerung, die Landnahme und Zerstörung weiter.
Im Libanon hat die Ermordung Hariris eine Bewegung ausgelöst, die im Westen mit Begeisterungsgeschrei als nationale und demokratische Revolution begrüßt wird. Bedenkt man, dass Syrien, das mit dem Rücken zur Wand steht, keinerlei Interesse an Hariris Tod haben konnte; betrachtet man, die soziale und religiöse Zusammensetzung der Bewegung und zieht man schließlich in Betracht, wie gelegen sie den US-amerikanischen und israelischen Interessen im Nahe Osten kommt, dann weiß man zwar noch nicht, wer hinter diesem Attentat steht, aber man kann davon ausgehen, dass dies absolut nebensächlich ist und deshalb auch nicht schnell aufgeklärt werden wird. Um was es geht, ist Syrien in die Schranken zu weisen und insgesamt das Kräfteverhältnis auch im Libanon ein Stück weit Richtung Westen zu verschieben. Das ist, zumindest fürs Erste, gelungen. Das Europäische Parlament hat vorsorglich die Hezbollah, die politische Repräsentantin der schiitischen Bevölkerung, zu einer terroristischen Organisation erklärt.
Dass diese Entwicklungen für die arabischen Völker, vor allem für das palästinensische, alles andere als vielversprechend sind, braucht nicht weiter betont zu werden. Es ist der irakische Widerstand, der nach wie vor das größte Hindernis für eine imperialistische Unterwerfung der arabischen Völker darstellt und die regionalen Kräfteverhältnisse wieder verschieben kann. Doch auch im Libanon wird sich die schiitische Bevölkerungsmehrheit einer vollständigen Amerikanisierung der Machtverhältnisse nicht ohne größere Konflikte beugen. In Palästina hat sich die historische Niederlage der Linken erneut schmerzlich bewiesen. Was vom Widerstand übrig geblieben ist, findet sich vor allem in den Reihen des politischen Islam wieder. Das mag eine Solidarisierung im Westen erschweren, macht sie aber deswegen nicht weniger notwendig.
Im Gegenteil, für die Solidaritätsbewegung in Europa ist es besonders wichtig, die Befreiungs- und Widerstandesbewegungen im Nahen Osten unabhängig von politischer oder religiöser Ausrichtung zu unterstützen und ihre politische Legitimität in der westlichen Wahrnehmung zu verteidigen. Eine Pax americana kann diesen Völkern keinen Frieden bringen und sei ihre Friedhofsruhe auch noch so ohrenbetäubend.