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Paradise Now

28. February 2006

FilmkritikEin Film von Hany Abu-Assad;
Niederlande/Israel/Deutschland/Frankreich 2005; Spielfilm, 90 Minuten, gedreht
in Nablus und Nazareth

Zwei junge Palästinenser, Khaled und Said,
arbeiten gemeinsam in einer Autoreparaturwerkstätte in Nablus. Nach
Arbeitsschluss treffen sie sich und träumen von einer anderen, besseren
Zukunft. Eines Tages scheint ihre eigene Zukunft nur mehr eine Nacht lang zu
sein – ihr Freund Jamal teilt ihnen mit, dass es für sie soweit ist. Sie
erfahren von ihrer Mission als Märtyrer in Tel Aviv und verbringen ihre letzte
Nacht mit der Familie. Ein richtiger Abschied ist nicht möglich. Am nächsten
Morgen erklären sie für die Nachwelt, warum sie in den Tod gehen werden und
werden an die Grenze gebracht, aber vorerst läuft die Operation schief.
Schließlich bewirkt der Aufschub, dass Khaled sich der Mission entzieht während
Said seinen Körper und Tod immer deutlicher als einzige Waffe, die er besitzt,
sieht und schließlich einsetzt.

Für heftige Emotionen sorgte die
Österreich-Premiere dieses Films im Rahmen der Jüdischen Filmwoche 2005. Die
Israelitische Kultusgemeinde hatte bereits im Vorfeld die Organisatoren der
Filmwoche für den “Skandalfilm” kritisiert, der unter anderem bei der letzten
Berlinale mit dem Amnesty International Filmpreis ausgezeichnet wurde und von
der israelischen Zensurbehörde das Prädikat “exzellent” erhielt. In der Wiener
Urania jedoch wurde der Film von Zwischenrufen wie “Antisemitischer Wahnsinn!”
oder “Wo bleiben die Opfer?” begleitet.

Was hat es mit dem Film auf sich, der einerseits
internationale Anerkennung gewonnen hat und an deren Herstellung die
israelische Produktionsfirma Lama Productions beteiligt war, der andererseits aber in Österreich als
“antisemitisches Machwerk” verteufelt wird?

Hany Abu-Assad selbst sagt über “Paradise Now�?:
“Mit meinem Film kämpfe ich gegen die Besatzung und gegen das, was sie den
Menschen antut. Ich bin Pazifist. Glauben Sie, ich bin damit zufrieden, wenn
junge Männer, die ein Leben, Kinder, die Liebe vor sich haben, nach Israel
gehen und sich zusammen mit anderen Menschen in mikroskopisch kleine Teile
zerfetzen lassen? Glauben Sie, das ist die Art von Jugend, die ich einem jungen
Palästinenser wünsche? Aber wenn man einen Film über Selbstmordattentäter dreht,
dann muss man diese Menschen mit Respekt behandeln. Man muss sich in ihre
Perspektive, in ihre Mythologie hineinversetzen, ohne sie zu rechtfertigen.
Sonst reproduziert man nur die Urteile, die die ganze Welt gegen diese Leute
hegt.” (Folder des Votivkino vom November 2005)

Hany Abu-Assad will mit seinem Film gegen die
Besatzung kämpfen. Das ist der springende Punkt. Die gnadenlose Besatzung ist
der Grund, warum Männer wie Said und Khaled zu Selbstmordattentaten bereit
sind. Aber genau hier vermittelt der Film zu wenig. Hätte er es mehr getan,
wäre die internationale und besonders israelische Anerkennung wohl dürftiger
ausgefallen. Hany Abu-Assad sagt selber, dass die Dreharbeiten in Nablus “eine
einzige große Reise der Angst waren. Fünf Monate der kontinuierlichen Furcht.
Selbst als wir schliefen, waren wir noch verängstigt. Jeden Morgen musste ich
erst einmal feststellen, dass ich noch am Leben war. Es war eine schreckliche
Erfahrung.” (Nordkurier, 22. November 2005) Das ist das Leben in Nablus, der “closed
military zone�? – der Alltag der Besatzung. Der lässt sich im Film nur erahnen,
genauso wie der politische und militärische Kampf der Palästinenser, die
Intifada. Said und Khaled werden nicht als politische Kämpfer gezeigt, sie
stehen fast im luftleeren Raum und wirken vorerst fremdbestimmt, als Jamal sie
von ihrer Mission unterrichtet. Eine Organisation schickt sie in den Tod. Dann
spielt auch noch das zu erwartende Paradies eine größere Rolle als eine
politische Aufgabe. Der Respekt, den Said und Khaled bekommen, gilt ihnen als
junge, sympathische Männer, denen ihre
Familie viel bedeutet – als politisch handelnde Menschen wird ihnen dieser
vorerst verwehrt. Erst in der Schlussrede Saids wird der Zuseher mit der
Besatzung und dem unerträglichen Leben unter dieser als Beweggrund für Saids
Handeln unmissverständlich konfrontiert. Said spricht von seinem Wunsch auf ein
Leben in Würde, das ihm und seinem Volk im israelischen Gefängnis verwehrt
wird. Noch dazu verstehen es die Besatzer, sich in der Welt als Opfer
darzustellen. Er will und kann dieses erniedrigte Leben nicht weiterführen und
muss seinen Beitrag für ein Leben in Würde und Unabhängigkeit leisten – mit
seinem Leben gegen die militärische Übermacht der Besatzer, die ständig Leben
zerstören.

Macht dieser Schluss das Vorangegangene wett? Für
diejenigen, die hinhören, wird das, was unter Besatzung zu leben bedeutet,
begreifbarer – und damit auch Said. Da aber Saids Worte im Kontext des gesamten
Films stehen, scheinen sie an Bedeutung zu verlieren. Dafür gibt es
internationale Anerkennung, die eine deutlichere Sprache wohl mäßiger ausfallen
lassen hätte.

Elisabeth Lindner-Riegler

Elisabeth Lindner-Riegler ist Aktivistin
der Antiimperialistischen Koordination in Wien.

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