Beitrag von Aug und Ohr – Gegeninformationsinitiative
Die Mobilisierung gegen den nunmehrigen US-amerikanischen Kriegsflughafen Dal Molin in Vicenza (übrigens benannt nach einem Renommier- und Vorzeigepiloten der faschistischen Diktatur, Tomm(m)aso Dal Molin, der vom damaligen Außenminister eine der höchsten Ehrungen des italienischen faschistischen Reiches erhielt, bevor er bei einem bedauernswerten Unglück im Gardasee absoff) ist konsequent aufgebaut worden, und zwar von unten.
Es ist – in erster Linie – eine Bewegung der Bevölkerung von Vicenza, eine sogenannte “transversale” Bewegung, wie man in Italien sagt, also quer durch die politischen Bewegungen und Kräfte gehende Sammlungsbewegung, worin aber keineswegs auch nur der Ansatz eines systematischen Zusammenwirkens zwischen Links und Rechts inbegriffen ist, wie es etwa bei der Au-Bewegung Österreichs der Fall war. Im Gegenteil: Die radikale Rechte mobilisiert zwar ebenfalls, in der Gestalt von Forza Nuova, aber vollkommen getrennt von der Hauptbewegung, auch örtlich getrennt. Das einzige Problem ist, dass Leghisten an der Mobilisierung teilgenommen haben, Teil der Mobilisierung sind, wenn es auch nur ein sehr kleiner Teil ist. Es gibt allerdings sehr scharfe Statements der Sprecher der Mobilisierung gegen die heuchlerische Politik der Leghisten. Zusätzlich dazu finden sich in der Bewegung, allerdings im strikten Gegensatz zu den Leghisten, Kräfte, die, gegen die “Zentrale” Rom, auf regionale Selbstbestimmung und Entscheidungsfindung pochen, aber die arbeiternehmer- und gewerkschaftsfeindliche, rassistische, antikommunistische, sezessionistische und proamerikanische Politik der Lega Nord radikal ablehnen. Es sind dies Kräfte, die in einem Zwischenbereich zwischen linken Grünen und disobbedienti angesiedelt sind. Sinowatz hätte dazu gesagt, das wohl alles sehr kompliziert sei.
Dem Prozeß der Sammlung, der allein den Bereich betrifft, der die außerparlamentarische Linke und die beiden kommunistischen Parteien, sowie die Grünen umfaßt (also das, was man, in der Zeitungsdiktion, seit neuestem, in Anlehnung an den französischen Sprachgebrauch, auch in Italien als die “radikale Linke” bezeichnet), würde der französische Terminus “unitaire” entsprechen – wobei aber die Bewegung in Vicenza über den linken Bereich weit hinausgreift, und gleichwohl für die sozialen Bewegungen aus dem bisher “nicht-linken” Bereich neue Kräfte “rekrutiert”. Einen weiteren sprachlichen approach würde das dänische “tvà¦rpolitisk” leisten, das der unheilvollen deutschen rechts-linken “Querpolitik” allerdings radikal entgegengesetzt ist, und, ideenmäßig ein wenig verwandt mit unitaire, unitario eben eine Sammlung der progressiven und demokratischen Kräfte bedeutet..
Drei wesentliche neue Komponenten machen die innervicentinische Mobilisierung aus: Kritische WählerInnen der Linksdemokraten, die sich von der “Linken” ebenso enttäuscht sehen, wie etwa das sozialdemokratische Fußvolk in Österreich von “seiner” Partei, der SPÖ, enttäuscht sieht, die die Abbestellung der Eurofighter im Wahlkampf auf seine Fahnen geschrieben hatte und nun alles verrät, was sie versprochen hat. Was sich als demokratische und antimilitaristische Gegenoption zu Berlusconi dargestellt hat, hat uns betrogen, erkennen nun die gefoppten italienischen Wähler.. Insofern ist der Animus, der in Vicenza aus der enttäuschten Wut kommt, ja nur ein Teil des weltweiten Überdrusses am Sozialdemokratismus, der weltweiten Enttäuschung an diesem Lügengebilde.
Die zweite frische Komponente ist die christliche. Ethische Kategorien rein-karitativer, lebendig-gemeinschaftlicher und antibellizistischer Natur sind im beherzten und/oder engagierten Basischristentum Italiens (für das etwa Don Tolot in Pordenone, der Gegner der Todesbasis Aviano, oder Alex Zanotelli, eines der Sprachrohre der antiimperialistischen Bewegung gegen die US-Stützpunkte in Neapel, stehen) ebensosehr verankert wie die Befreiungstheologie in den unteren Schichten Lateinamerikas. Es gibt zahlreiche Pfarrer im Veneto, die ebenso politisch engagiert sind wie etwa die linken Grünen oder die disobbedienti, oder knallharte antagonistische GenossInnen, ebenso lebendig und schnell agieren, vorgehen, organisieren. Ein Pfarrer bewahrte nach dem Zusammenbruch der radikalen linken Bewegung in Padua deren unermessliche Schätze, Bücher und Dokumentationen, in einem Depot am Land auf – aus einer linken und “brüderlichen” Position heraus.
Die dritte Komponente besteht aus Menschen aus dem Volk, die sich nie engagiert hatten, die stets skeptisch gewesen waren gegen all die Organisationen, die seit jeher mit ihren jeweiligen Sprachen zur Mobilisierung aufgerufen hatten. Es sind gutwillige Leute, die in einer Art von Balance dahinlebten, welche aber nun derart radikal bedroht wird, daß die Betroffenen sich zu einer großen, freimütigen und sicher-soliden Entente zusammengeschlossen haben. Wenn man diese Leute hört, dann hört man das Herz des Veneto. Bekannt ist, dass das Umpendeln von einer abwehrenden und abwartenden Grundhaltung zum süßen Gift der organisierten Empörung große Kräfte freisetzt.
Das mag die Bevölkerung von Vicenza, einer der wahrlich konservativsten Städte des Veneto (wenn man von dem politisch ekelregenden und rassistisch verseuchten Treviso absieht) mit dem scheinbar so lange vergangenen Wyhl verbinden, mit den antinuklearen Kämpfen in Süddeutschland und im Elsaß, wo – ungleichzeitig – Beharrendes, Lokales, schätzenswert Altes, liebwert in sich eingesponnen Regionales auf die Wahnsinnsmaschinerie der Nuklearindustrie und Landschaftszerstörung prallte. Es mag von fern auch – mutatis mutandis – an die Fiatkämpfe in Turin erinnern, bei denen die subalternen Klassen des Südens mit ihrer Ausdruckskraft auf das seelenlose Riesenwerk des Fiat-Konzerns trafen. Eine Explosion aus der Ungleichzeitigkeit heraus.
Und es ist eine “nationale”, also landesweite Bewegung, als Teil nicht sosehr einer Dynamik von Linken, von kommunistischen Parteien/Organisationen, der radikalen Linken, der Basis-Linken, sondern eines militanten Massen-Netzes mit mehreren Brennpunkten, deren wichtigster bisher die Bewegung in Val di Susa ist. Daneben die No Mose in Venedig, No Ponte im Süden, und andere.
Es sind dies alles Massenbewegungen neueren Typs, durch und durch in der Bevölkerung verankert.
Wer im Val di Susa war, der konnte dort sehen, wie an allen Ecken und Enden, von der gesamten und “einfachsten” Bevölkerung, ja gerade von der, diese Bewegung nicht nur getragen, sondern aktiv befördert wird. Ähnlich ist es in Vicenza, mit dem Unterschied, dass der Grad der Beteiligung nicht so umfassend ist wie im Val di Susa, und auch die politischen Voraussetzungen sind andere. Wenn sich diejenigen, die im Val du Susa gegen die Polizei kämpften, von alten Partisanen Schlupfwinkel und unbekannte Gebirgswege zeigen ließen, auf denen sie der Polizei entkamen, so haben wir das Beispiel eines derartigen Wissenstransfers im “weißen”, also reaktionären Veneto nicht, zumindest nicht in Vicenza.
Es kam aber zu einer perfekten Synizese zwischen den lokalen Komitees und der gesamtitalienischen pazifistischen, linken und antiimperialistischen Bewegung. Die Friedensbewegung, die jeweils anarchistischen oder kommunistischen centri sociali, die Arbeiterbasisorganisationen Cobas und Cub (letztere zogen am 17. 2,. gar, parallel zur Demonstration, einen politischen Streik durch, dem im letzten Augenblick die Genehmigung verwehrt wurde; der Streik kam trotzdem zustande), sowie die zahlreichen Basisorganisationen der radikalen Linken arbeiteten zusammen, zogen alle an einem Strang.
Allen ist gemeinsam die feste Überzeugung, daß dieser Stützpunkt unter allen Umständen verhindert werden muß und daß dies eine Einübung in einen großen Kampf ist, der zumindestens zu einer Zurückdrängung der US-amerikanischen Präsenz in Italien führen muß. Alle diese Kräfte stellen sich auch gegen die seit bereits 50 Jahren in Vicenza befindliche Ederle-Kaserne, die, zusammen mit Aviano, zu den wichtigsten amerikanisch-europäischen Todeszentralen überhaupt auf europäischem Territorium gehören, gewissermaßen ihren imperialistischen Kern darstellen, ohne die der US-europäische Angriffskrieg gegen den Irak überhaupt nicht hätte durchgeführt werden können. Dazu kommt noch Camp Darby in der Toskana. Allerdings sind diese zentralen Stützpunkte mit ihren riesigen unterirdischen Lagerstollen nur ein Teil, wenn auch ein zentraler, des großen Netzwerks von Kriegs-Basen, von denen ganz Italien übersät ist.
Es gibt keinen US-amerikanischen Stützpunkt in Italien, gegen den nicht eine der obgenannten Komponenten des pazifistischen bis radikal linken Lagers mobilisiert hätte – oder auch alle zusammen, wie im Falle von Aviano. Die Mobilisierung gegen Dal Molin und Ederle ist Teil einer Dauermobilisierung, die schon 30 Jahre lang läuft und nie abriß. Schon für Lotta Continua war Italien “der Flugzeugträger der Amerikaner im Mittelmeer”. Die Impulse jener revolutionären Generationen werden jetzt weitergeführt.
Die landesweite Mobilisierung umfaßt auch die beiden kommunistischen Parteien, sowie die (ehemals kommunistische) CGIL; die anderen beiden mit der CGIL im Dachverband zusammengefaßten Tendenzgewerkschaften CISL und UIL verweigerten sich der Mobilisierung. Aber nicht nur die Parteibasis ist – massenweise – aufgetaucht, es haben sogar die Vorsitzenden der beiden kommunistischen Parteien an der Demonstration teilgenommen. Nicht jedoch der ehemalige Rifondazione-Vorsitzende Bertinotti, der jetzt zu einem würdigen, distanzierten und sich selbst zelebrierenden Vorsitzenden des Unterhauses geschrumpft ist.
Wie weit gehen die Forderungen? Viele Stimmen gehen, wie gesagt, weit über den kleinsten gemeinsamen Nenner – Verhinderung von Dal Molin – hinaus. Nicht bloß die Eindämmung der Funktion der Basen, die Hinterfragung des obskuren Entstehens fast aller Basen, bei dem fast durch die Bank der parlamentarische Weg und die Öffentlichkeit umgangen wurden, sowie die Kritik an der derzeitigen Kriegsführung der Vereinigten Staaten und der aktiven Beteiligung daran durch Italien sind für die landesweite Mobilisierung gegen Dal Molin die Zentralthemen, sondern es kommt dazu immer offener die totale Infragestellung des Bündnisses überhaupt.
Die Linke hatte dies seit jeher auf ihre Fahnen geschrieben: Fuori l´Italia dalla NATO, fuori la NAT0 dall´Italia! (“Raus mit Italien aus der NATO, raus mit der NATO aus Italien!”), so heißt es seit den Siebzigerjahren. Das geht heute bis in die Statements der etablierten kommunistischen Parteien, die sich aber zur Bündnisfrage an sich seit jeher einigermaßen oszillierend verhalten. Staats-Kommunist ist, was sich einer klaren Entscheidung mit immer raffinierteren Zwischenformulierungen entzieht.
Es wird aber unausweichlich eines Tages (allein schon aufgrund der unerträglichen subjektiven Belastung auf ökologischer wie finanzieller Ebene) das Bündnis, die Allianz, die NATO selbst in Frage gestellt werden, und es wird nicht lange dauern (so hoffen wir!), bis alle antimilitaristischen und pazifistischen Kräfte den Austritt Italiens aus der NATO fordern werden, und darüber hinaus die Liquidierung des gesamten Militärbündnisses. Je mehr Krieg, desto kräftiger wird sich diese Grund-Position Raum verschaffen.
Es ist bereits jetzt eine Bewegung auf Biegen und Brechen. Der neue Stützpunkt darf nicht kommen, das ist fortgesetzter Völkermord, sagen die einen; aber auf der Gegenseite weicht auch Prodi keinen Zentimeter zurück. Die Mobilisierung will die Basis weghaben und stellt damit bereits implizit das atlantische Bündnis, das Kräfteverhältnis zwischen Europa und den Vereinigten Staaten und die Unterordnung der Souveränität Italiens unter die US-Interessen in Frage. Von der bis in die Knochen atlantischen Staatsspitze gab´s nach der Riesenkundgebung nicht die geringste Konzession, außer natürlich einige lächerliche Täuschungsmanöver. Von der mafiosen Vorgängerregierung übernommen, blieb die Kriegspolitik in voller Kontinuität bestehen (wenn man vom Abzug aus dem Irak absieht): Italien will in Afghanistan bleiben und unterhält außerdem ein enges Militärbündnis mit Israel. Von der anfangs populistisch propagierten “discontinuità ” (etwa: dem Bruch) der neuen Regierung im Bereich der Außenpolitik ist da nicht viel zu sehen. Der Regierungschef signalisierte mit einer maßlosen Überheblichkeit in seiner schon etwas brüchigen Stimme, daß die seinerzeit eingegangene Verpflichtung auch von der jetzigen Regierung “honoriert” werden müsse – eine abgehobenere Sprache kann man sich nicht denken. Und er sagt etwas Bemerkenswertes: “Wir sind dazu gezwungen worden!”
Wie? Gezwungen?
Das führt zu einigen Spekulationen. Italien ist zwar das Land, das, was die linken Bewegungen betrifft, seit 1968 die größte Dynamik aller Länder Westeuropas aufweist, die entwickeltste politische Sprache, die innovativste Suche nach neuen Organisationsformen (wenn man von den gelegentlichen verblüffenden explodierenden spontanen Bewegungen in Frankreich absieht), Italien ist allerdings andererseits das Land, das sich wohl am stärksten im Griff der NATO und der Europäischen Union befindet; die italienische Linke – die institutionelle wie die radikal-außerparlamentarische – ist die proeuropäischste Europas.
Griechenland trat vorübergehend aus der NATO aus, Frankreich zog sich bekannterweise ebenfalls vorübergehenderweise von Teilen der NATO-Strukturen zurück, Spanien hatte in den 80er-Jahren die stärkste Anti-NATO-Bewegung Europas (die sich gegen den Eintritt Spaniens in die NATO stellte, der aber durch Manöver und Teilkonzessionen der “sozialistischen” Regierung das Rückgrat gebrochen wurde). So wurde der Großteil der Infrastruktur einer der NATO-Stützpunkte in Spanien schlichtweg nach Italien transferiert, und die Spanier wurden mit dem Teil-oder Scheinabzug zufriedengestellt.
Und Italien?
Wenn man sich fragt, warum denn gerade dem seit jeher hochmobilisierten und hochpolitisierten Italien keine Abkehr von der NATO gelingt (es müßte doch das erste Land sein, das aus dem Verbund austritt!), muß es bei näherem Hinsehen auffallen, daß es in Italien nie eine große Bewegung explizit für den Austritt gegeben hat und daß sich die jeweils wechselnden Regierungen durch eine fast schon diktatorisch zu nennende Bündnis- (und Brüssel-) Treue ausgezeichnet haben. Der eiserne Griff der Bündnis- und Brüssel-affirmativen Berichterstattung umfaßt alle gesellschaftlichen Bereiche und hat die gesamte Linke gleichgerichtet. Wie konnte dies geschehen? Es muß auf dieses so hyperpolitisierte Land seit jeher der allerstärkste geheime Druck ausgeübt worden sein, eine generalpräventive Politik, deren Ausmaß uns noch nicht klar geworden ist.
In Italien gibt es bisher keine grundsätzliche Infragestellung der Allianz im Sinne einer landesweiten Volksbewegung, die sich in allererster Linie die Auflösung des Bündnisses zum Ziel gesetzt hätte. Die frühere PC war schon eine Vorreiterin der NATO-Akzeptanz, hat also die antiatlantische Substanz, die per definitionem Grundbestandteil kommunistischer Politik sein muss, allein schon dadurch verraten, daß bereits vor Jahrzehnten einer ihrer Vertreter an einer Sitzung der Trilateral Commission teilnahm. Früh wurden die Liquidatoren eingeschleust.
Wann immer am Rande der Bewegungen die pure Forderung “Raus aus der NATO” aufs Tapet kam, hat sich die PC, und deren Nachfolgerin im guten wie im schlechten, die Rifondazione, immer gewunden, wie ein Wurm.
Womit ist die Regierung Prodi erpreßt worden? Wirtschaftliche Sanktionsandrohungen dürften es kaum gewesen sein. “Wir sind gezwungen worden” klingt nach anderem.
In Belgien wurden in den 80er-Jahren in Supermärkten an die 30 Menschen von der dortigen Gladio, in Zusammenarbeit mit faschistischen Gendarmen) wahllos ermordet, um eine bedingungslose Angleichung der Politik der belgischen Regierung an die Kriegs-Politik der NATO mithilfe militärisch-polizeilichen Terrors zu erzwingen. Solches ist möglich gewesen, und wurde in den bürgerlichen Zeitungen Belgiens wie Le Soir dokumentiert. Staats- und überstaatlicher Terror höchsten Grades.
Sollte Ähnliches nicht auch in Italien möglich sein? Es muß sich in Italien um eine Erpressung großen Stils handeln, sonst hätte Prodi, dieser Obersklave der NATO und ehemalige Oberzeremonienmeister der Europäischen Union, dieser kalte und eingebildete Machtpolitiker par excellence, der doch aber auch um reale Kräfteverhältnisse weiß, nicht diese sonderbare Formulierung frischweg in die Öffentlichkeit gebracht. Und hätte er nicht in puncto Vicenza, ein wenig realpolitisch, eine große Konzession machen können – um sein Lager zu konsolidieren? Mit einigen populistischen Zusätzen? Es ist, als hätten die Amerikaner damit gedroht, Italien zu bombardieren.
Prodi schweigt wie ein österreichischer Bundeskanzler. Keine Konzession, keine Erklärung des sonderbaren Diktums; und die GegnerInnen werden schärfer und radikaler. Da ist keine Vermittlung denkbar, die einzige Lösung liegt im bedingungslosen Rückzug von Dal Molin. Entweder es geht von Vicenza ein Krieg gegen Afghanistan aus, oder es geht keiner aus.
Die GegnerInnen von Dal Molin haben schon damit gedroht, die Bauarbeiten zu verhindern, “sobald die Bagger kommen”.
Wenn etwas so viel Macht und Geld hat wie die NATO-Regierung und -statthalterei in Italien, dann ist auch das Know-How vorhanden, den Gegner mit allerlei Listen und wechselnden Vorschlägen zu übertölpeln. Es soll ein Stützpunkt weiter weg gebaut werden, nicht bloß zwei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, hieß es noch vor der großen Demonstration. Es wird, wenn das denn durchgeht, eine Region mit einer wenig politisierten Bevölkerung sein. Dieselbe Taktik wurde vor 20 Jahren angewandt, als ein Teil der spanischen Logistik in das damals servile und reaktionäre Friaul mit seiner passiven Bevölkerung verlegt wurde. Die Passivität der Bevölkerung ist der beste Schutzwall um eine NATO- oder US-Basis.
Aber diese Passivität gibt´s heute kaum mehr. Im Fall Vicenza haben sie darauf gesetzt, haben auf den geringen Politisierungsgrad der Stadt gesetzt. Sie haben sich getäuscht.
Da wird an Phänomenen herumgedoktert. Ist den Leuten klar, wie groß allein im ehemals unterpolitisierten und hörigen Vicenza das Potential geworden ist, das sich nunmehr zur nächsten Großdemonstration vor Aviano hinbewegen läßt, das sich leicht in die Toscana, zum Camp Darby hindislozieren läßt?
Ist den Leuten nicht klar, daß diejenigen KundgebungsteilnehmerInnen von auswärts, die in Vicenza am begeistertsten empfangen wurden, die allein 4000 AktivistInnen waren, die alle aus dem kampferprobten Val di Susa und den Nachbartälern in die Hauptstadt der venetischen genießerischen Zierlichkeit gekommen waren? Ist ihnen nicht klar geworden, daß die Bewegungen sich stützen und stärken?
Ist ihnen nicht klar, daß wir in Italien, ein neues Modell von regional verankerten, aber landesweit mit anderen Bewegungen vernetzten Bewegungen haben, die in ihrer jeweiligen Autonomie (Autonomie von Parteien, aber auch im Sinne von spezifisch lokal-regional bedingter, “endogener” Geprägtheit) sich mit anderen Bewegungen zu einem neuen politischen Subjekt oder Akteur zusammenschließen, das die alten Konzepte von Klassenorganisationen um ein Wesentliches erweitert?
Wenn etwa die Belegschaft einer Firma aus dem Veneto, die von massiven Gesundheitsproblemen betroffen ist und bedroht ist von der Brutalität ihrer leghistischen Vorgesetzten, gerade deswegen, aus der Erfahrung der proletarischen Entmündigtheit heraus, sich am Kampf in Vicenza gegen die geld- und umweltfressende Maschinerie beteiligt, dann ist das das treffendste Beispiel für die Aufhebung (aber nicht Vernichtung oder gar “Überwindung”) des Konzepts des kämpfenden Klassenkerns in einer regional-nationalen antiimperialistischen Bewegung gegen Krieg. Umweltzerstörung, Staatsterror und Völkermord.
Wenn es ihnen, den Herrschaften, nicht klar sein sollte, dann sollte es aber zumindest uns klar sein. Und wir sollten uns fragen, ob dieses Modell nicht auch bei uns zu greifen begonnen hat. Ist es denn nicht so, daß die herkömmlichen politischen Gruppierungen immer weniger ausrichten, in erster Linie deswegen, weil sie mit ihrer Sprache und ihren Lebensformen nicht über ihren Tellerrand hinausblicken; und daß es eher versprengte kämpfende Basisorganisationen sind, wie Asyl in Not, der Würfel, die Au-Bewegung, die Arbeitslosen- und Prekärengruppierungen, die bisherigen Kleininitiativen gegen Militarisierung in der Steiermark, aus denen das neue antagonistische Subjekt entstehen kann und die sich zu einem hegemonialen Block in der Linken zusammenschließen müssen?
Dazu muß aber – wie man nennt man das in Vicenza? – eine assemblea permanente, ein Dauer-Forum, eine permanente koordinierende Kraft, geschaffen werden, in deren Bereich nicht nur ein abstrakter succus aus allen Erfahrungen gezogen werden soll, sondern wo sich alle Erfahrungen allen anderen Erfahrungen konkret widmen, im Sinne eines radikalen Forums von unten, einer permanenter Erfahrungs-Versammlung und sozialen Verdichtung, einer Versammlung der Citoyens, die keine Vermittlung oder Verbindung mehr zu den Institutionen (und natürlich Parteien) kennen darf.
Bisher schickten die politischen Gruppierungen und Grüppchen hier nur blasse Beobachter oder Beobachterinnen zu den jeweiligen Initiativen. Der Forum-Charakter ist das wichtigste, gleich danach kommt die Forderung, daß die radikalen Organisationen zu einem Kampf-Ausschuß zusammengeschmiedet werden müssen.
Vicenza ist auch ein Neuanfang eines Kampfes gegen die NATO, nicht nur eines italienischen, ein “neuer Kampfzyklus”, wie es in der italienischen Terminologie heißt. Die interessantesten Anzeichen dafür: Es kamen gerade aus den übelsten Neo-Satellitenstaaten der USA/CIA/NATO, nämlich Polen und Tschechien wertvolle Abgeordnete der dortigen antimilitaristischen Bewegungen und sie sprachen auf der Massenkundgebung. Das wurde von der Bewegung sofort bemerkt. War das nicht schon der Kern, das Embryo eines europaweiten Kampfes gegen die Hegemonie der USA?
Von der österreichischen Linken, die sich durch die scheinbare Neutralität einlullen ließ, ist ein scharfes Vorgehen gegen die proatlantische Politik Österreichs zu fordern, gegen die schwarze Außenministerin und ihr Schweigen zu allen internationalen Konflikten. Ist zu fordern ein Angriff gegen die SPÖ, die zur Unterstützung des Todesbasenprojekts in Vicenza durch das ihr befreundete Lager in Italien auf widerliche Weise nichts zu sagen hat, als ob sie es gutheißen würde, ist zu fordern eine große durchdachte Attacke gegen die rechtsradikalen Parteien und deren ungebrochenen Atlantismus, respektive gelegentlichen Schein-Antiatlantismus und schließlich ist zu fordern, daß sie sich gefälligst in die italienische Debatte einmischt, die keine rein italienische Debatte ist – denn vom Dauerkrieg sind auch die scheinneutralen Territorien betroffen.
Sagte ich, die österreichische Sozialdemokratie schweigt?
Sie betrügt! Wie Prodi, der eine Reduktion der amerikanischen Präsenz versprochen hat und sein Versprechen gebrochen hat, so steht auch Gusenbauer nackt da, der die Abfangjäger will und versprochen hat, daß sie weggkommen. Mit einem Wort: zwei sozialdemokratische Lügner, die dafür sorgen, daß Europa weiter dem Krieg und dem Abgrund entgegentaumelt.
Der Betrüger Gusenbauer muß ein ebensolches Ende nehmen wie Romano Prodi, der willige Partner der US-amerikanischen Erpresser.
Februar 2007