Die Medien feiern den Aufschwung und die Menschen scheinen an das Ende der Krise glauben zu wollen. Wir, die Organisatoren der Tagung, bekennen uns dazu, der Zivilreligion des Kapitalismus nicht anzuhängen. Wir laden zur Suche nach Alternativen…
Produktive Kapazitäten und Konsumnachfrage klaffen global zunehmend auseinander – so die These von Stefan Hinsch. Er sieht darin nicht nur die tiefere Ursache für den Crash von 2008, sondern prognostiziert ein weiteres krisenhaftes Dahindümpeln der Weltwirtschaft. Insbesondere Europa befindet sich im Abstieg, was Euro und EU sprengen könnte.
Die Zyklizität des Kapitalismus ist bekannt. Sie wurde lediglich am Höhepunkt des neoliberalen Rausches bestritten, mit anschließendem Fall aus den Wolken. Hannes Hofbauer ruft die verschiedenen Theorien der Krisenkreisläufe in Erinnerung. Folgt man Marx, dann erfordert ein neuer Aufschwung die massive Vernichtung von Überkapazitäten, etwas was offensichtlich auch dank der staatlichen Eingriffe bisher nicht geschah. Steht das noch bevor? Werfen die Eliten angesichts solcher Szenarien die Konzeption des Rückzugs des Staates zum alten Eisen – und/oder die Demokratie?
Der Aufstieg Chinas ist in aller Munde. Das Reich der Mitte kehrt dorthin zurück, meint Klaus Boos, wo es über die längsten Passagen der Geschichte war: in die Mitte der Welt.
Für Albert F. Reiterer drückt die Finanzkrise die Tendenz aus, dass sich die Zentren auf (profitable) Steuerungsfunktionen zurückziehen. Die neuen Subzentren werden zur Fabrik der Welt, während die LLDCs (am wenigsten entwickelte Länder) weiter verelenden.
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Susan Zimmermann analysiert die eigenwillige Politik der ungarischen Rechtsregierung. In dieser Politik verbinden sich Bemühungen um staatliche Einflussnahme auf die Finanzmärkte und Großkonzerne mit Umverteilung zugunsten der Reichen, teilweise ethnisierter Ausgrenzung unterer Sozialschichten und populistischen Angriffen gegen Liberalismus und andere Feinde. Wie verbinden sich nationalstaatliche Attitüde, Klassenpolitik und rechter Populismus in der heutigen ungarischen Politik?
Welche Folgen für das politische System Europas hat die Krise, fragt sich Gernot Bodner. Geht ein halbes Jahrhundert stabiler Mittelschichtengesellschaft seinem Ende zu? Oder kehrt nur die europäische Peripherie dorthin zurück, wo sie immer war? Im Rechtspopulismus und der Islamophobie äußern sich gleichzeitig Protest gegen die Eliten und Affirmation des Systems. Welche Aussichten hat da eine Systemopposition?
Leo Gabriel verwehrt sich gegen nationalstaatlich orientierten Keynesianismus als Krisenreaktion. Er schlägt ein von lateinamerikanischen Bewegungen inspiriertes Konzept der Selbstbestimmung der Kulturen und Identitäten in einem gemeinsamen, demokratischen Europa vor. Dazu bedarf es einer (neuen) Linken jenseits von Sozialdemokratie und Grünen.
Die Tendenz zur multipolaren Welt – angetrieben einerseits vom Aufstieg Chinas, andererseits vom Volkswiderstand gegen Globalisierung und westliche Hegemonie – bricht sich Bahn. Doch werden die USA ihre Herrschaft nicht kampflos preisgeben, so Wilhelm Langthaler. Gerade angesichts der Wirtschaftskrise zeigt sich, dass das Zentrum nach wie vor alle Hebeln der Macht in Händen hält. Kann China mit einem Ende der globalistischen Symbiose mit den USA seinen Aufstieg fortsetzen und dadurch noch mehr als Entwicklungsmodell gelten? Oder kann die Idee der Entmachtung der kapitalistischen Oligarchie, der Wirtschaftslenkung und gesellschaftlichen Gestaltung durch und für die globale Mehrheit auch für Europa auf eine neue Grundlage gestellt werden?
10 bis 15minütige Referaten in zwei Böcken sollen reichlich Diskussion anstoßen, mit dem weiteren Ziel auch in Österreich ein antikapitalistisches politisches Projekt in Gang zu bringen.
Gernot Bodner, Assistent an der Universität für Bodenkultur Wien, Lateinamerika-Experte
Klaus Boos, ehemaliger maoistischer Aktivist und politischer Denker
Leo Gabriel, Sozialanthropologe, Journalist und Mitglied des internationalen Rats des Weltsozialforums
Stefan Hinsch, Ökonom, Koautor des Buches „Wie funktioniert Wirtschaft“ und AHS-Lehrer
Hannes Hofbauer, Publizist und Verleger
Wilhelm Langthaler, Antiimperialist
Albert F. Reiterer, Dozent für Soziologie und Politikwissenschaften an den Universitäten Wien und Innsbruck
Susan Zimmermann, Historikerin, Wien und Budapest
Die US-Subprime-Krise von 2007 wurde zur Bankenkrise und zur Krise der Industrie. Die Politik reagierte darauf mit massiven Geldgeschenken an die Finanzwelt – um das System zu retten. Was aber wurde da gerettet?
Wir fragen nach der Struktur und dem Wandel des Weltsystems heute. Ist dies eine lange Welle der kapitalistischen Krisenzyklen wie schon eine Reihe anderer davor? Oder Ergebnis des imperialen „Overstretch“ der USA oder gar schon wieder zu Ende? Welche Folgen hat die Wirtschaftskrise auf das politische System einerseits, auf das politische Bewusstsein der Bevölkerung andererseits?
Die theoretische Diskussion ist auf der Linken nahezu verstummt. Dem Ende der Geschichte hat sie fast nur dogmatisierte Floskeln ohne Bezug zur aktuellen Lage entgegen zu setzen. Der Linksliberalismus konkurriert dagegen mit moralischen Appellen und bisweilen auch mit der Forderung nach mehr öffentlichen Geldern für eine Alternativ-Bürokratie (für mehr „Entwicklungshilfe“; für „Sozialhilfe“; für „Frauenprojekte“; usf.).
Wir möchten einen Anstoß für eine neue Struktur- und Strategie-Debatte geben – nicht mehr und nicht weniger.