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Erreicht die Veränderung auch Saudi-Arabien?

Bericht von der Veranstaltung mit Prof. Madawi Al-Rasheed


13. Juni 2011
OKAZ

Bei ihrem Vortrag „Saudi Domestic Politics and the Arab Spring” am Samstag 11. Juni 2011 im Österreichisch-Arabischen Kulturzentrum setzte sich Prof. Madawi Al-Rasheed mit der sozialpolitischen Morphologie Saudi-Arabiens und den internen und regionalen Spannungen im Kontext der Demokratiebewegungen in der Region auseinander.


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Prof. Al-Rasheed unterrichtet Sozialanthropologie am Londoner King’s College.
In ihren Arbeiten befasst sie sich mit Geschichte, Gesellschaft, Religion und Politik in Saudi-Arabien sowie Staat- und Genderbeziehungen in der Arabischen Region.

In ihrem Vortrag schilderte Al-Rasheed die Ähnlichkeiten zwischen den Regimen der arabischen Region und stellte fest, dass für diese Regime republikanische bzw. monarchistische Bezeichnungen nichts mehr als Fassaden sind, hinter denen sich in Wirklichkeit Familienklans verbergen, welche die heimischen Wirtschaften wie Privatfirmen betreiben. Dadurch ähneln sich die sozialen und politischen Probleme der meisten Länder stark. Nicht-produktive und konsumorientierte Wirtschaften geben ein falsches Bild vom Wohlstand, der in den letzten zwanzig Jahren allmählich kollabierte. Die hohen Bildungsraten endeten in hohe Arbeitslosenzahlen, da solche Wirtschaften kein Wachstum ermöglichen, das die zunehmende Anzahl an ausgebildeten Kräften aufnehmen kann.

Prof. Al-Rasheed ging auf die Charakteristika des Reichs der Sauds ein:
In der Politik besteht eine dynastische Herrschaft mit sehr schwachen politischen Institutionen, stark personalisierten Herrschaftsbeziehungen, die in mehreren Machtkreisen organisiert sind. Saudi-Arabien unterscheidet sich von den anderen arabischen Regimen in der Bedeutung der Religion und der Instrumentalisierung der offiziellen Interpretation von „Gehorsam“, die nämlich zur Unterdrückung jeder Form von Protest verwendet wird. Diese religiöse Aufladung ist auch mitverantwortlich für die Entwicklung des gewalttätigen Jihad und für interkonfessionelle Spannungen (die Ostküste des Landes ist mehrheitlich schiitisch). Die auf religiöse Repression und Erdöleinnahmen gestützte familiäre Herrschaft der Sauds marginalisiert die religiöse, tribale, bürokratische und kommerzielle Elite des Landes. Damit leistet sie der regionalen, konfessionellen und tribalen Fragmentierung des Landes Vorschub.

Prof. Al-Rasheed erklärte den Hauptunterschied zwischen Saudi-Arabien einerseits und Ägypten bzw. Tunesien andererseits: In Saudi-Arabien entfallen die politischen Kräfte und die stabile Zivilgesellschaft, die eine ähnliche Revolte vorantreiben könnten. Politische Parteien, Gewerkschaften, Studentenunionen, Menschenrechtsorganisationen usw. sind inexistent. Das Fehlen sowohl einer unabhängigen Justiz als auch einer Tradition friedlichen Protestes erschweren eine Veränderung durch reformistische Bewegungen und schaffen den Boden für gewalttätigen Protest.

Nichtsdestotrotz müssen sich laut Prof. Al-Rasheed die Sauds mit ernsthaften internen Herausforderungen auseinandersetzen. Die Machtvererbung verlief bis dato horizontal von einem Sohn des Gründers Abdelaziz (Ibn Saud) zum nächsten. Bald wird sich die Frage der vertikalen Vererbung an die dritte Generation stellen, womit die Entscheidung ansteht, in welcher Linie der 35 Brüder die Macht vererbt wird.

Konfrontiert ist der mittelalterliche Staat mit modernen Fragen wie Bevölkerungswachstum, Arbeitslosigkeit, mangelhafter Infrastruktur, Minderheiten, Frauenfrage, religiösem Fundamentalismus und zunehmenden Reformforderungen seitens einer zunehmend gebildeten Gesellschaft. Demgegenüber stehen im Moment nur schüchterne Reformansätze in der Form von Petitionen und Forderungen nach einer konstitutionellen Monarchie nach dem jordanischen oder marokkanischen Modell [sic!]. Organisierte Opposition sind nur die traditionell islamistische Strömungen und die neugegründete islamische Umma-Partei.
Das Regime hat bislang keine ernstzunehmende Reaktion auf die Situation gezeigt. In seiner Rede gab König Abdullah keine Zeichen, dass er auf konkrete politische Forderungen einzugehen vorhat. Die Verkündung baldiger Lokalwahlen, eines (neuen) Korruptionsbekämpfungskomitees bzw. eines Sozialpakets gehen am Thema der politischen und wirtschaftlichen Reform vorbei.
Das Regime versucht der Krise durch Militarisierung zu entgehen. Es sucht sich externe Feinde wie den Iran bzw. betreibt interne anti-schiitische Mobilisierung. Hier werden religiöse Gruppen durch den Ausbau der religiösen Institutionen, durch neue Stellen und Geschenke beschwichtigt.

In ihrer Schlussfolgerung erwartete Prof. Al-Rasheed in Saudi-Arabien keine Reform, die über die Modernisierung des autoritären Regimes hinaus geht. Die multiplen Machtzentren des Staates werden nach wie vor bestehen und Abhilfe im chinesischen Model suchen: Wirtschaftswachstum und Repression.
Obwohl laut Prof. Al-Rasheed eine Revolte nach ägyptischem Modell unwahrscheinlich ist, finden heute schon Proteste mit niedriger Intensität statt. Deren Unterdrückung würde zu einem neuen Gewaltzyklus führen. Das Saudi-Regime ist nicht in der Lage, Kompromisse einzugehen. Es schützt sich präventiv durch die Unterstützung von Konterrevolutionen in der Region.

Eine detaillierte Version des Vortrags von Prof. Madawi Al-Rasheed wird in der Herbstausgabe der Zeitschrift „INTIFADA“ veröffentlicht. Ein ORF-Interview wird voraussichtlich am 25. September in Ö1 ausgestrahlt.

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