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Palästinenser erhält in Krems lebenslang

Ist das verhältnismäßig? Verdacht auf Gesinnungsjustiz


2. November 2018
von Wilhelm Langthaler

Ein junger Palästinenser aus Gaza wird im Frühjahr 2018 von einem Geschworenengericht rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt – wegen Terrorismus. Aus der spärlichen Berichterstattung lässt sich entnehmen, dass die Tat, zu der es nie kam, im besetzten Jerusalem hätte stattfinden sollen und dass die Belastungszeugen, selbst jugendliche Palästinenser, aus einem israelischen Gefängnis per Skype ihre Aussagen machten.


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Als ich vom Hörensagen über den Fall Kenntnis erlangte, wollte ich es zuerst nicht glauben. Nur in seltenen Fällen erhält man in der Alpenrepublik, die sich für harmlos hält, für Mord die Höchststrafe. Aber die Höchststrafe für eine offensichtlich politisch motivierte Tat, die noch dazu im besetzten Palästina hätte stattfinden sollen und zu der es nicht einmal kam, das machte mich dann doch stutzig.

Ich begab mich auf Recherche: Abdelkarim Abu Habel wurde 1990 in Jaballiya im Gazastreifen geboren. Bereits mit 14 Jahren wurde er von der israelischen Militärjustiz zu neun Jahren Haft verurteilt. Laut Medienberichten wurden ihm fünf Jahre der Besuch des Vaters verweigert, nur als willkürliches Beispiel für die Härte israelischer Haftbedingungen. Ohne über die Details Bescheid zu wissen, kennt man doch die allgemeinen Umstände in Gaza und mit welcher Unverhältnismäßigkeit der Konflikt zwischen einem höchstgerüsteten Kolonialstaat und den in Gaza unterworfenen und eingesperrten Palästinensern ausgefochten wird.

Nach seiner Freilassung heiratet Abu Karim und flüchtet im Februar 2015 über die Türkei nach Österreich, wo er um politisches Asyl ansucht. In Litschau untergebracht, wird er nach einem Hinweis israelischer Sicherheitsbehörden 2016 verhaftet und schließlich wegen Terrorismus angeklagt. Zudem auch wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Verleumdung von Beamten, aber das wollen wir in der Folge vernachlässigen.

In einem Interview in einer englischsprachigen Zeitung meinte sein Vater, warum er denn wegen etwas einsitzen müsse, wofür ihn schon die Israelis eingesperrt hätten.

Man vergegenwärtige sich: Nach einer Kindheit im Gazastreifen (anfangs noch mit direkter Siedlerpräsenz) hat Abu Habel, 28, seine gesamte Jugend in Haft verbracht, während seine Heimat in drei asymmetrischen Kriegen 2008/9, 2012 und 2014 von Israel angegriffen wurde – nur um nach seiner Flucht wieder, diesmal in einem österreichischen Gefängnis zu enden.

Ich kenne weder die Anklageschrift, noch die Urteile. Zugänglich sind neben den Medienberichten lediglich ein Urteil des Obersten Gerichtshofs, in dem er eine Nichtigkeitsbeschwerde abweist. Darin wird jedoch das erstinstanzliche Urteil wiedergegeben.

Danach geht es um zwei Elemente: einerseits um einen mutmaßlich von ihm geplanten Anschlag in Jerusalem, andererseits um die Mitgliedschaft in der Hamas.

 

Zum nicht stattgefundenen Anschlag

Abu Habel soll über das Internet zwei ihm nicht bekannte Palästinenser „in Jerusalem (Israel) bei der Al-Aqsa Moschee gegen Ende des Fastenmonats Ramadan 2016 eine oder mehrere Handgranaten in Menschenmengen werfen“ lassen sollen. Die gescheiterten angeblichen Attentäter sollen von den Israelis vor Tatbegehung verhaftet worden sein. Die Hauptbelastungszeugen, ebenfalls zwei Palästinenser jugendlichen Alters, die in israelischen Gefängnissen einsitzen, wurden per Skype aus ihren Zellen befragt. Laut Medienberichten wurde kodierte Sprache verwendet, Äpfel für Handgranaten und Affen für Juden (was sich für eine Vorverurteilung hervorragend eignet). Zudem galten dem Gericht scheinbar die gleichen Rechtschreibfehler in unterschiedlichen Chat-Texten auf unterschiedlichen Geräten als ausreichender Beweis der Urheberschaft Abu Habels.

Das sind nur wenige Elemente, aber die allein scheinen doch abenteuerlich. Rekrutiert ein Attentäter Unbekannte im Internet, wo er weiß, dass dieses für die israelischen Behörden ein offenes Buch ist? Wie glaubhaft sind nicht anwesende, über fernmündlich zugeschaltete Zeugen aus israelischen Gefängnissen? Man kennt das Erpressungspotential eines Staates, der auf der ganzen Welt die meisten „Administrativhäftlinge“ hält, also Gefangene ohne Prozess, und zudem für die Folterfreudigkeit bekannt ist. Von wem stammen die Abhör- und Überwachungsprotokolle, in welcher Sprache sind sie (etwa in Arabisch), wer hat sie übersetzt und interpretiert (etwa Israelis)?

Politisch verräterisch ist die ostentative Hinzufügung von „(Israel)“ zu „Jerusalem“, so als wolle das Gericht direkt das Völkerrecht konterkarieren. Denn die al-Aksa-Moschee befindet sich in Ostjerusalem, das von Israel 1967 illegal annektiert wurde und weder von der UNO noch vom Sicherheitsrat, also nicht einmal von den USA, als Teil Israels anerkannt wird.

Insgesamt behandelt das Gericht die unterstellte Tat so, als hätte sie in Österreich stattfinden sollen. Es findet sich kein Hinweis auf den kolonialen Kontext. Und natürlich ist keine Rede davon, dass das Völkerrecht den Widerstand gegen fremde Besatzung auch mit militärischen Mitteln ausdrücklich legitimiert.

 

Zur Hamas-Mitgliedschaft

Unklar bleibt, wie die unterstellte Mitgliedschaft in der Hamas nachgewiesen wurde, die pauschal als Terrororganisation gilt. Die Hamas befindet sich zwar auf der EU-Terrorliste, die aber für die Mitgliedsstaaten nicht bindend ist. Die Liste ist ein politisch-propagandistisches Mittel, so wie die Bezeichnung „Terrorismus“ überhaupt, weil es vor allem etwas über das intendierte Feindbild aussagt. (Internationaler Protesttag im Oktober 2002 in Brüssel gegen den drohenden Irak-Krieg und die Terrorliste).

So befindet sich auch die PKK auf dieser Liste, doch die österreichischen Behörden wenden das nicht an. Die PKK unterhält seit Jahrzehnten eine vollständige politische Infrastruktur und beteiligt sich am 1. Mai am SPÖ-Aufmarsch. Weder die österreichische Exekutive noch die Justiz muss die Hamas als terroristisch einstufen. Dass sie es dennoch tut, ist einzig ihre alleinige politischen Entscheidung und Verantwortung.

Tatsache bleibt, dass die Hamas bei Wahlen die Mehrheit der Stimmen erhalten hat. Ihr politisches Ziel ist die Befreiung Palästinas (Das neuen politische Dokument der Hamas). Man muss sich vor Augen halten, dass Palästina eine der ganz wenigen verbliebenen westlichen Siedlerkolonien ist. Daher auch der sich aufdrängende Vergleich Südafrika, bei dem der Widerstand gegen die Apartheid schließlich in den 1990ern zum Erfolg führte.

Die Mitgliedschaft in der Hamas ist also soundso ein rein politisches Delikt. (internationale Initiative für die Entfernung der Hamas von der Terrorliste)

 

Gesinnungsjustiz und zweifelhafter Terrorparagraph

Die APA berichtete, dass die Richterin ihr Urteil entschieden politisch begründete: „Es bedürfe der Höchststrafe, um dem Angeklagten vor Augen zu führen und auch zu signalisieren, dass dies nicht der richtige Weg sei, politische Veränderungen herbeizuführen.“. Erschwerend komme die „einschlägige Vorstrafe“ in Israel hinzu, als hätte es sich da um ein normales Gericht gehandelt und nicht um Kolonialmilitärjustiz. Zudem gelten Gefangenenaustausche, in dessen Rahmen Abu Habel freikam, den Israelis als Amnestie.

Es ist nicht das erste politisch motivierte Urteil. Denn in den letzten Jahren häufen sich die Fälle. Da sind vor allem Muslime, die zu Dutzenden mittels Terrorparagraphen auf zweifelhafte Weise und de facto unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgeurteilt werden. Die Konstruktionen sind oft haarsträubend, die Dolmetschung zweifelhaft, genauso wie die Pflichtverteidigung, die gerne dazu rät, nicht begangene Taten zuzugeben oder andere zu belasten, um strafmildernde Umstände geltend machen zu können. Während sich die österreichischen Gefängnisse füllen, werden Kohorten von Deradikalisierern eingesetzt. Eine weniger parteiliche Justiz, die sich nicht von der regierungsseitig angetriebenen islamfeindlichen Welle anstecken lässt, wäre wohl wirkungsvoller.

Aber es gibt auch gezielte Strafverfolgung gegen Aktivisten der Palästina-Solidarität, wie die erstinstanzliche Verurteilung zu fünf Monaten bedingt wegen der Verbrennung einer israelischen Fahne in Graz im Rahmen einer angemeldeten Demonstration.

Auch linke Gruppen wie die „Anatolische Föderation“ sind im Visier der politischen Justiz. Reihenweise werden Teilnehmer der Ersten-Mai-Demo als Terrorunterstützer angeklagt und einige bereits verurteilt, weil sie in der Türkei Seite gegen die Regierung beziehen. Selbst der Justizsprecher der SPÖ, Johannes Jarolim, findet nicht nur diese Prozesse, sondern die Terrorgesetzgebung sowie die zugehörige schwarze Liste fragwürdig und die Meinungsfreiheit einschränkend. (Hier bei einer Veranstaltung im Mai 2018.)

Den Anfang machten die Terrorprozesse gegen verschiedene Tierschützer, die sich über Jahre zogen. Letztendlich unterschätzte die Justiz jedoch die öffentliche Meinung und die Aktivisten wurden freigesprochen.

Juristische Grundlage für all das ist die Terrorgesetzgebung mit ihrem Kernstück §278, wie sie in Folge der geschürten Hysterie nach 9/11 eingeführt wurde. Dabei werden bereits auch zuvor nach Strafgesetz zu ahndende Verbrechen zum Terror upgegradet. Was eine normale strafbare Handlung zum Terrorismus erhebt, ist dehnbar und unterliegt der Willkür der Richterschaft. Im Grunde geht es um die politische Intention. Damit ist der Gesinnnungsjustiz Tür und Tor geöffnet. (Aufruf zu einer Kundgebung 2008 zur Abschaffung von §278)

Was man sicher bereits jetzt sagen kann – ohne genaue Kenntnis des Falls – ist, dass Abu Habel Opfer von proisraelischer Politjustiz wurde, ermöglicht durch die undemokratische Terrorgesetzgebung. Doch selbst ohne deren autoritäre Möglichkeiten wären auch bei einem normalen Strafprozess erhebliche Zweifel angebracht, die es wert sind, im Sinne der Verteidigung des Rechtsstaates nachgegangen zu werden. Wichtigstes Element des Rechtsstaates ist die kritische Öffentlichkeit, die die notwendigen Fragen stellt.

Und das sollten wir dringend tun.

 

 

Hier die Berichterstattung, die sich im Internet finden ließ:

https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/oesterreich/politik/869560_Immer-mehr-Terrorismus-Delikte-in-Oesterreich.html

https://derstandard.at/2000061733810/Krems-Mutmassliches-Hamas-Mitglied-zu-lebenslanger-Haft-verurteilt

http://www.krone.at/580173

https://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/5257736/Krems_Lebenslange-Haft-fuer-mutmassliches-HamasMitglied

http://www.inminds.com/article.php?id=10788

http://www.inminds.com/article.php?id=10789

https://www.middleeastmonitor.com/20170726-austrian-court-sentences-palestinian-asylum-seeker-to-life-imprisonment/

https://kurier.at/chronik/niederoesterreich/fluechtling-soll-im-asylheim-anschlaege-geplant-haben/275.795.880

https://noe.orf.at/news/stories/2855444/

https://noe.orf.at/news/stories/2855671/

https://noe.orf.at/news/stories/2856533/

https://www.kleinezeitung.at/oesterreich/5254142/ChatProtokolle-im-Mittelpunkt_Auftakt-zu-TerrorProzess-in-Krems_

https://www.noen.at/niederoesterreich/chronik-gericht/krems-terror-prozess-mehrtaegige-verhandlung-gestartet-justiz-niederoesterreich-prozess-terrorismus-54785390

https://www.noen.at/niederoesterreich/chronik-gericht/landesgericht-kremser-terror-prozess-gegen-27-jaehrigen-im-finale-justiz-niederoesterreich-terrorismus-55340710

https://kurier.at/chronik/niederoesterreich/kremser-terror-prozess-27-jaehriger-erhielt-lebenslang/276.880.853

https://www.noen.at/niederoesterreich/chronik-gericht/urteil-kremser-terror-prozess-27-jaehriger-erhielt-lebenslang-justiz-niederoesterreich-terrorismus-urteil-55387562

https://www.nachrichten.at/nachrichten/chronik/Mutmassliches-Hamas-Mitglied-in-Krems-zu-lebenslanger-Haft-verurteilt;art58,2631708

https://www.meinbezirk.at/gmuend/c-lokales/lebenslang-fuer-hamas-palaestinenser-aus-litschau_a2201944

https://derstandard.at/2000061733810

http://www.europalestine.com/spip.php?article13358&debutencart4=11

https://www.jpost.com/Diaspora/Hamas-member-convicted-in-Austria-for-planning-attacks-in-Jerusalem-500677

 

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