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Syrien im Herzen

13. Juni 2011
von Abdelhalim Qandil

Abdelhalim Kandil ist einer der bekanntesten Intellekuellen Ägyptens. Er war Mitbegründer von "Kifaya" (Genug), einer Oppositionskoalition, die den Weg für den Sturzs der Diktatur Mubarak ebnete. Dafür wurde er von der Polizei misshandelt und in der Wüste ausgesetzt. Politisch zählt er zum linken Flügel der panarabischen Kräfte. Heute ist er Chefredakteur der Tageszeitung "Karama."


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Als Ägypter muss man Syrien lieben und als Panarabist muss man entsetzt sein angesichts des Verhalten eines Regimes, das sich als panarabisch und links gebärdet, eines Regimes, das hinter der Maske einer historischen panarabischen Partei, der Ba’th, regiert.

Der Ausbruch der Rebellion in Syrien war keine Überraschung, und auch die Massaker nicht, die in den aufständischen Städten geschehen, von Dar‘a bis zur ländlichen Umgebung von Damaskus, von Baniyas bis Homs, in Hama und unter den Studenten von Aleppo. Es war nichts anderes zu erwarten als die bisherigen Ereignisse und jene, die noch kommen werden. Das Regime beherrscht keine andere Sprache als die der Unterdrückung und der Attacken, und das große syrische Volk hat nur das Verlangen nach Freiheit, auch wenn es Tausende Opfer kostet, selbst wenn die Bewegung völlig gewaltfrei wäre.
Das Volk hat keine Angst, es bewahrt die moralische Überlegenheit, die zum Erfolg führen kann.

Ich habe jahrelang vor Täuschungen gewarnt, die Selbstdarstellungen der Regimes zu ignorieren und den Kern ihrer Strukturen zu erfassen. Diese Regimes sind zu Kopien der Originale geworden; alle sind zu Familiendynastien verkommen. Eine Familie regiert, kontrolliert die Macht und das Vermögen des Landes. Einem kleinen Kreis aus Milliardären mit schmutzigem Geld untersteht ein verwöhnter und arroganter Sicherheitsapparat. Sie sitzen auf einer Wirtschaft ohne breite produktive Basis, heimsen ihre Profite ein und errichten als Dekor den Anschein politischer Parteien. In Wirklichkeit folgen sie keiner bestimmten Ideologie, sind weder rechts noch links noch in der Mitte, sondern folgen bloß der Logik der Plünderung des nationalen Vermögens, wobei sie sich auf die Knute der allgemeinen Unterdrückung stützen. Sie haben sich in eine Bande von Räubern verwandelt, die sich durch Machtmissbrauch bereichern und ein System des Zwanges konsolidiert haben. Letztendlich hängen diese Systeme in der Luft, ihre Basis in der Bevölkerung schwindet, sie gleichen Salomons, dessen Leiche, als er gestorben war, auf seinen Stock gestützt stehen blieb und niemand erkannte, dass er tot war, bis die Termiten seinen Stock zerfraßen und er umfiel. Es sind Regime, die offensichtlich sehr ängstlich aber gleichzeitig auch sehr schwach sind. Sie fordern Unterwerfung und sind nicht fähig, die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen. Wie Heuschrecken fressen sie alles kahl und verwüsten die Gesellschaft. Was bleibt, ist das Bild von bewaffneten Räubern. Astronomische Summen fließen von unten nach oben. Landwirtschaft, Industrie, Politik und Kultur erodieren. Im Untergrund brodelt der Volkszorn, bis die bleierne Decke bricht und Millionen ohne Befehl und Führung hervorbrechen und revoltieren, unaufhaltsam wie Naturgewalten und Vulkane.

Die Unterdrückung selbst ist die Ursache, für diesen Ausbruch der angestauten Wut, welche die Revolution bis an die Grenzen führt; die Unterdrücker sind verblüfft und verfallen in blutigen Wahn führen, der den Sieg der Revolution beschleunigt. Diese Systeme haben keine anderen Lösungen, auch wenn sie sich gesprächsbereit geben – echte Verhandlungen wollen sie nicht. Der Stock verhandelt nicht. Es ist ihnen nichts geblieben als der Stock. Sie wiegen sich in Sicherheit. Man kann nicht eine Bestie erziehen und ihr dann das Beißen verbieten. Diese Systeme sind charakteristisch für ihre Blutrünstigkeit.

Lieber Leser, du brauchst keine Beispiele, die Bilder liegen offen vor dir. Die Revolte und alles was dabei geschieht, bekommst du direkt ins Wohnzimmer serviert. Einige sagen, dass das syrische System anders sei, doch die Unterschiede sind nur Details, mit denen die Kopie ausgeschmückt wurde. Die streng nach Religionsgemeinschaften organisierte Struktur des Systems macht es noch gewalttätiger, aber das macht auch die friedliche Revolte wahrscheinlicher.

Vor mehr als zehn Jahren hat Mubarak gesagt: „Ägypten ist nicht Syrien!“ Und dann ist er den gleichen, den syrischen Weg gegangen, die Macht seinem Sohn zu vererben. Seitdem ist einige Zeit vergangen; die Ägypter haben Mubarak und seinen Sohn entmachtet. Jetzt sagt Bashar Assad: „Syrien ist nicht Ägypten!“ Damals schon habe ich bei einer Fernsehdiskussion gesagt, dass Syrien das gleiche Schicksal ereilen wird: „Wartet auf die Revolution in Syrien“, habe ich gesagt. Und so ist es geschehen; das wird zur Ende gebracht werden, egal wie groß die Hindernisse sind und egal wie lang es dauern wird. Das ist keine Prophetie oder Hellseherei, sondern schlicht unvermeidlich. Das Regime ist verantwortlich für jeden Tropfen Blut und für die Gefahr, der Syrien und seine Bevölkerung ausgesetzt sind, auf Grund der Sturheit des Regimes, das sich ohne logisch akzeptablen Grund an die Macht klammert. Bashar hat viel von Reformen gesprochen und nichts getan. Syrien wird von einer Räubermiliz regiert und nicht von der Ba‘th-Partei, deren Strukturen zerbrochen sind. Das regierende Netzwerk aus Interessen lässt ihm keine Möglichkeiten, dessen Macht und Vorrechte einzuschränken. So sind wir bei einer Familien- und Konfessionsregierung angelangt.

Er ruft zum Gespräch, aber ein echter Dialog bedeutet nicht nur Rhetorik, sondern beinhaltet auch Prinzipien und Verpflichtungen. Kann Bashar die familiäre und konfessionell gegliederte Übermacht, die im Namen der Ba‘th-Partei herrscht, durchbrechen? Kann er den bestialischen Text abschaffen, der die Todesstrafe über anders denkende Medien verhängt? Kann er alle Freiheiten gewähren? Kann er die grausame Macht der Sicherheitsapparate brechen? Kann er seinen Klan und seine Familienmitglieder zwingen, dem Volk die Milliarden zurückzugeben, die sie angehäuft haben? Kann er eine Generalamnestie für die Opposition erlassen? Kann Syrien in Richtung friedlicher Reformen und Demokratie zu gehen, eine neue Verfassung bilden, freie Parlaments- und Präsidentschaftswahlen organisieren, der Energie des Volkes ihren Lauf lassen, die Justiz reformieren, um Gerechtigkeit und Freiheit garantieren? Das sind alles Fragen, die eine Chance für Bashar beinhalten. Er kann ein Führer für ganz Syrien werden, statt ein Gefangener des Nepotismus zu sein. Bedauerlicherweise sieht es nicht so aus, als wäre er dazu fähig. Andererseits kann das syrische Volk in seiner großen Mehrheit nicht auf sein Recht auf Freiheit und Menschenwürde verzichten.

Wir haben keine Angst von der Gefahr der konfessionellen Zerstückelung Syriens, da in seiner Struktur starke Kohärenzelemente dominieren. Wir respektieren alle Gemeinden und Minderheiten, inklusive der respektablen alawitischen Gemeinde. Aber die Geschichte ist größer als konfessionellen Ungerchtigkeiten, und es ist nicht konfessionelle Gerechtigkeit die gefragt ist, sondern die umfassende Zugehörigkeit zur arabischen Nation und die Freiheit, welche der arabische Charakter Syriens garantiert. Das ist es, was Syrien neben Ägypten eine führende Rolle geben und die panarabische Idee auf Basis des Volkes wieder beleben könnte. Die konfessionell gegliederte Herrschaft einer Familie garantiert nichts, höchstens Verwüstung, Unruhen und die Möglichkeit einer Einmischung der USA. Niemand hat eine Intervention der USA gefordert, außer einigen Verrückten; manche von ihnen waren oder sind – so wie Khaddam – Angehörige des Systems selbst. Khaddam war Stellvertreter von Bashar sowie von Hafiz. Die Opposition ist in ihrer Mehrheit sowohl gegen das diktatorische System als auch gegen die USA und Israel. Das ist von großer Bedeutung. Jede Stimme, die nach einer Einmischung von Außen ruft, muss isoliert werden. Der Charakter der friedlichen Volksbewegung muss bewahrt werden, wie schlimm und blutig die Unterdrückung auch sein mag. Höchste Geduld und Opferbereitschaft sind gefragt. Wir müssen an Gottes Sieg der freien Menschen glauben. Wir müssen uns von Intrigen, Komplotten und der Sprache der Verhetzung gegen Völker und Religionsgemeinschaften fernhalten. Das alles sind Garantien für den Sieg, und unsere Pflicht gegenüber den Märtyrern. Wir dürfen auf keinen Fall in Fallen tappen, die Syriens Souveränität, Einheit und arabischen Charakter gefährden.

Wir vertrauen auf den Sieg der friedlichen syrischen Revolution. Syrien ist stets im Herzen aller Araber. Wir fühlen jede Verletzung mit. Syriens Sieg ist ein Sieg der ganzen arabischen Nation, und damit ein Sieg der Ägypter selbst.

Übersetzung:
Taoufik Kraiem

Bearbeitung:
Qais Zawayed
Chihab Kraiem
Gregor Kneussel

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