In Jordanien schickt der Staat seine Schläger vor

20.02.2011
Freitagsdemonstrationen mobilisieren Tausende, darunter auch die Opposition
Antiimperialistische Koordination
In Mauretanien, Algerien, Bahrain und auch Saudi Arabien gehen die Massen auf die Straßen, um gegen die soziale und politische Misere zu protestieren. Die Mauern der Angst gegenüber den Schreckenregimes scheinen abzubröckeln. Die Regime spüren die Veränderung und versuchen vorbeugend soziale Konzessionen an die Bevölkerung zu machen. Auch in Jordanien baut sich langsam eine Demokratiebewegung auf.

Der Volksaufstand in Tunesien hat Auswirkungen auf die gesamte Region. In den arabischen Staaten, wo neoliberale Wirtschaft Hand in Hand mit politischer Repression zu Massenverarmung und Mafia-artigen Regime-Strukturen führen, werden die Proteststimmen immer lauter. Der Fall von Ben Ali zeigt, wie zerbrechlich so ein Polizeistaat sein kann. Innerhalb von weniger als einem Monat folgte der Sturz von Mubarak. Wenn das kleine Land Tunesien das große Ägypten in Bewegung setzen konnte, so hat der Sieg des Volksaufstands im Herzen des arabischen Raums, in Ägypten, ein politisches Erdbeben im arabischen Raum ausgelöst.

In Mauretanien, Algerien, Bahrain und auch Saudi Arabien gehen die Massen auf die Straßen, um gegen die soziale und politische Misere zu protestieren. Die Mauern der Angst gegenüber den Schreckenregimes scheinen abzubröckeln. Die Regime spüren die Veränderung und versuchen vorbeugend soziale Konzessionen an die Bevölkerung zu machen. Auch in Jordanien baut sich langsam eine Demokratiebewegung auf.

„Freitage des Zornes“ begannen in Jordanien fast parallel mit den Protesten in Ägypten. Die Initiatoren sind unterschiedliche jugendliche Gruppen der Linke. Zur ersten Demonstration wurde von diesem Milieu aufgerufen. Es war in der Lage, trotz Boykott seitens der Moslemischen Brüder mehrere Tausende Teilnehmer zu mobilisieren. Die zweite Woche des Zornes kam nach dem Sturz von Ben Ali und im Zeichen des aufsteigenden Widerstands in Ägypten. Die Beteiligung der Moslemischen Brüder erhöhte die Anzahl der Teilnehmer auf 15 000 alleine in Amman. Der verängstigte Staat ging mit den Demonstranten freundlich um. Jordanischen Polizisten verteilten Wasser in Fläschchen unter den Demonstranten, anstatt dieses in Schläuche gegen die Demonstranten zu verwenden. Das war eine einmalige Szene in der jordanischen Geschichte.

Drei Wochen lang legte sich die Konfrontation: die nächsten Demonstrationen liefen in Richtung ägyptische Botschaft und solidarisierten mit dem Aufstand in Ägypten. Ein Kompromiss, was sowohl dem Regime als auch den konfrontationsscheuen Moslemischen Brüdern sehr günstig kam. Die Demonstrationen der Linke im Zentrum von Amman tauchten im Tumult um den ägyptischen Aufstand unter.

Schluss mit lustig

Der sechste „Freitag des Zornes“ verlief anders. Die Moslemischen Brüder beteiligten sich diesmal nicht an den Demonstrationen, jedoch versammelten sich hunderte Aktivisten der Linken im Zentrum Ammans zum regulären „Freitag des Zorns“. Als die Demonstranten die Aufforderung der Polizei, die Versammlung aufzulösen, ignorierten, zog sich diese zurück und eine Gruppe von hundert Männern tauchte auf, die eine Art Gegendemonstration für das Regime veranstalteten. Als sich der Demonstrationszug bewegen wollte, griffen die „Gegendemonstranten“ die Anwesenden mit Schlagstöcken, Eisenstäben und Äxten an. Mindestens zwanzig Personen wurden verletzt. Die Polizei weigerte sich zu intervenieren. Wie in anderen arabischen Staaten betrachtete das Regime die Angriffe als Gewalt unter Demonstranten und versprach eine Untersuchung.

Offensichtlich beschleunigte der Sturz Mubaraks die Ereignisse im ganzen arabischen Raum. Wie die anderen autokratischen arabischen Regime versuchte das Regime in Jordanien den aufsteigenden Volkszorn mit rein kosmetischen „Reformen“ zu beschwichtigen. In allen arabischen Ländern zeigt sich dabei ein ähnlicher Ablauf: Wenn Schritte wie die Bildung einer neuen Regierung die Opposition nur wenig beeindrucken, wird das Regime nervös und reagiert auf dieselbe Weise: Polizeigewalt. Scheitert diese, so zeigte der Staat sein mafiöses Gesicht und schickt Schlägerbanden auf die Demonstranten los. Scheitern diese ebenfalls, ist die Armee an der Reihe. In Jordanien, wo die Bewegung noch klein ist, scheint der Staat die Schlägerbanden der Polizei vorgezogen zu haben.

Die Proteste breiteten sich auch auf andere Städte. Unterschiedliche Initiativen der Gewerkschaften, der Studenten und der Beduinenstämme veranstalteten mehrere Demonstrationen gegen die Regierung. Angehörige des großen Beduinenstamm Bani Sakher, ein traditioneller Alliierter des Regimes, blockierte die Hauptsraße aus Protest gegen die Übertragung ihrer Länder auf Privatpersonen seitens des Regimes.

Die klarste politische Artikulation der Bewegung ist die Jordanische Patriotische Initiative (JPI). Gegründet im Sommer 2010, geht dieses Bündnis über die bekannten panarabistischen und sozialistischen Gruppen hinaus und schließt Kräfte ein, die früher als regimetreu galten. Das sind z.B. der Bund der Militärpensionisten, Jugendvereine der tscherkessischen Minderheit und Persönlichkeiten der jordanischen Beduinenstämmen. Die JPI fordert tiefgreifende Reformen im jordanischen Staat. Neben Beendigung des neoliberalen Wirtschaftskurs und mehr Transparenz im Staatsapparat, fordern die Kräfte die Rückkehr der Verfassung von 1952, die 1958 abgeschafft wurde, als König Hussein das Parlament auflöste und einen dreißigjährigen Ausnahmezustand verhängte. Die Forderung bedeutet konstitutionelle Monarchie mit weitgehender Einschränkung der Königsmacht. Erstmalig werden die Kompetenzen des Königs in Frage gestellt.

Während sich die Moslemischen Brüder momentan aus der Konfrontation zurückziehen und Straßenaktionen möglichst meiden, artikuliert sich im islamistischen Milieu die Islamische Arbeitspartei deutlich gegen das Regime: Das Regime muss die Forderung nach konstitutioneller Monarchie akzeptieren, ansonsten werden die Forderungen der Opposition radikaler. Dass das Regime ihrem Anführer Laith Schbeilat „einen bewaffneten Schutz“ verordnet hat, ist eher als Drohung zu verstehen, denn als eine königliche Geste des Schutzes.

Antiimperialistische Koordination
Wien 20. Februar 2011

Verweise